Mittwoch, 28. November 2012

Tod, aber erstaunlich frisch – Jimi Hendrix zum 70ten Geburtstag



Viele, viele Zeitungsspalten wurden in den letzten 66 Jahren gefüllt mit Artikeln über Leben und Werk von Jimi Hendrix. Seit der damals 23-jährige US-Gitarrist an einem frühen – wahrscheinlich nebeligen – Septembermorgen 1966 mit seinem Manager, Ex-Animal-Basser Chas Chandler, im Swinging-London ankam, um mit der bluesversessenen britischen Rock-Aristokratie um Beck und Clapton zuallererst den Boden aufzuwischen und dann seinen weltweiten Siegeszug als einer der stilbildendsten Gitarristen den 20. Jahrhunderts anzutreten. Hendrix´ musikalischer Werdegang bis zu seinem frühen von zahlreichen Verschwörungslegenden umrankten Tod, am 18. September 1970 in einem Londonder Hotelzimmer, wurde somit schon hinreichend seziert. Und wie Lemmy Kilmister mir neulich im Interview gesagt hat: „Es ist nur ein Geburtstag, ein zeitlicher Zufall, das bedeutet überhaupt nichts. Ich glaube auch nicht, dass Hendrix seinem Geburtstag ihrgendeine Bedeutung beigemessen hat. Wahrscheinlich hat er sich die meiste Zeit an seinen eigenen verdammten Geburtstag sowieso nicht erinnert. Wir waren die ganze Zeit verstrahlt.“  
Wie begeht man also diesen 70. Geburtstag, den James Marshall Hendrix am gestrigen Dienstag, 27. November, gefeiert hätte? Man legt einfach mal wieder seine Platten auf; möglichst unbefangen. Zumindest jene, die er zu Lebzeiten nach eigenem Willen veröffentlicht hat.
„Purple Haze“, der Eröffnungssong  auf „Are You Experienced?“, dem 1967 erschienen Debüt der Jimi Hendrix Experience, wirkt mit seinem pumpenden Beat, ikonischem Gitarrenlick und Hendrix´ genial phrasiertem Gesang auch anno 2012 so frisch, als käme er gerade aus dem Presswerk. Lediglich die psychedelischen Zwischenspiele klingen für heutige Ohren leicht antiquiert. „Manic Depression“, ein im dreivierteltakt einherpolterndes Groove-Monster mit endcoolen Breaks, würde auch aus dem Repertoire aktueller Stoner-Rock-Helden wie Red-Fang oder Queens of the Stone Age positiv herausstechen. Extrem lässiges Riffing, legere Licks, Vintage-Uhh-Uhh-Chöre und ein so lakonischer wie einprägsamer Refrain: Die „Billy“ Roberts-Nummer „Hey Joe“ hätte, vielleicht nicht jetzt, aber in den 90ern allemal, zum Monsterhit getaugt. Ein nettes Liebesliedchen im Rumba-Rhythmus ist „May This Be Love“; nicht mehr, nicht weniger. „I Don't Live Today“  bleibt in überbordenden Jam-Wucherungen hängen, trotz apart phrasiertem Chorus. Pure Liebesmagie versprüht hingegen „The Wind Cries Mary“. Und „Fire“ versengt einem kraft des minimalistischen Riffs, funkigen Rhythmus und Mitch Mitchells Oktopus-Drummings noch immer die Haare im Ohr – Garagenrock vom feinsten.  Dagegen kann „Third Stone From The Sun“, dessen abstruse Stimmeffekte  nach Darth-Vader mit verstopfter Nase klingen, heute nur noch als skurriles Zeitdokument gelten. „Foxy Lady“ hingegen ließe noch heute in jedem Strip-Club  die geilen Straßenköter hecheln.  Und einen perfekteren Rausschmeisser für eine durchzechte Nacht im Indie-Club, als „Are You Experienced“, kann man suchen. „Are You Experienced“ ist roh, brachial, unverfälscht gefühlvoll und daher zeitlos.
