Dienstag, 14. August 2012
Krach statt Vanilleeis - Tom Petty and The Heartbreakers spielen am 1.7. in Mannheim
Das Konzert liegt zwar schon etwas länger zurück, unter den Tisch will ich es dennoch nicht fallen lassen.
Schlag halb neun, Showbeginn. Das Saallicht ist erloschen, die vollbesetzte SAP-Arena in Mannheim summt an diesem Samstag wie ein Bienenstock. Über die Bühne tanzen die Lichtpunkte von Taschenlampen wie Glühwürmchen. Sie weisen den Musikern den Weg auf ihre Plätze.
Strahler an, Jubel brandet auf. Tom Petty, im dezenten Anzug, dessen Blau hervorragend zum gelben Spaghettihaar passt, schlendert, die charakteristische Rickenbacker-Gitarre um den Hals, locker aus den Knien wippend, zum leichtfüßigen Beat von "Listen To Her Heart" auf spitzen Schuhen die Bühnenfront entlang.
Spätestens mit der ersten Refrainzeile des zweiten Songs ist das Motto des Abends dann gesetzt: "Oh, yeah, you wreck me, baby". Mehr als zwei Jahrzehnte sind Petty und seine Herzensbrecher Europa ferngeblieben, klar dass sich die Fans danach verzehren, sich so richtig durch den emotionalen Fleischwolf drehen zu lassen.
Da juckt es auch nicht, dass sich der Beobachter nur schwer des Eindrucks erwehren kann, bei Petty sei heute nicht nur der Anzug blau. Etwas zu verwaschen ist die Aussprache, als der 61-Jährige aus dem Städtchen Gainesville in Florida, dem Publikum nach einem gedehnten "Thaaaank you sooooo much" eine "laaaaaaaaange Liste von Sooooongs" in aussicht stellt. Oder sind es doch nur "Southern Accents"?
Einerlei, wir sprechen hier nicht von Exzessen morrisonschen Ausmaßes, sondern lediglich von einem beschwingten Räuschchen, wie es Großväter pflegen. Am letzten Abend einer erfolgreichen Europatour kann man sich schonmal ein gutes Fläschchen gönnen, insbesondere wenn man über einen mit Hits derart wohlausgestatteten Backkatalog - und eine Backingband wie die Heartbreakers - verfügt.
Schon das an dritter Stelle gespielte, einst von Johnny Cash geadelte "I Won´t Back Down" - auf den "American Recordings" griff ihm die Band mehrfach unter die Arme" -, reißt die euphorisierten 9000 von den Stühlen. Die Sitzgelegenheiten werden sie von nun an nicht mehr brauchen.
Und dann diese Band: Der bullige Steve Ferrone bearbeitet sein Schlagzeug mit der Unbeirrtheit eines herannahenden Güterzuges. Benmont Tenchs klar wie ein Gebirgsbächlein plätschernde Pianoläufe lassen das Herz lachen, und seine wulstigen Organsounds erwärmen es wie die Liebe einer Mutter. Ron Blair zupft bedächtig seinen wumpfernden Bass und wirkt mit seiner helmartigen Tantenfrisur noch solider als ohnehin- ein Idealtyp seiner Zunft.
Zweitgitarrist Scott Thurston hält sich hinter einer Orgel verborgen und bedient darüber hinaus diverse den Klang vertiefende Zusatzinstrumente. Bei "Handle With Care" von den Traveling Wilburys, Pettys Supergroup, unter anderem mit Jeff Lynne, Bob Dylan und George Harrison, gibt er obendrein einen passablen Roy Orbison.
Mike Campbell schließlich punktet nicht nur mit seinem getupften Gitarren-Helden-Hemd, sondern vor allem so messerscharfen wie schnargeligen Soli. Der agile 62-Jährige gibt dazu eine Lehrstunde in Soundkunde: Beständig zwischen Rickenbacker, Gibson, Fender, Düsenberg und anderen Modellen wechselnd, demonstriert der Tonmeister, was für einen gewaltigen klanglichen Unterschied es macht, mit welchem Instrument ein Song dargeboten wird.
