Der Mann, der noch schneller spricht als er spielt: Scott Ian mit Anthrax live 2012. Foto: Jonas Rogowski |
The Big rock Blog: Nach
einem Niedergang Mitte der 90er Jahre und zu Beginn des neuen Jahrtausends
erlebt der Thrash Metal gerade wieder eine Renaissance. Alte Bands wie Slayer
oder Megadeth segeln vor frischem Wind und auch junge Fans und Musiker
interessieren sich wieder für das Genre. Erlebst du das auch so?
Scott Ian: Hm, darüber habe ich ehrlich gesagt noch nicht
nachgedacht. Ich gehe einfach jeden Tag zur Arbeit bei der Anthrax AG. Das ist
ein wenig, wie in einer Seifenblase zu leben. Ob in den 90ern irgendetwas
relevant war oder heute wieder relevant ist, darauf habe ich nie geachtet. Wir
waren immer gut im Geschäft, wenn das Ihre Frage beantwortet.
Anthrax waren als
Band also immer gleich stark gefragt?
Nun ja, von 1997 bis 2000 war die Lage kommerziell gesehen
nicht so rosig wie zuvor. Aber ich denke, solche Schwankungen sind normal, wenn
man so lange dabei ist wie wir – das gilt wohl für jede Branche.
Seine Geburtsstunde
und erste Blüte erlebte Thrash Metal in den 80er Jahren. Damals war die Bedrohung
eines Nuklearkrieges sehr real und allgegenwertig. Heute fürchten wir den
Terrorismus. Sind bedrückende Zeiten gute Zeiten für aggressive Musik?
Puh, auch darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht.
Aber ich kann mir vorstellen, dass man diese Theorie beweisen könnte. Als wir
anfingen in den 80ern war Reagan Präsident, das waren definitiv gruselige
Zeiten…
Anthrax
Gründungsbassist Dan Lilker, mit dem du später noch bei den Crossover-Pionieren
S.O.D. spieltest, nannte nach seinem Abgang seine neue Band sogar Nuclear
Assault.
Ja, es herrschte eine beklemmende Stimmung und Thrash Metal
wurde geboren. Dann passierten die Anschläge vom 11. September 2001 und Thrash
wurde größer und größer. Verrückterweise ist diese Musik heute kommerziell
erfolgreicher als sie es in den 80er Jahren jemals war. Ja, es scheint so zu
sein: Je schlimmer die Dinge auf unserem Planeten stehen, desto bedeutender
wird Thrash Metal (lacht).
Indessen scheinen heute
viele Leute vergessen zu haben, was für eine beklemmende Stimmung in den 80ern herrschte.
Ich kenne die Verbrechensstatistik von New York, wo du aufgewachsen bist, aus
diesen Jahren nicht. Aber ich könnte mir vorstellen, dass dort damals pro Jahr
mehr Leute erschossen und abgestochen wurden, als die knapp 3000 Menschen, die beim Anschlag
auf das World Trade Center umgekommen sind.
Oh ja, die Verbrechensrate war viel höher. Allerdings war
das New York der späten 70er und frühen 80er, in dem ich aufgewachsen bin, eine
völlig andere Welt. Als 13-Jähriger war es das absolut größte für mich, in die
Stadt zu gehen und in den Plattenläden von Greenwich Village abzuhängen. Es war
viel gefährlicher, aber trotzdem auch irgendwie unschuldiger. Vielleicht war
auch nur ich unschuldiger. Ich war ein Teenager, aber ich nahm keine Drogen und
beging keine Verbrechen. Ich wusste, dass es diese Dinge gab und wo, aber ich
hielt mich fern davon. Gut, ich habe mir mal einen gefälschten Ausweis gekauft,
um in Clubs reinzukommen. Und einmal hat mich auf dem Times Square einer mit dem
Messer bedroht. Ich habe dem Typen meine 15 Dollar gegeben und hatte natürlich
auch Angst, aber ich dachte nicht, dass ich jetzt sterbe. Heute dagegen muss
man, egal wo man ist, damit rechnen, sein Leben zu verlieren. Egal, ob durch
religiöse Fanatiker oder auch nur irgendeinen verdammten Irren mit einer Knarre,
der entscheidet, dass er heute in einer Schule rumballern muss. Nehmen Sie nur
den Angriff aus den Musikclub Bataclan in Paris, wo gerade die Eagles Of Death
Metal spielten. Wobei man einräumen muss, dass zumindest hier in Amerika, der
einheimische Terrorismus ein ernsteres Problem darstellt als der von außen
kommende. Es gibt mehr Amerikaner, die Amerikaner töten als religiöse
Extremisten, die Attentate begehen.
