Die Leute stehen dicht gedrängt im Saal. Viele Zuschauer sind weiblich, die Gesichter jung und schweißnass. Für einen passionierten U-Bahngrabscher wäre das Konzert der amerikanischen Band Gaslight Anthem am Mittwoch, 29.6., im Hannoveraner Capitol ein Paradies.
Hinten im Zuschauerbereich stehen mit von der Hitze geröteten Köpfen die Eltern. Das Kind soll ja seine eigenen Erfahrungen machen – vom wochenlangen Gequengel am Abendbrottisch, weil Papa erst dagegen war, mal ganz abgesehen –, aber den Nachwuchs gänzlich schutzlos dem Einfluss dieses Brian Fellon ausliefern? Muss nicht sein.
Der 31-Jährige Sänger und Gitarrist des Quartetts aus New Brunswick, New Jersey, erinnert in seinem ganzen Habitus an den jungen, hungrigen Bruce Springsteen zu „Born to Run“-Zeiten. Beginnend beim weißen T-Shirt mit V-Kragen, aus dem kräftige, bis zu den Handgelenken mit Tattoos zugehackten Arme ragen, über die Leoparden-fleckige Gesichtsbehaarung, bis hin zur schwarzen Motorrad-Lederjacke auf den Promo-Fotos.
Auch musikalisch hat sich der blonde Wuschelkopf bei Springsteen einiges abgeschaut. Das fängt bei den schnörkellosen auf der schneidend klingenden Fender Telecaster Gitarre gespielten Songs an und hört beim leicht nöligen Gesang auf. Dazu kommen ein wenig U2-Epik, etwas Dylan-Gnarzigkeit, ein Hauch erdiger Blues und – ganz, ganz viel dreckiger, achselnässiger Punk.
Diese fast schon romantisierende Rückbesinnung auf die goldenen Zeiten amerikanischer Rockmusik gefällt nicht nur den wild durcheinander hüpfenden Teenies, die Pappschilder mit Liebesbotschaften in die Höhe halten, Pärchen, die sich gegenseitig mit verklärtem Blick die Liedtexte ins Ohr singen und vermutlich sogar den Eltern an der Hallenrückwand, sondern auch dem Boss selbst: Beim altehrwürdigen Glastonbury-Festival durfte Fellon mit auf die ganz große Bühne.
Gaslight Anthem kommen da auch noch hin. Einstweilen biegt und wiegt sich Fellon vor den 1600 im Capitol wie eine Weide im Sturm der Akkorde den er und seine Jersey Boys entfachen. Dabei strahlt er jene Mischung aus Virilität und Empfindsamkeit aus, die großen unnachgiebigen Barden des Alternative-Punk (Mike Ness), Pop (Springsteen) oder Country (Steve Earle) über die bloße Verklärung alltäglichen Straßenkötertums erhebt.
Gaslight Anthem sind definitiv Punkrock und definieren doch mit fast jedem Stück die Grenzen des Genres neu. Sie können nicht nur rhythmisch-wuchtige Party-Hymnen, sondern beherrschen die ganze Klaviatur der Gefühle. Das erhebt sie über die den üblichen Pop-Punk-Brei.
Dieser Text erschien am 1.7. 2010 in der Braunschweiger Zeitung.
Montag, 4. Juli 2011
Garcia bleibt diesmal lieber hinten
Schwaden süßlich würzigen Rauches wehen über die Leine. Auf der Brücke, die über den Fluss direkt bis vor den Eingang des Capitol in Hannover führt, stehen hunderte von Menschen. Bierflaschen werden zum Mund geführt, Joints kreisen. Eine gründliche Vorbereitung ist schließlich alles: „Kyuss Lives!“ sind an diesem Dienstag, 28.6., in der Stadt.
Unter Eingeweihten gelten Kyuss aus dem kalifornischen Palm Desert als Nukleus der Stoner-Rock-Szene. In den frühen 90ern veröffentlichten vier Freunde des Dreiblatts, Josh Homme (Gitarre), John Garcia (Gesang), Nick Oliveri (Bass) und Brant Bjork (Schlagzeug), ein Paar richtungsweisende Alben, die sich aber zu schlecht verkauften, um mit Geld die immer größer werdenden Risse im Bandgefüge kitten zu können. 95 war Schluss.
Nennenswerte Erfolge konnte seither einzig Josh Homme mit den „Queens of the Stone Age“ verbuchen. Ob die Anderen nun die leere Haushaltskasse oder die Langeweile wieder zusammentrieb, weiß – wie so oft bei Reunionen – niemand. Egal, seit März sind Garcia, Oliveri und Bjork als „Kyuss Lives!“ wieder gemeinsam auf Deutschlandtour und weil ihnen die Fans die Bude einrennen, haben sie sogar noch ein paar Dates drangehängt.
