Mächtige Stichflammen stoßen fauchend aus den Nüstern des riesigen weißen Stierschädels, der in schwindelnder Höhe zwischen den beiden riesigen Bühnen des Wacken-Open-Air hängt, dem größten Metal-Festival der Welt. Das Feuer wirft tanzende schatten auf das Meer schweißnasser Gesichter. Zehntausende flackernder Augenpaare sind auf die „Black-Stage“ gerichtet. Der Wind treibt die letzten verwehten Fetzen von Carl Orffs „O Fortuna“ bis in die hintersten Reihen.
„YEEEEEAAAAAAHHHH, YOU FUCKERS“, schreit die weinerliche und doch durchdringende Stimme. Jeder hier kennt sie. Tausendfaches tosendes Johlen ist die Antwort. Ozzy Osbourne, verschmiertes Make-up im Gesicht, den Mund im stummen Schrei verzerrt – oder einem stummen Lachen, wer kann das schon sagen – die auffallend großen Hände mit den schwarz lackierten Nägeln zur Seite abgespreizt. stolpert im charakteristischen Watschelgang auf die Bühne. „I can´t here you“, schreit Ozzy. Das Johlen schwillt zum Heulen. Ist der Mann gänzlich taub? Nein, aber nach vierzig Jahren im Rock-Geschäft weiß der „Madman“ wie man eine Festival-Menge nehmen muss: im Sturm.
“Crazy Train”, “Mr. Crowly”, “Suicide Solution”, Ozzy ballert aus allen Rohren. Seine runderneuerte Flakhelfer-Truppe um den griechischen Gitarristen Gus G funktioniert wie eine gut gedrillte Einheit funktionieren muss. Da kann sich der Chef die eine oder andere Feuerpause gönnen. Während „War Pigs“ einem der Hits seiner alten Band Black-Sabbath - mit der er in den 70ern kalte koksverschneite Klangipfel erklomm, bevor er in den 80ern eine nicht minder berauschende und berauschte Solo-Karriere begann – verschwindet der Chef mal für eine gute viertel Stunde aufs Klo oder ein Nickerchen machen. Die Helfer überbrücken die Zeit mit mehr oder minder inspiriertem Solo-Gegniedel.
Es stört die wenigsten. Für die Masse der Fans ist der Alkohol-getriebene Stimmungszug um diese Zeit (halb elf) ohnehin schon lange abgefahren und die meisten freuen sich, dass ihr Ozzy überhaupt noch lebt. Das der – sofern auf der Bühne – sich keine Mühe gäbe, lässt sich auch gar nicht behaupten. Ozzy vergießt Herzblut, Schweiß und vor allem Spritzwasser gleich kübelweise über die Menge. Und kann darüber hinaus aus einem Fundus an Songs schöpfen, der seinesgleichen sucht. Ja, Ozzy gehört zum alten Eisen, aber auch leicht rostiges Metall ist an diesem Donnerstag noch hart genug zum Schädelspalten.
Der von Mike Muir allerdings wird von einem tief über die Augen gezogenen Stirnband zusammengehalten. Es muss so sein, denn ohne den blauen Lappen um den Kopf hat den Sänger der Suicidal Tentencies, die freitagnachmittags auf der gleichen Bühne spielen, noch niemand gesehen. Anfang der 90er Jahre gehörten Muir, genannt Psycho Miko, und seine Band aus dem kalifornischen Venice Beach zur Avantgarde der Cross-Over-Bewegung. Damals wurde es unter Skateboard-Fahrern schick, harte Musik zu hören und plötzlich waren auch Metal-Heads auf vier Rollen unterwegs. Mit Platen wie „Lights, Camera, Revolution“ brachten Suicidal die potente Kreuzung aus Punk, Funk und politischer Agitation ans Licht der breiten musikinteressierten Öffentlichkeit.
„Do it the psyho-way“, fordert Miko von der Bühne herab, doch heute scheinen selbst Panzerglas durchschlagende Perlen wie „War Inside My Head“, „Join The Army“ oder “Pledge Your Alegiance” aber weitgehend in Vergessenheit geraten zu sein. Der verrückte Miko vollführt seine verwirbelten Tanz-Kapriolen vor lichten Reihen. Zumindest die lassen sich zu erratischen „Su-I-Ci-Dal“ Sprechchören hinreißen. Zu Recht: In der Kombination von Po-Wackler und Nackenbrecher macht den „Suicidal“ so leicht keiner was vor. Und das obwohl Muir auch schon nachgelassen hat. Das Stirnband trägt er heute höher als früher.
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