Bei Alltagsrock-Benutzern wird der Name Saint Vitus kaum mehr als ein Schulterzucken auslösen, anderen wird vielleicht ein an Kiosken erhältlicher Kräuterbitter in den Sinn kommen. Doom-Aficionados hingegen, versetzt sein Klang in den Zustand höchster Verzückung. Allerdings scheint diese Unterart der Gattung Heavy-Metal-Fan in der Region Braunschweig vom Aussterben bedroht. Nur knapp zweihundert vorwiegend männliche stark behaarte Exemplare versammelten sich am Sonntag, 19. Dezember, in der Meier Music Hall, um dem Schutzheiligen des Tanzes zu Huldigen.
Nun ist es für die 1979 in Los Angeles gegründete Band, die mit anderen wie Pentagram, Trouble oder The Obsessed zu den Vorreitern der zweiten Doom-Metal-Welle gehört – die erste bestand bekanntlich allein aus Black Sabbath, an deren düster schwerem schleppenden Sound sich diese Gruppen Anfang der 80er orientierten – nichts neues, mit Erfolglosigkeit geschlagen zu sein, ein wenig mehr Aufmerksamkeit wäre allerdings angemessen.
Zurück zum Geschehen: The Graviators übernehmen den Part der Anheizer. Mit raffiniert monotonem Psychedelic-Rock gelingt es den Schweden im nu, das Publikum aus der winterlichen Apathie zu reißen. Sänger Niklas Sjöberg überzeugt mit starker ein wenig an Ozzy Osbourne erinnernder Stimme und typisch nordischer Trinkfestigkeit: 6 Bier kippt der Mann während des Auftritts und fungiert danach noch als Drumroadie für die Hauptband.
Die Altmeister selbst beginnen hingegen etwas, ähem, schleppend. Die Band um Sänger Scott „Wino“ Weinrich, einem der unbesungensten Helden des Genres, das er neben Saint Vitus mit unzähligen anderen Bands wie The Obsessed, Spirit Caravan, Place of Skulls, The Hidden Hand, und zuletzt als Solokünstler sowie mit dem All-Star-Projekt Shrinebuilder geprägt hat, und Saitenhechser Dave Chandler, der mit Stirnband und Waldschratfrisur wirkt wie aus der Zeit gefallen, präsentiert sich spielerisch deutlich besser als auf der letztjährigen Tour. Das liegt vor allem an Chandlers offensichtlich wieder gewonnener geistiger und körperlicher Frische, als auch am neuen Trommler Henry Vasquez, der den zuletzt arg von gesundheitlichen Problemen gezeichneten und kürzlich verstorbenen Armando Acosta würdig vertritt. Trotzdem will der Funke nicht so recht überspringen. Lustlosigkeit auf und vor der Bühne.
Nach ein paar Songs gelingt es Saint Vitus aber schließlich, sich an den eigenen langen Haaren aus dem Sumpf der Depression zu ziehen. Wino reckt die tätowierten Fäuste gen Himmel und röhrt wie ein verwundeter Hirsch. Chandler wiegt wie im Fieber den Oberkörper und verfällt in seine typischen wahnhaft geschredderten Gitarrensoli. Selbst dem stoischen Mark Adams am Bass entkommt ein Lächeln. Die Fans taumeln zunehmend im Veitstanz umher. Die Setlist ist unwiderstehlich. Sie glänzt mit selten gehörten Perlen aus den Tiefen des Backkatalogs. Sich in Zeitlupe heranwälzende Unheilshymnen wie „Mystic Lady“, „White Stallions“, „Look Bhind You“ oder gar „Saint Vitus Dance“ und natürlich der Evergreen "Born Too Late" lassen das Herz langsamer Schlagen. Gleich ganz aussetzen will es, als Saint Vitus einen neuen Song (!) ankündigen, der sich nahtlos zwischen die Großtaten vergangener Tage einfügt und obendrein auf einem neuen Album (!!) veröffentlicht werden soll.
„Wir haben sechs oder sieben Songs zusammen“, erklärt Wino nach einem doch noch großartigen Konzert. „Wenn alles glatt geht kann die Platte in der zweiten Jahreshälfte 2011 erscheinen.“ Die Probleme mit Chandler, die 1991 zum Split führten, seien schon vor der ersten Reunion 2003 ausgeräumt worden, beteuert der Harley-Fan, der zuhause gerade an einer alten Shovel- und einer Panhead herumschraubt. „Aus irgendeinem Grund interessieren sich die Leute inzwischen wieder für Classic-Rock. Warum weiß ich nicht, vielleicht liegt´s am Internet, dass uns junge Fans wieder entdecken. Also macht eine Veröffentlichung Sinn. Trotzdem mache ich das nicht des Geldes wegen, sondern weil ich diese Musik liebe und den Menschen eine Freude machen will.“ Alles andere würde angesichts des gestrigen Publikumsinteresses ganz ofensichtlich auch überhaupt keinen Sinn machen.
Der Text erschien am 21.12.2010 in der Braunschweiger Zeitung.
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen