Dienstag, 28. Mai 2013

Doom-Bacchanal oder Hipster-Orgie? Das Desertfest in Berlin



Drei Tage voller Doom und Gloom verspricht das Desertfest am letzten Aprilwochenende in Berlin. Auf dem Billing stehen mit Orchid, Unida oder Pentagram namhafte Koryphäen der Schneckenmusik. Eine schöne Gelegenheit also, mal wieder so richtig das Veitstanzbein zu schwingen. Doch kaum Betritt der Schreiber voll freudiger Erwartung das Gelände des Astra Kulturhauses in Friedrichshain, verliert er sich unversehens im Gewirr einer struppigen Bartlandschaft  – zusätzlich irritiert durch die von unzähligen Omabrillengläsern zurückgeworfenen Lichtreflexe, die unter helmartig getragenen Mainstream-Anti-Mainstream-Mützen hervorblitzen wie außerirdische Energietodesstrahlen: HIPSTER.
Eigentlich ist so ein Konzert-Review ja nicht unbedingt der Rahmen für kulturphilosophische Betrachtungen, aber aus gegebenem Anlass gebietet sich an dieser Stelle doch ein kleiner Diskurs über die Kolonisierung der Underground Rock-Kultur durch bärtige Hornbrillenträger: Was schlimm daran ist? Nicht, dass der Metal-Hipster mit seinen Longboards die Parkplätze vor den Clubs zustellt.  Nicht, dass er mit seiner Vorliebe für eine Hamburger Biermarke all überall die Getränkequalität verdirbt. Nicht, dass er wegweisende Bands wie Pentagram oder Saint Vitus zuallererst beim Schauen von Internetfilmchen auf dem MacBook im fair gehandelten Caféhaus entdeckte – wobei er sich dann gleich das passende Retro-Bandshirt bestellt hat –, statt durch eigene genealogische Studien. Nicht, weil ihm noch vor 20 Jahren beim Besuch eines Slayer-Konzerts ob der etwas rauen Sitten alle Hornbrillen aus dem Gesicht gefallen wären.
Wirklich bedauerlich ist, dass sich der Hipster mit der Aneignung einer von ihm im Grunde belächelten Fankultur als deren Totengräber betätigt. Denn seine Unterwanderung ihrer gemeinschaftsstiftenden Zusammenkünfte (Konzerte) erschüttert deren Grundfesten: Während sich der Hipster von einem Mischmasch aus verschiedenen Elementen der Popkultur nährt, duldet der Metal-God keine anderen Götzen neben sich – wie etwa den Besitz von Arcade Fire-Alben. Während der Hipster reflexartig vermeidet, irgendetwas wirklich, ehrlich und unironisch wertzuschätzen, ist die Liebe des Metal-Fans zu seiner Musik in seinem Selbstverständnis vor allem eines: true! „Metal“ versteht sich noch immer als Fluchtburg für Außenseiter-Kids, wie sie früher im Schulhof mit ihren abgeschnittenen Jeansjacken und ungeschnittenen Haaren immer etwas verachtet im Abseits standen. Das mag heute anachronistisch sein, gehört aber zum mythischen Erbe eines Musikgenres, über das der unlängst verstorbene Jeff Hanneman einmal sagte: „I fit sounds like I´m standing over a body that´s just been stabbed to death, then it´s perfect.“ Dem Hipster als Underground-Touristen sollte das eigentlich zu denken geben! Exkurs Ende.
Zurück zum Festival: wegen Interviewterminen gehen mir leider gleich zu Anfang die so ungestümen wie sympathischen Asi-Punk-Metaler The Shrine durch die Lappen, dievergangenen September im Vorprogramm von Fu Manchu für reichlich Bierdurst sorgten. Ebenso Victor Griffins neue Band In-Graved, wo neben dem Ex-Pentagram-Gitarristen auch die Trouble-Veteranen Jeff „Oly“ Olson an den Keys und Ron Holzner am Bass mit von der Partie waren.
Dyse könnte man als eine durchgeknallte Liaison von Kyuss und Qotsa bezeichnen, nur dass bei dem Duo aus Amsterdam noch eine Menge Jazz, Noise und Wahnsinn dazukommen. Aufwühlend ist das, verstörend, aber irgendwie auch fesselnd. Coole Band!
Dann sind Pentagram an der Reihe. Und die Doom-Gevattern legen mit Neu-Gitarrist Matt Goldsborough einen ziemlich überzeugenden Auftritt hin. Keine Selbstverständlichkeit, denn der 32-Jährige, den Bobby Liebling als Baby in der Band vorstellt, hat erst seinen zweiten Auftritt mit der Kult-Kombo und muss einen der versiertesten Klampfer im Düster-Rock ersetzen. Matt spielt bluesiger als Victor, aber der Sound seiner bevorzugte Halbresonanzgitarre ist sehr verwaschen. Erst als sich der Blondschopf eine Gibson SG umhängt kommt der nötige Druck. Bobby Liebling hingegen ist umso agiler: der alte Uhu hat sogar seinen kleinen Wohlstandskessel, den er vergangenes Jahr beim Hammer Of Doom noch vor sich her trug, abgelegt. Mit einem Backkatalog, wie Pentagram ihn haben, kann aber ohnehin wenig schiefgehen: „Sign Of The Wolf“ oder “Forever My Queen” sind Evergreens, „All Your Sins“ verfügt über eines DER Monster-Riffs der Rockgeschichte und bei „20 Buck Spin“ brechen ohnehin alle Dämme. Und mit „Be Forewarned“ feiert eine weitere unvergessene psychedelische Heimsuchung ihre Live-Premiere. Kein denkwürdiger Gig wie beim HOD, aber ohne Tadel.

