Viele, viele Zeitungsspalten wurden in den letzten
66 Jahren gefüllt mit Artikeln über Leben und Werk von Jimi Hendrix. Seit der
damals 23-jährige US-Gitarrist an einem frühen – wahrscheinlich nebeligen –
Septembermorgen 1966 mit seinem Manager, Ex-Animal-Basser Chas Chandler, im
Swinging-London ankam, um mit der bluesversessenen britischen Rock-Aristokratie
um Beck und Clapton zuallererst den Boden aufzuwischen und dann seinen
weltweiten Siegeszug als einer der stilbildendsten Gitarristen den 20.
Jahrhunderts anzutreten. Hendrix´ musikalischer Werdegang bis zu seinem frühen
von zahlreichen Verschwörungslegenden umrankten Tod, am 18. September 1970 in
einem Londonder Hotelzimmer, wurde somit schon hinreichend seziert. Und wie
Lemmy Kilmister mir neulich im Interview gesagt hat: „Es
ist nur ein Geburtstag, ein zeitlicher Zufall, das bedeutet überhaupt nichts.
Ich glaube auch nicht, dass Hendrix seinem Geburtstag ihrgendeine Bedeutung
beigemessen hat. Wahrscheinlich hat er sich die meiste Zeit an seinen eigenen
verdammten Geburtstag sowieso nicht erinnert. Wir waren die ganze Zeit verstrahlt.“
Wie begeht
man also diesen 70. Geburtstag, den James Marshall Hendrix am gestrigen
Dienstag, 27. November, gefeiert hätte? Man legt einfach mal wieder seine
Platten auf; möglichst unbefangen. Zumindest jene, die er zu Lebzeiten nach
eigenem Willen veröffentlicht hat.
„Purple Haze“, der Eröffnungssong auf „Are You Experienced?“, dem 1967
erschienen Debüt der Jimi Hendrix Experience, wirkt mit seinem pumpenden Beat,
ikonischem Gitarrenlick und Hendrix´ genial phrasiertem Gesang auch anno 2012
so frisch, als käme er gerade aus dem Presswerk. Lediglich die psychedelischen
Zwischenspiele klingen für heutige Ohren leicht antiquiert. „Manic Depression“,
ein im dreivierteltakt einherpolterndes Groove-Monster mit endcoolen Breaks,
würde auch aus dem Repertoire aktueller Stoner-Rock-Helden wie Red-Fang oder
Queens of the Stone Age positiv herausstechen. Extrem lässiges Riffing, legere
Licks, Vintage-Uhh-Uhh-Chöre und ein so lakonischer wie einprägsamer Refrain:
Die „Billy“ Roberts-Nummer „Hey Joe“ hätte, vielleicht nicht jetzt, aber in den
90ern allemal, zum Monsterhit getaugt. Ein nettes Liebesliedchen im
Rumba-Rhythmus ist „May This Be Love“; nicht mehr, nicht weniger. „I Don't Live
Today“ bleibt in überbordenden
Jam-Wucherungen hängen, trotz apart phrasiertem Chorus. Pure Liebesmagie
versprüht hingegen „The Wind Cries Mary“. Und „Fire“ versengt einem kraft des
minimalistischen Riffs, funkigen Rhythmus und Mitch Mitchells Oktopus-Drummings
noch immer die Haare im Ohr – Garagenrock vom feinsten. Dagegen kann „Third Stone From The Sun“,
dessen abstruse Stimmeffekte nach
Darth-Vader mit verstopfter Nase klingen, heute nur noch als skurriles
Zeitdokument gelten. „Foxy Lady“ hingegen ließe noch heute in jedem
Strip-Club die geilen Straßenköter
hecheln. Und einen perfekteren
Rausschmeisser für eine durchzechte Nacht im Indie-Club, als „Are You
Experienced“, kann man suchen. „Are You Experienced“ ist roh, brachial,
unverfälscht gefühlvoll und daher zeitlos.
