Läst es raus: Frank Turner beim Highfield-Festival 2014 Foto: Henry W. Laurisch |
Soeben hat Frank Turner sein sechstes
Album herausgebracht. „Positive Songs For Negative People“ (Universal)
unterscheidet sich nur in Nuancen vom erfolgreichen Vorgänger „Tape Deck
Heart“: Sehr eingängiger und folkig angehauchter Indierock mit Punk-Attitüde.
Das besondere an Turners energetischen Pop-Songs ist, dass sie sich nicht nur
prima im Fußballstadion mitgrölen lassen, sondern auch im intimen Rahmen das
Herz berühren. Mal melancholisch, mal aufbauend. Aber immer ehrlich und mit
ganzer Seele dargeboten.
Prägend für den musikalischen
Schaltplan des heute 33-Jährigen, der ihn als festverdrahteten Analogiker
ausweist, waren hörbar die 90er Jahre. Im zarten Alter von zehn sah der im
Inselkönigreich Bahrain geborene Sohn eines Investmentbankers und einer
Schuldirektorin bei einem Schulfreund ein Iron Maiden-Poster an der Wand hängen.
„Es war das Motiv von ‚Stranger In A Strange Land‘, dieser Zombie-Cowboy in der
Zukunft“, berichtet der freundlich beredte Turner, Begeisterung in der Stimme.
„Ich hatte natürlich keine Ahnung, was das ist, aber ich fand das Bild
großartig!“Sobald jung Frank in Erfahrung
gebracht hatte, dass es sich bei seiner Neuentdeckung um das Plattencover einer
Heavy Metal-Band handelte, waren die Weichen für seine Berufswahl gestellt.
„Ich zog los und kaufte mir
das ‚Killers‘-Album von Maiden. Seitdem wollte ich nichts anderes mehr machen,
als Musik spielen.“ Da Turner sein Songschreiber-Handwerk ohrenscheinlich eher an The Clash und Fairport Convention schulte, kann diese musikalische Epiphanie schon überraschen. „Meine Musikerziehung verlief in umgekehrter Reihenfolge“, erzählt er. Außer für Maiden begeisterte sich Turner, der mit Bleistiftbart und dunklen Locken mehr wie ein italienischer Fußballer denn ein englischer Troubadour aussieht, früh für instrumentelle Splitterholz-Enthusiasten wie Metallica oder Pantera. Dank der schrillen Stirnband-Rocker Guns´N´Roses und deren schwermütigen Henker Nirvana, fand er schließlich zum Punk, „Descendents, Black Flag und all so was“. Einer Leidenschaft, der er noch heute mit seinem Nebenprojekt Möngöl Hörde frönt.
Logische Konsequenz: ein Engagement bei der Hardcore-Combo Million Dead, mit der er zwischen 2001 und 2005 zwei Alben einhämmerte. Für Turner, der nebenher am noblen Eton College und der London School of Economics (Mick Jagger lernte hier sein Geld zählen) ein Geschichtsstudium absolvierte, eine lehrreiche Zeit: „In Punk-Bands habe ich Spielen gelernt.“ Diese Urkraft steckt noch heute in ihm: „Jeder Soundmann sagt, ich sänge verdammt laut. Ich habe einfach sehr viel Übung darin, in ein Mikrofon zu brüllen.“
Heute läuft bei Turner alles ein wenig kontrollierter, im Vergleich zu den Zeiten, als er durch Glasscherben-übersäte Punkrockschuppen tingelte, statt sich in ausverkauften Konzerthallen feiern zu lassen. Nach dem Ende von Million Dead schnappte er sich eine Akustikgitarre, studierte die Songs von Bob Dylan, Neil Young sowie Bruce Springsteen und zog aus, um sich vom wütenden Anarcho zum von Fans und Kritikern gleichermaßen bewunderten Entertainer zu mausern.
Für Frank Turner kein Bruch, sondern ein natürlicher Prozess. „Je besser ich zu singen und zu spielen lernte, desto mehr Wege, mich auszudrücken, fand ich, die darüber hinausgingen, mir das Hemd vom Leib zu reißen und herumzuschreien.“
Trotz der Provenienz seiner Vorbilder ist sein Sound weder amerikanisch, noch glatt. Turner und seine Begleitband, die Sleeping Souls, sind so unverkennbar britisch, wie Monty Python’s Flying Circus, Tweed-Stoff oder Black Pudding. „Wenn man Bruce Springsteen spielen hört, wird man schnell feststellen, dass er aus New Jersey kommt“, erläutert Turner. „Dennoch singt er nicht nur über New Jersey, sondern über Heimat. Sich von Springsteen beeinflussen zu lassen, kann bedeuten, ihn zu kopieren oder eben dieses Ethos zu nehmen, das er verkörpert, und darüber zu singen, woher man selbst kommt.“
Woher er kommt und vor allem woran er glaubt, daran lassen Frank Turners von infektiösen Hooklines befallene Lieder keinen Zweifel. Zeilen wie “I still believe in the need/ For guitars and drums and desperate poetry” zeugen gleichermaßen von Witz und Grandezza, wie man sie heute nur selten findet. Und so verkommt der lustige Messias Turner, der nahezu ohne weltlichen Besitz – von einer tausende Stücke umfassenden Plattensammlung abgesehen – im Haus eines Freundes lebt, sofern er nicht gerade auf Tour ist, trotz seines gelegentlichen Hanges zur übergroßen Geste nie zur Karikatur.
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