Freitag, 30. November 2012

Lass krachen Opa – Motörhead in der Offenbacher Stadthalle

Motörhead sind wie Weihnachten: Man trifft sich jedes Jahr zur selben Zeit mit denselben Leuten, singt dieselben Lieder und macht sich mit demselben unnütze n Zeug im Gepäck wieder auf den Heimweg – trotzdem geht man immer und immer wieder hin (so wie ich am vergangenen Montag).  Warum? Weil es immer schon so war, weil man nicht wüsste, was man stattdessen tun sollte, weil Opa vielleicht das letzte mal dabei ist und weil es natürlich trotz allem Spaß macht – irgendwie.
Natürlich finden sich im Weihnachtspunsch auch immer ein paar Wehrmutstropfen:  Sei es die bucklige Verwandtschaft , die viel zu laut und dazu noch falsch singt (Diaries of a Hero), oder die Tatsache, dass die Ellenbogen- und Beinfreiheit am Esstisch gleich null ist, weil Muttern mal wieder viel zu viele Leute eingeladen hat (die Offenbacher Stadthalle war so gnadenlos überfüllt, wie ein Gänsezuchtbetrieb in der Vorweihnachtszeit. Echt übel).
Wenn dann allerdings die ersten Glühwein gekippt sind und die alten Tanten (Anthrax) anfangen,  die besten Schoten aus ihrer Jugend rauszuhauen („Caught in a Mosh“, „Antisocial“ „Indians“), wie „jaja, damals mit dem Onkel Ian auf dem Heuboden, das war ganz ein wilder und der fuhr soooo ein Brett, hihihi, und der gute Belladoncamillo, wenn der mal zu viel am Messwein genippt hatte, das war auch kein Heiliger“, wird´s ja meistens doch ganz kurzweilig. So auch heuer.
Der unbestrittene Höhepunkt ist natürlich, wenn Opa schließlich die Weihnachtsgeschichte vorliest. Opa kann erzählen. Denn er hat viel erlebt und schafft es deshalb, selbst die abgedroschenste Geschichte so zu erzählen, dass man ihm gerne zuhört. Manchmal baut Opa sogar ein paar unvorhergesehene Schlenker in die ewig gleiche Story ein („You Better Run“, „Rock It“,  „Are You Ready“). Ob er das macht, weil er die Geschichte etwas interessanter gestalten will oder er langsam ein wenig huschig wird und die festgeschriebene Abfolge einfach nur vergessen hat, bleibt dabei im unklaren. Egal, wir freuen uns einfach, dass wir ihn noch haben, unseren Opa. Denn wenn er mal nicht mehr da sein sollte, dann werden das verdammt trostlose Weihnachten. Mach´s gut Opa, ich hab´ dich lieb. Nächstes Jahr sehen wir uns wieder. Du kommst doch, ja?

Donnerstag, 29. November 2012

Teenage Death Explosion - Eine Jugend für das Todesblei


Tahtahtata, düdeldidüüüh, sanfte Key-Board-Klänge umschmeicheln die Hörmuschel. Doch die Prelude ist nur ein kurzes Ablenkungsmanöver. Ab Sekunde 53 von „The Fire Temples“ bestürmen Teenage Deathexplosion den arglosen Musikkonsumenten mit nicht mehr nachlassendem Furor und Ingrimm: Magen-verdrehende Blast-Beat-Attacken (selten unter 210 bpm), Hardcore-lastige, fett groovende Gitarren (erinnern an frühe Obituary oder Unleashed) und Vocals wider jede natürliche Kehlkopfanatomie. Das sind die hervorstechendesten Stilmerkmale der Karlsruher All-Star(oder sollte ich sagen Alt-Star?)-Combo, bestehend aus verdienten Underground-Kämpen, die ihre Jugend lokalen Kult-Kapellen wie Fertilizer, Mortifer oder The Starfuckers geopfert haben. Technisch umgesetzt ist das erbarmungslose Schlachten durchweg auf höchstem Niveau. Besondere Erwähnung verdient die „Gesangsleistung“ von Dennis Winter: Wie ein infernalischer Ein-Mann-Zombie-Chor schreit, growlt, rülpst und keift sich der Ex-Mortifer-Shouter durch die zehn Hassklumpen, dass schon vom Zuhören der Hals weh tut. Dafür würden sich andere Bands zwei oder drei Vocalisten leisten. Beeindruckend, wie ich finde. Runterladen könnt ihr euch das Teil hier.

