Man könnte Hell als eine Art musikalisches Frankensteins
Monster bezeichnen: 1987 nach vier Demos und einer EP, die unter Metal-Adepten
freilich Kultstatus genießen, und dem Freitod von Frontmann Dave G. Halliday
sang und klanglos aufgelöst, erweckte Produzent Andy Sneap (Megadeth, Machine
Head, Kreator) 2008 die Kreatur aus
ihrem Todesschlaf, indem er neben den vier überlebenden Ur-Mitgliedern sich
selbst als Gitarrist und den Shakespeare-Schauspieler David Bower als neuen
Sänger installierte. Jetzt hat das Sextett den Nachfolger zum vielgelobten
Debut „Human Remains“ von 2011 vorgelegt. Und was für ein Sukzessor ist „Curse
and Chapter“ (Nuclear Blast)! Super abwechslungsreicher, leicht angeprogter,
theatralischer Metal der Marke Mercyful Fate und Sabbat (Sneaps früherer Band).
Es gibt kraftvolle Riffs, für die sich auch Judas Priest nicht schämen müssten,
feine, Wolf-Hofmann-mäßige Leads und einfallsreiche Breaks. Dazu allerlei genretypischen
Mummenschanz wie symphonische Keyboard-Intros, atmosphärische Sprecheinlagen, bedrohliche
Chöre und exotisch klingende Zwischenparts. Wie der Mann auf dem Silberberg
thront über alledem Bowers dissoziativer Gesang, ständig zwischen King Diamond,
Andi Deris, Blackie Lawless und Noddy Holder irrlichternd. Das alles wäre
freilich nichts weiter als bloßer
Theaterdonner, verfügten Hell nicht über das hochklassige Songmaterial, über
das sie, öhm, verfügen. Zuvorderst zu nennen sind Fegefeuer-Brenner wie „Land
Of The Living Dead“, „The Disposer Supreme“ oder „Deliver Us From Evil“ (alles Zweitverwertungen
alter Demo-Songs). Aber auch neue Songs wie das epische „Darkhangel“ oder die
clevere Perversiflage auf die Hippie-Hymne „Age Of Aquarius“, „The Age Of
Nefarious” sind klasse. „Curse and Chapter“ sieht aus wie ein geiles
Metal-Album, klingt wie ein geiles Metal-Album, ist ein geiles Metal-Album!
Mittwoch, 27. November 2013
Montag, 25. November 2013
Hamferd - Große Musik aus dem Land der Fußballzwerge
Die Färöer kennen wir vornehmlich als Herkunftsland von Seefisch, Schafswolle und – natürlich – Fußballzwergen. Als Exporteur von Schwermetall ist die Inselgruppe im Nordatlantik bislang nicht aufgefallen. Das könnte sich nun ändern. Zwar hätte sich die Heavy Metal-Band Hamferð mit dem Ziel gegründet, namentlich ihre Heimat mit brachialer Musik zu bedienen, verkündet ihre Plattenfirma. Aber da die gerademal 50.000 Insulaner anscheinend ziemlich schnell versorgt waren, kommen nun auch wir Kontinentaleuropäer in den Genuss des düsterer atmosphärischen Doom-Rocks des Sextetts aus Tórshavn.
„Evst“ heißt der Erstling (Tutl/Cargo Records) der Eiland-Exoten. Das
Werk gleicht in vielem den sturmumtosten Gestaden jener einst von wenig
wetterfühligen Wikingern besiedelten
„Schafsinseln“: viele Ecken und Kanten, eher depressive Stimmung verbreitend.
Klar, wird im lichtfernen Fluidum zähflüssig musiziert, werden stets Black
Sabbath als Referenz bemüht. So auch hier. Hauptsächlich aber lassen Hamferð an
die Bathory der pathetischen Hammerheart/Blood On Ice-Ära denken. Jene legendäre
80er Band, die vielen als Geburtshelfer des satanophilen Black Metal-Genres
gilt. Mit Neo-Heidentum oder anderen unchristlichen Umtrieben haben die
Faringer indes nix am Hut, im Gegenteil: gerne geben sie auch mal ein
Kirchenkonzert mit dem Tórshavner Männerchor. In seinen sphärischeren Momenten pflügt
der teilweise sehr raumgreifende Slow-Motion-Sound der Gruppe gar schon fast durch
die grauen Postrock-Wogen im Kielwasser von God Is An Astronaut oder Sigur Rós.
