Samstag, 29. September 2012
In der Dorfdisko bleibt die Kokosnuss nicht gern allein – Gemüse-Pop aber steht ihr nicht. Kilians und Baru im Substage, Do., 27.9.
In den subkulturellen Gefilden des Musikbetriebs tummeln sich im Grunde zwei Arten von Typen: Die coolen Außenseiter, die im Schulhof in einer abgeschiedenen Ecke unter sich blieben, um in der Pause kurz einen zu kiffen und die neuesten Vinylanschaffungen sowie Tipps zum Kayalauftragen auszutauschen. Und die armen Schweine, die Hornbrillen und Hüft- statt Schädelringe trugen und von Allen nur gehänselt wurden. Im Genre Indie haben inzwischen offenbar letztere die Überhand gewonnen – leider.
Es gab mal eine Zeit, da stand das Attribut „Indie“ für künstlerische Unabhängigkeit und wurde innovativen Bands wie The Smiths, Sonic Youth oder auch Rage Against The Machine angeheftet. Die gingen an musikalische Grenzen und machten Zeug, das in den Ohren weh tat – was positiv gemeint ist. Heute beschreibt es meist ein paar Kerle mit doofen Wuschelfrisuren, Klamotten, die in den wahrlich nicht gerade geschmackssicheren 80ern schon furchtbar waren, und denen offenbar keiner erklärt hat, dass der Bauchnabel nie, aber auch nie, UNTER dem Gitarrenkorpus hervorschauen darf, sondern allenfalls darüberhinweg. Sind sie aus Deutschland, komplettieren üblicherweise Atari-Orgeln und jammerige Vocals das (Klang)Bild.
Baru, die am Donnerstag das Substage für die Kilians aufheizen sollen, bilden da keine Ausnahme. Sänger Ferdinand Weigel klingt wie ein gramgebeugter Geddy Lee mit dickem Klos im Hals, untermalt von ein paar fisseligen Gitarren und Tüt-tüt-Keyboards. Dann wollen sie sich nach dem Konzert noch am Merch-Stand zum „Quatschen“ treffen. Über die Preisentwicklung von organischem Gemüse womöglich. Eigentlich sollte man das Präfix „Indie“ einfach durch „organisch“ ersetzen oder – noch besser, weil treffender – durch „Gemüse“. Bei der Zielgruppe in Prenzelberg käme das bestimmt prima an.
Was man dem Quartett aus dem sächsischen Königswalde allerdings ehrlicherweise nicht absprechen kann, sind einige catchy Melodien und Fusswipp-Grooves. Unterm Strich aber überwiegt Indie-, Verzeihung, Gemüse-Pop-Langeweile.
Kilians hingegen machen schnell klar, dass die Verweigerung von Allem, was Rock ist, kein Genre-Zwang ist. Der Fünfer aus Dinslaken geht gleich in die Vollen: „Wir waren drei Jahre nicht auf Tour“, sagt Sänger Simon den Hartog. Da müsse man erst wieder reinkommen. Darum gehe es auch im nächsten Song, um das in etwas hineinkommen. „Ein sehr sexuelles Lied, aber auch traurig, wie eigentlich alle unsere Lieder", verkündet den Hartog. Und die Band steigt ein in „In It for the Show" vom neuen "Lines You Should Not Cross". Eine vorwärtsstrebende Nummer mit funky Gitarren, treibendem Bass und gefälligem Refrain.
Damit wäre die Kilians-Blaupause im Grunde schon zur genüge beschrieben, doch Lebensfreude und Melancholie gleichermaßen zu transportieren, nicht ohne Pathos, aber an den richtigen Stellen wieder rotzig, das haben das in Deutschland nur wenige drauf wie das Quintett aus Dinslaken. „Wenn man keinen Konflikt hat, muss man einen erfinden“, hat Jack White mal über die Herausforderung des Songschreibers gesagt, sofern er glaubwürdig sein will.