Mittwoch, 28. November 2012

Tod, aber erstaunlich frisch – Jimi Hendrix zum 70ten Geburtstag



Viele, viele Zeitungsspalten wurden in den letzten 66 Jahren gefüllt mit Artikeln über Leben und Werk von Jimi Hendrix. Seit der damals 23-jährige US-Gitarrist an einem frühen – wahrscheinlich nebeligen – Septembermorgen 1966 mit seinem Manager, Ex-Animal-Basser Chas Chandler, im Swinging-London ankam, um mit der bluesversessenen britischen Rock-Aristokratie um Beck und Clapton zuallererst den Boden aufzuwischen und dann seinen weltweiten Siegeszug als einer der stilbildendsten Gitarristen den 20. Jahrhunderts anzutreten. Hendrix´ musikalischer Werdegang bis zu seinem frühen von zahlreichen Verschwörungslegenden umrankten Tod, am 18. September 1970 in einem Londonder Hotelzimmer, wurde somit schon hinreichend seziert. Und wie Lemmy Kilmister mir neulich im Interview gesagt hat: „Es ist nur ein Geburtstag, ein zeitlicher Zufall, das bedeutet überhaupt nichts. Ich glaube auch nicht, dass Hendrix seinem Geburtstag ihrgendeine Bedeutung beigemessen hat. Wahrscheinlich hat er sich die meiste Zeit an seinen eigenen verdammten Geburtstag sowieso nicht erinnert. Wir waren die ganze Zeit verstrahlt.“  
Wie begeht man also diesen 70. Geburtstag, den James Marshall Hendrix am gestrigen Dienstag, 27. November, gefeiert hätte? Man legt einfach mal wieder seine Platten auf; möglichst unbefangen. Zumindest jene, die er zu Lebzeiten nach eigenem Willen veröffentlicht hat.
„Purple Haze“, der Eröffnungssong  auf „Are You Experienced?“, dem 1967 erschienen Debüt der Jimi Hendrix Experience, wirkt mit seinem pumpenden Beat, ikonischem Gitarrenlick und Hendrix´ genial phrasiertem Gesang auch anno 2012 so frisch, als käme er gerade aus dem Presswerk. Lediglich die psychedelischen Zwischenspiele klingen für heutige Ohren leicht antiquiert. „Manic Depression“, ein im dreivierteltakt einherpolterndes Groove-Monster mit endcoolen Breaks, würde auch aus dem Repertoire aktueller Stoner-Rock-Helden wie Red-Fang oder Queens of the Stone Age positiv herausstechen. Extrem lässiges Riffing, legere Licks, Vintage-Uhh-Uhh-Chöre und ein so lakonischer wie einprägsamer Refrain: Die „Billy“ Roberts-Nummer „Hey Joe“ hätte, vielleicht nicht jetzt, aber in den 90ern allemal, zum Monsterhit getaugt. Ein nettes Liebesliedchen im Rumba-Rhythmus ist „May This Be Love“; nicht mehr, nicht weniger. „I Don't Live Today“  bleibt in überbordenden Jam-Wucherungen hängen, trotz apart phrasiertem Chorus. Pure Liebesmagie versprüht hingegen „The Wind Cries Mary“. Und „Fire“ versengt einem kraft des minimalistischen Riffs, funkigen Rhythmus und Mitch Mitchells Oktopus-Drummings noch immer die Haare im Ohr – Garagenrock vom feinsten.  Dagegen kann „Third Stone From The Sun“, dessen abstruse Stimmeffekte  nach Darth-Vader mit verstopfter Nase klingen, heute nur noch als skurriles Zeitdokument gelten. „Foxy Lady“ hingegen ließe noch heute in jedem Strip-Club  die geilen Straßenköter hecheln.  Und einen perfekteren Rausschmeisser für eine durchzechte Nacht im Indie-Club, als „Are You Experienced“, kann man suchen. „Are You Experienced“ ist roh, brachial, unverfälscht gefühlvoll und daher zeitlos.