Nach dem Hendrix mit dieser Scheibe, und Auftritten, bei denen er mit seinem Mund Soli spielte, die andere nicht mit den Händen gemeistert hätten, den Blues bereits in die Stratosphäre befördert  hatte, hob er ein halbes Jahr später mit „Axis: Bold as Love” erst so richtig ab. Mit Fliegenden-Untertassen-Rock entführt uns Captain Hendrix in bislang unerhörte Weiten seines Klanguniversums. Wobei er mit seiner schwerelosen Überschall-Gitarre allerlei waghalsige Manöver vollführt. Er lässt sie trudeln, flattern, schlingern, Loopings vollführen oder wie einen Stuka aufheulen – und zeigt der Welt en passant, wie man ein wahrhaft melodisches Gitarrensolo spielt.
Leider haben viele der hinzugefügten – damals bahnbrechenden – Sound- und Effekt-Spielereien über die Jahrzehnte Faszination eingebüßt: Nach dem albernen Ufo-Intro und der nervigen Feedbackorgie „EXP“ kann man daher auch beim beschwingt swingenden „Up from the Skies“ getrost die Skip-Taste drücken.  Das erste Highlight ist „Spanish Castle Magic”, dessen witziger Text (“It´s very far away, it takes a bottle every day to get there”), scharfes Riff und schreiendes, leider ausfadendes, Solo bezaubern. “Ain't No Telling“ erfreut als brillanter funkiger Garagenrock. „Little Wing“, sicher eine der anrührendsten und vor liebevoller Details strotzendsten Ballade der Rock-Geschichte, strapaziert heutige Ohren allerdings mit seinen wabernden Klangeffekten. Nicht so der markerschütternde Proto-Metal-Stampfer „If 6 Was 9“. “You’ve Got Me Floating” geht als wüster Urahn von Lenny Kravitz´ “Are You gonna go my way” durch. “Castles Made Of Sand” wartet einmal mehr mit begeisternden Gesangsphrasierungen auf. „One Rainy Wish“ wiederum hat einigen wirr flitternden Gitarreneffekt-Schabernack zu bieten, verliert sich ansonsten aber in recht belanglosem Hippie-Gedudel. „Little Miss Lover“ verführt mit funkigem Groove und einigen coolen Licks, der mit allerlei Klang-Tand überladene Gesang allerdings lässt die Romanze recht schnell abkühlen.
In seiner Zeit war „Axis“ sicher ein soundtechnisch wegweisendes Werk, dessen eigentlich mehrheitlich sehr gelungene Kompositionen aber an einem Übermaß an Effekten krankten. Kein Wunder, dass Chas Chandler den Produzentenjob nach der Hälfte der Aufnahmen frustriert von Hendrix Spieltrieb an den Nagel hängte. Insgesamt zu viel Schnickschnack. Hendrix Pionierleistung, mit einer Fender Strat Dinge zu tun, für die sie sicher nicht konstruiert worden war, bleibt davon freilich unberührt.
