Sonntag, 24. November 2013

Rotze und Blut - Den alten Kämpfer Billy Bragg wirft auch eine Erkältung nicht um

Das Beste an Billy Bragg ist nicht seine Musik, nicht sein unermüdlicher Kampf gegen soziale Ausbeutung und einen entfesselten Manchester-Kapitalismus – es ist sein Humor. Das letzte Mal, als er vor einem Auftritt wegen einer schlimmen Erkältung so schlecht bei Stimme gewesen sei und er sich deshalb gesorgt habe, die Erwartungen des Publikums nicht erfüllen zu können, habe ihm sein Manager tröstend den Arm um die Schultern gelegt und gesagt: „Billy, niemand kommt, um dich Singen zu hören.“ Ob es sich auch am Mittwoch, 13.11., im Tollhaus so verhielt, sei mal dahingestellt. Jedenfalls versprach der Singer-Songwriter aus Essex zum Ausgleich für seine verminderten Gesangsqualitäten ein „ganz besonders ehrliches und menschliches Konzert“.
Billy Bragg beim Konzert in der Queen Elizabeth Hall, South Bank, am 16. September 2012. Foto: Pete Dunwell
Der 55-Jährige hielt Wort und lieferte unter Anrufung des Geistes des kürzlich verstorbenen Lou Reed, „der es Menschen wie mir, die nicht gut singen können, überhaupt erst ermöglicht hat, eine Karriere im Musikgeschäft zu haben“, einen überaus kurzweiligen Auftritt ab. Selbstironie erwies sich dabei als wirkungsvollste Waffe des Gehandicapten. Den Abend eröffnete Bragg mit dem Song „Way Over Yonder In The Minor Key“, der die widerkehrende Textzeile „Ain't nobody that can sing like me“ enthält.
Am Nachmittag habe er gar Blut ins Waschbecken gespuckt, erzählte Bragg mit belegter Stimme weiter. So sei es Joe Stummer auch oft gegangen, habe ihm Schlagzeuger Luke Bullen, der mit dem The Clash-Sänger gespielt habe, bei dieser Gelegenheit berichtet. „Für mich als alten Punk war das folglich ein großer Augenblick.“ Ganz so schlimm kam es dann gottlob nicht. Zwischen den Songs putzte sich der Sänger, der mit ergrautem Dreitagebart und Westernhemd daherkam wie ein ländlicher Richard Gere, zwar geräuschvoll die Nase, trank organischen „Throat Coat“-Tee und riet dem Publikum in der ersten Reihe, besser ein wenig „Gesundheitsabstand“ zu halten, da er auf keinen Fall auf seine teure Gitarre niesen werde, sondern nach vorne. Aber trotz seiner angeschlagenen Gesundheit scheute er sich nicht, seine vorzügliche Band – besonders CJ Hillman spielte sich mit tollen Slides  in den Vordergrund – für eine ganze Weile von der Bühne zu schicken und alleine zu performen.
Zwischendurch gab es immer wieder Anekdoten aus einem schon dreißig Jahre währenden Musikerleben – und natürlich politische Agitation. Bragg hat schon die erbitterten britischen Bergarbeiterstreiks in den 80ern unterstützt, sich seitdem immer wieder für linke Belange eingesetzt und einen ganzen Fundus sozialistischer Kampflieder („The Red Flag“) aufgenommen. Das geniale an Bragg ist, dass ihm dabei die Sauertöpfigkeit und Blasiertheit vieler Linker völlig abgeht. Die Kunst sei kein Hammer, mit der man die Gesellschaft formen könne, so wie Brecht es sah, verkündet er. „Die Kunst ist ein kleines Tüchlein, mit der man die Feuchtigkeit von beschlagenen Scheiben wischt, damit die Leute klarer sehen.“ Der Mann könnte glatt als Rock´n´Roll-Ausgabe von Gregor Gysi durchgehen!
Immer wieder spielte Bragg Lieder von Folk-Legende Woodie Guthrie. Etwa eine hinreißende Rhythm and Blues-Version von Woodies altem Antifa-Gassenhauer „All You Fascists (Are Bound To Loose)“. Wie aktuell die Lieder des Vaters aller Protestsänger noch immer sind, erläuterte Bragg am Beispiel von „I Ain't Got No Home In This World Anymore“. „Menschen müssen auf der Suche nach Arbeit ihre Heimat verlassen, Familien werden auseinandergerissen und werden aus ihren Häusern vertrieben. Alles nur, damit sich die Bosse immer größere Profite einstecken können.“
Guthrie schrieb den Song vor 75 Jahren. Es ist im Grunde erschreckend, das Billy Bragg ihn noch immer singen muss. Aber es ist gut, dass er es tut – auch mit einem Frosch im Hals.

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