Und zum Wechsel der Klangfarben gibt es reichlich Gelegenheit: Ob psychedelischen Bluesrock ("Oh Well" von Fleetwood Mac, "Something Big", "Yer So Bad"), Rock´N´Roll (Chuck Berrys "Carrol"), springsteenmäßigen Stadionrock ("Don´t Come Around Here No More"), verwegenen Pat-Garret-and-Billy-the-Kid-Country ("Learning To Fly) oder mintutenlange Jams, wie den bei "It´s Good To Be King", dessen abgedrehte Weltraum-Wucht selbst Drogenrockern wie Monster Magnet zur Ehre gereichte¬, diese Typen können wirklich alles spielen.
Da bleibt manchmal selbst dem Chef, der zwar leckere Songs schreiben kann, aber instrumentell limitiert ist, wenig anderes übrig, als wie beim brodelnden Stampfer "I Should Have Known It" mit rudernden Armen die Rasseln zu schwingen, von denen er vor lauter Begeisterung sogar eine auf den Bühnenbrettern zertrümmert. Zum Glück findet sich schnell ein Tambourine, das sich ersatzweise schlagen lässt. Ansonsten tänzelt er etwas ungelenk auf der Rampe herum. Ohne Instrument hängt er mit rausgerecktem Bürzel am Mikrophon wie Majas Bienenfreund Willie.
Ein respektabler Rocker dennoch. Petty mag in den Frühneunzigern seine Vanilleeis-Phase gehabt haben, doch das hier ist kein gefälliger Singer-Songwriter-Pop. Das ist Krach, eindeutig. Krach mit Attitüde. Freude-, Spielwitz-, und etwas alkoholfeuchte Aussprache sprühend. Nicht umsonst teilten sich Petty und Campbell in ihrer ersten Band Mudcrutch häufig mit den Südstaaten-Rauhbeinen vom Lynyrd Skynyrd die Bühne, und auch Thursten dürfte von seinem alten Arbeitgeber Iggy Pop einiges gewohnt sein.
Beim finalen Doppelschlag "Refugee" und "Runnin` Down A Dream" lässt sich dann sogar der besonnene Blair mitreissen und macht drei Schritte nach vorne. Auch Thursten kommt aus der Orgeldeckung und Campbell ist sowieso überall. Petty, das Kreuz gerade, die Saiten energisch malträtierden, scheint wieder ausgenüchtert. Das Publikum hingegen ist längst entrückt in japsendem Freudentaumel.
Aufblasbare Riesenschwänze brauchen vielleicht Rolling Stones, um ihre Potenz unter Beweis zu stellen, die Heartbreakers nur ein paar Gitarren. Ein denkwürdiges Konzertereignis, formidabel!
Montag, 6. August 2012
Regen, Schlamm und Schwermetall
Die Mutter aller Schlammschlachten ist geschlagen. Das 23. Wacken Open Air ist in der Nacht zum Sonntag zu Ende gegangen. Drei Tage lang trotzten 75 000 Heavy-Metal-Fans aus aller Welt vom Himmel stürzenden Wassermassen und steigenden Pegeln auf den Campingplätzen. Als Höhepunkt bereiteten die Metalheads dem angejahrten deutschen Rock-Export-Schlager Nummer 1, den Scorpions, einen feuchten aber fröhlichen Empfang.
Erfreulich: Die Hannoveraner Pyramiden-Bauer vergeudeten vor hartgesottenem Publikum nicht wertvolle Spielzeit mit dem üblichen Balladen-Geplätscher, sondern schlugen von Beginn an mit dem ganz schweren Paddel drein. So erfreuten Gitarren-Souverän Rudolf Schenker und die Seinen mit einer rasanten Griffbrett-Fahrt durch ihre gesamte jahrzehntelange Kariere: „The Zoo“, „Break Out“, „Coming Home“ und natürlich „Rock You Like A Hurricane”, um nur einige Großtaten der niedersächsischen Hitschmiede zu nennen.