In den 80ern war
Terrorismus etwas, das anderswo passierte, in Nordirland zum Beispiel…
…genau, oder im Mittleren Osten, in Palästina. Jedenfalls
war Terrorismus damals nicht Teil meines Lebens. Heute muss ich mich, da ich
auf dieser Erde lebe, zwangsläufig damit auseinandersetzen. Als Kid in den
80ern habe ich mir nicht ständig Sorgen gemacht, dass wir uns als Spezies mit
Atombomben auslöschen könnten. Wenn ich aber jetzt einen Bahnhof betrete, geht
es mir durch den Kopf, dass jeden Augenblick einer mit einem Bombengürtel um
den Bauch auf den Bahnsteig rennen könnte. Im Dezember war ich bei der Premiere
von Star Wars – mit meiner Familie. Es ist ein großes Ereignis und es sind jede
Menge Leute da und in mir steigt der Gedanke auf, „was, wenn jetzt einer
losballert?“. Das ist die Welt in der
wir heute leben!
Reden wir von
erfreulicheren Dingen. Ihr habt eine neue Platte aufgenommen, darauf sind
wieder ein paar richtige Ohrwürmer. Gibt es einen Grund dafür, dass die Thrash
Bands von der Ostküste wie Anthrax oder Overkill schon immer etwas melodischer
waren als die Westküstenbands wie Exodus oder Slayer?
Darüber denke ich nicht nach. Wir planen nicht, was für
Lieder wir schreiben. Wir gehen zu dritt in den Proberaum und legen los. Wir
versuchen Musik zu machen, die uns die Haare schütteln lässt und Songs zu
komponieren, die wir nirgendwo anders hören können. So halten wir es seit 1981.
„For all Kings“ ist
ein für manche überraschend starkes Album geworden. Es ist das erste seit
„Worship Music“ von 2011, das gemischte Reaktionen erntete. Davor gab es acht
Jahre lang keine neuen Aufnahmen, sondern Querelen in der Band, die mit
zahlreichen Besetzungswechseln einhergingen. Hattet ihr etwas zu beweisen?
Nein, die Meinung von anderen ist mir egal – abgesehen von
den Jungs in der Band.
Wenn du an neuen
Songs arbeitest, bist du eher ein Hamsterer, der erst tausende von Riffs hortet
und dann das meiste verwirft oder schreibst du eher wenig und nimmst das dann
auch alles?
Es ist eher so, dass ich die eine oder andere Idee, die mir
in den Sinn kommt, wenn ich die Gitarre zur Hand nehme, mit dem Telefon
aufnehme. Wenn wir dann in der Band an Songs arbeiten und es würde passen,
krame ich sie dann wieder hervor. Ich bin also kein Hamsterer. Mir kommen die
besten Ideen, wenn ich mit Charlie (Benante) und Frankie (Bello) unserem
Bassist gemeinsam zocke.
Nochmal zurück in die
80er. Anthrax waren nicht nur Mitbegründer der Thrash Metal-Szene. Sie waren
mit ihrem Nebenprojekt S.O.D. (1985), Anthrax- Songs wie „I´m the Man“ (1987)
und einer Kollaboration mit Public Enemy („Bring the Noise“, 1991) auch
stilbildend für das Crossover Genre, in dem sich Elemente von Hip Hop, Hardcore
und Metal verbanden. Was später sehr erfolgreiche Bands wie Korn oder Limp
Bizkit inspirierte.
Ja, stimmt.
Heute läuft zwischen
der Metal- und der Hip Hop-Szene so gut
wie nichts mehr. Was ist passiert?
Keine Ahnung. Wahrscheinlich hat keiner mehr eine gute Idee
für sowas gehabt, ich jedenfalls hatte keine mehr seit der Sache mit Public
Enemy (lacht).
Ihr wart damals mit
denen auf Tour. Sind da zwei Welten aufeinander geprallt? Chuck D hat mal
gesagt, einige der Shows auf dieser Konzertreise wären mit das härteste
gewesen, was er je mitgemacht habe.
Nein, wir waren einfach ein Haufen New Yorker, die gemeinsam
etwas völlig Neues, Einmaliges auf die Beine gestellt haben. Eine Metal Band und
eine Rap Band, die gemeinsam auf Tour gingen, das hatte es nie zuvor gegeben.
Es war ein fantastisches Erlebnis. Wobei wir – das muss ich ehrlich sagen –
auch an viele Orte gekommen sind, wo die Leute für so etwas noch nicht bereit
waren. Aber wir hatten wie gesagt eine Menge Spaß, weil wir so sehr liebten,
was wir taten.
Ende vergangenen
Jahres ist Szene-Übervater Lemmy Kilmister gestorben. In dem Rockumentarfilm
"49% motherfucker. 51% son of a bitch" von 2010 über ihn hast du einen Auftritt und erzählst diese
urkomische Story, wie sie mit seiner Band Motörhead im selben Studiokomplex
aufnahmen und dir der frisch ins sonnige Kalifornien umgezogene Lemmy täglich
in diesen Hot Pants-artigen ultrakurzen Hosen über den Weg gelaufen sei, die
tiefer blicken ließen als dir lieb war. Lemmy, von ihnen darauf angesprochen,
meinte mit Blick auf eure knielangen Beinkleider nur ganz trocken: „Es ist warm
draußen, deshalb trage ich Shorts und habe es kühl. Das hingegen sind lange
Hosen“. Das ist eine meiner
Lieblingsstellen im Film…
…oh, danke schön…
…hast du vielleicht
nochso eine gute Geschichte über ihn?
