„Wenn Du lange genug am Fluß sitzt, siehst Du irgendwann die Leiche deines Feindes vorbeischwimmen“, lautet ein Chinesisches Sprichwort. Ian Fraser Kilmister, genannt Lemmy, ist zwar sicher kein Chinese, sondern Brite durch und durch, aber auf die Karriere des legendenumwobenen Frontmannes der berüchtigten Rock`n`Roll-Band Motörhead, der am 24. Dezember seinen 65 Geburtstag feierte, passt der Spruch bestimmt.
„Uns gibt´s schon vier Jahre länger als das Dritte Reich“, sagte Lemmy 1991 von seiner Band. In allzu beengten Kategorien zu Denken, kann man dem Mann also nicht vorwerfen. Nun sind es schon 23. Im Jahr 35 „on the Road“ legen die Veteranen ein gelungenes zwanzigstes Album vor (The Wörld is Yours). Zeit, zu Fragen, wie zur Hölle es überhaupt so weit kommen konnte.
Geboren wurde Kilmister 1945 als Kind mit abstehenden Ohren eines Feldkaplans der Royal Air Force und einer Bibliothekarin. Umstände, die prägend sein sollten. Eigen sind ihm bis heute eine unbändige Abneigung – der Vater ließ die Familie im Stich – gegen alles Religiöse und jedwede Heuchelei, ein unstillbares geschichtliches Interesse am zweiten Weltkrieg und eine große Liebe zu Büchern.
Beflügelt von der Rock´n´Roll-Revolution der 50er erschloss sich Lemmy, wie er seit seinem zehnten Lebensjahr gerufen wird, bald weitere Interessensfelder: „Ich habe rausgefunden, dass man Frauen dazu bringen kann, ihre Klamotten auszuziehen, wenn man eine Gitarre hat. Und die Hüllen fallen sogar noch schneller, wenn man auf der Gitarre auch spielen kann.“
Nachdem den Umgang mit beiden in diversen Bands verfeinert hatte, zog Lemmy Kilmister ins Swinging London der 60er Jahre. Dort jobbte er als Roadie für Jimi Hendrix, was seinen Horizont enorm erweiterte. Sowohl in musikalischer Hinsicht, als auch was den virtuosen Umgang mit Drogen angeht, einem Hobby, dem er bis ins hohe Alter fröhnen sollte. Die Hendrix-Crew, erinnert er sich in seiner Biographie „White Line Fever“, sei mitunter so high gewesen, dass man einige Mitglieder dabei Beobachten konnte, wie sie im Park mit den Bäumen sprachen. „Manchmal kam es sogar vor, dass die Bäume die Diskussion für sich entschieden“.
Nach einem Zwischenspiel bei den verrückten Spacerockern Hawkwind („Silvermachine“), gründete Lemmy 1975 Motörhead. Ein Powertrio wie die Experience oder Cream. Das stilistisch an die wütenden Polit-Rocker MC5 angelehnt sein sollte. Mit anderen Worten: „Lauter, schneller, rauer, arroganter, paranoider Speed-Freak-Rock´n´Roll.“
Mit dieser Blaupause, flankiert von zwei Straßenkumpels, dem Speed-Dealer Philthy „Animal“ Taylor am Schlagzeug und einem Hippie namens „Fast“ Eddie Clark an der Gitarre, stieg Lemmy zwischen 1977 und 1981 mit der Albumtrilogie Overkill, Bomber und dem opus magnum Ace Of Spades, noch gekrönt vom Nummer-1-Live-Album No Sleep ´till Hammersmith, zum Superstar auf.
Danach konnte es nur in eine Richtung gehen - vorerst: „Was sollte man nach einem Livealbum, das es auf Nummer eins geschafft hatte, noch bringen? Wir waren am Arsch, augenblicklich.“ Es folgten zahlreiche Besetzungswechsel, unzählige Todsagungen durch die Presse – wie soll man auch eine Band über den grünen Klee loben, die von sich selbst behauptet, wenn sie neben an einziehe, stürbe dein Rasen? – und noch mehr Comebacks.
Momentan ist es mal wieder so weit: Motörhead spielen in großen Hallen, der Dokumentarfilm “Lemmy: The Movie” feierte vor kurzem in Berlin Premiere (erscheint am 13. Januar auf DVD), selbst eine Sammlung der originellsten Sprüche des Heavy-Metal-Urgesteins, „Lemmy Talking“ (Schwarzkopf & Schwarzkopf, 2010), kam heraus.
Was hat es mit dem späten Erfolg auf sich? Gehen die Leute aus denselben Gründen zu einer Motörhead-Show, die sie auch in Dinosaurier-Ausstellungen treiben? Eine Mischung aus naturhistorischem Interesse und Sensationsgier? Oder liegt es daran, dass sich Lemmy um die Jeansjacke als Kulturphänomen und das Fortbestehen der Weiße-Cowboystiefe-Industrie besonders verdient gemacht hat?
Fest steht, dass Motörhead in ihrer Kompromisslosigkeit und ihrem unerschütterlichen Glauben an die Kraft der Rock´n´Roll-Musik der kleinste gemeinsame Nenner von Punkern, Rockern und Metal-Fans sind, also quasi Völkerverbindenden Charakter haben. Darin sind sie allenfalls AC/DC vergleichbar.
Heute könne „niemand verstehen, wie schlimm es vor dem Rock´n´Roll war! Ich meine, bevor wir laute Musik hatten, gab es für uns nur Frank Sinatra, Lita Roza, Ronnie Carroll und Dickie Valentine“, sagt Lemmy. Diese albtraumhafte Erfahrung scheint für ihn der Antrieb zu sein, niemals aufzugeben.
Somit ist dieses in Whiskey konservierte Denkmal des Hedonismus der einzig verbliebene Rock´n´Roller von echtem Schrot und Korn. Gut, es gibt noch Keith Richards, aber selbst dem Rolling Stone hat der Motörhead noch was voraus: Inspiriert von Berichten, der ähnlich feierfreudige Richards lasse regelmäßig sein Blut austauschen, habe er dies ebenfalls versuchen wollen, erzählt Lemmy. „Wir suchten also meinen Arzt auf und ließen mein Blut untersuchen. Als wir am nächsten Tag wiederkamen, sagte er mir: „was immer Sie tun, lassen Sie nicht ihr Blut austauschen – sauberes blut würde Sie umbringen!“ Mein Blut hatte sich in eine Art Bio-Suppe verwandelt – darin waren alle möglichen Spurenelemente zu finden.“
Bleibt zu hoffen, dass die eigene Vorhersage des Rock´n´Roll Mutanten Lemmy, „ich spiele, bis ich siebzig bin. Dann falle ich tot von der Bühne“, nicht eintritt. Er lebe das Leben eines 25-Jährigen, es sei eben nur ein sehr ausgedehntes 25. Lebensjahr, sagte er mal sinngemäß. Stellen wir uns also einfach vor, dass er langsam auf die 30 zugeht.
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