Als Turbolader erwies sich Trommler James Kottak, der stets auf allen Zylindern zündete. Gezügelt wurde der Ritt auf dem peitschenden Scorpionschwanz lediglich durch Sänger Klaus Meine, dessen Stimme zum Bohren der ganz dicken Bretter heute manchmal zu dünn war. Sei´s drum, den „Lovedrive“ haben die „Scorps“ noch immer. Auch die XXL-Bühnenshow mit viel Bohei, Flammen und sogar Funken versprühenden Frauen auf der Bühne, konnte sich selbst mit der von Über-Größen wie Kiss messen, die ja sonst immer die hellste Kerze auf der Rock-Torte sind.
Apropos Torte. Mit ihrem Knochen zersplitternden Metal-Überfall bewiesen im Anschluss Machine Head, dass auch sie ganz groß im Sahneschlagen sind. In Übelkeit erregender Lautstärke machten sich die US-Amerikaner an ihr Zerstörungswerk: Riff-Salve auf Riff-Salve, unablässiger Bass-Beschuss, unentwegtes Trommel-Feuer. Nach 70 Minuten Thrash-Terrorwaren die bedauerswerten, knietief im Schlamm steckenden Divisionen sturmreif geschossen – und selig. Sieg auf ganzer Linie!
Auf nennenswerten Widerstand trafen Ministry dann nicht mehr, zumindest rein Zahlenmäßig. Die Reihen hatten sich gelichtet, Wetter und tagelanges Feiern forderten nun ihren Tribut. Die Ausharrenden erhielten eine Lektion in politisch-musikalischer Agitation! Seit mehr als zweieinhalb Dekaden führt Erster Minister Al Jourgensen einen von brachial-dunklem Industrial-Grollen begleteten Propagandafeldzug gegen sein Heimatland. Über den Bilschirm, der den kompletten Bühnenhintergrund einnimmt, flackern Fratzen des Todes: feuernde Soldaten, zerschossene Leiber, George W. Bush. Im Rhythmus an maschinelle Infernos erinnerder Sound-Kollagen stolziert Jorgensen, der mit seinen schwarzen Dreadlocks und dutzenden stahglänzenden Gesichts-Piercings aussieht wie ein postapokalyptischer Vodoo-Priester, im lässigen Stechschritt über seine Bühne und predigt: „Nehmt euch in acht vor denen da oben!“ Die Botschaft verbreiten auch andere. Aber während Punk-Veteran Henry Rollins am selben Mittag berichtet, wie er haitianische Flüchtlingskinder im Fußbällen versorgt, um ihr Los zu Lindern, kann man davon ausgehen, das Jourgensen sie aus dem selben Grund mit Kalaschnikovs ausrüsten würde.
Trotz allen beschriebenen Bombasts, sind auf dem Wacken-Festival aber auch immer noch junge, überraschende und unverbrauchte Bands zu entdecken. Bestes Beispiel 2012, Red Fang. Währe Schleswig-Holstein nicht ohnehin schon flach,spätestens nach dem Auftritt des Quintetts wäre es platt gewesen. Gezogen auf dem Nährboden psychedelischen Urschlamms, in dem etwa auch die Black Angels hausen, und dem Staub der Kyuss-Wüste, gemästet mit fleischigen Gitarren und saftig-fetten Drums - die Amis haben ein fieses Monstrum geschaffen, aus dessen Lefzen zäher Doom-Schleim tropft, das aber auch stets bereit ist zum tödlichen Sprung.
Solange es solche Entdeckungen bietet, wird das W.O.A. seine Stellung als Identitätsstiftendes Sozialisationsprojekt der Metal-Verrückten Massen wohl behaupten können, auch wenn sich +nter diese langsam Party-Publikum in bedrohlichem Maße mischt. Man wird sehen.
