In der – mutmaßlich
scheibenförmigen – Welt des chartstürmenden Mittelalter-Rock herrschen so viele
Klischees wie wohl sonst nur in den Sphären des deutschen Schlagers. Nur dass
die Männer hier Bärenfell statt Krachlederne tragen und die Frauen wallende
Gewänder statt Dirndl und statt dem „Glaserl Wein“ Met der Marke Drachenblut
die durstigen Kehlen hinabrinnt. Saltatio Mortis (SM) aus Karlsruhe sind neben
In Extremo oder Schandmaul eine der erfolgreichsten Bands des Genres, das
moderne Rockmusik mit historischen Instrumenten wie Dudelsack, Sackpfeife und
Schalmei orchestriert. Mit Ihrem Album “Das schwarze Einmal Eins“ landeten die badischen
Totentänzer 2013 auf Platz 1 der deutschen Charts. Am heutigen Freitag, 14. August,
erscheint mit „Zirkus Zeitgeist“ der Nachfolger. Mittelalter-Kitsch sucht man
auf dem zehnten Studiowerk des Oktetts weitgehend vergeblich. Vielmehr
betreiben SM entschiedene Gesellschafts- und Konsumkritik. Die vor allem eines
ist: aktuell.
„Wir wollten es den Spielleuten
vergangener Jahrhunderte gleichtun und der Gesellschaft, in der wir leben,
einen Spiegel vorhalten“, sagt SM-Schlagzeuger Lasterbalk der Lästerliche, der
auch als Haupttexter und Ensemble-Leiter fungiert. Der Name, den sich der
43-Jährige bei der Bandgründung im Jahr 2000 für seine Bühnenpersönlichkeit
gewählt hatte, erweist sich nun als programmatisch: "Lasterbalk war ein
Spielmann, der in ziemlich allen Reichsstätten wegen Gotteslästerei, Häresie
und Rede wider die Obrigkeit gesucht wurde“, erzählt er. Was für ein Zirkus: Saltatio Mortis. Foto: Robert Eikelpoth |
„Wir haben auch als Straßenmusiker
mit Maultrommel und Dudelsack angefangen und ganz klassisch auf den
Mittelaltermärkten der Jahrtausendwende gespielt“, berichtet Lasterbalk von den
bescheidenen Anfängen von SM. Während denen, „ich manchen Winter ohne die Hilfe
einer Freundin, die mich durchgefüttert hat, nicht überstanden hätte“. Später
habe man mit Gothic-Elementen und Synthesizern experimentiert und sei
schließlich bei „Rock´n´Roll mit Dudelsäcken“ gelandet, beschreibt er die
musikalische Entwicklung der Band. Inzwischen können die Musiker dank der immer
größeren Konzerte von ihrem Beruf leben. „Wir versuchen aber immer noch sehr
stark mit dem historischen Instrumentarium zu arbeiten. Das unterscheidet uns
vielleicht ein wenig von anderen Kollegen“, verweist Lasterbalk auf den
zunehmenden Verzicht auf Sackpfeife und Drehleier bei Stars der Szene wie In
Extremo oder Subway to Sally.
Aber: „Die Texte sind moderner
geworden und die Aussagen verstecken sich weniger hinter Metaphern“, greift
Lasterbalk die für ihn gravierendsten Neuerungen auf „Zirkus Zeitgeist“
gegenüber seinen Vorgängern heraus. Tatsächlich bieten Songtitel wie
„Geradeaus“, „Nachts weinen die Soldaten“ oder „Des Bänkers neue Kleider“ kaum
Anknüpfungspunkte für die Tagträumereien von nach Mittelalterromantik
lechzenden Wochenend-Zeitreisenden wie sie die Mittelaltermärkte und andere
populäre pseudohistorische Events bevölkern. Allein der „Rattenfänger“ verweist
noch auf die Welt der Mythen und Märchen. „Und auch dieser Titel lässt sich als
Allegorie auf politische Rattenfänger verstehen“, stellt Lasterbalk klar.
Für ihn ist die Abkehr vom
mittelalterlich anmutenden Duktus keine Abwendung von den Wurzeln der Band.
