Bsssssst...brrrrrrrz...wer hat nur wieder das Radio verstellt? Ssssssssd... ftftftfffft...“Rooooosamunde, schenk' mir dein Herz und sag jaaaaah...“...Brszbrsz...“Can you hear the drums Fernando?“...frzlfrzl...“Back in black, I hit the sack, I've been too long...“...ah, schon besser!
Ganz gleich ob Schlager, Pop oder Rock, wer sagt uns eigentlich, dass wir auf der richtigen Welle liegen, wenn wir auf der Jagd nach unserer Lieblingsmusik am Sender-Suchknopf drehen? Schließlich kennt kein Cowboy jeden Country-Song, kein Freizeit-Travolta sämtliche Disco-Hits und kein Janker-Träger alle Melodien der Volksmusik. Trotzdem weiß nach wenigen Augenblicken jeder, wo er richtig hört.
Die Klangsprache, mit der uns einzelne Stücke ihre Genrezugehörigkeit kundtun, erforscht der Braunschweiger Musik-Ethnologe Dietmar Elflein. Der 47-jährige lehrt populäre Musik am Seminar für Musik und Musikpädagogik der TU. In seinem Buch, „Schwermetallanalysen“, macht er sich an die Entschlüsselung eines besonders harten Zungenschlags: Heavy Metal.
„Hip Hop, Hard Core, Techno, Indie Rock, jeder dieser Begriffe löst bei mir musikalische Assoziationen aus“, sagt Elflein. „Ich erwarte nahezu zwingend, dass ein Techno Track bestimmte rhythmische, harmonische und klangliche Qualitäten sowie einen spezifischen zeitlichen Ablauf hat. Diese Erwartungshorizonte und Kompositionsmodelle interessieren mich.“
Akribisch hat Elflein Kompositionsstrategien, Strukturformen, Klangcharakteristika, Ensemblespiel und rhythmische Eigenheiten harter Rock-Musik untersucht. Als Forschungsgegenstand dienen ihm Bands, die das Genre geprägt haben. Grundlage sind Hitlisten in Musik-Magazinen. Elflein arbeitet also mit Platten, die Leute, die auf Heavy Metal stehen, mit auf eine einsame Insel nähmen. Ausgewählt hat er sie an Hand von Hitlisten in Fach-Magazinen. Anders gesagt: Elflein hat diejenigen Platten ausgewertet, welche Leute, die auf Heavy Metal stehen, mit auf die einsame Insel nähmen. Dazu gehören insbesondere solche von Black Sabbath, Judas Priest, Iron Maiden, Metallica, Megadeth und Slayer.
Nach tausenden Stunden Musikhören haben Elfleins Untersuchungen für Nicht-Metal-Adepten erstaunliches zutage gefördert: Die oft als dumpfe, Bier saufende Kopfschüttler in schlecht sitzenden Jeanswesten verschrieenen Metal-Fans sind musikalisch anspruchsvoller als Pop- oder Rockfans. Headbanger mögen keine konventionellen Vers-Chorus-Lied-Strukturen, präferieren eine größere Anzahl unterschiedlicher Riffs in einem Song und verlangen von ihren Helden eine virtuose Beherrschung ihrer Instrumente.
„In der Metal-Szene herrscht eine rebellische Grundhaltung. Man fühlt sich von der Außenwelt – oft zu Recht – als abschätzig beurteilt, und will es eben anders machen, sich abgrenzen“, erklärt Elflein die metallische Befindlichkeit.
Auf gut dreihundert Seiten liefert Elflein viele interessante Details, die er aus dem Traditionsstrom des Heavy-Metal gefischt hat: Die aus dem Blues abgleitete Reihenstruktur vieler Songs, die Entstehung des Power-Chords oder die Herausbildung und Stellenwert der in Tonlage und Klangfarbe oft extremen Singstimme.
En passant erklärt der Metalurge auch noch einige bandspezifische Schrullen: Die rhythmischen Feinheiten des „Iron-Maiden-Galopps“ etwa. Warum Motörhead-Sänger Lemmy Kilmister recht hat, wenn er wie seit Jahrzehnten steif und fest behauptet seine Band spiele in Wahrheit klassischen Rock´n´Roll oder die Erfinder des langsam dahinfließenden Lava-Riffs, Black Sabbath, eine Vorliebe für den auch „Teufelsakkord“ genannten Tritonus hegten.
„Die ultimative Heavy-Metal-Formel kann ich Ihnen trotzdem nicht an die Tafel malen“, bekennt der Metalurge. „Aber ich würde schon sagen, dass verzerrte Gitarren, eine Dominanz der Rhythmik über die Melodie und ein virtuoses Schlagzeug dazugehören.“
Für den Fan und Genre-Kenner bringt die Lektüre wenig neues, aber zahlreiche Aha-Erlebnisse. Vieles ist einem beim Musik-Hören schon selbst aufgefallen, in worte fasen konnte man es aber nie. Musik-Laien werden vor allem die vielen Notentranskriptionen kaum etwas sagen, dazwischen findet sich aber noch genügend unterhaltsam und verständlich aufbereitetes Material zur Ehrenrettung einer oft belächelten Stilrichtung.
Mit seinen „Schwermetallanalysen“ hat Elflein auch außerhalb der Metal-Gemeinde Interesse weckt. Und das nicht nur in den Feuilletons der großen Tageszeitungen: „Seit das Buch draußen ist, bekomme ich häufig Einladungen zu Chemie-Kongressen.
Dienstag, 31. Mai 2011
Sonntag, 1. Mai 2011
Stil-Wirrsal mit Waltari
Gäbe es eine Skala von eins bis zehn, die den Verschmelzungsgrad verschiedener Musik-Genres anzeigte, die Klänge von Waltari hätten den Wert elf. Bei ihrem Konzert in der Meier Music Hall bedient sich die Band nahezu aller denkbaren - sowie undenkbaren - Stile der Rockmusik. Die Finnen kombinieren (oder sollte man sagen bastardisieren?) Elemente von Metal, Rap, Dancefloor, Industrial, Rock, Rap und Pop, klassischer sowie progressiver Musik.
Während der innovationsfreudigen 90er Jahre feierten Waltari mit diesem scheinbaren musikalischen Wirrsal, die sich bei genauerem Studium als Spiegel des Schellingschen Widerstreits zwischen apollinischem und dionysischem Prinzip, der Ordnung und dem rauschhaft alle Formen sprengenden Schöpfungsdrang, offenbart, regelmäßig Charts-Triumphe. Zu ihrer 25-Jahr-Tour kamen am Montag nur noch geschätzte 250 Anhänger.
Einerlei, in Stimmung gebracht werden die Anwesenden von Lord Bishop Rocks. Auch hier Crossover im Überfluss: Der schwarze Zwei-Meter-Hüne aus New York an der Gitarre liefert mit seinen zwei Mitstreitern eine eigentümliche Melange aus Heavy-Rock, Funk, Soul, nebst Politik, Drogen, Sex und Liebesbekundungen. Mit breitkrempigem bunten Hut und 70er-Zuhälterfummel legt er dabei einen ähnlich bizarren Bekleidungsstil wie Funk-Paradiesvogel Bootsy Collins an den Tag.
Die Show von Waltari steht dagegen zunächst unter keinem guten Stern: Angefangen beim schepprigen Sound wird das Quintett von mannigfaltigen technischen Problemen heimgesucht. Mal geht der Bass von Frontmann Kärtsy Hatakka nicht, mal versagt der Sender von Gitarrist Jari Lehtinen seinen Dienst. Wir haben hier "Technical Ecstasy", sagt Hatakka in Anspielung auf das gleichnamige Black Sabbath Album - für viele das schlechteste.
Doch die Band lässt sich nicht verdrießen, und spätestens beim poppig treibenden "Atmosfear" hat sie ihre Technik und auch das Publikum im Griff. Über üble Grindcore-Attacken ("Let's Get Crucified"), die Humppa genannte finnische Variante des Foxtrotts ("Piggy In The Middle") bis hin zu Kirmes-Techno ("So Fine!") geht die muntere Parforcejagd.
Jetzt hüpft Lehtinen quietschfidel das Drumpodest rauf und runter, Keyboarder Janne Immonen nutzt den Trockeneis-Nebel, um "unauffällig" eine zu rauchen. So sind die Finnen. Ein Scheinwerferstrahl lässt Kärtsy Hatakkas Gesicht wie das des Comic-Schurken Two Face aussehen. Apoll und Dionys in einer Person. Als Rausschmeißer gibt es Madonnas Kieks-Hymne "Vogue". Das ist genau, was man von einer Metal-Band erwartet - aber nur, wenn sie Waltari heißt.
Dieser Text erschien am 27.4. in der Braunschweiger Zeitung.
Während der innovationsfreudigen 90er Jahre feierten Waltari mit diesem scheinbaren musikalischen Wirrsal, die sich bei genauerem Studium als Spiegel des Schellingschen Widerstreits zwischen apollinischem und dionysischem Prinzip, der Ordnung und dem rauschhaft alle Formen sprengenden Schöpfungsdrang, offenbart, regelmäßig Charts-Triumphe. Zu ihrer 25-Jahr-Tour kamen am Montag nur noch geschätzte 250 Anhänger.
Einerlei, in Stimmung gebracht werden die Anwesenden von Lord Bishop Rocks. Auch hier Crossover im Überfluss: Der schwarze Zwei-Meter-Hüne aus New York an der Gitarre liefert mit seinen zwei Mitstreitern eine eigentümliche Melange aus Heavy-Rock, Funk, Soul, nebst Politik, Drogen, Sex und Liebesbekundungen. Mit breitkrempigem bunten Hut und 70er-Zuhälterfummel legt er dabei einen ähnlich bizarren Bekleidungsstil wie Funk-Paradiesvogel Bootsy Collins an den Tag.
Die Show von Waltari steht dagegen zunächst unter keinem guten Stern: Angefangen beim schepprigen Sound wird das Quintett von mannigfaltigen technischen Problemen heimgesucht. Mal geht der Bass von Frontmann Kärtsy Hatakka nicht, mal versagt der Sender von Gitarrist Jari Lehtinen seinen Dienst. Wir haben hier "Technical Ecstasy", sagt Hatakka in Anspielung auf das gleichnamige Black Sabbath Album - für viele das schlechteste.
Doch die Band lässt sich nicht verdrießen, und spätestens beim poppig treibenden "Atmosfear" hat sie ihre Technik und auch das Publikum im Griff. Über üble Grindcore-Attacken ("Let's Get Crucified"), die Humppa genannte finnische Variante des Foxtrotts ("Piggy In The Middle") bis hin zu Kirmes-Techno ("So Fine!") geht die muntere Parforcejagd.
Jetzt hüpft Lehtinen quietschfidel das Drumpodest rauf und runter, Keyboarder Janne Immonen nutzt den Trockeneis-Nebel, um "unauffällig" eine zu rauchen. So sind die Finnen. Ein Scheinwerferstrahl lässt Kärtsy Hatakkas Gesicht wie das des Comic-Schurken Two Face aussehen. Apoll und Dionys in einer Person. Als Rausschmeißer gibt es Madonnas Kieks-Hymne "Vogue". Das ist genau, was man von einer Metal-Band erwartet - aber nur, wenn sie Waltari heißt.
Dieser Text erschien am 27.4. in der Braunschweiger Zeitung.
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