Sonntag, 26. Juni 2011

"Ich bin der Doom" - Tomen aus Karlsruhe verbinden Sludge-Rock mit deutscher Ridikülitäts-Lyrik

Die Mitglieder von Tomen waren allesamt schon in Karlsruher Bands des Niederfrequenzbereichs aktiv. Darunter lokale Legenden wie Spacek, Shining oder Kermits. Folgerichtig gibt es einen fiesen, schleimigen Cocktail aus schmatzendem Sludge, wummerndem Drone und sich schwerfällig dahinwälzendem Doom. Als Referenzen dienen Black Shape Of Nexus, Baroness oder auch die alten Meister des peinvollen Depri-Rocks, Crowbar. Garniert wird det Janze mit mehr oder weniger geschmacklosen deutschen Texten. „Kinderlieder“, das Debut, strotzt vor morbidem Humor à la Pungent Stench. Shouter und Texter Thomas bewegt sich dabei stets kurz vor und manchmal auch knapp hinter der Schmerzgrenze. „Nikotin“ beispielsweise handelt von den negativen Folgen des Rauchens („Der Doktor sagt, die Lunge muss raus“). „Doom“ ist, wie könnte es anders sein, eine Hommage an die eigene Lieblingsmusik. Sicher, „Du gibst mir dir Kraft zu tun was keiner schafft/ Alles was ich bin hast Du gemacht/ Du bist die Zeit die alle Wunden heilt/ Du bringst mir den Ruhm, du bist der Doom“, sind Zeilen, die nur Leute ernst nehmen können, die vierhundert Kilometer fahren, um Saint Vitus in Originalbesetzung zu sehen, aber die gibt´s halt auch. Kruder Höhepunkt ist zweifelsohne die Fekal-Ode „Dein Furz“. Wenn es einen Song gibt, der Michael Mittermeier- und Electric Wizard-Fans versöhnen kann, dann ist es dieser. Kurz gesagt, wer erwähnte Bands und Texte mit Ekelfaktor mag, sollte ein Ohr riskieren. (mex) Do, 21.7., CD-Release-Party im Kohi, Karlsruhe.

Sonntag, 19. Juni 2011

Magische Männerfahrt ins Märchenland

Der Tag beginnt schon wie im Märchen: „In der bestellten Kleinwagen-Kategorie haben wir nichts mehr,“ sagt die Dame am Schalter der Autovermietung in Essen. Betretenes Schweigen. „Wir geben Ihnen stattdessen einen Z4!“

Hast du nicht gesehen sitzt der Schreiberkollege aus Thüringen strahlend wie Prinz Valiant hinterm Steuer des metallisch-blau glitzernden Roadsters. Kaum das Schloss gedrückt, lässt die 3-Liter-Maschine ein heiseres Knurren hören. Den bösen Golf müssen wir heute nicht mehr fürchten. Das steht so fest wie Schweinchen Schlaus Haus.

Und huiiie, schon düsen wir mit unserem fliegenden Koffer im Sonnenschein über die Autobahn Richtung Leverkusen. Dazu bringt uns David Bowie als der Thin White Duke ein Ständchen: „Let me fly away with you/ For my love is like the wind/ and wild is the wind/ Wild is the wind.“ Zwei Hänse im Glück.

Schneller als die gebratene Taube fliegt erreichen wir die Zieladresse: Märchenwaldweg 15, Altenberg. Unser Fortbewegungsmittel – inzwischen hört es gleich dem treuen Zossen der Pferdemagd auf den Namen Fallada – rollt auf einen riesigen grauen Parkplatz. Und nun? „Hier geht es zum Deutschen Märchenwald“, weißt der gestiefelte Kater mittels Schild den Weg.

Ein kurzer Fußmarsch führt über eine Brücke zu einem weis getünchten Wirtschaftsgebäude mit umlaufendem Balkon. Auf dem Dachfirst eine Wetterfahne in Gestalt einer Hexe, die auf einem Besenstiel reitet. Drinnen sitzt Detlev Kreber gerade beim Mittagessen – Spaghetti Bolo.

Kreber, 47 Jahre, mit seinem Kahlrasiertem Schädel dem Gladbacher Fußball-Urgestein Michael Frontzeck nicht unähnlich, ist Geschäftsführer des Märchenwaldes. Gleichzeitig Chefmechaniker, Hausmeister, Gärtner, Tierpfleger, Eis- und Ticketverkäufer - in Personalunion.

