Sonntag, 5. Mai 2013

Kunst statt Pflastersteine - Erin Currier und Anthony Hassett malen für eine gerechtere Welt

Erin Currier und Anthony Hassett  gehören zu jenen Menschen, die bei Demos in der ersten Reihe marschieren. Das amerikanische, in Santa Fe lebende, Künstlerpaar ist tief der Autonomen Szene der USA verwurzelt. Erin  arbeitet in der Tradition lateinamaerikanischer Murals, östlicher Ikonographie und des sozialistischen Realismus. Für ihre Collagen und Gemälde verwendet sie Abfall, den sie auf ihren Reisen gesammelt hat. Ihre Werke erzielen Preise im gehobenen Segment. Zu den Käufern gehören Hollywood-Stars wie Bernardo Bertolucci, John Cusack oder Whoopi Goldberg genauso wie Gitarrist Carlos Santana oder Hugo Chavez. Anthony füllt mit Vorliebe schwarze Notizbücher mit Bildpaaren gegensätzlicher ja bitarrer Motive: ein Taliban mit Kalaschnikof und Armstumpf auf der einen, ein onanierender orientalisch aussehender Jüngling auf der anderen Seite, Huren, Transvestiten, Mörder, prügelnde Polizisten. 

Anlässlich ihrer ersten Ausstellung in Deutschland im kleinen Karlsruher Kulturzentrum Kohi , sprach der Rockblog mit den beiden Malern.