Ob erfundene oder nicht, Frauenprobleme haben Kilians offenbar reichlich. Fast jedes Lied handelt von einer unglücklichen Beziehung, Bettgeschichten oder Gefühlschaos. Ab und zu Sex haben und dann dem kurzen Glück nachtrauern, das gibt anscheinend genug Stoff. Andererseits: Sex und Trauer, mit was will man sich am unteren Niederrhein auch sonst beschäftigen?
Bestes Beispiel: die Single vom vorangegangenen Album “They Are Calling Your Name”, „Said And Done“. „Where did you go, my darling?/ Why is it so, guess I'm on my own/ Oh please my heart is starving/ So where did you go?”, intoniert den Hartung mit kratziger Stimme. “Oh oh oh/ You are gone/ I'm still right here“, heißt es kurz darauf in „Hometown“. Vor dem inneren Auge sieht man ihn nach der Dorfdisko alleine nachhause trotten, den leicht pummeligen aber unermüdlichen Tanzbär mit verschwitztem Rücken. „Ach, vergiss doch die Alte“, scheint er sich dann aber selbst zu sagen, und stimmt in „Coconut“ die Zeilen an: „I am a coconut, I am a coconut / What you say is way too mean, what you say is way too mean“ und die Band rumpelt dazu einen beschwingten 50ies-Rumba-Rock. Die nur knapp 150 zahlenden in Substage werfen die Arme in die Luft und tanzen dazu, viele sogar zu zweit.
Einst haben Kilians mit einem in Karlsruhe aufgenommenen Demo ihren ersten Plattenvertrag erhascht. Gitarrist Arne hat verwandschaftliche Bande in die Fächerstadt. Mit der Aufnahme erregte die Band die Aufmerksamkeit von Thees Uhlmann, der sie in einem Campus-Radio hörte. Darauf lud der Tomte-Sänger lud Kilians, auf der Frühjahrs-Tour seiner Band im Jahr 2006 an sieben Abenden als Vorband zu spielen. Man erwirkte eine Woche schulfrei für die damaligen Abiturienten, der Rest ist Geschichte. Heute, mit knapp Mitte 20, sehen Kilians noch immer aus wie eine Schülerband, rocken aber recht erwachsen.
Freitag, 21. September 2012
Aus den tiefen 80ern schreien sie zu dir - The Shrine pinkeln Fu Manchu, am Freitag, 20.9., im Substage kräftig ans Bein
Und der Metal-Gott sprach zu ihnen: Reißt ab die Ärmel von euren Jeans-Jacken und denen eurer Weiber, eurer Söhne und eurer Töchter und bringet sie zu mir. Da riss alles Volk seine Ärmel von ihren Jacken, und brachten sie zu ihm. Und er nahm sie von ihren Händen und entwarf's mit einem Griffel und machte The Shrine. Und sie standen des Morgens sehr spät auf, zündeten sich Hasch-Zigaretten an, tranken Dosenbier, verstimmten ihre Gitarren und zu vorgerückter Stunde schickten sie sich an, für das Volk zu spielen – lauter als die siebente Posaune.
„Primitive Blast“ lautet der Titel des aktuellen Albums von The Shrine. Und tatsächlich erzeugt das US-Trio bei seinem Auftritt am Donnerstag im Substage eine Druckwelle von urtümlicher Kraft, die den Status des heutigen Hauptakts, die Wüstenrocker Fu Manchu, selbst sattelfest im Staubaufwirbeln, erschüttern sollte. Daoch dazu später mehr.
This Shrine, namentlich Josh Landau (Gitarre/Geang), Court Murphy (Bass) und Jeff Murray (Drums), gebürtig aus dem kalifornischen Penner-Paradies Venice Beach, präsentierten sich als Urbild der ungewaschenen Rockband. Auf der Bühne gerierte sich eine Bande fetthaariger, kuttenspeckiger Tunichtgute, mit braun verfärbten Tennissocken und Pissflecken auf der Feinripp-Unterhose, die, was sie an Bildung vorweisen kann, dem Studium von Tony Hawk-Videos verdankt. Hipp geht definitiv anders!
