Montag, 6. August 2012

Regen, Schlamm und Schwermetall

Die Mutter aller Schlammschlachten ist geschlagen. Das 23. Wacken Open Air ist in der Nacht zum Sonntag zu Ende gegangen. Drei Tage lang trotzten 75 000 Heavy-Metal-Fans aus aller Welt vom Himmel stürzenden Wassermassen und steigenden Pegeln auf den Campingplätzen. Als Höhepunkt bereiteten die Metalheads dem angejahrten deutschen Rock-Export-Schlager Nummer 1, den Scorpions, einen feuchten aber fröhlichen Empfang. Erfreulich: Die Hannoveraner Pyramiden-Bauer vergeudeten vor hartgesottenem Publikum nicht wertvolle Spielzeit mit dem üblichen Balladen-Geplätscher, sondern schlugen von Beginn an mit dem ganz schweren Paddel drein. So erfreuten Gitarren-Souverän Rudolf Schenker und die Seinen mit einer rasanten Griffbrett-Fahrt durch ihre gesamte jahrzehntelange Kariere: „The Zoo“, „Break Out“, „Coming Home“ und natürlich „Rock You Like A Hurricane”, um nur einige Großtaten der niedersächsischen Hitschmiede zu nennen. Als Turbolader erwies sich Trommler James Kottak, der stets auf allen Zylindern zündete. Gezügelt wurde der Ritt auf dem peitschenden Scorpionschwanz lediglich durch Sänger Klaus Meine, dessen Stimme zum Bohren der ganz dicken Bretter heute manchmal zu dünn war. Sei´s drum, den „Lovedrive“ haben die „Scorps“ noch immer. Auch die XXL-Bühnenshow mit viel Bohei, Flammen und sogar Funken versprühenden Frauen auf der Bühne, konnte sich selbst mit der von Über-Größen wie Kiss messen, die ja sonst immer die hellste Kerze auf der Rock-Torte sind. Apropos Torte. Mit ihrem Knochen zersplitternden Metal-Überfall bewiesen im Anschluss Machine Head, dass auch sie ganz groß im Sahneschlagen sind. In Übelkeit erregender Lautstärke machten sich die US-Amerikaner an ihr Zerstörungswerk: Riff-Salve auf Riff-Salve, unablässiger Bass-Beschuss, unentwegtes Trommel-Feuer. Nach 70 Minuten Thrash-Terrorwaren die bedauerswerten, knietief im Schlamm steckenden Divisionen sturmreif geschossen – und selig. Sieg auf ganzer Linie! Auf nennenswerten Widerstand trafen Ministry dann nicht mehr, zumindest rein Zahlenmäßig. Die Reihen hatten sich gelichtet, Wetter und tagelanges Feiern forderten nun ihren Tribut. Die Ausharrenden erhielten eine Lektion in politisch-musikalischer Agitation! Seit mehr als zweieinhalb Dekaden führt Erster Minister Al Jourgensen einen von brachial-dunklem Industrial-Grollen begleteten Propagandafeldzug gegen sein Heimatland. Über den Bilschirm, der den kompletten Bühnenhintergrund einnimmt, flackern Fratzen des Todes: feuernde Soldaten, zerschossene Leiber, George W. Bush. Im Rhythmus an maschinelle Infernos erinnerder Sound-Kollagen stolziert Jorgensen, der mit seinen schwarzen Dreadlocks und dutzenden stahglänzenden Gesichts-Piercings aussieht wie ein postapokalyptischer Vodoo-Priester, im lässigen Stechschritt über seine Bühne und predigt: „Nehmt euch in acht vor denen da oben!“ Die Botschaft verbreiten auch andere. Aber während Punk-Veteran Henry Rollins am selben Mittag berichtet, wie er haitianische Flüchtlingskinder im Fußbällen versorgt, um ihr Los zu Lindern, kann man davon ausgehen, das Jourgensen sie aus dem selben Grund mit Kalaschnikovs ausrüsten würde. Trotz allen beschriebenen Bombasts, sind auf dem Wacken-Festival aber auch immer noch junge, überraschende und unverbrauchte Bands zu entdecken. Bestes Beispiel 2012, Red Fang. Währe Schleswig-Holstein nicht ohnehin schon flach,spätestens nach dem Auftritt des Quintetts wäre es platt gewesen. Gezogen auf dem Nährboden psychedelischen Urschlamms, in dem etwa auch die Black Angels hausen, und dem Staub der Kyuss-Wüste, gemästet mit fleischigen Gitarren und saftig-fetten Drums - die Amis haben ein fieses Monstrum geschaffen, aus dessen Lefzen zäher Doom-Schleim tropft, das aber auch stets bereit ist zum tödlichen Sprung. Solange es solche Entdeckungen bietet, wird das W.O.A. seine Stellung als Identitätsstiftendes Sozialisationsprojekt der Metal-Verrückten Massen wohl behaupten können, auch wenn sich +nter diese langsam Party-Publikum in bedrohlichem Maße mischt. Man wird sehen.

1 Kommentar:

  1. Hätte Scorpions zu gerne live gesehen.. War bestimmt total geil :) \m/

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