Nach dem Hendrix mit dieser Scheibe, und
Auftritten, bei denen er mit seinem Mund Soli spielte, die andere nicht mit den
Händen gemeistert hätten, den Blues bereits in die Stratosphäre befördert hatte, hob er ein halbes Jahr später mit
„Axis: Bold as Love” erst so richtig ab. Mit Fliegenden-Untertassen-Rock
entführt uns Captain Hendrix in bislang unerhörte Weiten seines
Klanguniversums. Wobei er mit seiner schwerelosen Überschall-Gitarre allerlei
waghalsige Manöver vollführt. Er lässt sie trudeln, flattern, schlingern,
Loopings vollführen oder wie einen Stuka aufheulen – und zeigt der Welt en
passant, wie man ein wahrhaft melodisches Gitarrensolo spielt.
Leider haben viele der hinzugefügten –
damals bahnbrechenden – Sound- und Effekt-Spielereien über die Jahrzehnte
Faszination eingebüßt: Nach dem albernen Ufo-Intro und der nervigen
Feedbackorgie „EXP“ kann man daher auch beim beschwingt swingenden „Up from the
Skies“ getrost die Skip-Taste drücken. Das erste Highlight ist „Spanish Castle Magic”, dessen
witziger Text (“It´s very far away, it takes a bottle every day to get there”),
scharfes Riff und schreiendes, leider ausfadendes, Solo bezaubern. “Ain't
No Telling“ erfreut als brillanter funkiger Garagenrock. „Little Wing“, sicher
eine der anrührendsten und vor liebevoller Details strotzendsten Ballade der
Rock-Geschichte, strapaziert heutige Ohren allerdings mit seinen wabernden
Klangeffekten. Nicht so der markerschütternde Proto-Metal-Stampfer „If 6 Was
9“. “You’ve Got Me Floating” geht als wüster Urahn von Lenny Kravitz´ “Are You
gonna go my way” durch. “Castles Made Of Sand” wartet einmal mehr mit
begeisternden Gesangsphrasierungen auf. „One Rainy Wish“ wiederum hat einigen
wirr flitternden Gitarreneffekt-Schabernack zu bieten, verliert sich ansonsten
aber in recht belanglosem Hippie-Gedudel. „Little Miss Lover“ verführt mit
funkigem Groove und einigen coolen Licks, der mit allerlei Klang-Tand
überladene Gesang allerdings lässt die Romanze recht schnell abkühlen.
In seiner Zeit war „Axis“ sicher ein
soundtechnisch wegweisendes Werk, dessen eigentlich mehrheitlich sehr gelungene
Kompositionen aber an einem Übermaß an Effekten krankten. Kein Wunder, dass
Chas Chandler den Produzentenjob nach der Hälfte der Aufnahmen frustriert von
Hendrix Spieltrieb an den Nagel hängte. Insgesamt zu viel Schnickschnack.
Hendrix Pionierleistung, mit einer Fender Strat Dinge zu tun, für die sie
sicher nicht konstruiert worden war, bleibt davon freilich unberührt.
„Electric Ladyland“, der von Hendrix
selbst produzierte Schwanengesang der Experience, erschien 1968 Doppel-LP. Nach
einigem Geplänkel (“...And The Gods Made Love”, “Have You Ever Been”) bohrt
sich “Crosstown Traffic“ wie ein glühender Draht in den Hörnerv. Ein fiebriger Groove-Rocker,
Du kannst die Luft in der drückenden Sommerhitze über dem Asphalt der Straßen
von New York, wo die Aufnahme entstand, förmlich flimmern sehen. Der absolut
fesselnde, satanische Sumpf-Blues-Jam „Voodoo Chile“, veredelt von Steve
Winwoods kreischender Orgel und Mitch Mitchells einmal mehr tollkühnem
Getrommel kann als Sternstunde des Genres gelten. Einen krassen, wenn auch
nicht gänzlich misslungenen Gegensatz bildet da Bass-Mann Noel Reddings
Bubble-Gum-Power-Pop Nummer „Little Miss Strange“. „Long Hot Summer Night“
kommt dann wieder äußerst entspannt daher. Super relaxt, wie ein süßlich
riechender knisternd abbrennender Riesen-Yogi an einem lauen
Frühsommernachmittag. Fffffhhhh-pfffuuhhhh, aahhhhhhh. Nicht unverzichtbar,
aber immerhin flott ist „Come On“. Earl Kings von der Experience etwas
aufgepimpter Rhythm and Blues-Hupfer. Das Gitarren-Lick von „Burning Of The
Midnight Lamp“ klingt ein wenig nach 80er Jahre-Fernsehserien-Titelmelodie, was
einen feinen Gegensatz zu den schwankend schwebenden psychedelischen Chören
ergibt. Leicht abgehoben ist auch „Rainy
Day, Dream Away“, ein verhuschter Pillen-Swing mit sprechender Gitarre. Jetzt, „1983... (A Merman I Should Turn To Be.