Doch warum hipp sein, wenn man als Außenseiter viel mehr Spaß haben kann? Was ihnen an Körperpflege-Skills abgehen mag, machen The Shrine durch Stilsicherheit locker wett. Ihre Väter – sollten sie sie je kennengelernt haben – hatten die richtigen Platten im Schrank: Pentagram, Witchfinder General, Melvins, Black Flag und 70er Psychedelia. Das Ergebnis sind erratisch vorgetragene Acid-Rock-Attacken wie „Whistlings Of Death“ oder „Freak Fighter“, voll chaotisch umherpeitschender Punk-Einsprengsel und grandios archaischer Riffpassagen. Da neigen wir doch gern das gnädige Ohr. Super!
Im Übrigen sollte keiner vorschnell behaupten, The Shrine legten keinen Wert auf ihr Äußeres: Niemand stöpselt seine Flying-V-Gitarre mit einem weißen Spiralkabel ein, lässt sich einen Phyl-Lynott-Schnauzer wachsen (Landau) oder pappt sich einen Blue-Öyster-Cult-Aufnäher auf die Kutte (Murphy), ohne sich das ernsthaft überlegt zu haben. Diese Band ist wahrer Kult; nimm das, Steel Panther! Soviel dazu.
„Schön, wenn ihr´s nicht anders wollt“, mögen sich Fu Manchu angesichts des Gemosers über wahlweise zu viel oder zu wenig Entwicklung während der beiden letzten Veröffentlichungen „Signs Of Infinite Power“ und „We Must Obey“, auf denen sich das eine oder andere Körnchen Hardcore-Punk in den Wüstensand mischte. „Spielen wir halt was Altes!“
Dieser Schreiber ist kein großer Freund der Komplette-Alben-Aufführerei, denn es sind immer auch schwächere Songs durchzustehen. Andererseits lässt sich nicht bestreiten, dass „The Action Is Go“, das heute zu Ehren kommt, neben „California Crossing“ ein herausragendes Monument des Fu-Manchu-Backkatalogs ist – wenn nicht des Stoner-Genres überhaupt. Die Verbindung leichtfüßigen Arschtritt-Rock'n'Rolls mit dröhnenden Schwerlast-Riffs gilt als Stilprägend. Sein California-Vibe etablierte Scott Hill und Co endgültig als Junggesellenabschiedsparty-Version von Black Sabbath.
Doch es kommt, was zu befürchten war. Zwar gehören staubtrockene Rockbrocken wie "Urethane", "Burning Road" und "Trackside Hoax" noch immer zum Besten, was Fu Manchu je rausgebracht haben, aber über die komplette Distanz von 14 Songs offenbahrt „Action“ dann doch so seine Längen. Insbesondere da der wie immer spröde Hill und seine Leute ihren Strumpf ein wenig zu routiniert runterspielen.
Zum Schluss gibt´s als Rausschmeißer noch was vom zitierten „California Crossing“ und den Titeltrack vom ebenfalls älteren „King Of The Road“. Ok, Plan erfüllt, aber vielleicht wäre etwas mehr Neuzeitlicher Stoff doch besser gewesen. Wie Traditionalismus richtig geht, haben The Shrine vorgemacht.
Donnerstag, 20. September 2012
Endlich wieder Negermusik! Marius Müller-Westernhagen auf "Hottentotten-Tour. Di, 18.9., SAP-Arena Mannheim
In den fast 40 Jahren seiner Karriere hat Marius Müller-Westernhagen schon viele Rollen ausgefüllt: Die des sympathischen Rock´n´Roll-Rüpels, des charmanten Klassenkämpfers, des schwanzgesteuerten Saufaus, des arroganten Armani-Rockers und des Silbereisen-kompatiblen Schnulz-Barden. Jetzt, im gesetzteren Alter ist MMW sichtlich um Erdung bemüht. Der Titel seiner aktuellen Konzertreise, „Hottentotten-Tour“, eine Referenz auf die „Negermusik“, wie die Kriegsgeneration den Rock´n´Roll voller Abscheu titulierte, lässt da nichts an Deutlichkeit vermissen.