Mit letzteren verbindet Hamferð darüber hinaus der Gesang in
Landessprache. Entstanden ist das Färöische aus dem Altwestnordischen und dem Isländischen und Norwegischen verwandt. Mal knurrend wie
Kerberos, mal im freudlosen Falsett intoniert Jón Aldará in fremdartig
klingenden Versen auf „Evst“ einen elegischen Mythos: Auf der Suche nach seinem
in Dunkelheit und Unwetter verlorengegangenen Sohn gerät ein Vater ins Reich
der „Huldu“. Einer Rasse im Erdinnern lebender gutartiger Wesen, die ihn bei
sich aufnehmen. Doch in den finsteren Tiefen fällt er dem Wahnsinn anheim und
wird zum Mörder. Delirierend flüchtet der Mann an die Schneesturm gepeitschte
Oberfläche, wo er sich schließlich voller Verzweiflung von einer Klippe stürzt
– in der Hoffnung, so mit seinem verschollenen Kind wiedervereint zu werden.
Wer angesichts dunkler Jahreszeit, Regenmatsch und
Winterkälte noch immer meint, ihm gehe es zu gut, dem sei diese Platte ans Herz
gelegt – wärmstens.
Live:
27.11.13
Nürnberg - Hirsch (Support für CORVUS CORAX)
28.11.13 Köln - Essigfabrik (Support für CORVUS CORAX)
03.12. Siegen – Vortex
04.12.13 Hamburg – Markthalle (Support für Amorphis)
Sonntag, 24. November 2013
Rotze und Blut - Den alten Kämpfer Billy Bragg wirft auch eine Erkältung nicht um
Das Beste an Billy Bragg ist nicht seine Musik, nicht sein
unermüdlicher Kampf gegen soziale Ausbeutung und einen entfesselten
Manchester-Kapitalismus – es ist sein Humor. Das letzte Mal, als er vor einem
Auftritt wegen einer schlimmen Erkältung so schlecht bei Stimme gewesen sei und
er sich deshalb gesorgt habe, die Erwartungen des Publikums nicht erfüllen zu
können, habe ihm sein Manager tröstend den Arm um die Schultern gelegt und
gesagt: „Billy, niemand kommt, um dich Singen zu hören.“ Ob es sich auch am
Mittwoch, 13.11., im Tollhaus so verhielt, sei mal dahingestellt. Jedenfalls
versprach der Singer-Songwriter aus Essex zum Ausgleich für seine verminderten
Gesangsqualitäten ein „ganz besonders ehrliches und menschliches Konzert“.
Der 55-Jährige hielt Wort und lieferte unter Anrufung des
Geistes des kürzlich verstorbenen Lou Reed, „der es Menschen wie mir, die nicht
gut singen können, überhaupt erst ermöglicht hat, eine Karriere im
Musikgeschäft zu haben“, einen überaus kurzweiligen Auftritt ab. Selbstironie
erwies sich dabei als wirkungsvollste Waffe des Gehandicapten. Den Abend
eröffnete Bragg mit dem Song „Way Over Yonder In The Minor Key“, der die
widerkehrende Textzeile „Ain't nobody that can sing like me“ enthält.
Billy Bragg beim Konzert in der Queen Elizabeth Hall, South Bank, am 16. September 2012. Foto: Pete Dunwell |
Am Nachmittag habe er gar Blut ins Waschbecken gespuckt, erzählte
Bragg mit belegter Stimme weiter. So sei es Joe Stummer auch oft gegangen, habe
ihm Schlagzeuger Luke Bullen, der mit dem The Clash-Sänger gespielt habe, bei
dieser Gelegenheit berichtet. „Für mich als alten Punk war das folglich ein
großer Augenblick.“ Ganz so schlimm kam es dann gottlob nicht. Zwischen den
Songs putzte sich der Sänger, der mit ergrautem Dreitagebart und Westernhemd daherkam
wie ein ländlicher Richard Gere, zwar geräuschvoll die Nase, trank organischen
„Throat Coat“-Tee und riet dem Publikum in der ersten Reihe, besser ein wenig
„Gesundheitsabstand“ zu halten, da er auf keinen Fall auf seine teure Gitarre
niesen werde, sondern nach vorne. Aber trotz seiner angeschlagenen Gesundheit
scheute er sich nicht, seine vorzügliche Band – besonders CJ Hillman spielte
sich mit tollen Slides in den
Vordergrund – für eine ganze Weile von der Bühne zu schicken und alleine zu
performen.
