Donnerstag, 22. Januar 2015

Zurück aus der Gruft - Shy Guy At The Show feiern Auferstehung

Leuchtendes Charisma: SGATS-Frontmann Emling.  Foto: Promo
Für einige Zeit war es nahezu grabesstill geworden um eine der einst vielversprechendsten Bands Süddeutschlands:  Shy Guy At The Show (SGATS). Doch am Freitag, 9. Januar, meldeten sich die fast schon  totgeglaubten Gruft-Rocker mit einer machtvollen Performanz im Karlsruher Musikklub Jubez effektvoll zurück. Eine tolle Live-Band war das Quintett schonimmer. Aber so kraftstrotzend, ja ungestüm, hat man die Karlsruher Dark-Rock-Poeten schon lange nicht mehr gesehen.
Zwar haben vielfach erprobte Friedhofs-Smasher wie „Ghosts“, „Careful“ oder „Paris In Flames“ noch selten ihre Wirkung verfehlt. Aber dass dieser Abend ein besonderer werden würde, lag schon nach wenigen Augenblicken in der von den bestimmt dreihundert Besuchern aufgeheizten Saal-Luft. Aufgekratzt wie ein lebendig Begrabener, der nach drei Tagen vergessen in der Krypta, seine verstaubten Lungen endlich wieder mit frischer Luft füllen kann, gebärdete sich vor allen anderen Sänger Sebastian Emling. Sich zum Klang der eigenen Grabesstimme drehend und windend wie einer Darstellung des Danse Macabre in der Schedel’schen Weltchronik entsprungen, riss er die von den beiden Vorgruppen  Runway Lights (Rock) und Run Insane (Alternative Rock) schon stark geforderten Zuhörer aus der einsetzenden Lethargie. Dem irgendwie altmodischen und doch zeitgemäßen No-Wave-Sound, in dem Depeche Mode, Sisters of Mercy oder Joy Division genauso widerscheinen wie Kraftwerk oder Camouflage, konnte sich auf dauer niemand im heute altersmäßig auffallend durchmischten Publikum entziehen.
Doch nicht nur Frontmann Emling schien das Blut mit außergewöhnlicher  Kraft durch die blauen Venen unter der tätowierten blassen Haut zu pulsieren.  Mit schon fast obszöner Zügellosigkeit  drang Keyboarder Jonas Schira auf sein Instrument ein. Mal ließ Schira die Synthies mantschen und schmatzen, mal flirren und sirren wie heiße Luft über schwarzem Basalt, mal die Orgel wie einen gequälten Kettenhund heulen und jaulen. Und fügte so dem düsteren SGATS-Klang Huxleys Pforten der Wahrnehmung aufstoßend eine fantastisch psychedelische Note hinzu.  Einen gehörigen Schuss neuen Lebenssaft injizierte SGATS augenscheinlich Neu-Bassist Felix Bondarenko. Obwohl der Tieftöner erst seinen zweiten Auftritt mit der Band absolvierte, harmonierte er schon trefflich mit den fiebrigen Beats von Schlagzeuger Sebastian Hellmann und David Emlings lakonischem Gitarrenspiel.
Obwohl SGATS wegen der strengen Lärmschutzbestimmungen im Jubez schon nach einer dreiviertel Stunde von der Bühne gescheucht wurden – die anderen Bands hatten ihre Spielzeit allzu großzügig ausgenutzt – blieben angesichts der überbordenden Bühnenaction am Schluss keine Wünsche offen. Die Band hat angekündigt, noch in diesem Jahr mit den Aufnahmen für den Nachfolger ihres letzten selbstbetitelten Albums zu beginnen. Sofern es SGATS gelingt, ihren Live-Elan mit ins Studio zu nehmen,  ist das eine absolut gute Nachricht!



