Mittwoch, 27. November 2013

Auf dieser Scheibe ist die Hölle los! - Hell veröffentlichen "Curse an Chapter"

Man könnte Hell als eine Art musikalisches Frankensteins Monster bezeichnen: 1987 nach vier Demos und einer EP, die unter Metal-Adepten freilich Kultstatus genießen, und dem Freitod von Frontmann Dave G. Halliday sang und klanglos aufgelöst, erweckte Produzent Andy Sneap (Megadeth, Machine Head, Kreator) 2008 die Kreatur  aus ihrem Todesschlaf, indem er neben den vier überlebenden Ur-Mitgliedern sich selbst als Gitarrist und den Shakespeare-Schauspieler David Bower als neuen Sänger installierte. Jetzt hat das Sextett den Nachfolger zum vielgelobten Debut „Human Remains“ von 2011 vorgelegt. Und was für ein Sukzessor ist „Curse and Chapter“ (Nuclear Blast)! Super abwechslungsreicher, leicht angeprogter, theatralischer Metal der Marke Mercyful Fate und Sabbat (Sneaps früherer Band). Es gibt kraftvolle Riffs, für die sich auch Judas Priest nicht schämen müssten, feine, Wolf-Hofmann-mäßige Leads und einfallsreiche Breaks. Dazu allerlei genretypischen Mummenschanz wie symphonische Keyboard-Intros, atmosphärische Sprecheinlagen, bedrohliche Chöre und exotisch klingende Zwischenparts. Wie der Mann auf dem Silberberg thront über alledem Bowers dissoziativer Gesang, ständig zwischen King Diamond, Andi Deris, Blackie Lawless und Noddy Holder irrlichternd. Das alles wäre freilich  nichts weiter als bloßer Theaterdonner, verfügten Hell nicht über das hochklassige Songmaterial, über das sie, öhm, verfügen. Zuvorderst zu nennen sind Fegefeuer-Brenner wie „Land Of The Living Dead“, „The Disposer Supreme“ oder „Deliver Us From Evil“ (alles Zweitverwertungen alter Demo-Songs). Aber auch neue Songs wie das epische „Darkhangel“ oder die clevere Perversiflage auf die Hippie-Hymne „Age Of Aquarius“, „The Age Of Nefarious” sind klasse. „Curse and Chapter“ sieht aus wie ein geiles Metal-Album, klingt wie ein geiles Metal-Album, ist ein geiles Metal-Album!