Nach dem Hendrix mit dieser Scheibe, und Auftritten, bei denen er mit seinem Mund Soli spielte, die andere nicht mit den Händen gemeistert hätten, den Blues bereits in die Stratosphäre befördert  hatte, hob er ein halbes Jahr später mit „Axis: Bold as Love” erst so richtig ab. Mit Fliegenden-Untertassen-Rock entführt uns Captain Hendrix in bislang unerhörte Weiten seines Klanguniversums. Wobei er mit seiner schwerelosen Überschall-Gitarre allerlei waghalsige Manöver vollführt. Er lässt sie trudeln, flattern, schlingern, Loopings vollführen oder wie einen Stuka aufheulen – und zeigt der Welt en passant, wie man ein wahrhaft melodisches Gitarrensolo spielt.
Leider haben viele der hinzugefügten – damals bahnbrechenden – Sound- und Effekt-Spielereien über die Jahrzehnte Faszination eingebüßt: Nach dem albernen Ufo-Intro und der nervigen Feedbackorgie „EXP“ kann man daher auch beim beschwingt swingenden „Up from the Skies“ getrost die Skip-Taste drücken.  Das erste Highlight ist „Spanish Castle Magic”, dessen witziger Text (“It´s very far away, it takes a bottle every day to get there”), scharfes Riff und schreiendes, leider ausfadendes, Solo bezaubern. “Ain't No Telling“ erfreut als brillanter funkiger Garagenrock. „Little Wing“, sicher eine der anrührendsten und vor liebevoller Details strotzendsten Ballade der Rock-Geschichte, strapaziert heutige Ohren allerdings mit seinen wabernden Klangeffekten. Nicht so der markerschütternde Proto-Metal-Stampfer „If 6 Was 9“. “You’ve Got Me Floating” geht als wüster Urahn von Lenny Kravitz´ “Are You gonna go my way” durch. “Castles Made Of Sand” wartet einmal mehr mit begeisternden Gesangsphrasierungen auf. „One Rainy Wish“ wiederum hat einigen wirr flitternden Gitarreneffekt-Schabernack zu bieten, verliert sich ansonsten aber in recht belanglosem Hippie-Gedudel. „Little Miss Lover“ verführt mit funkigem Groove und einigen coolen Licks, der mit allerlei Klang-Tand überladene Gesang allerdings lässt die Romanze recht schnell abkühlen.
In seiner Zeit war „Axis“ sicher ein soundtechnisch wegweisendes Werk, dessen eigentlich mehrheitlich sehr gelungene Kompositionen aber an einem Übermaß an Effekten krankten. Kein Wunder, dass Chas Chandler den Produzentenjob nach der Hälfte der Aufnahmen frustriert von Hendrix Spieltrieb an den Nagel hängte. Insgesamt zu viel Schnickschnack. Hendrix Pionierleistung, mit einer Fender Strat Dinge zu tun, für die sie sicher nicht konstruiert worden war, bleibt davon freilich unberührt.
„Electric Ladyland“, der von Hendrix selbst produzierte Schwanengesang der Experience, erschien 1968 Doppel-LP. Nach einigem Geplänkel (“...And The Gods Made Love”, “Have You Ever Been”) bohrt sich “Crosstown Traffic“ wie ein glühender Draht in den Hörnerv. Ein fiebriger Groove-Rocker, Du kannst die Luft in der drückenden Sommerhitze über dem Asphalt der Straßen von New York, wo die Aufnahme entstand, förmlich flimmern sehen. Der absolut fesselnde, satanische Sumpf-Blues-Jam „Voodoo Chile“, veredelt von Steve Winwoods kreischender Orgel und Mitch Mitchells einmal mehr tollkühnem Getrommel kann als Sternstunde des Genres gelten. Einen krassen, wenn auch nicht gänzlich misslungenen Gegensatz bildet da Bass-Mann Noel Reddings Bubble-Gum-Power-Pop Nummer „Little Miss Strange“. „Long Hot Summer Night“ kommt dann wieder äußerst entspannt daher. Super relaxt, wie ein süßlich riechender knisternd abbrennender Riesen-Yogi an einem lauen Frühsommernachmittag. Fffffhhhh-pfffuuhhhh, aahhhhhhh. Nicht unverzichtbar, aber immerhin flott ist „Come On“. Earl Kings von der Experience etwas aufgepimpter Rhythm and Blues-Hupfer. Das Gitarren-Lick von „Burning Of The Midnight Lamp“ klingt ein wenig nach 80er Jahre-Fernsehserien-Titelmelodie, was einen feinen Gegensatz zu den schwankend schwebenden psychedelischen Chören ergibt.  Leicht abgehoben ist auch „Rainy Day, Dream Away“, ein verhuschter Pillen-Swing mit sprechender Gitarre. Jetzt, „1983... (A Merman I Should Turn To Be. Hendrix´ ureigene Glücksbärchi-Apokalypse. Ein fast vierzehnminütiges Mammut von einem Werk. Ein Mammut allerdings, das rosa Seifenblasen aus seinem flauschig behaarten Rüssel bläst (die Haare sind Lila), die sich am Himmel in freundlich winkende Lachmöwen verwandeln, um dann von zischenden insektoiden Kampffliegern hinweggefegt zu werden. Genial, sollte zwischendurch bei den Treffen des Koalitionsausschusses von CDU und FDP gespielt werden. Infernalisch auch der forsche Feuerwehr-Tango „House Burning Down“, eine vergessene Perle zweifellos. Den krönenden Abschluss bildet Dylans „All Along The Watchtower“. Die glitzernden und schillernden von Hendrix in endlosen Stunden wie in einem himmelsstürmenden Kaleidoskop turmhoch aufeinandergeschichteten Gitarrenspuren  repräsentieren das vielleicht schönste und seelenvollstes Spiel, zu dem dieser Mann fähig war. Dem steht „Voodoo Child (Slight Return)“ nur in Nuancen nach. Das glorreiche, leicht verschleppte Riffing, und der aufreizende Sprechgesang machten den Song zur Hendrix-Nationalhymne, hätte er sich später nicht kurzerhand die amerikanische zu Eigen gemacht.
„Ladyland“ ist insgesamt vielleicht nicht ganz so unverblümt wie das Erstlingswerk, aber direkter als „Axis“ und mit reichlich Song-Perlen bestückt.
Bleibt „Band of Gypsys“, das von Hendrix 1970 mit der gleichnamigen Post-Experience-Formation herausgebrachte Live-Album. Wie behauptet wird, ein unterbewertetes Stück Vinyl. Nun, Hendrix´Army-Kumpel Billy Cox erweist sich am Bass als vitaler, Jimis springflutartige Gitarrenkaskaden raffiniert aber unaufdringlich kanalisierender Gegenspieler, der so einfallslose wie wichtigtuerische Billy Cox am Schlagzeug hingegen als bloßer Passant. Die energetische Garagen-Rock-Attacke der frühen Jahre fehlt hier fast völlig. Die endlosen Jams, von Jimis äußerst sparsam eingesetztem Gesangstalent nur sporadisch aufgelockert, kurieren auf Dauer jede Insomnia. Nichtsdestotrotz enthält „Band of Gypsys“ mit dem beängstigenden Blutnebel-Blues „Machine Gun“ einen letzten Höhepunkt in Hendrix Schaffen. Unterm Strich mehr ein Album für Musiker – Gitarristen insbesondere, versteht sich.
Am Ende dieses Abhörmarathons steht die Erkenntnis, dass dem Musiker Hendrix vom nagenden Zahn der Zeit weit weniger Gefahr droht, als von seinem eigenen den Horizont verdunkelnden Mythos. Der verstellt nämlich allzu leicht den Blick aufs Wesentliche: die wunderschönen Songs und das von Hendrix´ selbst verleugnete Gesangsgenie. Wiederentdecken lohnt sich. Alles Gute zum Geburtstag Jimi, hope you´re still floating!