Sonntag, 4. Januar 2015

Gut & Irmler - Technoider Krautrock gegen das Establishment


Wie sagte einst ein Anhänger des Karlsruher Sportclubs im freien Radio Querfunk: „KSC-Fan zu sein bedeutet, die eigenen Erwartungen auf null herunterzuschrauben und trotzdem noch enttäuscht zu werden.“ In mancher Hinsicht kann man das auch von der Karlsruher Kulturszene sagen. Jüngstes Beispiel: Das gemeinsame Konzert von Krautrock-Pionier Hans Joachim Irmler und Electronica-Szene-Figur Gudrun Gut im Jubez am Kronenplatz an einem Donnerstag im Dezember 2014. Während die englische BBC abendfüllende Dokumentationen über die Krautrock-Bewegung mit Bands wie Neu, Can und Tangerine Dream dreht, verirren sich zur Koop des Faust-Keyboarders mit dem Mitglied der frühen Einstürzenden Neubauten gerade mal armselige 40 Leute.
Offenbar erschöpft sich in der in Sachen Kunst und Medientechnologie ach so up-to-daten ZKM-Stadt Karlsruhe das Interesse am Krautrock-Erbe auf die regelmäßig wiederkehrenden und überteuerten  Auftritte der zum Ralf Hütter-Rentenzahlverein degenerierten Kraftwerk in der Kulturfabrik. Eine sträfliche Missachtung einer Generation von Bands, die zwischen 1968 und 77 die Rockmusik revolutionierten beziehungsweise deren Genregrenzen gleich ganz hinter sich ließen, während Figuren wie Freddy Quinn die Charts dominierten und die Polizei auf der Straße jugendliche Protestler niederknüppelte (think about it, kids!). Und die dabei derart reovlutionäre Musik hervorbrachte, dass der britische Schauspieler David Niven sie mit den Worten kommentiert haben soll: "It was great, but I didn't know it was music."
„Willkommen in meinem Leben“, würde Irmler vermutlich dazu sagen. Schließlich verschreckte seine Band Faust mit vier visionären Alben zu Beginn der 70er Jahre zuerst die Plattenfirma Polydor und dann sogar das britische Prog Rock-Label Virgin. Die Engländer hatten aus unerfindlichen Gründen auf eine deutsche Version der Beatles gehofft, stattdessen bekamen sie abstrakte Soundcollagen jenseits aller traditionellen Blues- und Rock´n´Roll-Strukturen, deren repititives Moment Iggy Pop mal als „pastoralen Psychedelizismus“ bezeichnet hat und die den Post-Glam David Bowie zu „Heroes“ inspirierten. Die zeitlose Größe ihrer Musik bezahlte das Sextett aus Wümme mit finanzieller Erfolglosigkeit. 
Doch kehren wir der Vergangenheit den Rücken und wenden uns dem Hier und Jetzt zu: Gut & Irmler mögen in dem Alter sein, in dem andere Senioren gerade Mal erste Wischversuche auf ihren Smartphones machen, die Technik haben sie voll im Griff. Die Techno-Protagonistin Gut Rhythmisiert sphinxhaft lächelnd am weißen iBook. Während Irmler mit Hornbrille und wirrem Haar, sich wie ein Hybrid aus Rowlf the Dog, Garth Hudson und Captain Nemo gebärdend, einfallsreich orgelt. Ein ums andere Mal ist man erstaunt, welche Geräusche der Mann seinem Instrument  zu entlocken in der Lage ist.
Trotz der traurigen Kulisse haben beide offensichtlich höllischen Spaß an ihren alchemistischen Experimenten mit dem Soundbaukasten und schwurbeln vor sich hin, bis ihnen nix mehr einfällt. „Weißt Du noch was?“, fragt Irmler dann. „Nö!“ also nächstes Stück. Diesmal mit Gesangsfetzen von Gut ins Mikro gehaucht. Die Songs heißen "Früh", "Mandarine" oder "Traum". Alles spielt sich im mittleren Tempo ab und klingt nach ganz frühen 80ern. Optisch begleitet wird der Elektro-Loft-Sound des Duos von Filmsequenzen von Flughäfen, Bahnhöfen, Tunnels und Tonstudios. Offenbar ist Übergang das Metathema.
Zukunftsweisend ist das heute alles nicht (mehr), aber immerhin erinnern Gut und Irmler daran, das elektronische Musik nicht eintönig oder gar stupide sein muss. Und sie erinnern an den Geist der Krautrock-Ära, der kompromisslose Musiker (oder eigentlich Nicht-Musiker) zur Eigenständigkeit trieb. Zauberlehrlinge, die ihre Klangkunststücke mangels technischen Verständnisses oftmals kaum reproduzieren konnten. Die aber eine neue Welt aus neuen Sounds aufbauen wollten, während ihre englischen und amerikanischen Kollegen noch immer alte Blues Songs recycelten. Aufs ZKM-Establishment können solche Leute gut verzichten.