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Dienstag, 23. Februar 2016

Scharlatane oder echte Rocker? - Wanda aus Wien live im Test

Charmant angeranzt: Marco Michael Fitzthum 2015 mit Wanda auf der Bühne. Foto: Pistenwolf
„Hey Mann, bist Du jetzt auch schon total verweichlicht oder bist Du mit einer Frau da?“, fragt ein Konzertbesucher seinen Bekannten – nur halb im Scherz. Der andere nuschelt ein wenig verlegen irgendwas von „endlich mal wieder unironische Rockmusik“. Beide Gesprächspartner haben sich am Sonntagabend im Foyer des Karlsruher Tollhauses beim Schlange stehen am Bierstand nach scheinbar längerer Zeit wiedergetroffen. Ihre Outfits – Ringelpulli, Schnauzer, lange Haare sowie Stachelfrisur und Lederjacke – weisen sie als Anhänger härterer Alternativmusik aus. Ihr kurzer Wortwechsel umreißt ziemlich genau die Frontlinien in der Kontroverse um Wanda, die drinnen im Saal die ersten Akkorde anschlagen.
Denn während die einen die Österreicher für die „vielleicht letzte wichtige Rock’n’Roll-Band unserer Generation“ (Musikexpress) halten, stellt sie für die anderen wenig mehr dar als die Austro-Variante überspannten Befindlichkeits-Pops Hamburger Schule. „Scharlatane oder echte Rocker?“ lautet daher die heutige Frage an das Wiener Quintett um Sänger Marco Michael Fitzthum.
Die Frage ist relativ schnell relativ eindeutig beantwortet: „Mein Glied unterwirft sich der Diktatur deines Mundes, Baby“, singt Fitzthum in „Luzia“, dem ersten Song des Sets. Solche Zeilen würden Studi-WG-Bands wie Kettcar oder Tomte nie über die Lippen kommen. Sie sind weder politisch korrekt noch jugendfrei. „Ich will zum Himmel fahren, so schnell und bequem wie es geht“, heißt es im zweiten Song „Schick mir die Post“ (ins Spital). Dabei weiß doch jeder, der einmal Grimms Märchen gelesen hat, dass ins Himmelreich nur steinige, unzugängliche Wege führen. Während breite komfortable Straßen direkt vor dem Höllentor enden. Aber ist Himmel nicht Ansichtssache? „Hell ain´t a bad place to be“, sang Bon Scott. Und der 1980 gestorbene AC/DC-Frontmann muss es schließlich wissen.
Und  wer hat eigentlich wann das Dogma in die Welt gesetzt, der Rock´n´Roll als Sprössling der Verbindung zwischen den ursprünglich lyrisch recht unzweideutigen Musikstilen Blues und Country wäre das Ergebnis einer unbefleckten Empfängnis gewesen? Warum also nicht endlich mal wieder ungeniert von Mädels und Schnaps singen? Und natürlich den seelischen und gesundheitlichen  Problemen, die beide mit sich bringen? Lange Zeit gehörte es zum guten Pop-Ton, die von niederen Instinkten beherrschten Aspekte der Selbstverwirklichung in Selbstironie zu verpacken. So konnte man von der Binnen-I-Fraktion schon nicht an den Gender-Pranger gestellt werden. Das Verdienst von Wanda ist es, diese lustfeindliche Ära auch außerhalb von Randgruppen-Genres für Abgehängte wie Gangster-Rap beendet zu haben.
Auch musikalisch rau-rumpeln Wanda eher brüsk-borstig zwischen The Clash und den Rolling Stones als dass sie im NDW-Fahrwasser dümpeln. Das zeigt sich beim countryesquen Schrammel-Shuffle von "Schickt mir die Post" genauso wie beim großtuerisch im Midtempo stolzierenden „Bussi Baby“.
Frontmann Marco Michael Fitzthum alias Marco Michael Wanda schließlich hat nicht nur eine ziemlich gut durchgequälte Bluesstimme, sondern gibt auch dazu passend den charmant angeranzten Stenz im weißen Anzug, dem das krause Haar über der Stirn lichter wird, aber auf der bleichen Hühnerbrust dafür umso dichter sprießt. Die Klaviatur der großen Rockstar-Gesten spielt Fitzthun gekonnt, indem er die Pose mit einer wohl dosierten Mischung aus Arroganz und Verletzlichkeit unterfüttert.  Ob er sich nun lässig an die Schulter seines Gitarristen anlehnt, vom Gram gebeugt zu Boden sinkt oder sich vom begeisterten Publikum auf Händen tragen lässt.
Okay, richtig derbe Rockschweine, die sich in ihrer Freizeit gegenseitig leere Whiskeyflaschen auf die Ömme hauen, werden Wanda in diesem Leben zwar nicht mehr. Aber dafür haben die Wiener mit „1,2,3,4“, „Luzie“, „Schick mir die Post“ oder „Meine beiden Schwestern“ ziemlich viele Ohrwürmer am Start. Und auch wenn sich in die Setlist zwischendurch noch der ein oder andere Langweiler einschleicht,  ist das mehr, als manche Band mit gerademal zwei Alben im Gürtel von sich behaupten kann.  Wirklich bemängeln lässt sich am Ende allenfalls, dass  Wanda als Zugabe "A Hard Day's Night" von den Beatles anstimmen. Wo „Little Red Rooster“ von den Stones irgendwie passender gewesen wäre. Doch wer ist schon perfekt.