Zwischendurch gab es immer wieder Anekdoten aus einem schon
dreißig Jahre währenden Musikerleben – und natürlich politische Agitation.
Bragg hat schon die erbitterten britischen Bergarbeiterstreiks in den 80ern
unterstützt, sich seitdem immer wieder für linke Belange eingesetzt und einen
ganzen Fundus sozialistischer Kampflieder („The Red Flag“) aufgenommen. Das geniale
an Bragg ist, dass ihm dabei die Sauertöpfigkeit und Blasiertheit vieler Linker
völlig abgeht. Die Kunst sei kein Hammer, mit der man die Gesellschaft formen
könne, so wie Brecht es sah, verkündet er. „Die Kunst ist ein kleines Tüchlein,
mit der man die Feuchtigkeit von beschlagenen Scheiben wischt, damit die Leute
klarer sehen.“ Der Mann könnte glatt als Rock´n´Roll-Ausgabe von Gregor Gysi
durchgehen!
Immer wieder spielte Bragg Lieder von Folk-Legende Woodie
Guthrie. Etwa eine hinreißende Rhythm and Blues-Version von Woodies altem
Antifa-Gassenhauer „All You Fascists (Are Bound To Loose)“. Wie aktuell die
Lieder des Vaters aller Protestsänger noch immer sind, erläuterte Bragg am
Beispiel von „I Ain't Got No Home In This World Anymore“. „Menschen müssen auf
der Suche nach Arbeit ihre Heimat verlassen, Familien werden
auseinandergerissen und werden aus ihren Häusern vertrieben. Alles nur, damit
sich die Bosse immer größere Profite einstecken können.“
Guthrie schrieb den Song vor 75 Jahren. Es ist im Grunde erschreckend,
das Billy Bragg ihn noch immer singen muss. Aber es ist gut, dass er es tut –
auch mit einem Frosch im Hals.
Freitag, 15. November 2013
Chokebore vs. 999
Gramgebeugt: Chokebore beim Konzert in Tourcoing, Frankreich, 2011. Foto: Pauline Froidure. |
Charmebolzen: Nick Cash und Guy Days von 999. Foto:Promo. |
Zapp, Ortswechsel: Die Bühne der Alten Hackerei hält eine
Rotte stiernackiger, schweinsäugiger Typen mit rasierten Schädeln besetzt.
Ihren Instrumenten entlocken 999 ein fortwährendes hochtouriges Wummern. Dazu
mault Nick Cash, eine Hooligan-Version von Dirk Bach mit dem Charme eines
Bordsteins, seine schnörkellosen Gesangslinien voller Lalalas und Ohohohs
heraus. Spielen können die nicht, aber das richtig gut! Die Lieder heißen „Boys
In The Gang“, „Hit Me“ und „Homicide“. Besungen werden Glanz und Gloria von
Kneipenschlägereien und Straßengewalt. Nein, einen irgendwie intellektuellen
Anspruch besitzt diese Fleisch gewordene Notrufnummer mit dem Herzen eines Boxers nicht – von der
Fähigkeit, „Asperger-Syndrom“ zu buchstabieren, ganz zu schweigen. Unter
adipösen Oi-Punk-Aficionados mit roten Hosenträgern und fehlenden
Schneidezähnen, genießen die charmant abgewrackten nicht mehr ganz so jungen
London-Boys, deren 1-2-3-Punk nicht mit drei, nicht mit vier, sondern zwei
Akkorden auszukommt, freilich Kultstatus. Sollte man ihnen all das ins Gesicht sagen?
Besser nicht, wer will schon mit einem Gewehrlauf im Mund enden.
Samstag, 2. November 2013
Ska-Noir - Les Hurlements d’Leo
Les Hurlements live 2009. Foto: Promo |
Zwar sitzen die „Schreihälse“ damit irgendwo zwischen den Stühlen von Chanson, Zigeunermusik, Ska und Punk – aber das doch verdammt sattelfest. So dass es im mittelprächtig gefüllten Konzertsaal doch noch recht schwitzig wurde. Les Hurlements d’Leo gelten zu Recht als Nachfolger berühmt berüchtigter Bands wie Mano Negra und Les Negresses Vertes.
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