Die meiste Zeit sind Anne und Jule einfach nur Anne und Jule. Zwei Karlsruher Mädels mit Problemen Wünschen und Träumen, wie sie andere 16-Jährige auch hegen: Liebe, Freiheit, Aufrichtigkeit erfahren, ein bisschen Spaß haben, vielleicht reich und berühmt werden. Manchmal sind Anne und Jule auch biestig. Ja, und? Wohl kaum Anlass Druckertinte zu verschwenden, oder? Wo kämen wir denn da hin, wenn jede Teenagerlaune medial aufbereitet würde? Für Wichtiges, wie den Ausgang der Bundestagswahl oder des Derbys zwischen KSC und FCK, fände sich ja kaum noch Platz auf Zeitungsseiten. Aber unter Biestig ist in diesem Falle eben nicht nur ein Zustand jugendlicher Widerlichkeit zu verstehen, sondern eine Band. Eine sehr kleine zwar nur, denn als Duo haben Anne und Jule die personelle Reduktion des Bandformats völlig ausgereizt, das hat sie aber nicht daran gehindert, am Samstag im Club Alte Hackerei ihre erste CD vorzustellen.
„Würden wir Englisch singen, würden die Leute nicht ständig nur über unsere Texte schreiben“, motzt Jule. Also schreibe ich erstmal über die Musik: Auf Nebenan (Rookie Records/Cargo) finden sich zehn fluffige Punkrock Stücke mit zweistimmigem Gesang, einigen Ska und Hardcore Einsprengseln, immer weniger als 3 Minuten lang, selten mehr als drei Akkorde. Zu zweit schaffen Biestig, woran schon ganze Armeen kleiner Punks gescheitert sind: Songs ohne ein Gramm überflüssiges Fett zu schreiben, die trotzdem weder billig noch einfallslos klingen. Stattdessen sind sie von einer Wahrhaftigkeit, die stellenweise ergreifend ist, womit wir – sorry Mädels – doch wieder bei den Texten wären. Biestig kommen ganz ohne Fick den Staat- und Gabbagabbahey-Phrasendrescherei aus. Auch von geklontem Teeniegemosere über doofe Lehrer, Eltern oder Boyfriends bleiben wir verschont. Zwillingspärchen haben nämlich ihre eignen Beziehungsprobleme: Wenn die erste Tanzen gehen will, ist die zweite depri drauf, die eine kann sich mal wieder nicht Entschuldigen und die andere fühlt sich ausgenutzt. Wozu braucht man da noch Jungs – außer dafür dass sie einen vor dem Konzert wohl gekämmt umringen? Das soll jetzt nicht heißen, dass Biestig-Texte nur für die – doch recht überschaubare – Zielgruppe der Zwillingspärchen relevant wären, genannte Problemstellungen lassen sich schließlich auf jede denkbare Zweierbeziehung zu übertragen.
Die Kundschaft scheint das ähnlich zu sehen, denn wenn die Redewendung vom „gemischten Publikum“ jemals gepasst hat, dann auf dieses Konzert: Die Altersspanne ging von zwölf bis fünfzig (Oma und Opa Biestig lassen wir jetzt mal außen vor) und alle hatten ihr Vergnügen. Biestig entfalten eine für die Minimalbesetzung beachtliche Durchschlagskraft und wäre Farin Urlaub ein Mädchen und dreißig Jahre jünger, er hieße wohl Jule. Während Anne mit roten flecken im Gesicht hinterm Schlagzeug schuftet, gibt ihre Schwester die Platinblonde Rocktigerin und man muss kein Prophet sein um zu Prognostizieren, was hier auf die Männerwelt in ein paar Jahren zukommt. Starpotential ist also reichlich vorhanden und will man die Performance von Biestig auf den Punkt bringen, kann man sich eigentlich nur dem enthusiasmierten Mikro-Rufer vom Ende des Konzerts anschließen: „Ich finde sie geil!“
Achja, ich wurde - nicht nur vom Rock´n´Roll-Dad, sondern auch von Anne und Jule -, nicht ganz zu unrecht, kritisiert, den Rock´n´Roll-Dad in der Ankündigung zu sehr in den Vordergrund gerückt zu haben. Deshalb habe ich der Rock´n´Roll-Dad-Focussierung abgeschworen und den Rock´n´Roll-Dad in der Nachbesprechung jetzt nicht mehr erwähnt. Ich hoffe das geht so in Ordnung.
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