Besinnung aufs Wesentliche, lautet die Devise. Also weg mit den Fetträndern, den musikalischen, wie denen am äußeren Erscheinungbild. Denn eines weiß der „dünne Hering“ aus dem Ruhrpott genau: "Für Dicke gibt's nichts anzuziehn, Dicke sind zu dick zum fliehn." Körperlich zeigt sich der 63-Jährige bei seinem Auftritt am Dienstag in der Mannheimer SAP-Arena folglich in guter Verfassung. Angetan mit rosa Blümchenhemd und engen schwarzen Jeans durchmisst der nicht mehr ganz frische Pfefferminz-Prinz mit John-Lennon-Brille auf der spitzen Nase und Goldohring im faltigen Ohrläppchen im typischen Trippelschritt sein Revier.
Auch die Produktion ist dem Projekt „Abspecken“ angemessen. Eine Videoleinwand füllt den gesamten Bühnenhintergrund aus. Zu Beginn erstrahlt sie in nüchternem Weiß, die Textzeilen von „Der Braune Mann“ flimmern darüber. Beim zweiten Lied, „Schweigen ist Feige“, färbt sie sich blutrot. Sehr stilvoll.
Die Musiker davor wirken wie Schattenrisse. Zweidimensional ist ihr Spiel aber keineswegs. Denn was ist das für eine Band, die Westernhagen für seine musikalische Schlankheitskur zusammengetrommelt hat! John Conte (David Bowie) am Bass und Aaron Comess, der in den 90ern mit den Spin Doctors („Two Princes“) für feuchte Kordhosen sorgte, hinterm Schlagzeug, verschleppen und verziehen den Song als dehnte sich die Zeit selbst. Unbeirrbar wie ein Unimog über afrikanische Schlaglochstrassen bollert diese Rhythmus-Sektion.
Brad Rice lässt nicht nur bei „Wir haben die Schnauze voll“ die Slide Gitarre jaulen wie ein gequältes Äffchen – der Texaner gehört sonst zur Gang von Country-Star Keith Urban. Das prächtig vertüddelte „Alleine(-öh-öh)“ darf der großartige Frank Mead, der außerdem die Blues-Harp und Percussion bedient, mit einem trötig-töften Saxophon veredeln. Der Rest des insgesamt 9-Köpfigen Ensembles, der Neu Yorker Alan Clark an der Orgel, „Musikdirektor“ Kevin Bents (Keyboards) und der einizige Deutsche Mohikaner, Markus Winstrort (Fehlfareben), aus Neuss am Rhein sowie zwei Backgroundsänger, leisten ebenfalls solide Arbeit.
Allerdings ist auch der „spartanische“ Westernhagen nicht frei von Sünde. Der lyrische Geschlechter(nah)kampf wird vom Träger des Bundesverdienstkreuzes von je her nicht nur mit dem Florett ausgetragen. "Gott hat dem Mann ein Hirn und einen Penis gegeben, aber leider nicht genug Blut, um beides gleichzeitig zu versorgen", hat der ewige Westerhagestolz selbst einmal bekannt. Das kann beim Texten schonmal zur ironiefreien Plattitudenhäufung führen. Mitunter hat er sich bei der Themenwahl für seine Songs vielleicht auch von künstlerischem Sicherheitsdenken leiten gelassen haben. „Ich hab' meinen Spaß, du hast deinen Spaß - 'ne Frau und ein Mann, darauf ist Verlaß!“, heißt es in der Blues-Schunkel-Nummer "Lieben werd' ich dich nie". Das interessiert doch die Leute!
