Samstag, 5. November 2011

Erlebnis-Gastronomie mit Apfelschorle - US-Soul-Star Rihanna dröhnt mit ihrer „Loud“-Tour in Hannover

„Loud“ ist das passende Motto für Rihannas Konzertreise. Über die schiere Lautstärke ihrer Produktion hinaus, präsentiert sich die Sängerin von der Urlaubsinsel Barbados am Freitag in der voll besetzten Tui-Arena in Hannover auf einer Bühne, die einem gigantischen Speaker-Kabinett nachempfunden ist.

Die Show beginnt mit einem grellen wie markerschütterndem Video- und Soundgewitter. Vier enorme, wie Lautsprecher-Chassis gestaltete, bewegliche Leinwände senken sich an Drahtseilen hängend auf die Bühne herab. Deren Rückpartie wird beherrscht von vier weiteren gewaltigen, übereinander angeordneten Bildschirmen. Auf sie wird Rihannas Einzug in die Arena übertragen. Der unterste Monitor öffnet sich. Durch den klaffenden Durchlass fährt Rihanna gewandet in ein glitzergrünes Mini-Trenchcoat und rosa Hochfront-Pumps in einer Art Leuchtkugel stehend ein. Dabei schmettert sie lauthals ihren Welthit “Only Girl (In the World)”.

Der Zweitschlag folgt unmittelbar: “Disturbia” einen weiteren Nummer-1-Hit vom 2007er Output „Good Girl Gone Bad“ bietet sie im leuchtfarbenen Zweiteiler dar, flankiert von einem halben Dutzend ebenfalls leuchtfarbener Tänzer.

Damit ist schon das komplette dramaturgische Inventar des Rihanna-Spektakels beschrieben. Begleitet von einer für eine Showlänge von zwei Stunden erstaunlichen Zahl instrumental-solistischer, tänzerischer und filmischer Einlagen ihres Ensembles wird Rihanna auf verschiedensten Bühnenelementen (Autowracks, pinke Geschütztürme, Throne, Käfige) in unterschiedlichen Stadien des unbekleidet Seins vor den Augen der staunenden Gäste immer und immer wieder auf ihren Arbeitsplatz gehievt.

Dazu reicht sie solide Hit-Kost, mal mit Dancefloor-, Reggae- oder R´n´B-Geschmack. Nun ist derlei konsumorientierte Chart-Pop-Event-Gastronomie musikalisch zwar weitgehend spannungsfrei, aber beileibe nicht verdammenswert. Doch kann man sich nur schwer des Eindrucks erwehren, der Star gebe sich mit dem eigenen fehlenden Anspruch musikalischer Innovation selbst nicht zufrieden und suche ihn durch allerlei Image-Kapriolen zu kompensieren.

Am augenfälligsten wird das während des Lackleder-angehauchten Kurzauftritts, während dem sich die selbsternannte "Rebelle" im schwarzen Frack zunächst zu Prince’s “Darling Nikki” mit einigen halbnackten Tänzern in den Stellungskrieg begibt und dann während “S&M” auf einem männlichen Fan Reiterspiele vollführend im Bühnenboden versinkt.

So sehr sie es versucht, dieser Frau gelingt es zu keinem Zeitpunkt den unzüchtigen Charme ähnlich erfolgreicher Pop-Karrieristinnen vom Schlage einer Christina Aguillera oder gar Pink zu entfalten. Wenn Rihanna singt, “Sex in the air, I don't care, I love the smell of it. Sticks and stones may break my bones. But chains and whips excite me", klingt das nicht wollüstig, sondern als wolle sie einem eine Apfelschorle anbieten. Wer hier scharf wird statt durstig wird, sollte einen Sexualtherapeuten aufsuchen.

Freitag, 4. November 2011

Goodbye Gaddafi - ein Nachruf auf den letzten Rock´n Roller unter den Despoten

Muammar Abu Minyar al-Gaddafi hat den Krieg gegen sein Volk verloren und ist nach 42-jähriger Herrschaft in die ewigen Diktatoren-Jagdgründe eingegangen. Der exzentrische Wüstensohn war der letzte Rock´n Roller unter den Despoten: Sgt.-Pepper-Fantasie-Uniformen, überdimensionierte Sonnenbrillen, weibliche Leibgarde, goldene Pistolen und alles. Als geläuterter Terrorismus-Pate und Öl-Lieferant lange Zeit vom Westen hofiert, zeigte er zuletzt als skrupelloser Schlächter seiner Landsleute wieder sein wahres Gesicht.

