Donnerstag, 25. Februar 2016

Verderbter als Mötley Crüe - Pentagram-Doku erscheint auf DVD

Wem „The Dirt“, die Biographie der berüchtigten Chaos-Rocker Mötley Crüe, zu krass und verderbt war, der sollte von dieser Doku die Finger lassen: „Last Days Here“ (Peaceville/Edel) über das Leben des absonderlichen Pentagram-Frontmannes, Bobby Liebling, die am Freitag, 26. Februar, als DVD erscheint, erzählt die tragische Geschichte einer gescheiterten Existenz, weckt aber gleichzeitig die Hoffnung auf Erlösung: Die Exzesse des völlig abgewrackten Sängers, den wir zu Beginn des ursprünglich 2011 erschienenen Films sehen, ließen sogar Keith Richards die Haare zu Berge stehen lassen. Und der trifft bekanntlich eher selten Leute, die noch kaputter sind als er selbst.
Zwar waren Black Sabbath ein wenig früher am Start, als die 1971 in Nord-Virginia gegründeten US-Doomer, aber ohne deren Einfluss wären Bands wie Kyuss, Fu Manchu oder Down wohl nicht denkbar. Trotzdem haben es Pentagram nie über einen Underground-Kultstatus gebracht.

An dieser Misere ist offensichtlich vor allem einer Schuld: Bobby Liebling, wie man auch im Rock-Blog-Interview nachlesen kann. „Hast Du jemals etwas anderes gemacht, außer Rock´n´Roll?“, fragt Co-Regisseur Demian Fenton Liebling, dessen fluchbeladene Stimme seit 45 Jahren die einzige Konstante im ausgeflippten Pentagram-Universum bildet, in einer der ersten Szenen. „Nichts“, nuschelt der Sänger, der mit seiner Krausen Mähne, Hakennase und hohlwangigem gesicht ein wenig aussieht wie Ronnie James Dios evil twin, während er Rauch aus einer Crackpfeife in seine Lungen saugt. „Doch, Drogen“, fügt er hinzu. Vierzig seiner 62 Lebensjahre hat Liebling als lichtscheuer, in Crackschwaden gehüllter Drogen-Ghoul im Souterrain seines Elternhauses gefristet. Sein vom Heroin zerfressener Körper gleicht dem eines vertrockneten Frosches. Die Arme sind Bandagiert, weil er sich sonst blutig kratzt. Denn im Drogenwahn bildet sich Liebling ein, unter seiner Haut lebten Insekten.
Dios evil twin: Bobby Liebling Foto: Nicolas Coitino
Was „Last Days Here“ über bloßen Ekel-Voyeurismus à la Dschungelcamp heraushebt, ist, dass sich die Filmemacher entgegen  journalistischer Prinzipien ihres Dokumentationsobjekts annehmen. Sie lassen Liebling einen Vertrag unterschreiben, in dem er sich verpflichtet, keine Drogen mehr zu nehmen. Bricht er die Vereinbarung, verliert er seinen wertvollsten Besitz: die riesige Plattensammlung. An den Erfolg dieser eher drolligen Maßnahme glaubt man als Zuschauer freilich keine Sekunde. Vielmehr erwartet man ständig, der völlig durchgeknallte Liebling werde in seinem dunklen, abgefuckten Kellerloch elendig verrecken. Doch dann nimmt die Geschichte eine Wende, die selbst Schmalzschreiber vom Kaliber einer Rosamunde Pilcher die Schamesröte ins Gesicht triebe: Bobby Liebling kommt tatsächlich von den Drogen los (zumindest weitgehend) und trommelt erfolgreich eine neue Pentagram-Besetzung zusammen. Auch privat gelingt ihm ein Neustart: Er zieht aus den elterlichen Katakomben in ein eigenes Appartement und am Ende des Films erwarten er und seine frisch angetraute junge Frau ihr erstes gemeinsames Kind.
Drogen und Rock´n´Roll: Pentagrams Bobby Liebling  Foto: Nicolas Coitino
„Last Days Here“ steht s in einer Reihe von Rock-Dokumentationen, die nicht nur darauf abzielen, das Publikum zu informieren, sondern auch die ins Stocken geratenen Karrieren der Mitwirkenden neu zu beleben. Der Trend begann 2009 mit "Anvil! The Story of Anvil ". Ein Bericht über die kanadische Heavy Metal Band Anvil und deren leicht vertrottelt wirkenden Frontmann Lips, der nie den großen Durchbruch geschafft hatte, aber trotzdem jahrzehntelang unverzagt weitergestümperte. Das mit wohlwollendem Humor gezeichnete Portrait war ein weltweiter Kinoerfolg und Anvil spielen seither alljährlich auf den großen Festivals. Auch Pentagram haben sich im Frühjahr für eine Deutschlandtour angesagt.