„Wir verstehen uns als Spielleute der Moderne. Und wenn ich mir anschaue, was
die Kollegen vor fünfhundert Jahren auf den Straßen und Marktplätzen getrieben
haben, wurde dort auch nicht in Latein oder Griechisch gesungen, sondern in der
Sprache der Leute. Deswegen wollen auch wir deutliche Worte sprechen.“ Und als
studierter Betriebswirtschaftler kommt Lasterbalk zu dem klaren Schluss: „Bei
uns läuft etwas nicht richtig!“ Deutschland sei eines der reichsten Länder der
Welt, befinde sich aber im „Würgegriff der Neokons“. „Ich verstehe nicht, warum
bei uns im Winter Leute auf der Parkbank erfrieren. Ich verstehe nicht, warum
wir Flüchtlinge nicht aufnehmen können. Ich verstehe nicht, warum die Reichen
reicher werden, die Armen ärmer und keiner etwas tut.“
Ihr loses Mundwerk hat den
Karlsruher Totentänzern schon herbe Kritik eingebracht – von unerwarteter Seite.
Für ihr Nummer-1-Album „Das schwarze Einmal Eins“ hatten SM eine verballhornte
Version des Lieds der Deutschen aufgenommen. „Wachstum über alles“ setzte die
Band dem Verdacht aus, irgendwie „Rechts“ zu sein. „Jeder der uns rechtes
Gedankengut nachsagt, hat den Text nicht gelesen“, sagt Lasterbalk. Oder dessen
IQ liege unter der Grenze zur Intelligenzminderung.
Ganz so einfach dürfe es sich die
Kunst nicht machen, findet dagegen Musikwissenschaftler Thorsten Hindrichs von
der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz. Das Problem bei Zeilen wie „wie Pestilenz
und Ungeziefer / vermehrt sich unser Geld vom Zins / Stillstand heißt Tod -
alles muss wachsen / Wie die Marge des Gewinns“ ist für ihn die
Uneindeutigkeit. „Das können auch Rechte Widerspruchslos feiern“, meint er. Man
könne diesen Text auch antisemitisch lesen. „Mit der Betonung auf ‚Kann‘“, so
Hindrichs. Eine Aussage, über die sich streiten lässt. Dass die Nazi-Propaganda Juden mittels ähnlichem Vokabular als geldgeile Wucherer diffamierte, ist zwar nicht von der Hand zu weisen. Dass der Text gerade im Kontext mit der ersten Strophe des Deutschlandliedes bei manchen womöglich ungute Assoziationen weckt, ebensowenig. Der Band deshalb rechte oder gar antisemitische Tendenzen vorwerfen zu wollen, geht aber wohl zu weit. Dass es kaum Überschneidungen zwischen der auf die Romantik
des 19. Jahrhunderts fußenden Mittelalter-Szene mit dem Deutschrock-Milieu, wo
sich eindeutig uneindeutige Bands wie die umstrittenen Südtiroler Freywild
tummeln, räumt schließlich auch Hindrichs ein:"Höchstens auf den ganz großen Festivals."
Ob die zahlreichen SM-Fans, die der
Band auf ihrer Gratwanderung zwischen
leerer Klimperey und wirklicher Kunst bislang die Treue gehalten haben, den
oben beschriebenen Schritt in die harte Realität
mitgehen, darauf will und kann der
politische Spielmannsrocker Lasterbalk keine Rücksicht nehmen. „Wenn ich Angst
vor meinen Fans hätte oder mir Gedanken darüber machen würde, ob das, was mir
richtig und wichtig erscheint, ankommt oder nicht, dann wäre ich bei DSDS
besser aufgehoben als bei SM“.
Tatsächlich scheint der Erfolg von
„Zirkus Zeitgeist“ vorprogrammiert, verfügt das Album – von der Direktheit der
Texte einmal abgesehen – mit seinen gradlinigen und tanzbaren Songs sowie der
opulenten historischen Instrumentierung über alle Attribute, die seinen Vorgänger bei
Genre-Fans so erfolgreich gemacht haben.
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