Die lautesten Spiele der Welt
Der Läufer hastet vobei. Das wehende blonde Haar ist schweißnass, zu fransigen Strähnen verklebt. Er reist die Arme empor, Siegerpose. Die Hände zu Fäusten geballt, Zeige- und Kleiner Finger sind abgespreizt. Ein heiserer Schrei dringt aus der trockenen Kehle: Yeaahhhh, Wacken. Die Umstehenden applaudieren, jubeln. Die Welt-Metal-Spiele sind in vollem Gange.
Während sich in London die besten Athleten der Welt in Leichtathletik, Fechten und Dressurreiten messen, messen sich im schleswig-holsteinischen Flachland die herrlichsten Spinner der Welt. Das Starterfeld ist International, die Veranstalter sprechen von 80 000 qualifizierten Teilnehmern. Ihr Festival sei damit das größte Ereignis der metallischen Freiluft-Saison.
Wichtigste Wettkampfdisziplin ist dabei der Metal-Dreikampf: Hochgeschwindigkeits-Haarschütteln, Rempel-Lauf, wobei die Partizipanten eine Songlänge wild im Kreis stürmen, und Mengen-Reiten. Hierbei müssen die Starter eine möglichst weite Strecke über einen Menschenauflauf hinweg zurücklegen, indem sie von der Menge getragen werden. Als zusätzliche Erschwernis gilt es dabei die gleichzeitig auf dem selben Feld stattfindenden Haarschüttel- und Rempel-Wettbewerbe zu umschiffen.
Darüber hinaus sind bei den Wacken-Fans nicht nur Breitensportarten wie Einarmiges Reißen oder Bierbecherweitwurf, die auch bei anderen Großveranstaltungen angesagt sind, populär, sondern auch obskure Randdisziplinen wie Kasten-Kacken (im Stand) oder Urinal-Waten.
Mindestens genauso wichtig wie die Sportwettbewerbe ist in Wacken das musikalische Rahmenprogramm. Drei Tage lang spielen auf sieben Bühnen internationale Schwergewichte der harten Musik, genauso wie lokale Newcomer.
Gleich zum Festivalauftakt am Donnerstag ließen die Thrash-Veteranen Sepultura Herzen aus Stahl höher Schlagen. Mit den Les Tambours Du Bronx brachten die Brasilianer gleich eine ganze Trommelgruppe an den Start, die sich mit dem 17-Jährigen Wundertrommler der Truppe aus Rio einen atemberaubenden tribalistischen Schlagabtausch lieferte und die Mengenreiter zu ersten Höchstleistungen anspornte.
Einen Achtungserfolg erzielte unterdessen die Braunschweiger Formation Santiano, die mit Shanties und Seemansliedern schon zu früher Stunde die Kraftsportler im Biergarten am eingang des Festival-Geländes puschte.
Erfreulich auch der Auftritt einer überaus erfahrenen Mannschaft aus England: Saxon. Kapitän Bif Bifford führte seine Mannschaft mit der vollen Kraft seiner pumpenden Lungenflügel durch ein Best-Off-Programm, dass neben unverwüstlichen Klassikern wie "Crusader" oder "Princess Of The Night" aber auch Raum für neueres Material ließ, was auch von den Wettkämpfern, insbesondere der Haarschüttel-Fraktion, positiv aufgenommen wurde.
Ein dickes Ausrufezeichen setzten zum Abschluss der ersten Wettkampftages die Vielseitigkeits-Talente Volbeat. Mit ihrer Mischung aus epischem Metal, melodischem Hardcore und Rockabilly mit an Glenn Danzig erinnernden "Elvis-Gesang" legten die Dänen nach zähem Beginn noch eine umjubelte Kür hin.
Und es bleibt Spannend: Unter anderem steht noch der Auftritt der Hannoveraner Hardrock-Routiniers Scorpions aus, genauso wie jener der Industrial Pioniere Ministry. Allerdings ist der vor einigen Tagen in Paris zusammengebrochen, manche vermuten Spätfolgen jahrelangen Dopings als Ursache.
Zu "sauberen" Metal-Spielen mag es noch ein schlammiger Weg sein, der guten Stimmung hier in Wacken tut das bislang keinen Abbruch.
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