April 6th - Lindau, Germay @ Club Vaudeville
April 7th - Munich, Germany @ Backstage Hall
April 8th - Wiesbaden, Germany @ Schlachtof Wiesbaden Hall
April 9th - Durby, Belgian @ Durby Rock
April 11th - Vienna, Austria @ Arena Hall
April 12th - Jena, Germany @ F House
April 13th - Berlin, Germany @ Lido
April 14th - Hamburg, Germany @ Klubsen
April 15th, Tilburg, The Netherlands @ 013 / Roadburn Festival

Dienstag, 23. Februar 2016

Scharlatane oder echte Rocker? - Wanda aus Wien live im Test

Charmant angeranzt: Marco Michael Fitzthum 2015 mit Wanda auf der Bühne. Foto: Pistenwolf
„Hey Mann, bist Du jetzt auch schon total verweichlicht oder bist Du mit einer Frau da?“, fragt ein Konzertbesucher seinen Bekannten – nur halb im Scherz. Der andere nuschelt ein wenig verlegen irgendwas von „endlich mal wieder unironische Rockmusik“. Beide Gesprächspartner haben sich am Sonntagabend im Foyer des Karlsruher Tollhauses beim Schlange stehen am Bierstand nach scheinbar längerer Zeit wiedergetroffen. Ihre Outfits – Ringelpulli, Schnauzer, lange Haare sowie Stachelfrisur und Lederjacke – weisen sie als Anhänger härterer Alternativmusik aus. Ihr kurzer Wortwechsel umreißt ziemlich genau die Frontlinien in der Kontroverse um Wanda, die drinnen im Saal die ersten Akkorde anschlagen.
Denn während die einen die Österreicher für die „vielleicht letzte wichtige Rock’n’Roll-Band unserer Generation“ (Musikexpress) halten, stellt sie für die anderen wenig mehr dar als die Austro-Variante überspannten Befindlichkeits-Pops Hamburger Schule. „Scharlatane oder echte Rocker?“ lautet daher die heutige Frage an das Wiener Quintett um Sänger Marco Michael Fitzthum.
Die Frage ist relativ schnell relativ eindeutig beantwortet: „Mein Glied unterwirft sich der Diktatur deines Mundes, Baby“, singt Fitzthum in „Luzia“, dem ersten Song des Sets. Solche Zeilen würden Studi-WG-Bands wie Kettcar oder Tomte nie über die Lippen kommen. Sie sind weder politisch korrekt noch jugendfrei. „Ich will zum Himmel fahren, so schnell und bequem wie es geht“, heißt es im zweiten Song „Schick mir die Post“ (ins Spital). Dabei weiß doch jeder, der einmal Grimms Märchen gelesen hat, dass ins Himmelreich nur steinige, unzugängliche Wege führen. Während breite komfortable Straßen direkt vor dem Höllentor enden. Aber ist Himmel nicht Ansichtssache? „Hell ain´t a bad place to be“, sang Bon Scott. Und der 1980 gestorbene AC/DC-Frontmann muss es schließlich wissen.
Und  wer hat eigentlich wann das Dogma in die Welt gesetzt, der Rock´n´Roll als Sprössling der Verbindung zwischen den ursprünglich lyrisch recht unzweideutigen Musikstilen Blues und Country wäre das Ergebnis einer unbefleckten Empfängnis gewesen? Warum also nicht endlich mal wieder ungeniert von Mädels und Schnaps singen? Und natürlich den seelischen und gesundheitlichen  Problemen, die beide mit sich bringen? Lange Zeit gehörte es zum guten Pop-Ton, die von niederen Instinkten beherrschten Aspekte der Selbstverwirklichung in Selbstironie zu verpacken. So konnte man von der Binnen-I-Fraktion schon nicht an den Gender-Pranger gestellt werden. Das Verdienst von Wanda ist es, diese lustfeindliche Ära auch außerhalb von Randgruppen-Genres für Abgehängte wie Gangster-Rap beendet zu haben.
Auch musikalisch rau-rumpeln Wanda eher brüsk-borstig zwischen The Clash und den Rolling Stones als dass sie im NDW-Fahrwasser dümpeln. Das zeigt sich beim countryesquen Schrammel-Shuffle von "Schickt mir die Post" genauso wie beim großtuerisch im Midtempo stolzierenden „Bussi Baby“.
Frontmann Marco Michael Fitzthum alias Marco Michael Wanda schließlich hat nicht nur eine ziemlich gut durchgequälte Bluesstimme, sondern gibt auch dazu passend den charmant angeranzten Stenz im weißen Anzug, dem das krause Haar über der Stirn lichter wird, aber auf der bleichen Hühnerbrust dafür umso dichter sprießt. Die Klaviatur der großen Rockstar-Gesten spielt Fitzthun gekonnt, indem er die Pose mit einer wohl dosierten Mischung aus Arroganz und Verletzlichkeit unterfüttert.  Ob er sich nun lässig an die Schulter seines Gitarristen anlehnt, vom Gram gebeugt zu Boden sinkt oder sich vom begeisterten Publikum auf Händen tragen lässt.
Okay, richtig derbe Rockschweine, die sich in ihrer Freizeit gegenseitig leere Whiskeyflaschen auf die Ömme hauen, werden Wanda in diesem Leben zwar nicht mehr. Aber dafür haben die Wiener mit „1,2,3,4“, „Luzie“, „Schick mir die Post“ oder „Meine beiden Schwestern“ ziemlich viele Ohrwürmer am Start. Und auch wenn sich in die Setlist zwischendurch noch der ein oder andere Langweiler einschleicht,  ist das mehr, als manche Band mit gerademal zwei Alben im Gürtel von sich behaupten kann.  Wirklich bemängeln lässt sich am Ende allenfalls, dass  Wanda als Zugabe "A Hard Day's Night" von den Beatles anstimmen. Wo „Little Red Rooster“ von den Stones irgendwie passender gewesen wäre. Doch wer ist schon perfekt.

