Montag, 22. August 2011

Wacken II: Die Schlacht ist geschlagen!

Abgekämpft, wie ein von den Hunnen geschlagenes Germanen-Heer der Völkerwanderungszeit, treten die 95000 Heavy Metal-Fans den Rückzug aus der schleswig-holsteinischen Provinz an. Drei Tage lang haben sie „lauter als die Hölle“ Party gemacht. Nun räumen sie erschöpft ihr Feldlager nahe dem 1800-Seelen Weiler Wacken und zerstreuen sich in alle Winde.

120 Bands sind unter dem Banner „louder than hell“ bis Sonntagmorgen auf dem Wacken Open Air (WOA) aufgetreten. Die letzten „Waackäääään“-Schlachtrufe verhallten um sechs Uhr früh als im „Headbangers Ballroom“ die Verstärker ausgeschaltet wurden. Höhepunkten des vielleicht größten aber sicher berühmtesten Heavy-Metal-Festivals der Welt waren die Auftritte von Ozzy Osbourne (wir berichteten), Motörhead und Judas Priest.

Auch die Shows deutscher Bands wie Kreator, Sodom oder den wiedervereinigten Knorkator wurden gefeiert. Zu den einheimischen Festival-Siegern gehörten auch Heaven Shall Burn. Dabei gaben die Thüringer nicht nur mittels ihrer hochoktanigen Mischung aus Hardcore und extremem Death/Thrash Metal mächtig Gas, sondern legten auch mit originellen Animationseinlagen den Turboschalter beim Publikum um.

Ob Sänger Marcus Bischoff wusste was er tat, als er mit den Worten, „es ist Zeit eure Frauen loszulassen und auf die Schultern zu nehmen“, die weiblichen Zuschauer zum Crowdsurfing – einer auf Rockkonzerten beliebten Sportart, bei der Fans von der Menge getragen werden – kann bezweifelt werden. Dafür sorgte er mit einer Flut von Frauen, die sich in den Bühnengraben ergoss, für einen der schönsten und ergreiffendsten Festival-Momente diesen Sommers.

Jedes Metal-Herz höher Schlagen ließen Judas Priest auf ihrer Abschiedstour. Sie gelten als eine der einflussreichsten Bands des Genres. : Lederklamotten, Motorräder auf der Bühne, donnernde Riffs, alle erdenklichen Attribute im Metal-Universum gehen auf Priest zurück. Die verwitterten Recken begannen ihre Zeitreise durch Jahre Bandgeschichte am Freitagabend mit dem programmatisch betitelten Doppelschlag „Rapid Fire“ und „Metal Gods“. Im Schnellfeuer-Rhythmus ließ Oberpriester Rob Halford metal-göttliches Ambrosia auf seine von allen guten Geistern verlassene Gemeinde herabregnen. „Never Satisfied“ vom ersten Album Rockarolla, selten gehörte Meisterwerke wie „Starbreaker“, eine Halbakustik-Version des frühen Hit „Diamonds and Rust“.

Kaum einmal blieb Zeit Atem zu holen. Halford selbst griff in den Pausen zur routiniert zur Sauerstoffflasche. Doch was soll´s, wenn der fast 60-Jährige auf diese Weise selbst die höchsten stimmlichen Höhen eines gesanglichen Mont-Blanc wie „Painkiller“ meistert. Während der meisten Momente an diesem Abend sind Priest mitreißend, in den besten magisch, wie etwa bei der großartigen Ballade „Beyond The Realms Of Death“ oder der komplett vom Publikum gesungenen „Breaking The Law“.

Einziger Wehrmutstropfen ist die Abwesenheit des kürzlich ausgestiegenen K. K. Downing dessen lichtschnelle Riposten die Gitarrenduelle mit Opponent Glenn Tipton erst so richtig beflügelten. Eine Flanke, die der neue Rekrut Richie Faulkner trotz aller Fingerfertigkeit nicht ganz zu schließen vermag.

Doch nun, wie der Engländer sagt, zu etwas völlig anderem: Lemmy. 24 warzige Karat Rock ´n´ Roll, mit seinem Whiskey gegerbten Organ quasi Halfords stimmliches Alter Ego, bellt der Motörhead-Sänger dem Publikum wie eh und je seine lasterhaften Hymnen entgegnen. Er ist die verflüssigte Essenz des Rock´n`Roll, gegossen in ein Paar hautenger schwarzer Jeans und weiße Cowboy-Stiefel. Verfestigt zum wandelnden Mittelfinger, der sich mit einem Patronengurt beringt jedweden Autoritäten und aller Gleichmacherei entgegengestreckt. Dafür lieben ihn alle Rockfans dieser Welt. Welche Songs Motörhead zocken und dass sie sogar ihr altes Spielzeug, eine Lichtanlage in Gestalt eines B-17-Bombers, der waghalsige Flugmanöver vollführt, mitgebracht haben, wird zur Nebensache.

