Eigentlich herrschen goldene Zeiten für dunkle Rockmusik: Eine Band wie Unheilig eilt von Erfolg zu Erfolg – die Diskussionen um die zunehmenden Schlagertendenzen beim Graf einmal beiseite gelassen – und Ausstellungen wie die Schau "Schwarze Romantik. Von Goya bis Max Ernst" in Frankfurt ziehen Besuchermassen an. Vor diesem Hintergrund müssten Shy Guy At The Show (SGATS) eigentlich in ausverkauften Hallen spielen – und nicht wie vergangenen Samstag in der Rheinschänke in Leimersheim.
Andererseits: wer sich fast zwei Jahre in der
Versenkung verkrochen hat, muss sich wohl ersteinmal hinten, beziehungsweise
ganz unten, anstellen. Von daher können sich die „scheuen Jungs“ wohl glücklich
Schätzen, dass sie zumindest bei den treuesten ihrer treuen Fans noch
unvergessen sind und gut hundert von ihnen den historischen Ort des allerersten
SGATS-Auftrittes an den Rand der Kapazitätsgrenze brachten.
Doch kommen wir zum Wesentlichen: Die Band hat
während der Zeit der Bühnenabstinenz nichts
verlernt, sie präsentiert sich im Gegenteil spielstark und
wandlungsfähig wie nie zuvor. Sänger Sebastian Emling wandelt wie eh und je
trittsicher auf dem Grad zwischen gefühlsseligem Schmerzensmann und manischer
Rampensau mit Jim Jones- Qualitäten.
Während der Baumgroße Frontmann stimmlich auf
einen grufttiefen Bariton festgelegt ist, geben sich seine Hinterleute nahezu
schizophren flexibel. Bedrohlich stampfende Heimsuchungshymnen („Ghosts“)
wechseln mit Düster-Blues (“Death is the Mother of Beauty”) à la Mark Lanegan,
Dark-Disco-Smashern („Skin“), bei denen die ganze Rheinschänke im
Drei-Schritte-Tanz schwoft, und harrschen Rockern („Death Valley“), wie sie The
Cult zu „Ritual“-Zeiten auch nicht besser hinbekommen hätten.
Den Ur-Hit „Close“ müssten die Indie-Club-DJs
ob seiner einnehmenden Rhythmik und den vor Sattheit schon fädenziehenden
Keyboards eigentlich rauf und runter spielen. Dann wiederum zelebrieren SGATS
wie beim balladesken (und brandneuen) „76 Degrees“ erhabene
Sonnenaufgangsrefrains, die sich glitzernd im Wellenspiel Jonas Schiras Piano
brechen. Nur um im Anschluss bei einem angedeuteten Doors-Zitat wie
„Solidarity“ mit einem Gedicht von Lord Byron auf den Lippen und Patschuli-Duft
in der Nase im schmatzenden Post-Rock-Sumpf zu versinken.
Ergänzt wird das Programm durch ein paar
geschmackssicher ausgewählte Covers wie „Wolf Like Me“ der Indie-Avantgardisten
TV On The Radio , „Tainted Love“ von Soft Cell oder „Love Is A Shield“ von
Camouflage.
Kurz, die Band ist gereift. Die aktuellen
Songs erscheinen kompakter als noch auf dem letzten Langspieler, dem auf auf
Goethes Prometheus basierenden Konzeptalbum „The Birth Of Doubt“. Sie
überschreiten gar die Grenze zum Pop, was vom fürs Frühjahr angekündigten neuen
Album einiges erwarten lässt. Am Ende des über zweieinhalbstündigen Konzerts
sind die Scheiben beschlagen – von innen und außen. Hoffentlich sieht man von
dieser famosen Band in Zukunft wieder mehr.
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