Montag, 25. November 2013

Hamferd - Große Musik aus dem Land der Fußballzwerge


Die Färöer kennen wir vornehmlich als Herkunftsland von Seefisch, Schafswolle und – natürlich – Fußballzwergen. Als Exporteur von Schwermetall ist die Inselgruppe im Nordatlantik bislang nicht aufgefallen. Das könnte sich nun ändern. Zwar hätte sich die Heavy Metal-Band Hamferð mit dem Ziel gegründet, namentlich ihre Heimat mit brachialer Musik zu bedienen, verkündet ihre Plattenfirma. Aber da die gerademal 50.000 Insulaner anscheinend ziemlich schnell versorgt waren, kommen nun auch wir Kontinentaleuropäer in den Genuss des düsterer atmosphärischen Doom-Rocks des Sextetts aus Tórshavn.
„Evst“ heißt der Erstling (Tutl/Cargo Records) der Eiland-Exoten. Das Werk gleicht in vielem den sturmumtosten Gestaden jener einst von wenig wetterfühligen  Wikingern besiedelten „Schafsinseln“: viele Ecken und Kanten, eher depressive Stimmung verbreitend. Klar, wird im lichtfernen Fluidum zähflüssig musiziert, werden stets Black Sabbath als Referenz bemüht. So auch hier. Hauptsächlich aber lassen Hamferð an die Bathory der pathetischen Hammerheart/Blood On Ice-Ära denken. Jene legendäre 80er Band, die vielen als Geburtshelfer des satanophilen Black Metal-Genres gilt. Mit Neo-Heidentum oder anderen unchristlichen Umtrieben haben die Faringer indes nix am Hut, im Gegenteil: gerne geben sie auch mal ein Kirchenkonzert mit dem Tórshavner Männerchor. In seinen sphärischeren Momenten pflügt der teilweise sehr raumgreifende Slow-Motion-Sound der Gruppe gar schon fast durch die grauen Postrock-Wogen im Kielwasser von God Is An Astronaut oder Sigur Rós.
Mit letzteren verbindet Hamferð darüber hinaus der Gesang in Landessprache. Entstanden ist das Färöische aus dem Altwestnordischen und dem Isländischen und Norwegischen verwandt. Mal knurrend wie Kerberos, mal im freudlosen Falsett intoniert Jón Aldará in fremdartig klingenden Versen auf „Evst“ einen elegischen Mythos: Auf der Suche nach seinem in Dunkelheit und Unwetter verlorengegangenen Sohn gerät ein Vater ins Reich der „Huldu“. Einer Rasse im Erdinnern lebender gutartiger Wesen, die ihn bei sich aufnehmen. Doch in den finsteren Tiefen fällt er dem Wahnsinn anheim und wird zum Mörder. Delirierend flüchtet der Mann an die Schneesturm gepeitschte Oberfläche, wo er sich schließlich voller Verzweiflung von einer Klippe stürzt – in der Hoffnung, so mit seinem verschollenen Kind wiedervereint zu werden.
Wer angesichts dunkler Jahreszeit, Regenmatsch und Winterkälte noch immer meint, ihm gehe es zu gut, dem sei diese Platte ans Herz gelegt – wärmstens.
Baden in Düsternis: Hamferd. Foto: Promo

Live:
27.11.13 Nürnberg - Hirsch (Support für CORVUS CORAX)
28.11.13 Köln - Essigfabrik (Support für CORVUS CORAX)
03.12. Siegen – Vortex 
04.12.13 Hamburg – Markthalle (Support für Amorphis)


Sonntag, 24. November 2013

Rotze und Blut - Den alten Kämpfer Billy Bragg wirft auch eine Erkältung nicht um