Vielleicht ist das ewige Interesse am dichterischen Doktorspiel aber auch naturgegeben. Denn wie sagte die ehemalige Punk-Fürstin Gloria von Thurn und Taxis einst? Der Schwarze, mithin der mariussche Hottentot, schnacksele nunmal gerne. Und schließlich hat Westernhagen aus dem psychotischen Spannungsfeld zwischen den Geschlechtern auch schon geniale Zeilen geschöpft:“ Wir waren so ein schönes Paar, wir beiden, Ein ganzes Leben wollt' ich's mit Dir treiben“, singt er in „Fertig“. Nur um im flotten Twist der Misanthropen-Hymne „Herr D.“ spießbürgerlich nachzureichen: „Ich hasse die Leidenschaft, die idiotische Liebe. Das ist was für Tiere, nichts als Triebe. Am liebsten habe ich meine Ruh, das gilt auch für dich, du blöde Kuh.“ Das ist schon großes lakonisches Kinodrama.
Manchmal ist leider aber auch schlicht musikalische Einfallslosigkeit zu beklagen. Die "Hu-hu-hu"-Passagen für den Publikumschor in "Krieg" kommen von den ohnehin hinter jedem zweiten Song hervorlugenden Stones. „Wir verdienten vierhundert Mark pro Auftritt, Für 'ne Rolling Stones Kopie“, heißt es ja schon in „Mit 18“ von 1978. Heute werden es ein paar Mark mehr sein, sonst hat sich nicht viel geändert. „Lichterloh“ ist glattweg von „The End“ der Doors abgekupfert. Heuler wie „Engel“ oder „Durch deine Liebe“ sind so schmalzig, dass man bedauert, kein Pumpernickel dabei zu haben. Dann würde es fürs Abendbrot reichen. Und „Jesus“ erinnert den Rezensenten an seine Zeit in der evangelischen Jugendgruppe.
Zum Glück gibt es zum Schluss noch den famosen Standardabsacker „Johnny W.“ Der hat uns schließlich noch nie enttäuscht, genausowenig wie Westernhagen heute. Alles in allem ein runder Abend mit prima Negermusik.
Montag, 10. September 2012
Die Drei von der Krank-Stelle - Nomeansno blasen am So, 9.9., im Substage zum Angriff auf deutsche Fußgängerzonen
Waren Nomeansno eigentlich jemals jung oder sind die Bandmitglieder schon als schrullige Nerds auf die Welt gekommen? Die Vermutung liegt nahe. Denn schließlich sahen die drei Kanadier schon in den frühen 90ern aus wie der Bad Salzufler Kegelclub auf Vereinsfahrt. Doch wie heißt es so schön: „Auch eine schwarze Kuh gibt weiße Milch.“ Will sagen, der Zuschauer sollte sich vom aller Rock´n´Roll-Klischees baren und etwas hinterwäldlerhaften Auftreten der Gebrüder Wright und ihres hornbebrillten Sozius Tom Holliston nicht täuschen lassen. Denn das, wie vergangenen Sonntag im Substage einmal mehr zu erfahren war, wäre ein großer Fehler!
Wo die Mehrheit der heutigen so genannten Postcore-Bands Verzweiflungsschreie ausstoßend ziellos in entgenzten Soundlandschaften umherirrt, heißt es bei Nomeansno beherzt: Ab-die-Post-Core. Seit 1979 mischen Frickelfrickel-Schrägschräg-Punk-Opis aus Vancouver ungeniert Sixties-Garagen-Rock, Dub-Elemente, zappaesken Rootspunk, anabolen Funk und Kinderlied-Refrains. Getragen werden die verwinkelten, perkussiven, kaleidoskopischen Songkonstruktionen von Robs dominantem Bassspiel, dem Bruder John seine vertrackten Breakbeats entgegensetzt, orchestriert von Hollistons dissonanten Riffs.
So hat man beim Auflegen einer Nomeansno-Scheibe regelmäßig das Gefühl, man habe soeben das Fenster zu einem Irrenhaus des frühen 19ten Jahrhunderts aufgestoßen. Dazu gibt es Texte von abgründigem, ja krankem Humor, die insbesondere von John mit entgleister Gesichtskomik dargeboten werden. Ein perfekter Soundtrack also, um mitten in der Fußgängerzone mal wieder richtig auszuflippen, wie ihn allenfalls noch Primus oder Mr. Bungle bieten.