Dienstag, 13. November 2012

It´s the Pentagram, stupid! - Zweitausend blutende Ohren: Hammer of Doom VII, 10. Nov., in Posthalle Würzburg



Warum gehen wir überhaupt noch auf Konzerte? Warum fahren wir oft hunderte Kilometer, um in überfüllten, schlecht belüfteten Räumlichkeiten lustlosen Musikern bei der Arbeit zuzuschauen? Uns von schlechtem Sound die Ohren und überteuertem Bier die Leber kaputtmachen zu lassen? Weil wir hoffnungslose Nostalgiker sind! Weil wir verzweifelt jenem Glücksgefühl nachjagen, das uns übermannte, als wir das erste mal eine Rockband in ihrer ganzen Pracht und Glorie auf einer Bühne erlebten. Der Euphorie, in die wir kraft eines manisch vorgetragenen Gitarrensolos verfallen, dem sabbernden Delirium, in das uns eine perfekt synchronisierte Rhythmussektion versetzt, dem Erregungszustand, in den wir geraten, wenn uns ein Sänger, der die Trompeten von Jericho verschluckt zu haben scheint, ordentlich den Marsch bläst. Tja, und ganz ganz manchmal ist diese Jagd sogar von Erfolg gekrönt. Wie beim Hammer Of Doom VII am vergangenen Samstag in Würzburg.
Doch alles der Reihe nach. Bei Eintreffen am späten Nachmittag begrüßten uns die Schweden von Horisont, die mit ihrer räudigen Mischung aus Black Sabbath und Schweinerock durchaus Laune machten. Mit dem eintönigen Gegrummel der von vielen Kollegen hochgehandelten Necros Christos aus Berlin konnte ich hingegen weniger Anfangen. Allerdings litt der ultra-doomige Death-Metal des Quartetts auch unter dem arg mumpfeligen Sound. Solides Doom-Metal-Handwerk für den Hausgebrauch irgendwo zwischen Candlemass und Revelation lieferten Solstice – nicht mehr, nicht weniger.
Ganze Bäche von Rührungstränchen schickten dann die Ex-Trouble-Kumpane Eric Wagner (v.) und Ron Holzner (b.) über so manche bärtige Wange anwesender Zeitlupen-Jünger. Psychedelische Doom-Schoten wie “Bastards Will Pay”, “Another Day” oder “Plastic Green Head” hat man live schließlich schon länger nicht mehr vorgesetzt bekommen. Warum der alte Druffi Wagner, der seinen Abgang bei Trouble 2008 immerhin damit begründete, mit dem Tourleben nicht mehr klarzukommen, jetzt mit dieser Spin-Off-Combo unterwegs ist, während seine Ex-Kollegen Rick Wartell und Bruce Franklin unter altem Namen mit Exhorder Schreihals Kyle Thomas im Studio rumblödeln und Langzeitdrummer Jeff "Oly" Olson abseits auf die Reunion des Original-Lineups wartet, muss man als Fan nicht verstehen. Egal, schön war´s trotzdem.
Jetzt also: Pentagram. Keine Frage, „Relentless“ ist ein Referenz-Werk des Doom-Genres. Auch hatten die derzeit aktiven zwei Drittel der klassischen Traumbesetzung, Sänger Bobby Liebling und Gitarrist Victor Griffin (Langzeit-Drummer Joe Hasselvander fehlt leider), in diesem Sommer im Rockpalast eine mehr als ordentliche Performance abgeliefert. Aber bei einer tragikomischen Figur wie Liebling, die sich im elterlichen Keller bald vierzig Jahre lang das Hirn mit Crack frittiert hat (wie in der Doku „Last Days Here“ von Don Argott, Demian Fenton zu sehen), weiß man schließlich nie.
Letzte Zweifel waren auch nach den beiden Openern nicht ausgeräumt. Die Spannung nach den beiden schon so früh verpulverten unumschränkten Kult-Songs „Death Row“ und „All Your Sins“ – ersterer mit einem Monster-Riff ausgestattet, zweiterer nicht minder wirkmächtig – hoch zu halten, würde schwer.
Doch nix war´s mit Langeweile! Während sich vorm heimischen Plattenspieler angesichts der auf Dauer doch etwas schablonenhaft anmutenden Pentagram-Kompositionen nach geraumer Zeit eine leichte Verdrossenheit breit macht, brannten Liebling und Griffin, unterstützt von einem ordentlich  reinhauenden Sean Saley und stoisch vor sich hin wummernden Greg Turley, ein wahres Feuerwerk ab.
Der mittlerweile mit einer ordentlichen Plauze ausgestattete Liebling (vielleicht sollte er doch wieder ein paar Drogen nehmen) grimassiert sich schmutzig gestikulierend durch den Set. In seinem Äußeren gleicht der 58-Jährige einem augenrollenden, Haare raufenden Hybrid aus Vincent Price und Catweazle, in seinen fahrigen Bewegungen abwechselnd Gollum und Kermit dem Frosch.
Der alte Schrat in seiner nieten-glitzernden Lederjacke liefert zweifellos eine tolle Show und intoniert besser als mancher Altersgenosse, der sich in seinem Leben weniger Exzesse zugemutet hat, aber ohne den gottgleich aufspielenden Griffin wäre er wohl nur die Hälfte wert. Wie ein Paganini des Doom Quält der Saitenhexer sein Instrument ohne unterlass. Lässt es unter rhythmischen Hieben lauthals aufjaulen, nur um es gleich wieder mit stählernem Griff zu strangulieren, zu biegen, zu dehnen, ja zu demütigen. Griffin spielt nicht, er kämpft Gitarre. „Jahhh, jaaahhh, das ist Heavy Metal“, schreit mir mein Nachbar feucht ins Ohr. Recht hat er. Ein Griffin in solcher Form nimmt es mit der gesamten True-Metal Armee auf und gewinnt die Schlacht im Alleingang.
All das wirkt um so schwerer, als der Gitarrist heute seine letzte Pentagram-Show spielt. Zukünftig will er seine Solo-Karriere weiterverfolgen. Er hinterläst einen mit dem roten Saft aus zweitausend blutenden Ohren und tausend blutenden Herzen kniehoch überschwemmten Saal. Ein Denkwürdiger Abend.