„Electric Ladyland“, der von Hendrix selbst produzierte Schwanengesang der Experience, erschien 1968 Doppel-LP. Nach einigem Geplänkel (“...And The Gods Made Love”, “Have You Ever Been”) bohrt sich “Crosstown Traffic“ wie ein glühender Draht in den Hörnerv. Ein fiebriger Groove-Rocker, Du kannst die Luft in der drückenden Sommerhitze über dem Asphalt der Straßen von New York, wo die Aufnahme entstand, förmlich flimmern sehen. Der absolut fesselnde, satanische Sumpf-Blues-Jam „Voodoo Chile“, veredelt von Steve Winwoods kreischender Orgel und Mitch Mitchells einmal mehr tollkühnem Getrommel kann als Sternstunde des Genres gelten. Einen krassen, wenn auch nicht gänzlich misslungenen Gegensatz bildet da Bass-Mann Noel Reddings Bubble-Gum-Power-Pop Nummer „Little Miss Strange“. „Long Hot Summer Night“ kommt dann wieder äußerst entspannt daher. Super relaxt, wie ein süßlich riechender knisternd abbrennender Riesen-Yogi an einem lauen Frühsommernachmittag. Fffffhhhh-pfffuuhhhh, aahhhhhhh. Nicht unverzichtbar, aber immerhin flott ist „Come On“. Earl Kings von der Experience etwas aufgepimpter Rhythm and Blues-Hupfer. Das Gitarren-Lick von „Burning Of The Midnight Lamp“ klingt ein wenig nach 80er Jahre-Fernsehserien-Titelmelodie, was einen feinen Gegensatz zu den schwankend schwebenden psychedelischen Chören ergibt.  Leicht abgehoben ist auch „Rainy Day, Dream Away“, ein verhuschter Pillen-Swing mit sprechender Gitarre. Jetzt, „1983... (A Merman I Should Turn To Be. Hendrix´ ureigene Glücksbärchi-Apokalypse. Ein fast vierzehnminütiges Mammut von einem Werk. Ein Mammut allerdings, das rosa Seifenblasen aus seinem flauschig behaarten Rüssel bläst (die Haare sind Lila), die sich am Himmel in freundlich winkende Lachmöwen verwandeln, um dann von zischenden insektoiden Kampffliegern hinweggefegt zu werden. Genial, sollte zwischendurch bei den Treffen des Koalitionsausschusses von CDU und FDP gespielt werden. Infernalisch auch der forsche Feuerwehr-Tango „House Burning Down“, eine vergessene Perle zweifellos. Den krönenden Abschluss bildet Dylans „All Along The Watchtower“. Die glitzernden und schillernden von Hendrix in endlosen Stunden wie in einem himmelsstürmenden Kaleidoskop turmhoch aufeinandergeschichteten Gitarrenspuren  repräsentieren das vielleicht schönste und seelenvollstes Spiel, zu dem dieser Mann fähig war. Dem steht „Voodoo Child (Slight Return)“ nur in Nuancen nach. Das glorreiche, leicht verschleppte Riffing, und der aufreizende Sprechgesang machten den Song zur Hendrix-Nationalhymne, hätte er sich später nicht kurzerhand die amerikanische zu Eigen gemacht.
„Ladyland“ ist insgesamt vielleicht nicht ganz so unverblümt wie das Erstlingswerk, aber direkter als „Axis“ und mit reichlich Song-Perlen bestückt.
Bleibt „Band of Gypsys“, das von Hendrix 1970 mit der gleichnamigen Post-Experience-Formation herausgebrachte Live-Album. Wie behauptet wird, ein unterbewertetes Stück Vinyl. Nun, Hendrix´Army-Kumpel Billy Cox erweist sich am Bass als vitaler, Jimis springflutartige Gitarrenkaskaden raffiniert aber unaufdringlich kanalisierender Gegenspieler, der so einfallslose wie wichtigtuerische Billy Cox am Schlagzeug hingegen als bloßer Passant. Die energetische Garagen-Rock-Attacke der frühen Jahre fehlt hier fast völlig. Die endlosen Jams, von Jimis äußerst sparsam eingesetztem Gesangstalent nur sporadisch aufgelockert, kurieren auf Dauer jede Insomnia. Nichtsdestotrotz enthält „Band of Gypsys“ mit dem beängstigenden Blutnebel-Blues „Machine Gun“ einen letzten Höhepunkt in Hendrix Schaffen. Unterm Strich mehr ein Album für Musiker – Gitarristen insbesondere, versteht sich.
Am Ende dieses Abhörmarathons steht die Erkenntnis, dass dem Musiker Hendrix vom nagenden Zahn der Zeit weit weniger Gefahr droht, als von seinem eigenen den Horizont verdunkelnden Mythos. Der verstellt nämlich allzu leicht den Blick aufs Wesentliche: die wunderschönen Songs und das von Hendrix´ selbst verleugnete Gesangsgenie. Wiederentdecken lohnt sich. Alles Gute zum Geburtstag Jimi, hope you´re still floating!

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen