Dienstag, 5. August 2014

Allein unter 75 000 - Ein Metal-Fan in Wacken

Hinter Gittern: King Diamond  Fotos: Crazyfink
Es ist Tag 3 des Wacken Open Airs (WOA). Die Sonne schickt sich an, über dem ausgedörrten schleswig-holsteinischen Grasland unterzugehen, wie in einem blutroten See. Die Luft über dem Festivalgelände ist grau vom Staub, aufgewühlt von der heranrückenden Headbanger-Armee.  Die schwarzgekleideten Horden haben ihre Zeltlager im Umland verlassen und drängen jetzt in Massen durch die Einlasstore. Abends spielen die Bands mit den größten Namen. Soeben betreten Megadeth die gewaltige Zwillingsbühne. An deren Stirnseite prangt ein gewaltiger flammenspeiender Stierschädel. Er ist das Wahrzeichen des WOA, des angeblich größten Metal-Festivals der Welt.
Ahead of the pack: Mark Tornillo, Accept.
Megadeth spielen einen der inspiriertesten Auftritte, den man in jüngerer Vergangenheit von ihnen erleben durfte. Die Thrash-Metal-Protagonisten sind genauso bekannt für halsbrecherische Gitarrenriffs, furiose Soli und grandios missmutigen Gesang, wie für die Launenhaftigkeit ihres Leiters Dave Mustaine. Der heute allerdings vor Spritzigkeit geradezu sprüht und sogar mehrfach in direkten Dialog mit dem Publikum tritt. Ein Freudentag für Liebhaber von Extrem-Musik!
Bass, wir brauchen Bass: Peter Baltes, Accept.
Wende ich den Blick nach rechts, sehe ich einen jungen Mann Anfang 20. Er trägt einen verschmutzten giftgrünen Anzug im Stile von Wigald Boning. Um den Kopf ein Stirnband aus Klebestreifen. Sein geistloser Blick geht ins Leere. Rechter Hand fordert ein korpulenter Mittfünfziger grunzend Umstehende zum Armdrücken heraus. Auf seinem T-Shirt steht „Real Metal for true Bastards“, „Richtiger Metal für echte Mistkerle“. Verbreitet sind auch „Event-Shirts“ von Metal-Kreuzfahrten und natürlich dem WOA. Vorbei hastet ein Mann, weg von der Bühne, er trägt einen bunten Sombrero, sein Körper ist in die mexikanische Flagge gehüllt. Der nächste zeigt mir breit grinsend und unaufgefordert ein Video auf seinem Smartphone. Er hat es beim Crowdsurfing selbst aufgenommen, ein bei Metal-Konzerten beliebter Zeitvertreib, wobei ein Besucher über den Köpfen der Menge nach vorne zum Bühnengraben durchgereicht wird. Man sieht seine Füße und viele Köpfe. Ein Stückchen weiter posieren ein blonder Bartträger im Brautkleid und sein Kumpel in Schottenrock und einem Umhang aus Ziegenfell für Fotos. 
Böse und gefährlich: Kerry King, Slayer.
Obwohl ich von 70 000 Menschen umgeben bin, fühle ich mich plötzlich sehr allein. Als ich begann, mich für diese Art von Musik zu begeistern – es war in den frühen 90er Jahren –, faszinierte mich daran die unglaubliche Energie, die freizusetzen sie in der Lage ist. Die Euphorie, die ein wie Panzerketten durchs Kornfeld aus den Lautsprecherboxen rauschendes Gitarrenriff auslösen kann, ist mit nichts zu vergleichen – außer vielleicht dem Gewinn der Fußballweltmeisterschaft. Ein netter Nebeneffekt war, dass das Establishment, also Eltern und Lehrer, meine Leidenschaft in keiner Weise teilten. Ganz zu schweigen von den Massenmedien. Im Ergebnis durfte man sich als Metal-Fan als Teil eines relativ distinguierten Kreises fühlen. Konzerte fanden quasi unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Die örtliche Metal-Loge traf sich in einer Ecke des Schulhofs und diskutierte leidenschaftlich über die Neuveröffentlichungen von Sodom, Kreator und Saint Vitus. Eine subtilere Form der Kommunikation  waren unsere Band-Hemden: je obskurer, je besser. Wer es etwa schaffte, Hand an ein hierzulande indiziertes Cannibal Corpse-Shirt zu legen, konnte in der Gruppenhierarchie kometengleich vom Akolythen  zum Ehrenprälat aufsteigen.
Hat wieder gut lachen: Motörheads Lemmy Kilmister.
In Wacken indes fühlt man sich als Metalhead inzwischen eher wie ein Indianer nach  Ankunft der Weißen: Merkwürdig aussehende Menschen, die weder seine Sprache verstehen, noch seine Sitten und Gebräuche respektieren, übernehmen die angestammten Lande seiner  Väter, um darauf Fressbuden, Souvenirstände und Spielstätten für Blaskapellen zu errichten.
Es gibt sie zwar auch diesmal wieder beim WOA, die Augenblicke, die Metal-Herzen höher schlagen lassen: Zum Beispiel als Megadeth Skin o` My Teeth“ anstimmen. Oder die Solinger Stahlschmiede Accept krachend die Hämmer niedersausen lassen, dass die Funken stieben. Heaven Shall Burn mit ihrem hochenergetischen Stilmix nahezu aller extremen Spielarten des Metal zeigen, dass das Genre künstlerisch noch lange nicht ausgereizt ist. Slayer zwei riesige umgedrehte Kreuze aus Marshall-Boxen auf die Bühne stellen. Und Motörhead, obwohl Lemmy Kilmister nach dem geundheitsbedingten Abbruch im vergangenen Jahr noch immer etwas abgezehrt wirkt, diesmal ihren Auftritt auf dem WOA wie vorgesehen beenden können.
Trotzdem werde ich mich in Zukunft nach anderen Jagdgründen umsehen. Wo der Metal noch rein und frei von Blasblech-Verunreinigungen ist. Und auf den T-Shirts noch Bandnamen stehen, keine blöden Touristen-Sprüche.
Animateure für Metal-Touristen: Steel Panther.



1 Kommentar:

  1. Sehr schöner Bericht... irgendwie sind mir die Zeiten, als Heavy Metal noch Outlaw- Musik war und keine nachsichtig abgenickte Freakshow auch lieber.

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