Das Beste an Billy Bragg ist nicht seine Musik, nicht sein unermüdlicher Kampf gegen soziale Ausbeutung und einen entfesselten Manchester-Kapitalismus – es ist sein Humor. Das letzte Mal, als er vor einem Auftritt wegen einer schlimmen Erkältung so schlecht bei Stimme gewesen sei und er sich deshalb gesorgt habe, die Erwartungen des Publikums nicht erfüllen zu können, habe ihm sein Manager tröstend den Arm um die Schultern gelegt und gesagt: „Billy, niemand kommt, um dich Singen zu hören.“ Ob es sich auch am Mittwoch, 13.11., im Tollhaus so verhielt, sei mal dahingestellt. Jedenfalls versprach der Singer-Songwriter aus Essex zum Ausgleich für seine verminderten Gesangsqualitäten ein „ganz besonders ehrliches und menschliches Konzert“.
Billy Bragg beim Konzert in der Queen Elizabeth Hall, South Bank, am 16. September 2012. Foto: Pete Dunwell
Der 55-Jährige hielt Wort und lieferte unter Anrufung des Geistes des kürzlich verstorbenen Lou Reed, „der es Menschen wie mir, die nicht gut singen können, überhaupt erst ermöglicht hat, eine Karriere im Musikgeschäft zu haben“, einen überaus kurzweiligen Auftritt ab. Selbstironie erwies sich dabei als wirkungsvollste Waffe des Gehandicapten. Den Abend eröffnete Bragg mit dem Song „Way Over Yonder In The Minor Key“, der die widerkehrende Textzeile „Ain't nobody that can sing like me“ enthält.
Am Nachmittag habe er gar Blut ins Waschbecken gespuckt, erzählte Bragg mit belegter Stimme weiter. So sei es Joe Stummer auch oft gegangen, habe ihm Schlagzeuger Luke Bullen, der mit dem The Clash-Sänger gespielt habe, bei dieser Gelegenheit berichtet. „Für mich als alten Punk war das folglich ein großer Augenblick.“ Ganz so schlimm kam es dann gottlob nicht. Zwischen den Songs putzte sich der Sänger, der mit ergrautem Dreitagebart und Westernhemd daherkam wie ein ländlicher Richard Gere, zwar geräuschvoll die Nase, trank organischen „Throat Coat“-Tee und riet dem Publikum in der ersten Reihe, besser ein wenig „Gesundheitsabstand“ zu halten, da er auf keinen Fall auf seine teure Gitarre niesen werde, sondern nach vorne. Aber trotz seiner angeschlagenen Gesundheit scheute er sich nicht, seine vorzügliche Band – besonders CJ Hillman spielte sich mit tollen Slides  in den Vordergrund – für eine ganze Weile von der Bühne zu schicken und alleine zu performen.
Zwischendurch gab es immer wieder Anekdoten aus einem schon dreißig Jahre währenden Musikerleben – und natürlich politische Agitation. Bragg hat schon die erbitterten britischen Bergarbeiterstreiks in den 80ern unterstützt, sich seitdem immer wieder für linke Belange eingesetzt und einen ganzen Fundus sozialistischer Kampflieder („The Red Flag“) aufgenommen. Das geniale an Bragg ist, dass ihm dabei die Sauertöpfigkeit und Blasiertheit vieler Linker völlig abgeht. Die Kunst sei kein Hammer, mit der man die Gesellschaft formen könne, so wie Brecht es sah, verkündet er. „Die Kunst ist ein kleines Tüchlein, mit der man die Feuchtigkeit von beschlagenen Scheiben wischt, damit die Leute klarer sehen.“ Der Mann könnte glatt als Rock´n´Roll-Ausgabe von Gregor Gysi durchgehen!
Immer wieder spielte Bragg Lieder von Folk-Legende Woodie Guthrie. Etwa eine hinreißende Rhythm and Blues-Version von Woodies altem Antifa-Gassenhauer „All You Fascists (Are Bound To Loose)“. Wie aktuell die Lieder des Vaters aller Protestsänger noch immer sind, erläuterte Bragg am Beispiel von „I Ain't Got No Home In This World Anymore“. „Menschen müssen auf der Suche nach Arbeit ihre Heimat verlassen, Familien werden auseinandergerissen und werden aus ihren Häusern vertrieben. Alles nur, damit sich die Bosse immer größere Profite einstecken können.“
Guthrie schrieb den Song vor 75 Jahren. Es ist im Grunde erschreckend, das Billy Bragg ihn noch immer singen muss. Aber es ist gut, dass er es tut – auch mit einem Frosch im Hals.