Donnerstag, 9. April 2015

Zum Glück kein Postrock: Irocco - „Konstrukt“



Konstrukteure: Irocco Foto: Thorsten Treiber

Postrocker, das sind für mich Leute, denen keine gescheiten Gitarrenriffs einfallen! Um davon abzulenken, fisseln sie dann ständig bedeutungsschwanger auf ihren Instrumenten herum. Warum sich Irocco selbst in die Post-Ecke stellen, erschließt sich beim Anhören von „Konstrukt“, dem dritten Langspieler des Quartetts, gottlob nicht. Von endlos eintönigen Klanglandschaften und einfallslosen Laut-Leise-Spielchen keine Spur. Die Heidelberger spielen vielmehr recht traditionellen Indie Rock mit deutschen Texten. Stimme und Ausdruck von Sänger Daniel Cuevas verleihen der Band dabei etwas leicht Reinhard Mey-haftes. So etwas würde man vielleicht von einer Mittelalter-Romantik-Combo erwarten, klingt aber nicht unoriginell. Anspieltipps sind „Untersagung“, das dem behördlich klingenden Titel entsprechend richtig „amtlich“ gerockt und die episch-lyrische Halbballade „Auf Wiedersehen“. Kaufinteressenten finden "Konstrukt" hier.

Donnerstag, 22. Januar 2015

Zurück aus der Gruft - Shy Guy At The Show feiern Auferstehung

Leuchtendes Charisma: SGATS-Frontmann Emling.  Foto: Promo
Für einige Zeit war es nahezu grabesstill geworden um eine der einst vielversprechendsten Bands Süddeutschlands:  Shy Guy At The Show (SGATS). Doch am Freitag, 9. Januar, meldeten sich die fast schon  totgeglaubten Gruft-Rocker mit einer machtvollen Performanz im Karlsruher Musikklub Jubez effektvoll zurück. Eine tolle Live-Band war das Quintett schonimmer. Aber so kraftstrotzend, ja ungestüm, hat man die Karlsruher Dark-Rock-Poeten schon lange nicht mehr gesehen.
Zwar haben vielfach erprobte Friedhofs-Smasher wie „Ghosts“, „Careful“ oder „Paris In Flames“ noch selten ihre Wirkung verfehlt. Aber dass dieser Abend ein besonderer werden würde, lag schon nach wenigen Augenblicken in der von den bestimmt dreihundert Besuchern aufgeheizten Saal-Luft. Aufgekratzt wie ein lebendig Begrabener, der nach drei Tagen vergessen in der Krypta, seine verstaubten Lungen endlich wieder mit frischer Luft füllen kann, gebärdete sich vor allen anderen Sänger Sebastian Emling. Sich zum Klang der eigenen Grabesstimme drehend und windend wie einer Darstellung des Danse Macabre in der Schedel’schen Weltchronik entsprungen, riss er die von den beiden Vorgruppen  Runway Lights (Rock) und Run Insane (Alternative Rock) schon stark geforderten Zuhörer aus der einsetzenden Lethargie. Dem irgendwie altmodischen und doch zeitgemäßen No-Wave-Sound, in dem Depeche Mode, Sisters of Mercy oder Joy Division genauso widerscheinen wie Kraftwerk oder Camouflage, konnte sich auf dauer niemand im heute altersmäßig auffallend durchmischten Publikum entziehen.
Doch nicht nur Frontmann Emling schien das Blut mit außergewöhnlicher  Kraft durch die blauen Venen unter der tätowierten blassen Haut zu pulsieren.  Mit schon fast obszöner Zügellosigkeit  drang Keyboarder Jonas Schira auf sein Instrument ein. Mal ließ Schira die Synthies mantschen und schmatzen, mal flirren und sirren wie heiße Luft über schwarzem Basalt, mal die Orgel wie einen gequälten Kettenhund heulen und jaulen. Und fügte so dem düsteren SGATS-Klang Huxleys Pforten der Wahrnehmung aufstoßend eine fantastisch psychedelische Note hinzu.  Einen gehörigen Schuss neuen Lebenssaft injizierte SGATS augenscheinlich Neu-Bassist Felix Bondarenko. Obwohl der Tieftöner erst seinen zweiten Auftritt mit der Band absolvierte, harmonierte er schon trefflich mit den fiebrigen Beats von Schlagzeuger Sebastian Hellmann und David Emlings lakonischem Gitarrenspiel.