Sonntag, 11. November 2012

Biker-Rock für den Schlafwagen – Eric Sadinas, Do., 8. Nov., Kulturhalle Remchingen

Eric Sardinas mangelnde musikalische Bandbreite vorzuwerfen wäre unfair. Schließlich spielt der US-Gitarrist aus Fort Lauderdale nicht nur Blues sondern auch Boogie Woogie! Scherz beiseite: nichts gegen die liebevolle Pflege überkommener Musik-Stile, aber was der in Westernhemd und Texas-Mütze auflaufende Sardinas und seine Band Big Motor am Donnerstag in der Kulturhalle Remchingen abliefern, ist einförmiger Biker-Feten-Rock, der augenscheinlich irgendwo zwischen Detroit und dem Mississippi-Delta vom Lastwagen gefallen ist. Anachronistisch wie Bügelfalten in Schlaghosen. Mit zwei Promille im Blut mag so ein Nostalgie-Trip noch Spaß machen, aber nüchtern betrachtet fehlen hier einfach ein paar schmissige Riffs, gewiefte Licks und mitreißende Hooklines. Kurz: Es mangelt an Originalität.
So kann der vorgetragene Song mit dem Titel  „It's Nothin' New“ getrost als Motto des Abends gelten. Natürlich ist Blues in seiner Formsprache per se beschränkt, aber darum geht es hier nicht. Vielmehr verlangen die auf zwölf Takte begrenzten Ausdrucksmöglichkeiten dieser Musik einen Extraeinsatz an Gefühl. Das bleibt bei dem extrovertierten Lockenkopf aber allzuoft in der Pose hängen – Da kann er dem Publikum noch so oft „do you love the Blues?“ zurufen. Dieser Eindruck mag aber auch dem durchweg mies abgemischten Sound geschuldet sein.
Auch ist der in der Musikstadt LA beheimatete Sardinas mit Sicherheit ein spielerisch tadelloser Gitarrist und entlockt seiner herrlich abgeranzten  Dobro-Resonatorgitarre so manchen scharfen Ton. Aber wie so viele technisch brillante Musiker ist er auf dem Songwriter-Kuchen leider nicht die leuchtendste Kerze. So dass sich schnell Langeweile einstellt.
Wenn dann noch der Bassmann während seinem Solo minutenlang psychedelisch verzerrt auf seinem Instrument herumrubbelt, bringt das wenig Auflockerung. Als ein Höhepunkt darf hingegen der unverstärkt vorgetragene – und somit vom Soundproblem unbeeinträchtigte –Robert Johnson-Klassiker“Hellhound On My Track” gelten. Wobei Sardinas einen kleinen Spaziertgang durchs von seinem Auftritt im Übrigen mehrheitlich angetane Publikum unternimmt.
Grundsätzlich ist gegen ein wenig gut abgehangenen und angestaubten Straßenrock ja auch nichts zu sagen. Nur muss der einem dann eben die Nieten von der Hosennaht rocken. Das aber tun Sardinas und Big Motor gerade nicht. Vielleicht hätte Sardinas´ vor kurzem Richtung Foreigner abgewanderter Spitzendummer Chris Frazier (Ex-Whitesnake) die Sache etwas aufgelockert. Sein Ersatzmann allerdings wäre bei der Holzfäller-Weltmeisterschaft, die jährlich in Hayward, im US-Bundesstaat Wisconsin, ausgetragen wird, besser aufgehoben gewesen.

