Sie sind laut, sie sind hart und sie bringen Geschenke: Motörhead, die legendäre Rock´n´Roll-Band, geht traditionell in der Vorweihnachtszeit auf Deutschland-Tour. Am Mittwoch, 1. Dezember, spielten sie in der AWD-Halle Hannover vor vollem Haus. Echte Motörheadbanger lassen sich von Lapalien wie Schneetreiben eben nicht abhalten.
Denn die Gruppe ist so etwas wie die katholische Kirche des Hardrock: Der älteste institutionelle Hüter einer Weltanschauung. Hier die Musik, dort die Religion - die Übergänge sind fließend, die Parallelen offensichtlich.
Augenfällig ist nicht nur der Geburtstermin von Sänger und Oberhaupt Ian "Lemmy" Kilmister: Heiligabend. Analog auch die etwas anachronistische Organisationsstruktur als Power-Trio, dem als Trinität von Gitarre, Bass und Schlagzeug in den 60er Jahren populär gewordenen Bandformat.
Ebenfalls entsprechend ist das für eine Rockband biblische Alter. Die aktuelle Platte The Wörld Is Yours ist Album Nummer 20, entstanden im 35. Bandjahr und veröffentlicht kurz vor Lemmys 65. Wiegenfest.
Doch kein Grund zur Sorge: Der Mann in Schwarz, wie immer in Hemd, engen Jeans und Cowboystiefeln, kann seinen Schäfchen auch kurz vorm Rentenalter noch kräftig die Leviten lesen. Mit Verve eröffnen Hochwürden Lemmy und seine Messdiener, Gitarrist Philip Campbell (49) und Trommler Mikkey Dee (47) ihre 90-minütige Messe.
Choräle werden keine gesungen: "We Are Motörhead" heißt selbstbewusst der erste Song, ein feurig galoppierendes Rockmustang aus der jüngeren Bandgeschichte. Die nimmt bei der Liedauswahl überhaupt erstaunlich großen Raum ein. Mit ganz neuen Titeln wie "Get Back In Line" und "I Know How To Die" - gern hätte man vom neuen, den herrlich räudigen Metal-Rock-Charme der Orgasmatron-Tage versprühenden Album mehr gehört - entstammt ein Drittel der Songs dem neuen Milemmyum, Verzeihung Millenium.
Für manche Rock-Pharisäer ist das, als würde in der Sonntagsschule statt der guten alten Genesis plötzlich nur noch das jüngste Buch der Bibel, das Buch Daniel, gelesen. Doch wer will ewig den gleichen Sermon hören?
Noch mehr Abwechslung wäre gut gewesen. Zum Beispiel die kürzlich für Bierwerbung eingespielte Blues-Version des Evergreens Ace Of Spades. Aber vielleicht wäre das zu revolutionär für so eine altehrwürdige Institution, auch wenn sie Motörhead heißt.
Erschienen in der Braunschweiger Zeitung, 3. Dezember 2010, Kultur, Seite 16.
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