Ist doch albern: Helge Scheinder 2009 in Uhingen. Foto: AngMoKio |
Wer in den 90er Jahren mit Popkultur sozialisiert wurde, der kam an Helge Schneider nicht vorbei: „Die singende Herrentrorte“ aus Mühlheim an der Ruhr bevölkerte mit Blödel-Hits wie „Katzeklo“, „Es gibt Reis, Baby“ oder „Telefonmann“ die Charts und WG-Partys. Doch irgendwann war man des „albernen Helge“ mit seinen Reinhold Messner-Parodien überdrüssig. Wie dieser seinem Superstar-Status übrigens auch. Man selbst wandte sich irgendwann wieder ernsteren Interpreten zu wie Johnny Cash oder Machine Head, Schneider schrieb Krimis. Der Wiederbegegnung nach 20 Jahren an einem Märzfreitag im Baden-Badener Festspielhaus ging folglich dasselbe Gefühl voraus, was man gemeinhin vor Klassentreffen hegt: Klar, man fand früher dieselben Bands gut und dieselben Lehrer doof, aber reicht das nach Jahrzehnten noch als Basis um wenigstens einen gemeinsamen Abend mit Anstand über die Bühne zu kriegen?
Doch dann schlurft Helge Schneider auf die Bühne und sagt:
„Mein Helge ist Name Schneider und ich bin hier, um Sie zum Lachen zu bringen.“
Und – man lacht. „Okay, dann kann ich ja wieder gehen“, fährt Helge Schneider
fort. Und alles ist wie früher.
Oder auch nicht: Denn Schneider ist weit davon entfernt den
Blödelbarden mit Plateausohlen zu geben. Statt Haarteil und bunte Anzüge trägt
Schneider heute Frack – okay, auf den Rücken ist mit Kreide das Wort „dof“
(sic!) gekritzelt. Sein Vorhaben, sich ans Piano zu setzen, zerdehnt er virtuos
ausufernd auf eine Viertelstunde. Dass er am Ende nicht das Klavier zum Stuhl
trägt wie einst Clown Grock ist eigentlich alles was fehlt, um dem Fass die
Krone ins Gesicht zu schlagen.
Überhaupt ist der Helge Schneider von 2017 mehr Musik Clown
als Komiker oder Entertainer: Ein erster Höhepunkt ist eine Nummer, in der er
sein Klavierspiel mit chargierenden, die Gefühlslage des Stückes total
übersteigernden Gesten begleitet (oder umgekehrt). Das ist so brüllend komisch
und gleichzeitig so locker dargeboten, dass schnell klar wird, warum der
61-Jährige als einer der versiertesten deutschen Musiker gilt. Seit seinem
fünften Lebensjahr spielt Scheider Klavier. Nachdem er ein
Sonderbegabten-Programm am Duisburger Konservatoriums abgebrochen hatte, wandte
er sich dem Jazz
zu. Einmal er vom Bundesverband Klavier als „Klavierspieler des Jahres“
ausgezeichnet.
Weiter geht es mit Gospel – Schneider singt drei Minuten
lang nur, „Oh, Lord“ –, Boogie („Käsebrot“) und Blues – Schneider singt zwei
Minuten lang, „I was born“ und dann eine Minute, „I woke up this morning“ und
dann, „then I pee“. Doch Schneider als verkanntes musikalisches Genie zu
interpretieren, das sich wegen Erfolglosigkeit irgendwann aufs Lustigsein
verlegt hat, würde ihm ebenso nicht gerecht.
Und das nicht, weil Schneider heute auch eine politische
Dimension seiner Kunst offenbart. Gleich Jimi Hendrix 1969 in Woodstock „Star
Sprangled Banner“ dekonstruiert er „Einigkeit und Recht und Freiheit“ auf dem
Cello. Seinem bekannten „chinesischen Schlaflied“ („Make, make Heia“) –
gespielt auf der spanischen Gitarre – fügt er die im bedrohlichen Bariton
vorgetragene Arie eines Nazi-Opas an, die darin gipfelt, dass der Alte droht,
mit den Hacken seiner Springerstiefel in die Wiege zu hüpfen. In seiner für ihn
typischen Akomik fügt Schneider an: „Das ist ja die Realität!“
Sein Programm bestreitet Schneider heute weitgehend allein –
im zweiten Teil trägt er Smoking; auf dem Rücken steht jetzt „intiligent“. Doch
ist er Menschenfreund und wohl inzwischen auch reich genug, seinen alten
Bandkumpels einige Kurzauftritte zu gewähren: Sergej Gleithmann (auch bekannt
als kaukasische Bartfrau Gisela Koch) begeistert mit dem Tanz des
Meisenmannes. Und mit „Superdrumming“ Pete York liefert sich Schneider einen
Schlagzeug-Battle wie einst das Tier mit Buddy Rich.
Vielleicht ist das neben aller musikalischen und
komödiantischen Brillanz das eigentliche Erfolgsgeheimnis von Helge Schneider;
ein Menschenfreund zu sein. In seiner Art des freien Assoziierens, bei der
immer wieder Momente der Überraschung entstehen, die für Schneider selbst
manchmal genauso unerwartet sind wie für das Publikum, ist er ja fast so etwas
wie ein Anti-Trump. Eine der finalen Zeilen im letzten Song lautet: „Bald ist
der Mensch abgeschafft und es gibt nur noch Schnösel.“
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