Freitag, 15. November 2013

Chokebore vs. 999

Gramgebeugt: Chokebore beim Konzert in Tourcoing, Frankreich, 2011. Foto: Pauline Froidure.
Auf der Bühne des Jubez in Karlsruhe stehen an diesem Donnerstag, 7.11., Menschen in verwaschenen farbigen T-Shirts. In ungelenker bis grotesker Körperhaltung krümmen sie ihre schlaksigen Körper über die Instrumente, denen sie ein fortwährendes untertouriges Wummern entlocken. Darüber winden sich bizarr verschlungene Gesangslinien, vorgetragen in freudlosem Falsett. Nein, flotte Surfmusik bieten die Hawaiianer von Chokebore nicht. Unter kultivierten Trauerrock-Aficionados, hat der eigenwillige Stil dem Quartett, das einst Kurt Cobain zu seinen Bewunderern zählte, jedoch Kultstatus eingebracht. Ob diese am Asperger-Syndrom leidende Punk-Inkarnation von Saint Vitus allerdings die richtige Musiktherapie für labile Menschen ist? Die Geschichte des Nirvana-Sängers lässt Zweifel zu. Bekanntlich endete er mit einem Gewehrlauf im Mund. Als Antidepressivum hätte im Übrigen auch das Instrumental-Duo Lymbyc Systym nicht getaugt. Das komplette Vorprogramm bestritt das Brüderpaar aus Arizona dadurch, mit Schlagzeug und Keyboard das Thema von „A Whiter Shade Of Pale“ zu variieren. A bore indeed!
Charmebolzen: Nick Cash und Guy Days von 999. Foto:Promo.
Zapp, Ortswechsel: Die Bühne der Alten Hackerei hält eine Rotte stiernackiger, schweinsäugiger Typen mit rasierten Schädeln besetzt. Ihren Instrumenten entlocken 999 ein fortwährendes hochtouriges Wummern. Dazu mault Nick Cash, eine Hooligan-Version von Dirk Bach mit dem Charme eines Bordsteins, seine schnörkellosen Gesangslinien voller Lalalas und Ohohohs heraus. Spielen können die nicht, aber das richtig gut! Die Lieder heißen „Boys In The Gang“, „Hit Me“ und „Homicide“. Besungen werden Glanz und Gloria von Kneipenschlägereien und Straßengewalt. Nein, einen irgendwie intellektuellen Anspruch besitzt diese Fleisch gewordene Notrufnummer  mit dem Herzen eines Boxers nicht – von der Fähigkeit, „Asperger-Syndrom“ zu buchstabieren, ganz zu schweigen. Unter adipösen Oi-Punk-Aficionados mit roten Hosenträgern und fehlenden Schneidezähnen, genießen die charmant abgewrackten nicht mehr ganz so jungen London-Boys, deren 1-2-3-Punk nicht mit drei, nicht mit vier, sondern zwei Akkorden auszukommt, freilich Kultstatus. Sollte man ihnen all das ins Gesicht sagen? Besser nicht, wer will schon mit einem Gewehrlauf im Mund enden.




Samstag, 2. November 2013

Ska-Noir - Les Hurlements d’Leo

Les Hurlements live 2009. Foto: Promo
Was dem durchschnittlichen Rock-Existentialisten den Ska so unerträglich macht, ist der penetrante Offbeat-getriebene Frohsinn dieser Musikrichtung. Während bei Musikaufführungen gegenkultureller Genres wie Punk (No Future!) oder Heavy Metal (totale Zerstörung!)  ein mehr nihilistisches Weltbild gepflegt wird, was auch in den eher grimmigen Tanzformen Pogo und Headbanging seinen Ausdruck findet, kann es auf Ska-Konzerten niemals lustig genug zugehen: Wie blöde grinsende Menschen – vorzugsweise mit zu Würsten gedrehten Haaren und zu weiten Hosen aus dem Asia-Shop – werfen zum ewig aufgekratzten Ka-chink unbeschwert skankend die Beine in die Luft. Ganz so, als habe es ein Altamont nie gegeben und sei die Hippie-Kultur nicht schon 1969 in einem Nebel aus Blut und Lysergsäure untergegangen. Les Hurlements d’Leo bilden die berühmte, die Regel bestätigende Ausnahme. Am Dienstag spielte die Band aus Bordeaux im Karlsruher Tollhaus.
Das Oktett als Kummerbuben zu bezeichnen, wäre freilich übertrieben. Doch schaffen es die Franzosen, indem sie instrumentell mit Steh-Bass, Bass-Saxophon und Synthesizern agieren, das gängige Uffta-uffta mit einer kräftigen Dosis Melancholie einzuhegen. Dem obligatorischen Bläsersatz mengen sie so etwas morbide orgelnden Horror-Punk und melancholisch fiedelnde Zigeunerjungen-Wehmut bei. Les Hurlements d’Leo knüpfen an die zynisch-pessimistische Film-Noir-Ästhetik an, die sie mit elegisch-bunter Chanson- und Varietékultur vermengen.
Zwar sitzen die „Schreihälse“ damit irgendwo zwischen den Stühlen von Chanson, Zigeunermusik, Ska und Punk – aber das doch verdammt sattelfest. So dass es im mittelprächtig gefüllten Konzertsaal doch noch recht schwitzig wurde. Les Hurlements d’Leo gelten zu Recht als Nachfolger berühmt berüchtigter Bands wie Mano Negra und Les Negresses Vertes.