Mittwoch, 7. November 2012

Bewegungs Blues - Big Daddy Wilson lässt am Do., 1.11., im Jubez Karlsruhe die Dicken tanzen



Bei Big Daddy Wilson herrscht immer Bewegung. Nicht auf der Bühne. Dort sitzt der Bluesmann, wie am vergangenen Donnerstag im Jubez, mit dunkler Brille und schwarzem Hut wie angewurzelt hinter einem Mini-Rhythmus-Set, mit dem er seinen zwei Mitmusikern den Takt schlägt. Literarisch aber läuft er sich unentwegt die Hacken ab. In seinen Songs, die Wilson mit durchdringender und doch sanfter Stimme vorträgt, ist ständig jemand unterwegs: zu Fuß, mit dem Auto oder auch nur auf der Tanzfläche.
“Walk A Mile In My Shoes” handelt von Daddys Kindertagen in der Kleinstadt Edenton, North Carolina. Wo ihn seine Oma mehrmals wöchentlich in die Kirche schickte, damit der Junge wegbliebe von der Straße und der schiefen Bahn. Ein Vorhaben, das offensichtlich nur teilweise von Erfolg gekrönt war. „Stranger In My Own Hometown“ beschreibt das Gefühl der Entfremdung von der Heimat nach langer Abwesenheit. Wenn an einst wohlbekannten Orten plötzlich jede Orientierung fehlt, weil Vertrautes niedergerissen wurde. Ein Gefühl, das den Karlsruhern gegenwärtig nur allzu geläufig ist. In „Thumb A Ride“, einem besonders gelungenen zumpelig zuckelnden Folk-Blues, macht sich der Protagonist per Anhalter auf nach Memphis. Neu anfangen, wie es der Ex-US-Soldat Wilson in seiner norddeutschen Wahlheimat getan hat.
Auch in Big Daddys profaneren Liedern ist stillsitzen nicht erlaubt: Im „Texas Boogie“ offenbart er seine Vorliebe für adipöse Frauen, die über die leergefegten Tanzflächen südstaatlicher Spelunken wallen. Gleichfalls in Wallung gerät dabei Gitarrist Big Mike – ebenfalls kein Leichtgewicht – der die Gunst der Stunde für ein Plektren zermahlendes Säge-Solo nutzt.
Vielleicht hat diese literarische Rastlosigkeit mit Wilsons eigener langer Suche nach seinem Platz im Leben zu tun. Zum Blues kam er erst spät im Leben, fern der Heimat. Sein erstes Blues-Konzert  erlebte er erst mit 30 sein erstes Blues Konzert.
Doch auch im unsteten Leben eines Blues-Mannes gibt es konstanten. „Anna Mae“, eine Art gesungenen Heiratsantrag, widmet Wilson seiner Frau, „mit der ich seit zwanzig Jahren verheiratet bin“. „28“, muss Big Mike verbessern. Doch welche Rolle spielen schon Details. Wäre Wilson zwanzig Jahre jünger und hätte ein paar Pfund weniger auf den Hüften, am Ende des Songs ist man glatt versucht mit ihm zu gehen, so herzig ist das vorgetragen.