BRB: Erin, Anthony, bitte charakterisiert einmal kurz die Kunst des andern.
Anthony: Erins Kunst hat eine narrative Dimension. Auf ihren Reisen malt und zeichnet sie unentwegt, wie sich ein Autor Notizen macht  (Allein während unseres gemeinsamen Abendessens fertigt sie zwei Zeichnungen, Verf.). Servietten, Flyer von Clubs, Kötztüten aus Fliegern – alles bemalt Erin. Sie zeigt den Kampf der Menschen für eine sozialere Welt. Es ist die Welt der kleinen Leute. Die Motive meiner Kunst hingegen sind die Raubtiere unserer modernen Welt und ihre Opfer. Wenn Kunst heute keine soziale oder politische Dimension hat, ist sie nur eine ästhetische Fingerübung. Das interessiert mich nicht.
Es sind zwei Seiten ein und derselben Medaille. Wir wohnen sozusagen in der gleichen Straße, haben aber verschiedene Adressen.
Wie habt ihr euch kennengelernt?
Anthony: Vor 16 Jahren in einem Kaffee. Erin bediente dort, ich war Kunde.
Erin: Er war aus seinem Stammkaffee rausgeflogen und kam von da an regelmäßig in meines.
Anthony: Wir saßen gemeinsam auf der Türschwelle, rauchten und lachten. Seitdem waren wir immer zusammen, bis auf ein Jahr. Da nahmen wir uns eine Auszeit voneinander.
Ihr macht keinen Hehl daraus, dass ihr mit der politischen Situation in eurem Heimatland nicht einverstanden seid. Könnt ihr das ein wenig präzisieren?
Anthony: Ich glaube dass das politische System heute verdorbener ist als vor fünfzig Jahren. Damals waren sich die US-Bürger zumindest der Tatsache bewusst, dass sie in einem Polizeistaat leben – schließlich wurden sie bis 1961von einem General regiert (Dwight D. Eisenhower, Verf.). Kennedy war ein Lichtblick, aber Nixon hat das Land dann endgültig runtergezogen. Heute steht doch viel mehr auf dem Spiel. Die Ressourcen, um die die Großmächte konkurrieren, sind knapp. Der Kapitalismus ist völlig ungezähmt. Die Politiker sind gekauft – heute arbeiten sie für Halliburton, morgen sitzen sie im Kabinett. Jeder liebt zum Beispiel Clinton, aber er hat viele der Gesetze, die die heutigen Probleme Mitverursacht haben, erst auf den Weg gebracht.
Ist es in Europa denn besser?
Anthony: Nein, die ganze Welt ist abgefuckt. Und leider weiß ich das ganz genau, denn ich bin ständig auf Reisen.
In den vergangenen zwölf Jahren habt ihr gemeinsam 40 Länder bereist, darunter auch politische Brennpunkte, wie Lateinamerika oder Südostasien.
Anthony: Zum Beispiel waren wir drei Wochen nach der Absetzung  von Mubarak auf dem Tahir Platz. Wir hatten im Libanon Freunde besucht und reisten spontan nach Kairo. Die Leute sahen uns und waren einfach nur baff. Sie sagten, wisst ihr nicht, dass hier gerade eine Revoution stattfindet. Wir sagten, deshalb sind wir hier.
Erin: Angst hatten wir dort nie. Nur die US-Regierung schürt die Angst vor diesen Menschen. Wenn man aber hinfährt und mit ihnen spricht, ist alles ganz anders. In Kairo kannst du mit jedem, der dir auf der Straße begegnet eine vernünftige politische Diskussion führen, was man LA zum Beispiel nicht behaupten kann.
Anthony: So ist es eigentlich überall auf der Welt, die Leute sind im Grunde cool. Die Machtstrukturen sind das Problem.
Wir erleben in Deutschland gerade einen ziemlichen Hype der Idee, die Abgaben für Besserverdienende müssten erhöht werden, obwohl die Steuereinnahmen sprudeln, wie nie zuvor. Geht der Kampf um eine sozialere Welt automatisch mit einer Abneigung gegen reiche Leute einher?
Erin: Nein, aber ich  denke, man kann reich sein, ohne andere Menschen auszunutzen und die Umwelt übermäßig zu strapazieren.
Anthony: Ich glaube, wirtschaftlicher Austausch ist in Ordnung, auch mit Geld als Zahlungsmittel. Allerdings sollte dieses Zahlungsmittel einen reellen Gegenwert haben. Nicht umsonst fungierte Gold in früheren Zeiten als Währung. Der Dollar hingegen ist doch nur noch eine einzige Lüge.
Erin: Wir allerdings führen ein einfaches Leben. Wir haben kein Haus, keine Kreditkarten und teilen uns einen alten Truck. Ansonsten besitzen wir nur ein paar Bücher. Ich würde unsere Lebensweise als eine Art Robin-Hood Recycling bezeichnen.
Erin, Du nennst „Sozialistischen Realismus“ als Einfluss. Kannst Du dir vorstellen, dass das einigen Menschen, deren Familien unter den Repressalien der kommunistischen Diktaturen in Europa zu leiden hatten, sauer aufstößt?
Erin: Meine Kunst ist vom sozialistischen Realismus der Amerikas beeinflusst, etwa von revolutionären Wandbildern in Mexiko. Mit Stalinismus europäischer Prägung hat das überhaupt nichts zu tun.
Anthony: Um die Welt zu ändern, brauchen wir auch gar keine Revolution. Es würde schon völlig genügen, das Spiel nicht mehr mitzuspielen. Die Menschen sind heute doch traumatisiert vom modernen Leben. Sie gehen einem Job nach, den sie hasen und abends kommen sie nachhause und hassen vor lauter Frust ihre Familien.
 Die Werbung zeigt uns Bilder von glücklichen Paaren, die beide lächelnd in ihre separaten i-phones glotzen und sich gegenseitig ignorieren. Du benutzt weder dein Hirn, weil du alles nur noch online nachschaust, noch dein Herz. Stattdessen verbringst du deine Zeit damit, am Bildschirm kleine Hunde und Katzen aufzuziehen. In Wahrheit ist so ein Dasein lächerlich, langweilig und dumm!
Oder nimm zum Beispiel die Cloud. Die Cloud ist ein Witz. Sie ist nichts anderes als ein Ort, an dem die Regierung problemlos auf all deine persönlichen Daten zugreifen kann. Wer ist bescheuert genug, so etwas zu benutzen?
Erin: Es wird uns auch ständig vorgegaukelt, digital wäre besser. Ich glaube hingegen, dass Bücher oder der Akt des Malens erhaltenswerte Kulturgüter sind.
Anthony, du hast mal bei William S. Burroughs studiert. War das während seiner Zeit am New York City College?
Anthony: Nein, das war auf der „Jack Kerouac School of Disembodied Poetics“. Sie gehörte zur Naropa University, die Chögyam Trungpa gegründet hat.
 Dieser verrückte buddhistische Mönch? 
Anthony: Genau der. Er hatte so eine Art Leibgarde, die Vajra Guard, und wenn er mit einer der Studentinnen Sex haben wollte, haben die das klargemacht. Jedenfalls unterrichteten dort viele Poeten der Beat Generation wie Allen Ginsberg, Anne Waldeman und eben Burroughs. 
Die ganzen Bekloppten also?

anthony: Hahaha. Ja, die ganzen Bekloppten. Es war einfach nur Großartig! Leider haben sie dort in Boulder, Colorado, auch nukleare Sprengköpfe hergestellt. Dagegen haben wir demonstriert, dabei wurde es etwas ungemütlich. Ich kam für drei Monate in den Knast und musste schließlich den Staat verlassen. 
Info: KOHI-Kulturraum zeigt "Saints, Soldiers, Scholars and Psychos" ab Samstag, 27. April, 19 Uhr, bis voraussichtlich Ende Mai. Geöffnet während der Veranstaltungen.







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