Sonntag, 1. Mai 2011

Stil-Wirrsal mit Waltari

Gäbe es eine Skala von eins bis zehn, die den Verschmelzungsgrad verschiedener Musik-Genres anzeigte, die Klänge von Waltari hätten den Wert elf. Bei ihrem Konzert in der Meier Music Hall bedient sich die Band nahezu aller denkbaren - sowie undenkbaren - Stile der Rockmusik. Die Finnen kombinieren (oder sollte man sagen bastardisieren?) Elemente von Metal, Rap, Dancefloor, Industrial, Rock, Rap und Pop, klassischer sowie progressiver Musik.

Während der innovationsfreudigen 90er Jahre feierten Waltari mit diesem scheinbaren musikalischen Wirrsal, die sich bei genauerem Studium als Spiegel des Schellingschen Widerstreits zwischen apollinischem und dionysischem Prinzip, der Ordnung und dem rauschhaft alle Formen sprengenden Schöpfungsdrang, offenbart, regelmäßig Charts-Triumphe. Zu ihrer 25-Jahr-Tour kamen am Montag nur noch geschätzte 250 Anhänger.

Einerlei, in Stimmung gebracht werden die Anwesenden von Lord Bishop Rocks. Auch hier Crossover im Überfluss: Der schwarze Zwei-Meter-Hüne aus New York an der Gitarre liefert mit seinen zwei Mitstreitern eine eigentümliche Melange aus Heavy-Rock, Funk, Soul, nebst Politik, Drogen, Sex und Liebesbekundungen. Mit breitkrempigem bunten Hut und 70er-Zuhälterfummel legt er dabei einen ähnlich bizarren Bekleidungsstil wie Funk-Paradiesvogel Bootsy Collins an den Tag.

Die Show von Waltari steht dagegen zunächst unter keinem guten Stern: Angefangen beim schepprigen Sound wird das Quintett von mannigfaltigen technischen Problemen heimgesucht. Mal geht der Bass von Frontmann Kärtsy Hatakka nicht, mal versagt der Sender von Gitarrist Jari Lehtinen seinen Dienst. Wir haben hier "Technical Ecstasy", sagt Hatakka in Anspielung auf das gleichnamige Black Sabbath Album - für viele das schlechteste.

Doch die Band lässt sich nicht verdrießen, und spätestens beim poppig treibenden "Atmosfear" hat sie ihre Technik und auch das Publikum im Griff. Über üble Grindcore-Attacken ("Let's Get Crucified"), die Humppa genannte finnische Variante des Foxtrotts ("Piggy In The Middle") bis hin zu Kirmes-Techno ("So Fine!") geht die muntere Parforcejagd.

Jetzt hüpft Lehtinen quietschfidel das Drumpodest rauf und runter, Keyboarder Janne Immonen nutzt den Trockeneis-Nebel, um "unauffällig" eine zu rauchen. So sind die Finnen. Ein Scheinwerferstrahl lässt Kärtsy Hatakkas Gesicht wie das des Comic-Schurken Two Face aussehen. Apoll und Dionys in einer Person. Als Rausschmeißer gibt es Madonnas Kieks-Hymne "Vogue". Das ist genau, was man von einer Metal-Band erwartet - aber nur, wenn sie Waltari heißt.

Dieser Text erschien am 27.4. in der Braunschweiger Zeitung.

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