Obwohl SGATS wegen der strengen Lärmschutzbestimmungen im Jubez schon nach einer dreiviertel Stunde von der Bühne gescheucht wurden – die anderen Bands hatten ihre Spielzeit allzu großzügig ausgenutzt – blieben angesichts der überbordenden Bühnenaction am Schluss keine Wünsche offen. Die Band hat angekündigt, noch in diesem Jahr mit den Aufnahmen für den Nachfolger ihres letzten selbstbetitelten Albums zu beginnen. Sofern es SGATS gelingt, ihren Live-Elan mit ins Studio zu nehmen,  ist das eine absolut gute Nachricht!



Donnerstag, 20. November 2014

To bono or not to bono, that is the question! - Augustines in concert


Augustines at the Bowery Ballroom in NYC 3/3/14. Foto: Rtsanderson
„Sind das eigentlich Iren?“, fragt sich der Hörer unwillkürlich während die Augustines am Sonntagabend, 9. November, im Musikklub Substage auf der Bühne stehen. Nein, es sind Amis! Und zwar aus Brooklyn. Einem New Yorker Stadtteil, der bis zur Mitte des vergangenen Jahrhunderts zwar auch viele Iren beherbergte, den die Synapsen des kollektiven Popkultur-Gedächtnisorgans aber eher mit Hip Hop in Verbindung bringen. Fans von Notorious B.I.G., Jay Z oder den Beastie Boys sind der Sänger und Gitarrist Billy McCarthy, der multi-instrumentalist Eric Sanderson and Drummer Rob Allen aber ganz offensichtlich nicht.
Der New Wave-Sound des inzwischen nach Seattle übergesiedelten Trios atmet vielmehr derart den Geist der grünen Insel, dass vor dem geistigen Auge eins ums andere die Bilder saftiger kleebestandener Wiesen, demonstrierender Bürgerrechtler und eines lustig um einen riesigen Topf mit Gold herumtanzenden Männleins mit Gelfrisur und überdimensionierter bunter Brille vorbeiziehen. Fast erwartet man, McCarthy werde jeden Moment “With or without you” anstimmen.
Gelegentlich mögen die Augustiner mit den Referenzen an die 80er-Jahre im Allgemeinen und ihre offensichtlichen Heroen U2 und Simple Minds im Besonderen über das Ziel hinausschießen. Sandersons nostalgische Members Only Jacke, MTV-erprobten Stagemoves  und McCarthys kumpelhafte Art als Gegenpol machen den Auftritt schon wieder grundsympathisch.
Was wichtiger ist: Ein Händchen für eingängige Refrains mit viel „Yeah, yeah, yeah“ und „Wohohohooo“ (“Cruel City“), die wie mit Kerrygold geschmiert in den Gehörgang flutschen, kann man den Augustinern nicht absprechen. Mit viel Verve vorgetragen und positiv aufgeladen eigenen sich die schrammeligen Freiheitshymnen des Trios folglich  ganz prima als Marschmusik für die nächste „Wir sind die 99 Prozent“-Demo – ohne erklärtermaßen politisch zu sein. Im Gegenteil: McCarthy, der während der vergangenen Jahre seine Mutter an den Alkohol verlor und diverse andere persönliche Tiefschläge verkraften musste, besingt meist persönliche Erfahrungen. Das verleiht seinen Songs Kraft. So wäre eine leicht manirierte Piano-Ballade wie „Philadelphia (City of Brotherly Love)” vielen Sängern einfach nur schwülstig geraten, McCarthys sandpapierbehandeltes Organ verleiht ihr indes Glaubwürdigkeit. Eine Eigenschaft, die Augustines  ihren Vorbildern U2 voraus haben.




