Mehr als zweihundert Meter vor dem Braunschweiger Nexus stehen die Fahrräder schon dicht gedrängt entlang der Frankfurter Straße. Auf der Rampe vor dem Club warten die Menschen wie gequetschte Trauben – Einlass nur nach Voranmeldung. Auch drinnen an der Bar und im Raum mit der Bühne ist es brechend voll. Erwartet wird der Auftritt von Gisbert zu Knyphausen, neuer Stern am wolkenverhangenen Himmel der deutschen Liedermacher.
Bevor sich der Freiherr – voller Name: Gisbert Wilhelm Enno Freiherr zu Innhausen und Knyphausen – selbst herbei lässt, schickt er seinen Kumpel Moritz Krämer, seines Zeichens junger Songwriter aus Berlin, vor. Krämer, mit Pilzfrisur und von schmächtiger Gestalt, hält beim singen den Kopf so schief, dass man fürchtet, er könne ihm jeden Moment von den schultern kullern, gehört eher zu den sanften Vertretern seiner Profession. Seine Lieder gehen im allgemeinen Gemurmel und Bierdunst unter. Es wundert nicht, dass ein eigens für ihn geschriebenes Theaterstück den Titel „Night of the Nerds“ (Frei übersetzt: Die Nacht der Sonderlinge“) trägt. Erhebt er doch mal seine Stimme, ist erstaunliches zu hören: „Er betrank sich zwei Wochen aus schmutzigen Pfützen, blieb reglos liegen, ohne sich vor Katzen zu schützen“, singt Krämer. Scheint Mumm in den Knochen zu haben, der Junge.
Dennoch, Knypphausen ist ein ganz anderes Kaliber. Mit angemessen verlebtem Gesicht gibt der 31-Jährige überzeugend den leidenschaftlichen Künstler aus verarmtem Adel: „Ich bin kriegsgeil und will zuseh´n, wie der Laden explodiert“, verkündet er, während seine recht heftig musizierende Band in wummernden Psychedelic-Rock verfällt. Da beschlagen den hübschen blonden Indie-Mädchen die modisch-dicken Hornbrillengläser.
„Eine steile Karriere im Musikbusiness, dass ist eh´ nicht meins“, relativiert er im nächsten Lied , als sei ihm die Verehrung dann doch etwas unangenehm. Er weiß, es kann schnell wieder vorbei sein, mit der ganzen Herrlichkeit: „Das Leben haut dir eine rein. Und du trinkst und lachst und kackst und schon ist es vorbei.“
Wie zur Rückversicherung hat Knypphausen die Endlichkeit des Seins in der eigenen Band stets vor Augen. Frenzy Suhr - bis 1984 Gitarrist in der Hildesheimer Band 110 – am Bass, sieht man seine 53-Jahre nicht an. „Was spielt da nur für ein alter Mann mit“, fragt die Nachbarin leicht pikiert.
Den Freiherrn fechten Äußerlichkeiten nicht an. Er ist den wirklich wichtigen Dingen des Lebens auf der Spur: „Den ganzen Unsinn werd' ich nie verstehen. Da hilft nur Einatmen und Vorwärtsgehen“, rät er im Lied Sommertag. Nur in welche Richtung soll sich die desorientierte Jugend, die in schweißgesäuerten Spielorten enthusiasmiert an seinen Lippen hängt wenden?
„Und alles, was mir dann noch übrig bleibt: Ein bisschen Zweisamkeit als Zeitvertreib. Das bisschen Herzschmerz, das bisschen Herzschmerz tut doch gar nicht weh.“ Das hört sich schwer nach den Rezepten der 68er an. Nur sind die mit ihrem grenzenlosem Hedonismus auf Dauer ja auch nicht glücklich geworden. Der Künstler bleibt im Ungefähren „Ich bin ein Freund von Klischees, und Elbfähren, und dich mag ich sehr, sehr gern.“ Aber er lässt die Hoffnung nicht fahren. „Durch den Hafen wehen wir. Zwei Blatt recyceltes Papier. Ja, wir werden uns wieder füllen. Mit all den prächtigen Farben.“
Die Menge ist begeistert. Vielleicht suchte sie nur Unterhaltung statt Wahrheiten. Wahrhaftigkeit zumindest war geboten.
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