Mit seiner Herrschaft endet eine Ära – jene der postkolonialen Despoten, die exotisch wirkten, aber ganze Länder mit der Nilpferd-Peitsche regierten. Nach der Demission des Leoparden-bemützten Kongolesen Mobutu Sese Seko und des chilenischen Generals Augusto Pinochet war der libysche Revolutionsführer der letzte unter den Machthabern von Nordkorea bis Südamerika, der bananen-republikanischen Diktatoren-Esprit versprühte. Um es in Abwandlung eines geflügelten Diplomatenwortes zu sagen: „Er war ein Hurensohn, aber ein unterhaltsamer Hurensohn.“

Am 1. September 1969 putschte sich der junge Oberst gegen König Idris I. in Lybien an die Macht. Sein „Bund Freier Offiziere“ war von den arabisch-sozialistischen und nationalistischen Ideologien des ägyptischen Präsidenten Gamal Abdel Nasser begeistert.

Von 1911-1942 war das nordafrikanische Libyen italienische Kolonie gewesen. 1951 wurde es als konstitutionelle Monarchie aus UN-Verwaltung in die Unabhängigkeit entlassen. Die Entdeckung reicher Erdölvorkommen 1959 machte den Maghreb-Staat zu einem der wichtigsten erdölexportierenden Länder der Welt.

1975 veröffentlichte der am 7. Juni 1942 geborene Revolutionsführer das Grüne Buch, in dem er seine politischen Ziele darlegte. Ab 1976 firmierte Gaddafis Junta-Regime als Islamistisch-sozialistische Volksrepublik.

Gaddafi setzte sich für die arabische Einheit ein und initiierte verschiedene Libysch-Arabisch-Afrikanische Vereinigungsprojekte, die aber allesamt scheiterten. Als Revolutionsführer verzichtete der in Großbritannien ausgebildete Offizier darauf, sich vom gewöhnlichen Oberst zum „Reichsmarschall“ oder ähnlichen Rängen zu befördern. 1979 trat er offiziell von der Staatsführung zurück. Was seinen beherrschenden Einfluss als „Bruder-Führer“ in keiner Weise schmälerte.

Während der 80er Jahre machte Gaddafi als Terrorismus-Pate – er unterstützte die IRA genauso wie radikale Palistinesergruppen – und wegen einer Dauerfehde mit den USA von sich reden. Nach dem Bombenanschlag auf die Berliner Diskothek La Belle 1986 beschuldigte der amerikanische Präsident Reagan den Libyer, das Attentat aus Rache für die Versenkung zweier libyscher Kriegsschiffe durch US-Truppen angeordnet zu haben. Reagan ließ Tripolis und Bengasi bombardieren. Als 1988 über der Schottischen Ortschaft Lockerbie Unbekannte ein Flugzeug sprengen, wobei 270 Menschen sterben, fällt der Verdacht schnell auf Gaddafis Geheimdienst.

In den vergangen Jahren konnte Gaddafi die internationale Isolation durchbrechen, seinen Hang für exotische Auftritte abzulegen. Auf Auslandsreisen hielt er Hof im prächtigen Beduinenzelt. Als modebewusster Dritte-Welt-Führer wechselte er wie ein Rockstar mehrmals pro Auftritt das Kostüm. Mal erschien er in farbenfroher afrikanischer Tracht, mal als zeitgenössischer Kaiser Nero, mal als männliches Model für bizarre Diktatoren-Uniformen. Stets in seiner Nähe war die 40-köpfige ausschließlich aus hübschen jungen Frauen bestehende Leibgarde.

Der Bundestagsabgeordnete Günter Gloser (SPD) erinnert sich im Gespräch mit unserer Zeitung lebhaft an eine Begegnung mit dem eigenwilligen Machthaber. Als Staatsminister im Auswärtigen Amt nahm Gloser während der großen Koalition an einem Gipfeltreffen zwischen EU und Afrikanischer Union teil. Migrationsfragen standen auf der Tagesordnung.