Auch heute lassen die Drei von der Krank-Stelle keine debilen Wünsche offen, auch wenn sie sich wie bei „Ghosts“ manchmal wie von allen guten Geistern verlassen in ihren eigenen kafkaesken Liedlabyrinthen verlaufen und von vorn beginnen müssen. Die Musiker nehmen es mit Humor, die vielleicht 150 zahlenden ebenso.
Ja braucht die Welt denn zu all ihrem Unglück so eine Band? Unbedingt! Denn dass es in deutschen Fußgängerzonen viel zu langweilig und gesittet zugeht – auch wenn die U-Strab-Baustellen geplagten Einzelhändler in der Karlsruher Kaiserstraße wahrscheinlich anderer Meinung sind –, ist ein allgemein beklagter Zustand, dem dringlichst abgeholfen werden muss.
Samstag, 8. September 2012
Mehr Psycho als Billy: Demented Are Go, Fr. 7.9.2012, Universum Stuttgart
Hätte die Psychobilly-Freundin gewusst, dass das Demtented Are Go-Konzert Tagestipp im Stuttgarter Stadt-Magazin war, hätte sie wahrscheinlich schon um fünf in Karlsruhe aufbrechen wollen („Hoffentlich gibt´s überhaupt noch Karten!“). Zum Glück schlugen wir Dank ausgeklügelter Verzögerungstaktiken meinerseits dann doch erst gegen neun im Universum-Club auf. Denn a) trat der befürchtete Kartenmangel, angesichts der Tatsache, dass der demographische Wandel auf die Psycho-Szene – wenn sich in ihr sonst schon nix tut – voll durchschlägt und folglich ein Andrang von weit über zweihundert Besuchern, von denen sich ein Gutteil die Rasur des Hinterkopfes mittlerweile Sparen kann, kaum zu erwarten war, nicht ein. Und b) erhoben sich Demented erst nach halb elf aus ihren Gräbern, ohne jede Rücksicht auf die unter a) geschilderte Verfassung ihres Publikums.
Als es endlich doch losgeht, schlurft Mark „Sparky“ Philips auf die Bühne, lustlos, als sei er exumiert worden, nicht auferstanden. Nun, dreißig Jahre sind eine lange Zeit, besonders wenn der Berufsweg, wie bei Sparky, von einem Exzess zum nächsten führt. Da kann man schonmal das Flat hängen lassen. Also zurück in die Kiste und Deckel drauf? No Senor! Als bei Song Nummer Vier, „Daddy´s Makin Monsters“, die ersten treuen Kunden ihre morschen Knochen wreckend gegeneinander werfen scheint auf einmal auch „One-Man-Riot-Machine“ aus Wales heisszulaufen.
Entgegen früherer Zeiten scheint der Frontmann seine Alkohol- und Drogenexzesse zurückgeschraubt zu haben, trinkt während der Schau nicht mehr als zwei Bier, ghult und grölt aber nichtsdestotrotz herrlich psychotisch über die Bühne, wie zu schlechtesten Zeiten. Die derzeitige spieltechnisch fitte Besetzung tut ihr Übriges, allen voran Heartbreak Engines-Basser Grischa.
In der Folge geht die Meute mächtig mental , zu Songs vom vorzüglichen neuen Album "Welcome Back To Insanity Hall" („Bodies In The Basement“, „Lucky Charm“, „Heads On Poles“ und ganz besonders „Retard Whore“) genauso wie zu Klassiken wie „One Sharp Knife“, "PVC Chair" oder "Busted Hymen". Herrlich.
Nach dem obligatorischen Gene Vincent-Cover "Be Bob A Lula" ist dann erstmal Schluss, doch werden Demented bei schon brennendem Saallicht noch zweimal rausgeklatscht, bevor Drummer Criss Damage wie gefordert seinen Drink an der Bar bekommt und ich endlich ins Bett komme. So macht man aus Überalterung eine Tugend: Stay Demented!
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