Genau wie beim Tourstart im Hamburger Club Docks gehen die Anhänger von Beginn an steil. Mit ihrem stoischen, aber immer wieder raffiniert zwischen den Polen bekifft-beschwingt und tonnenschwer-brachial wechselnden Spacerock versetzen die Amis dabei nicht nur ein Häuflein ewig gestriger Hanfhippies in Verzückung. Im vollbesetzten Club walzen auffällig viele junge Wüstenrock-Nerds zum groovigen Waber-Bass-Sound.
Die Band selbst lässt es an diesem Abend eher ruhig angehen: John Garcia hält sich fast durchgängig im hinteren Bereich der Bühne auf. Das auf Oliveris Bassverstärker abgestellte Glas Rotwein stets griffbereit. Der belgische Gitarrist Bruno Fevery rifft zwar beanstandungslos, verfügt ansonsten aber über wenig Strahlkraft, so dass die Funktion des Blickfangs heute Oliveri zufällt. Der Mann mit Glatze und Spitzbart scheint sich in dieser Rolle außerordentlich wohl zu fühlen. Er grinst als seien seine Mundwinkel an den Ohrläppchen festgenäht.
Im Grunde ist das visuelle Erlebnis bei Kyuss Lives! ohnehin zweitrangig, verfügt die Band doch über ein ganzes Arsenal atmosphärischer Songs, vollgestopft mit stilprägenden Riffs und innovativen Breaks. Und auch mit über 40 ist Garcia, mit seiner durchdringend gepressten und doch weichen Stimme noch immer einer der originellsten und eigenständigsten Vertreter seiner Zunft.
Kurz: Auch an einem sehr durchschnittlichen Abend kann diese Band noch Freude machen.
Unter Eingeweihten gelten Kyuss aus dem kalifornischen Palm Desert als Nukleus der Stoner-Rock-Szene. In den frühen 90ern veröffentlichten vier Freunde des Dreiblatts, Josh Homme (Gitarre), John Garcia (Gesang), Nick Oliveri (Bass) und Brant Bjork (Schlagzeug), ein Paar richtungsweisende Alben, die sich aber zu schlecht verkauften, um mit Geld die immer größer werdenden Risse im Bandgefüge kitten zu können. 95 war Schluss.
Nennenswerte Erfolge konnte seither einzig Josh Homme mit den „Queens of the Stone Age“ verbuchen. Ob die Anderen nun die leere Haushaltskasse oder die Langeweile wieder zusammentrieb, weiß – wie so oft bei Reunionen – niemand. Egal, seit März sind Garcia, Oliveri und Bjork als „Kyuss Lives!“ wieder gemeinsam auf Deutschlandtour und weil ihnen die Fans die Bude einrennen, haben sie sogar noch ein paar Dates drangehängt.
Genau wie beim Tourstart im Hamburger Club Docks gehen die Anhänger von Beginn an steil. Mit ihrem stoischen, aber immer wieder raffiniert zwischen den Polen bekifft-beschwingt und tonnenschwer-brachial wechselnden Spacerock versetzen die Amis dabei nicht nur ein Häuflein ewig gestriger Hanfhippies in Verzückung. Im vollbesetzten Club walzen auffällig viele junge Wüstenrock-Nerds zum groovigen Waber-Bass-Sound.
Die Band selbst lässt es an diesem Abend eher ruhig angehen: John Garcia hält sich fast durchgängig im hinteren Bereich der Bühne auf. Das auf Oliveris Bassverstärker abgestellte Glas Rotwein stets griffbereit. Der belgische Gitarrist Bruno Fevery rifft zwar beanstandungslos, verfügt ansonsten aber über wenig Strahlkraft, so dass die Funktion des Blickfangs heute Oliveri zufällt. Der Mann mit Glatze und Spitzbart scheint sich in dieser Rolle außerordentlich wohl zu fühlen. Er grinst als seien seine Mundwinkel an den Ohrläppchen festgenäht.
Im Grunde ist das visuelle Erlebnis bei Kyuss Lives! ohnehin zweitrangig, verfügt die Band doch über ein ganzes Arsenal atmosphärischer Songs, vollgestopft mit stilprägenden Riffs und innovativen Breaks. Und auch mit über 40 ist Garcia, mit seiner durchdringend gepressten und doch weichen Stimme noch immer einer der originellsten und eigenständigsten Vertreter seiner Zunft.
Kurz: Auch an einem sehr durchschnittlichen Abend kann diese Band noch Freude machen.
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