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Hinter Gittern: King Diamond Fotos: Crazyfink |
Es ist Tag 3 des Wacken Open Airs (WOA). Die Sonne schickt
sich an, über dem ausgedörrten schleswig-holsteinischen Grasland unterzugehen,
wie in einem blutroten See. Die Luft über dem Festivalgelände ist grau vom
Staub, aufgewühlt von der heranrückenden Headbanger-Armee. Die schwarzgekleideten Horden haben ihre
Zeltlager im Umland verlassen und drängen jetzt in Massen durch die
Einlasstore. Abends spielen die Bands mit den größten Namen. Soeben betreten
Megadeth die gewaltige Zwillingsbühne. An deren Stirnseite prangt ein
gewaltiger flammenspeiender Stierschädel. Er ist das Wahrzeichen des WOA, des
angeblich größten Metal-Festivals der Welt.
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Ahead of the pack: Mark Tornillo, Accept. |
Megadeth spielen einen der inspiriertesten Auftritte, den
man in jüngerer Vergangenheit von ihnen erleben durfte. Die
Thrash-Metal-Protagonisten sind genauso bekannt für halsbrecherische Gitarrenriffs,
furiose Soli und grandios missmutigen Gesang, wie für die Launenhaftigkeit
ihres Leiters Dave Mustaine. Der heute allerdings vor Spritzigkeit geradezu
sprüht und sogar mehrfach in direkten Dialog mit dem Publikum tritt. Ein
Freudentag für Liebhaber von Extrem-Musik!
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Bass, wir brauchen Bass: Peter Baltes, Accept. |
Wende ich den Blick nach rechts, sehe ich einen jungen Mann
Anfang 20. Er trägt einen verschmutzten giftgrünen Anzug im Stile von Wigald
Boning. Um den Kopf ein Stirnband aus Klebestreifen. Sein geistloser Blick geht
ins Leere. Rechter Hand fordert ein korpulenter Mittfünfziger grunzend
Umstehende zum Armdrücken heraus. Auf seinem T-Shirt steht „Real Metal for true
Bastards“, „Richtiger Metal für echte Mistkerle“. Verbreitet sind auch „Event-Shirts“
von Metal-Kreuzfahrten und natürlich dem WOA. Vorbei hastet ein Mann, weg von
der Bühne, er trägt einen bunten Sombrero, sein Körper ist in die mexikanische
Flagge gehüllt. Der nächste zeigt mir breit grinsend und unaufgefordert ein
Video auf seinem Smartphone. Er hat es beim Crowdsurfing selbst aufgenommen,
ein bei Metal-Konzerten beliebter Zeitvertreib, wobei ein Besucher über den
Köpfen der Menge nach vorne zum Bühnengraben durchgereicht wird. Man sieht
seine Füße und viele Köpfe. Ein Stückchen weiter posieren ein blonder
Bartträger im Brautkleid und sein Kumpel in Schottenrock und einem Umhang aus
Ziegenfell für Fotos.
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Böse und gefährlich: Kerry King, Slayer. |
Obwohl ich von 70 000 Menschen umgeben bin, fühle ich mich
plötzlich sehr allein. Als ich begann, mich für diese Art von Musik zu
begeistern – es war in den frühen 90er Jahren –, faszinierte mich daran die
unglaubliche Energie, die freizusetzen sie in der Lage ist. Die Euphorie, die
ein wie Panzerketten durchs Kornfeld aus den Lautsprecherboxen rauschendes
Gitarrenriff auslösen kann, ist mit nichts zu vergleichen – außer vielleicht
dem Gewinn der Fußballweltmeisterschaft. Ein netter Nebeneffekt war, dass das
Establishment, also Eltern und Lehrer, meine Leidenschaft in keiner Weise
teilten. Ganz zu schweigen von den Massenmedien. Im Ergebnis durfte man sich
als Metal-Fan als Teil eines relativ distinguierten Kreises fühlen. Konzerte
fanden quasi unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Die örtliche Metal-Loge
traf sich in einer Ecke des Schulhofs und diskutierte leidenschaftlich über die
Neuveröffentlichungen von Sodom, Kreator und Saint Vitus. Eine subtilere Form
der Kommunikation waren unsere Band-Hemden:
je obskurer, je besser. Wer es etwa schaffte, Hand an ein hierzulande
indiziertes Cannibal Corpse-Shirt zu legen, konnte in der Gruppenhierarchie kometengleich
vom Akolythen zum Ehrenprälat
aufsteigen.
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Hat wieder gut lachen: Motörheads Lemmy Kilmister. |
In Wacken indes fühlt man sich als Metalhead inzwischen eher
wie ein Indianer nach Ankunft der
Weißen: Merkwürdig aussehende Menschen, die weder seine Sprache verstehen, noch
seine Sitten und Gebräuche respektieren, übernehmen die angestammten Lande seiner
Väter, um darauf Fressbuden,
Souvenirstände und Spielstätten für Blaskapellen zu errichten.
Es gibt sie zwar auch diesmal wieder beim WOA, die
Augenblicke, die Metal-Herzen höher schlagen lassen: Zum Beispiel als Megadeth „Skin o` My Teeth“ anstimmen. Oder die Solinger Stahlschmiede
Accept krachend die Hämmer niedersausen lassen, dass die Funken stieben. Heaven
Shall Burn mit ihrem hochenergetischen Stilmix nahezu aller extremen Spielarten
des Metal zeigen, dass das Genre künstlerisch noch lange nicht ausgereizt ist.
Slayer zwei riesige umgedrehte Kreuze aus Marshall-Boxen auf die Bühne stellen.
Und Motörhead, obwohl Lemmy Kilmister nach dem geundheitsbedingten Abbruch im
vergangenen Jahr noch immer etwas abgezehrt wirkt, diesmal ihren Auftritt auf
dem WOA wie vorgesehen beenden können.
Trotzdem werde ich mich in Zukunft nach anderen Jagdgründen
umsehen. Wo der Metal noch rein und frei von Blasblech-Verunreinigungen ist. Und
auf den T-Shirts noch Bandnamen stehen, keine blöden Touristen-Sprüche.
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Animateure für Metal-Touristen: Steel Panther. |
Sehr schöner Bericht... irgendwie sind mir die Zeiten, als Heavy Metal noch Outlaw- Musik war und keine nachsichtig abgenickte Freakshow auch lieber.
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