Montag, 22. Februar 2016

Königlicher Thrash-Genuss - Anthrax veröffentlichen "For All Kings"


Vor der endgültigen Rückkehr von Sänger Joey Belladonna 2010 hatte es schon verflixte sieben Jahre lang keine neue Musik von Anthrax zu Kaufen gegeben. Stattdessen hatten die New Yorker mit bandinternen Querelen und kaum nachvollziehbaren Besetzungswechseln viel Kredit bei den Fans verspielt. Das 2011er Comeback-Album „Worship Music“ hatte dann lediglich durchwachsene Reaktionen geerntet. Die Big-Four-Thrash-Veteranen hatten mit ihrem neuen Langspieler, der am Freitag, 26. Februar, erscheint also durchaus etwas zu beweisen. Und? „For All Kings“ (Nuclear Blast/Warner Music) ist der erhoffte Befreiungsschlag geworden! Zwar greifen einen Anthrax mit diesem Album nicht unmittelbar am Nacken und schütteln einem rüde die Birne durch wie man das aus früheren Zeiten gewohnt war. Aber nach einigen Durchläufen entfaltet „For All Kings“ seine Kraft: Schon der Opener „You Gotta Believe“ ist eine rhythmisch ausgefeilte Achterbahnfahrt von einem Song. Daneben gibt es progressiv angehauchte Epen wie „Blood Eagle Wings“, verzwirbelte  Riffomanien wie „Evil Twin“ und klassische Mosh-Pit-Kracher wie „Suzerain“ oder „Zero Tolerance“. Die Klammer, die dieses äußerst variable Songmaterial zusammenhält, ist die Stimme von Joey Belladonna, dessen Gesangsarbeit beim majestätischen Titeltrack selbst Ronnie James Dio nicht hätte peinlich sein müssen. „For All Kings“ trägt seinen Namen zu Recht. Dieses Album ist ein königlicher Genuss für Thrash-Fans. 
Melden sich lautstark zurück: Anthrax Foto: Stephanie Cabral
  



Montag, 15. Februar 2016

Wildern in Opas Plattensammlung - Pristine

Tromsø in Norwegen ist die nördlichste Großstadt der Welt. Da sind die Nächte lang und die Winter kalt und man hat viel Zeit sich mit Opas Plattensammlung auseinanderzusetzen. Auf ihrem ersten international erscheinenden Longplayer lassen PRISTINE folglich Sounds ertönen, die schon unseren Vorfahren lieb und teuer waren: Auf „Reboot“ finden sich flotte, DEEP-PURPLE-angehauchte Rocker wie “All of my Love” oder das Tanz-animative “Bootie Call”. Der Jazz-rockige Titeltrack wiederum erinnert ein wenig an die Prog-Pioniere COLOSSEUM. Bei „The Middlemen“  lugt dann SANTANA zwischen allen Gitarrensaiten hervor, während das atmosphärische „California“ den FLEETWOOD MAC der Peter-Green-Ära huldigt. Schließlich gibt es mit “All I want is you” sogar noch ein nettes Psychedelic-Ballädchen (Schrummelorgeln, Hallgitarren und alles). Dabei sind PRISTINE keine bloßen Retro-Schrammler, sondern hörbar richtig gute Musiker, allen voran Sängerin Heidi Solheim. Was vielleicht fehlt, sind ein zwei wirklich herausragende Ohrwürmer, aber Psychedelic-Freaks und Fans klassischen Rocks sollten PRISTINE eine Chance geben.
Machen auch im Schnee Spaß: Pristine Foto: Marius Fiskum