Es war einmal vor 26 Jahren, da kam der gebürtige Kölner während eines Ausflugs mit zwei Freunden hierher. Zunächst heuerte er als Aushilfe an, dann heiratete er die Prinzessin des Märchenlandes, Wilhelmine die Parkbetreibertochter. Seitdem hat sich der „kölsche Jong“ nicht nur zum Jägersmann und großen Liebhaber des bergischen Landes gemausert. Nein, auch das oberbergische Land sei, betont er, von besonderem Liebreiz.

„Jetzt schaut euch aber erstmal um“, beauftragt Kreber die Besucher. „Und dann probiert ihr unsere bergischen Waffeln. Spezialität des Hauses.“ „Belgische Waffeln?!“, fragt der unbedarfte Auswärtige nach. „Nein, bergische. Belgische sind aus Hefeteig mit Ei. Unsere dagegen werden nur mit Butter, Zucker und Mehl zubereitet. Außerdem haben sie eine Ecke mehr, sind dafür aber etwas dünner“, erklärt Kreber.

Mmmmh, klingt ganz nach Zuckerwerk, wie es der König isst. Aber zuerst die Arbeit, also los. Auf dem Vorplatz wartet der Esel streck dich. Mit 20 Cent kann man ihn füttern. Voll kindlicher Begeisterung entrichten wir den Obulus. „Iah, Iah“, schreit der Esel. Das war´s? Normalerweise funktioniert das Goldeselprinzip doch irgendwie anders. Offenbar ist Geiz nun auch hinter den sieben Bergen geil.

„Im Wald selbst brauchen sie keine Münzen mehr“, tröstet Kleber. Wir folgen dem sogenannten Märchenpfad. In Schaukästen, die kleinen Häuschen gleichen, sind die Märchen der Gebrüder Grimm in liebevoll arrangierten Szenen von teils bewegten Puppen dargestellt. Auf Knopfdruck ertönen Musik und ein Erzähltext. Nach fast dreißig Jahren gibt es für Hans ein Wiedersehen mit Hänschens Freunden: Der Gänsemagd, dem Froschkönig, Rosenrot, Schneewittchen nebst Zwergen.

Das Szenario verströmt naiven 60er-Jahre-Rummelplatz-Charme. Eine Wirtschaftswunder-Oase im Reiz-Trommelfeuer des Medienzeitalters. Manche Attraktionen wie Rumpelstilzchen oder Rapunzel erwachen erst auf Zuruf zum Leben. „Hier rufen, Rapunzel lass dein Haar herunter“, steht auf dem Schild. Schnell finden wir heraus, dass es nicht auf den Wortlaut ankommt. Ein gewöhnliches „Hallo“ funktioniert genauso wie beliebige Laute oder schlüpfrige Anrufe. Eine eintreffende Kindergartengruppe verhindert weitere „Dirty-Talk“-Experimente mit Rapunzel.

Nach Verzehr vorzüglicher bergischer Waffeln mit Kirschen und Sahne vom Märchen-Service, dazu ein im Zeitalter der Erlebnisgastronomie ausgestorben geglaubtes Kännchen Kaffee, mahnt die rotbackige Waffelbäckerin Wilhelmine Kreber – die einstige Prinzessin, Sie erinnern sich: „Ihr kommt doch gleich noch zu den Wasserspielen“. „Wasserspiele? Öh, ja sicher.“ Einer solch guten Fee des Waffeleisens kann man doch nichts abschlagen.

Punkt 15 Uhr, Gebrüder Grimm Gedächtnishalle: Zu den Klängen von Donauwalzer und Tschaikowskys Dornröschen öffnet sich der blaue Vorhang. Zu sehen gibt es laut Programm die „vieldimensionale Inspirations-Show aus Tanzenden Fontänen, magischen Licht-Farben und bezaubernder sphärischer Musik.“ Wilhelmine bedient weiß beschürzt die Wasserorgel.

Das technische Wunderwerk von 1956 besteht aus einem Dutzend Gardena-Sprinklern. In den Augen des fernsehverwöhnten Stadtkindes mag die Beschreibung also märchenhafte Übertreibung des Jahrhunderts sein, dem Kutlurpessimisten aber nötigt sie Respekt ab. Wer sich so etwas traut, dem kann keine Innovation der Unterhaltungsindustrie mehr etwas anhaben.

Der Augenblick, die Rückreise anzutreten, ist da. Zurück in den Medienalltag, die große Stadt, die Erwachsenenwelt. Einen kurzen Aufschub gibt es noch. Auf dem Parkplatz wartet die prächtige Fallada.

Der Beitrag erschien in gekürzter Fassung in der Braunschweiger Zeitung.