Hendrix´ ureigene Glücksbärchi-Apokalypse. Ein
fast vierzehnminütiges Mammut von einem Werk. Ein Mammut allerdings, das rosa
Seifenblasen aus seinem flauschig behaarten Rüssel bläst (die Haare sind Lila),
die sich am Himmel in freundlich winkende Lachmöwen verwandeln, um dann von
zischenden insektoiden Kampffliegern hinweggefegt zu werden. Genial, sollte
zwischendurch bei den Treffen des Koalitionsausschusses von CDU und FDP
gespielt werden. Infernalisch auch der forsche Feuerwehr-Tango „House Burning
Down“, eine vergessene Perle zweifellos. Den krönenden Abschluss bildet Dylans
„All Along The Watchtower“. Die glitzernden und schillernden von Hendrix in
endlosen Stunden wie in einem himmelsstürmenden Kaleidoskop turmhoch
aufeinandergeschichteten Gitarrenspuren
repräsentieren das vielleicht schönste und seelenvollstes Spiel, zu dem
dieser Mann fähig war. Dem steht „Voodoo Child (Slight Return)“ nur in Nuancen
nach. Das glorreiche, leicht verschleppte Riffing, und der aufreizende
Sprechgesang machten den Song zur Hendrix-Nationalhymne, hätte er sich später
nicht kurzerhand die amerikanische zu Eigen gemacht.
„Ladyland“ ist insgesamt vielleicht
nicht ganz so unverblümt wie das Erstlingswerk, aber direkter als „Axis“ und
mit reichlich Song-Perlen bestückt.
Bleibt „Band of Gypsys“, das von Hendrix
1970 mit der gleichnamigen Post-Experience-Formation herausgebrachte
Live-Album. Wie behauptet wird, ein unterbewertetes Stück Vinyl. Nun,
Hendrix´Army-Kumpel Billy Cox erweist sich am Bass als vitaler, Jimis
springflutartige Gitarrenkaskaden raffiniert aber unaufdringlich
kanalisierender Gegenspieler, der so einfallslose wie wichtigtuerische Billy
Cox am Schlagzeug hingegen als bloßer Passant. Die energetische
Garagen-Rock-Attacke der frühen Jahre fehlt hier fast völlig. Die endlosen
Jams, von Jimis äußerst sparsam eingesetztem Gesangstalent nur sporadisch
aufgelockert, kurieren auf Dauer jede Insomnia. Nichtsdestotrotz enthält „Band
of Gypsys“ mit dem beängstigenden Blutnebel-Blues „Machine Gun“ einen letzten
Höhepunkt in Hendrix Schaffen. Unterm Strich mehr ein Album für Musiker –
Gitarristen insbesondere, versteht sich.
Am Ende dieses Abhörmarathons steht die
Erkenntnis, dass dem Musiker Hendrix vom nagenden Zahn der Zeit weit weniger
Gefahr droht, als von seinem eigenen den Horizont verdunkelnden Mythos. Der
verstellt nämlich allzu leicht den Blick aufs Wesentliche: die wunderschönen
Songs und das von Hendrix´ selbst verleugnete Gesangsgenie. Wiederentdecken
lohnt sich. Alles Gute zum Geburtstag Jimi, hope you´re still floating!
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