Am Ende haben Lemmy und Co am Samstag eine weitere Schlacht gewonnen, aber der Krieg scheint noch lange nicht vorbei: Wenige Stunden nach Festival-Ende hat der Kartenvorverkauf für die Folgeveranstaltung begonnen. Am Montagmorgen um 00.45 Uhr - eine dreiviertel Stunde nach Vorverkaufsstart - waren die ersten 10 000 Tickets bereits weg.

Sonntag, 21. August 2011

Mach´s wie ein Psycho: Die Cross-Over-Vorreiter Suicidal Tendencies wirbeln auf dem Wacken Festival – Auch Ozzy Osbourne ist ganz der alte

Mächtige Stichflammen stoßen fauchend aus den Nüstern des riesigen weißen Stierschädels, der in schwindelnder Höhe zwischen den beiden riesigen Bühnen des Wacken-Open-Air hängt, dem größten Metal-Festival der Welt. Das Feuer wirft tanzende schatten auf das Meer schweißnasser Gesichter. Zehntausende flackernder Augenpaare sind auf die „Black-Stage“ gerichtet. Der Wind treibt die letzten verwehten Fetzen von Carl Orffs „O Fortuna“ bis in die hintersten Reihen.
„YEEEEEAAAAAAHHHH, YOU FUCKERS“, schreit die weinerliche und doch durchdringende Stimme. Jeder hier kennt sie. Tausendfaches tosendes Johlen ist die Antwort. Ozzy Osbourne, verschmiertes Make-up im Gesicht, den Mund im stummen Schrei verzerrt – oder einem stummen Lachen, wer kann das schon sagen – die auffallend großen Hände mit den schwarz lackierten Nägeln zur Seite abgespreizt. stolpert im charakteristischen Watschelgang auf die Bühne. „I can´t here you“, schreit Ozzy. Das Johlen schwillt zum Heulen. Ist der Mann gänzlich taub? Nein, aber nach vierzig Jahren im Rock-Geschäft weiß der „Madman“ wie man eine Festival-Menge nehmen muss: im Sturm.
“Crazy Train”, “Mr. Crowly”, “Suicide Solution”, Ozzy ballert aus allen Rohren. Seine runderneuerte Flakhelfer-Truppe um den griechischen Gitarristen Gus G funktioniert wie eine gut gedrillte Einheit funktionieren muss. Da kann sich der Chef die eine oder andere Feuerpause gönnen. Während „War Pigs“ einem der Hits seiner alten Band Black-Sabbath - mit der er in den 70ern kalte koksverschneite Klangipfel erklomm, bevor er in den 80ern eine nicht minder berauschende und berauschte Solo-Karriere begann – verschwindet der Chef mal für eine gute viertel Stunde aufs Klo oder ein Nickerchen machen. Die Helfer überbrücken die Zeit mit mehr oder minder inspiriertem Solo-Gegniedel.
Es stört die wenigsten. Für die Masse der Fans ist der Alkohol-getriebene Stimmungszug um diese Zeit (halb elf) ohnehin schon lange abgefahren und die meisten freuen sich, dass ihr Ozzy überhaupt noch lebt. Das der – sofern auf der Bühne – sich keine Mühe gäbe, lässt sich auch gar nicht behaupten. Ozzy vergießt Herzblut, Schweiß und vor allem Spritzwasser gleich kübelweise über die Menge. Und kann darüber hinaus aus einem Fundus an Songs schöpfen, der seinesgleichen sucht. Ja, Ozzy gehört zum alten Eisen, aber auch leicht rostiges Metall ist an diesem Donnerstag noch hart genug zum Schädelspalten.
Der von Mike Muir allerdings wird von einem tief über die Augen gezogenen Stirnband zusammengehalten. Es muss so sein, denn ohne den blauen Lappen um den Kopf hat den Sänger der Suicidal Tentencies, die freitagnachmittags auf der gleichen Bühne spielen, noch niemand gesehen. Anfang der 90er Jahre gehörten Muir, genannt Psycho Miko, und seine Band aus dem kalifornischen Venice Beach zur Avantgarde der Cross-Over-Bewegung. Damals wurde es unter Skateboard-Fahrern schick, harte Musik zu hören und plötzlich waren auch Metal-Heads auf vier Rollen unterwegs. Mit Platen wie „Lights, Camera, Revolution“ brachten Suicidal die potente Kreuzung aus Punk, Funk und politischer Agitation ans Licht der breiten musikinteressierten Öffentlichkeit.
„Do it the psyho-way“, fordert Miko von der Bühne herab, doch heute scheinen selbst Panzerglas durchschlagende Perlen wie „War Inside My Head“, „Join The Army“ oder “Pledge Your Alegiance” aber weitgehend in Vergessenheit geraten zu sein. Der verrückte Miko vollführt seine verwirbelten Tanz-Kapriolen vor lichten Reihen. Zumindest die lassen sich zu erratischen „Su-I-Ci-Dal“ Sprechchören hinreißen. Zu Recht: In der Kombination von Po-Wackler und Nackenbrecher macht den „Suicidal“ so leicht keiner was vor. Und das obwohl Muir auch schon nachgelassen hat. Das Stirnband trägt er heute höher als früher.

Montag, 4. Juli 2011

Der Bruce Springsten 2.0 heißt Brian Fellon

Die Leute stehen dicht gedrängt im Saal. Viele Zuschauer sind weiblich, die Gesichter jung und schweißnass. Für einen passionierten U-Bahngrabscher wäre das Konzert der amerikanischen Band Gaslight Anthem am Mittwoch, 29.6., im Hannoveraner Capitol ein Paradies.

Hinten im Zuschauerbereich stehen mit von der Hitze geröteten Köpfen die Eltern. Das Kind soll ja seine eigenen Erfahrungen machen – vom wochenlangen Gequengel am Abendbrottisch, weil Papa erst dagegen war, mal ganz abgesehen –, aber den Nachwuchs gänzlich schutzlos dem Einfluss dieses Brian Fellon ausliefern? Muss nicht sein.

Der 31-Jährige Sänger und Gitarrist des Quartetts aus New Brunswick, New Jersey, erinnert in seinem ganzen Habitus an den jungen, hungrigen Bruce Springsteen zu „Born to Run“-Zeiten. Beginnend beim weißen T-Shirt mit V-Kragen, aus dem kräftige, bis zu den Handgelenken mit Tattoos zugehackten Arme ragen, über die Leoparden-fleckige Gesichtsbehaarung, bis hin zur schwarzen Motorrad-Lederjacke auf den Promo-Fotos.

Auch musikalisch hat sich der blonde Wuschelkopf bei Springsteen einiges abgeschaut. Das fängt bei den schnörkellosen auf der schneidend klingenden Fender Telecaster Gitarre gespielten Songs an und hört beim leicht nöligen Gesang auf. Dazu kommen ein wenig U2-Epik, etwas Dylan-Gnarzigkeit, ein Hauch erdiger Blues und – ganz, ganz viel dreckiger, achselnässiger Punk.

Diese fast schon romantisierende Rückbesinnung auf die goldenen Zeiten amerikanischer Rockmusik gefällt nicht nur den wild durcheinander hüpfenden Teenies, die Pappschilder mit Liebesbotschaften in die Höhe halten, Pärchen, die sich gegenseitig mit verklärtem Blick die Liedtexte ins Ohr singen und vermutlich sogar den Eltern an der Hallenrückwand, sondern auch dem Boss selbst: Beim altehrwürdigen Glastonbury-Festival durfte Fellon mit auf die ganz große Bühne.

Gaslight Anthem kommen da auch noch hin. Einstweilen biegt und wiegt sich Fellon vor den 1600 im Capitol wie eine Weide im Sturm der Akkorde den er und seine Jersey Boys entfachen. Dabei strahlt er jene Mischung aus Virilität und Empfindsamkeit aus, die großen unnachgiebigen Barden des Alternative-Punk (Mike Ness), Pop (Springsteen) oder Country (Steve Earle) über die bloße Verklärung alltäglichen Straßenkötertums erhebt.

Gaslight Anthem sind definitiv Punkrock und definieren doch mit fast jedem Stück die Grenzen des Genres neu. Sie können nicht nur rhythmisch-wuchtige Party-Hymnen, sondern beherrschen die ganze Klaviatur der Gefühle. Das erhebt sie über die den üblichen Pop-Punk-Brei.

Dieser Text erschien am 1.7. 2010 in der Braunschweiger Zeitung.

Garcia bleibt diesmal lieber hinten

Schwaden süßlich würzigen Rauches wehen über die Leine. Auf der Brücke, die über den Fluss direkt bis vor den Eingang des Capitol in Hannover führt, stehen hunderte von Menschen. Bierflaschen werden zum Mund geführt, Joints kreisen. Eine gründliche Vorbereitung ist schließlich alles: „Kyuss Lives!“ sind an diesem Dienstag, 28.6., in der Stadt.

Unter Eingeweihten gelten Kyuss aus dem kalifornischen Palm Desert als Nukleus der Stoner-Rock-Szene. In den frühen 90ern veröffentlichten vier Freunde des Dreiblatts, Josh Homme (Gitarre), John Garcia (Gesang), Nick Oliveri (Bass) und Brant Bjork (Schlagzeug), ein Paar richtungsweisende Alben, die sich aber zu schlecht verkauften, um mit Geld die immer größer werdenden Risse im Bandgefüge kitten zu können. 95 war Schluss.

Nennenswerte Erfolge konnte seither einzig Josh Homme mit den „Queens of the Stone Age“ verbuchen. Ob die Anderen nun die leere Haushaltskasse oder die Langeweile wieder zusammentrieb, weiß – wie so oft bei Reunionen – niemand. Egal, seit März sind Garcia, Oliveri und Bjork als „Kyuss Lives!“ wieder gemeinsam auf Deutschlandtour und weil ihnen die Fans die Bude einrennen, haben sie sogar noch ein paar Dates drangehängt.

Genau wie beim Tourstart im Hamburger Club Docks gehen die Anhänger von Beginn an steil. Mit ihrem stoischen, aber immer wieder raffiniert zwischen den Polen bekifft-beschwingt und tonnenschwer-brachial wechselnden Spacerock versetzen die Amis dabei nicht nur ein Häuflein ewig gestriger Hanfhippies in Verzückung. Im vollbesetzten Club walzen auffällig viele junge Wüstenrock-Nerds zum groovigen Waber-Bass-Sound.

Die Band selbst lässt es an diesem Abend eher ruhig angehen: John Garcia hält sich fast durchgängig im hinteren Bereich der Bühne auf. Das auf Oliveris Bassverstärker abgestellte Glas Rotwein stets griffbereit. Der belgische Gitarrist Bruno Fevery rifft zwar beanstandungslos, verfügt ansonsten aber über wenig Strahlkraft, so dass die Funktion des Blickfangs heute Oliveri zufällt. Der Mann mit Glatze und Spitzbart scheint sich in dieser Rolle außerordentlich wohl zu fühlen. Er grinst als seien seine Mundwinkel an den Ohrläppchen festgenäht.

Im Grunde ist das visuelle Erlebnis bei Kyuss Lives! ohnehin zweitrangig, verfügt die Band doch über ein ganzes Arsenal atmosphärischer Songs, vollgestopft mit stilprägenden Riffs und innovativen Breaks. Und auch mit über 40 ist Garcia, mit seiner durchdringend gepressten und doch weichen Stimme noch immer einer der originellsten und eigenständigsten Vertreter seiner Zunft.

Kurz: Auch an einem sehr durchschnittlichen Abend kann diese Band noch Freude machen.

Sonntag, 26. Juni 2011

"Ich bin der Doom" - Tomen aus Karlsruhe verbinden Sludge-Rock mit deutscher Ridikülitäts-Lyrik

Die Mitglieder von Tomen waren allesamt schon in Karlsruher Bands des Niederfrequenzbereichs aktiv. Darunter lokale Legenden wie Spacek, Shining oder Kermits. Folgerichtig gibt es einen fiesen, schleimigen Cocktail aus schmatzendem Sludge, wummerndem Drone und sich schwerfällig dahinwälzendem Doom. Als Referenzen dienen Black Shape Of Nexus, Baroness oder auch die alten Meister des peinvollen Depri-Rocks, Crowbar. Garniert wird det Janze mit mehr oder weniger geschmacklosen deutschen Texten. „Kinderlieder“, das Debut, strotzt vor morbidem Humor à la Pungent Stench. Shouter und Texter Thomas bewegt sich dabei stets kurz vor und manchmal auch knapp hinter der Schmerzgrenze. „Nikotin“ beispielsweise handelt von den negativen Folgen des Rauchens („Der Doktor sagt, die Lunge muss raus“). „Doom“ ist, wie könnte es anders sein, eine Hommage an die eigene Lieblingsmusik. Sicher, „Du gibst mir dir Kraft zu tun was keiner schafft/ Alles was ich bin hast Du gemacht/ Du bist die Zeit die alle Wunden heilt/ Du bringst mir den Ruhm, du bist der Doom“, sind Zeilen, die nur Leute ernst nehmen können, die vierhundert Kilometer fahren, um Saint Vitus in Originalbesetzung zu sehen, aber die gibt´s halt auch. Kruder Höhepunkt ist zweifelsohne die Fekal-Ode „Dein Furz“. Wenn es einen Song gibt, der Michael Mittermeier- und Electric Wizard-Fans versöhnen kann, dann ist es dieser. Kurz gesagt, wer erwähnte Bands und Texte mit Ekelfaktor mag, sollte ein Ohr riskieren. (mex) Do, 21.7., CD-Release-Party im Kohi, Karlsruhe.