Keine, für die ich nicht eine halbe Stunde brauchte, um sie
zu erzählen (lacht). Das erste Mal habe ich Lemmy 1985 in einer Bar in London
getroffen. Und ich versuchte mit ihm mitzuhalten beim Trinken, denn er war ja
mein Held. Das war aber ein verdammt schwerer Fehler. Um es kurz zu machen: Zwei
Tage später kam ich in einem Münchner Hotelzimmer wieder zu mir während ein
Arzt mir eine Spritze verpassen wollte, weil ich eine üble Alkoholvergiftung
hatte und mich ständig erbrach Ich wehrte mich mit Händen und Füßen, weil ich
überzeugt war, er sei der Nazi-Doktor aus dem Film „Marathon Man“. Es war eine
der schlimmsten Erfahrungen meines Lebens. Ich kann also von mir sagen, Lemmy
hat mich 1985 beinahe umgebracht. Ziemlich
verrückt, was?
Diese Geschichte
erzählst du ebenfalls in deinem Spoken-Word-Programm, mit dem du auch schon
auf Festivals wie dem Wacken Open Air aufgetreten bist. Machst du das noch
gelegentlich?
Wenn ich die Zeit habe. Es ist aber schwierig ein
Zeitfenster dafür zu finden, weil Anthrax ständig spielen. Aber Lust hätte ich
schon.
Was macht den Reiz
daran aus, Leuten Geschichten über Heavy Metal zu erzählen, wenn man stattdessen
selbst mit der eigenen Heavy Metal Band auf der Bühne stehen könnte?
Wenn ich keine Gitarre umhängen habe und nicht mit der Band
spiele, habe ich die alleinige Verantwortung. Es gibt nur mich und das Mikrofon
und die Leute, die von mir unterhalten werden möchte. Das gefällt mir daran.
Ein weiteres Hobby
von dir ist Poker. Ein Online-Poker-Anbieter hat dich sogar mal als Profi
unter Vertrag genommen. Du musst also ziemlich gut sein. Was ist das
faszinierende an dem Spiel?
Das war mal. Ich habe schon seit fünf Jahren nicht mehr
ernsthaft gespielt. Online-Poker ist in den U.S.A seit 2011 verboten. Das war
so ziemlich das Ende meiner Spieler-Laufbahn.
Von der Band oder der
Crew will niemand mit dir spielen?
Nein, keiner von meinen Freunden spielt noch Poker mit mir.
Nicht einmal, wenn ich verspreche, es langsam angehen zu lassen.
Noch mal zurück zur
Musik. Du hast mal gesagt, dass Accept einer deiner Haupteinflüsse als
Gitarrist waren. Wann und wie hast du die Deutschen Metal-Pioniere entdeckt?
In den frühen 80ern waren meine Freunde und ich ständig auf
der Jagd nach der nächsten härtesten Band der Welt. Irgendjemand kam dann mit
„Breaker“ (drittes Accept Album, erschienen 1982) an und wir sind total auf die
Scheibe abgefahren. Für mich war das die härteste Platte aller Zeiten – bis
(der Nachfolger) „Restless and Wild“ herauskam. Von 1982 bis ´84 haben wir kaum
was anderes gehört, nichts war so heftig wie Accept. Sie waren die
metallischste Metal Band, die es gab.
Hast du sie auch
live erlebt?
Sie kamen nach New York im Vorprogramm von Kiss. Wir kauften
uns natürlich Tickets für die Show in der Radio City Music Hall. Aber am Tag
zuvor spielten sie im The Mid-Hudson Civic Center in Poughkeepsie im Staat New Xork,
etwa 80 Meilen nördlich von New York City. Wir fuhren hin, denn wir wollten
unbedingt die ersten sein, die Accept sehen – Den Auftritt Kiss haben wir nicht
mal abgewartet. So konnten wir unseren anderen Freunden am nächsten Tag
erzählen, wir haben Accept schon gestern Abend gesehen und sie waren
unglaublich. Dann haben wir Kiss wieder nicht angeschaut, sondern sind nach
Brooklyn gefahren, weil Accept dort nachts um eins noch eine zweite Show in
einem Club spielten. Dort war die Hölle los. Der Laden war vielleicht für 1200
oder 1500 Besucher ausgelegt, aber es waren bestimmt mehr als 2000 da, die
komplett ausgerastet sind. Es war ein verdammt geiles Konzert.
War das nicht ein großes Opfer für dich, zweimal auf Kiss zu
verzichten für Accept? Ich dachte, du wärst auch ein ziemlich fanatischer Fan
von denen.
Stimmt, aber Kiss-Fan war ich nur von 1975 bis 1978. Nach
„Alive II“ waren sie mir herzlich egal.
Cooles Interview, besonders der Schluss
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