Donnerstag, 13. November 2014

Licht am Ende des Tunnels: Blood Red Shoes


Stochern im Nebel: Blood Red Shoes.  Foto: Promo
Von der Decke über der Bühne des Substage baumelt am Donnerstagabend ein Dutzend überdimensionierter Glühbirnen. Symbolik? Womöglich! Werden die britischen Blood Red Shoes, zu deren Deko die Lampen gehören, doch als neue Lichtgestalten des Indie-Rock gepriesen. Und eine Erleuchtung hat die Szene laut Frontfrau Laura-Mary Carter dringend nötig: Erst kürzlich hatte sie in der Fachpresse angeprangert, dass auf dem vergangenen Festivalsommer nur so wenige Rockmusikerinnen vertreten gewesen seien. Schuld daran seien die Musikhörer und eine Gesellschaft, die rockende Frauen noch immer als Kuriosität ansehe. Aha!
Aus der Hausanlage ertönt derweil Glamrock. Noch mehr Symbolik? Möglich! Denn denkt man ein wenig darüber nach, fällt auf, dass Frauen rein rockmäßig das letzte Mal während der 70er Glitter-Ära und den haarsprayversteiften 80ern megaerfolgreich waren: Suzi Quatro, The Runaways, Heart, Blondie, Grace Slick, Pat Benatar, The Pretenders, Girlschool, Plasmatics und Vixen. Währenddessen kommen aus späteren Jahrzehnten spontan lediglich die US-Punketten L7 in den Sinn. Bleibt die Frage, ob an der gegenwärtigen von Carter diagnostizierten mangelnden Präsenz weiblicher Rocktalente nun das Fehlen selbiger oder doch der Konsument schuld ist.
Doch wenden wir uns von der Theorie ab und der Praxis zu: Die zierliche Carter und ihr noch jugendlicher wirkender Sidekick am Schlagzeug Steven Ansell sehen aus, als müssten sie wegen des abendlichen Auftritts am nächsten Tag die Schule schwänzen. Dass sie so gut rocken kann wie ihre vorgenannten Geschlechtsgenossinnen, macht die junge Frau indes schon mit drei Akkorden klar. Die entlockt sie nämlich einer abgegriffenen Gibson SG, dem Gitarrenmodell, das auch Black Sabbaths Tony Iommi favorisiert. Obwohl leicht indie-schrammelig erinnert Carters Sound mehr an Lemmys Bass als an The Strokes, was selbst Leute mit dem Duo-Format versöhnt, die normalerweise eine Aversion gegen Bands haben, die meinen, auf einen Tieftöner verzichten zu können (Doors, White Stripes).
Die Songs klingen ein wenig, als habe Lenny Kravitz zu einigen schweren alten Blue Cheer-Riffs die Gesangslinien beigesteuert, der legendäre Clem Burke ein paar seiner unnachahmlich straighten Beats daruntergelegt und Josh Homme dem ganzen schließlich zu einem grisseligen Fuzz-Sound verholfen. Blood Red Shoes verfügen also gleichermaßen über Popappeal und einen ordentlichen Punch, was sie rockschuppen- UND Tanzbodenkompatibel macht. Ein nicht ganz unwesentlicher Erfolgsfaktor, den die Rockdiven vergangener Tage stets im kajalumrandeten Auge behielten.
Die Strahlkraft der Blood Red Shoes bringt vielleicht noch nicht die erhoffte Erleuchtung, aber ein Licht am Ende des Tunnels entzünden die beiden allemal.