„Irgendwann wurde die Sitzung unterbrochen. Wir mussten ein gebäude besichtigen, das die USA 1986 bombardiert hatten.“ Danach mussten sich die Gipfelteilnehmer in einem Zelt versammeln. „Irgendwann kam dann Gaddafi und hielt eine völlig wirre Rede. Sie gipfelte in dem Vorwurf, die Europäer seien selbst Schuld, wenn sie diese ganzen unausgebildeten Flüchtlinge aufnähmen. Dabei hatte er sich doch immer als Fürsprecher seiner afrikanischen Brüder und Schwestern geriert. Das ganze Schauspiel hat ungefähr zwei Stunden gedauert.“

Legendär sind Gaddafis cholerischen Ausbrüche bei den sich dahin schleppenden Sitzungen der Arabischen Liga – sehr zum Leidwesen der anwesenden Potentaten-Kollegen. Wutentbrannt fiel er 2009 dem Emir von Katar ins Wort, als dieser bekannt gab, der saudische König Abdullah werde die Liga beim G-20-Gipfel in London vertreten. Gaddafi hielt sich offenbar selbst für den geeignetsten Emissär und bedachte Abdullah mit einer Flut von Verwünschungen. Der König hänge am Gängelband der USA und habe nur Lügen hinter und das Grab vor sich. Als der Emir schließlich Gaddafis Mikrophon abschaltete, stürmte dieser als Protest aus dem Saal.

Auch im Umgang mit europäischen Spitzenpolitikern gab sich Gaddafi ungezwungen. Mit seinen unachahmlichen Auftritten ließ er selbst den lebenslustigen italienischen Renaissance-Fürsten Silvio Berlusconi blass wirken.

Beim Staatsbesuch 2006 in Rom stieg er in bunter Uniform aus dem Flieger. Wie einen überdimensionierten Orden an die Brust geheftet hatte er ein großes Schwarzweißfoto. Darauf abgebildet war ein kleiner von Soldaten bewachter weißhaariger Mann. Omar al-Mukhtar war ein Held des libyschen Widerstands gegen die faschistischen Kolonialherren und wurde von den Besatzern hingerichtet. In der Folge behandelte der Gastgeber den Besucher äußerst zuvorkommend. Der verzichtete im Gegenzug großmütig darauf, die italienischen Verbrechen während der Kolonialzeit zu thematisieren.
Ansonsten verstanden sich die in ihrer Eitelkeit ähnlichen „Kater“ prächtig. Berlusconi lud eine seiner zahlreichen Ministerinnen, das ehemalige Nacktmodel Mara Carfagna, zum gemeinsamen Diner ein. Und setzte auch den Programmpunkt „Gaddafi allein unter Frauen“ ins Werk. Einen Nachmittag lang traf sich der Oberst mit 700 Frauen aus Wirtschaft, Kultur und Wissenschaft zum Meinungsaustausch.

Die Liste denkwürdiger Auftritte und Aktionen des Despoten ließe sich unendlich fortsetzen: 2006 ordnet er nach Bekanntwerden der Hinrichtung des irakischen Machthabers Saddam Hussein eine dreitägige Staatstrauer an. 2008 nimmt die Genfer Polizei Gaddafis Sohn Hannibal wegen Körperverletzung vorübergehend fest. Die Folge ist eine ernste Krise zwischen Papas diplomatischem Corps und der Alpenrepublik. Mit seiner ersten Rede vor der UN-Vollversammlung sorgt Gaddafi für einen Eklat, als er aus der UN-Charta zitiert und aus Protest mehrere Seiten zerreißt.

Zum Ende seiner Herrschaft behauptet Gaddafi, die Demonstranten gegen ihn seien „stoned“. Die Drahtzieher der Proteste hätten die jugendlichen Protestierer unter Drogen gesetzt. Zuvor hatte er dem Topterroristen Osama Bin Laden unterstellt, die Menschen in Libyen manipuliert zu haben.

Doch hatte der Tyrann offenbar auch eine sensible Seite. 1995 veröffentlichte er sein belletristisches Debüt: „Das Dorf, das Dorf, die Erde, die Erde und der Selbstmord des Astronauten.“ Enthalten sind zwölf Essays, die das sozial entwurzelte Leben in der Großstadt, die Größe der göttlichen Schöpfung und die Tyrannei der Massen thematisieren. Diese neigten dazu, ihre Führer in die Wüste zu schicken.