Sprung zu Tag drei (Tag zwei fiel familiären Verpflichtungen zum Opfer): Fatso Jetson verquirlen Punk, Stoner, Metal und Bluesrock zu einem staubtrockenen Cocktail. Mainman Mario Lalli ist dabei so enthusiastisch, als sei er gerade mitten in der Wüste auf eine Wasserader gestoßen, das Publikum entsprechend mitgerissen. Das setzt sich beim Instrumentalrock von Yawning Man fort, wo Lalli statt der Gitarre den Bass bedient.
Ein absolutes Highlight entzünden anschließend My SleepingKarma. Die Aschaffenburger sind das musikalische Äquivalent einer Lavalampe: hypnotisch wabernde Gitarrenläufe, schummrige Keyboards und meditative Rhythmen. Was Matte, Seppi und Norman ohne Gesang für eine weihevolle Atmosphäre erzeugen ist fast schon magisch.
Im Vergleich profan, aber nicht minder unterhaltsam sind Troubled Horse. Die Schweden springen für Witchcraft ein, die kurzfristig abgesagt haben. Für den Horse-Gitarristen, der sich terminlich so kurzfristig nicht freimachen konnte, springt wiederum Witchcraft-Sechssaiter Simon Solomon ein. Angeblich lernte er die Songs in nur drei Stunden lernte. Das Quartett zockt eine Art psychedelischen Schweinerock im glueciferischen Sinne. Fehlendes Charisma gleicht Sänger Martin Heppich durch seine eigentümliche Bühnenperformance aus, indem er sich hin und wieder mit dem eigenen Mikrofonkabel stranguliert oder in einen etwas ungelenken Robot-Dance verfällt. Macht Spaß!
Vom bodenständigen Charme der Skandinavier könnten sich Kadavar eine dicke Scheibe abschneiden. Das Trio ist kostümiert wie Jefferson Airplane zu „Surrealistic Pillow“-Zeiten  –  nur mit wesentlich mehr Gesichtsbehaarung als Grace Slick. Genauso museal wie ihr Äußeres wirkt der Sound der Berliner: Kadavar präsentieren ihre durchaus gutklassige Mischung aus Proto Metal und Psychedelic Rock wie das Reenactment eines James Gang-Konzerts von 1971. Auf Indie-Journalisten-Neudeutsch heißt das dann wohl Vintage-Sound. Schlecht gemacht ist das keineswegs, aber begeisternde Ergebnisse zeitigt diese Spielart experimenteller Archäologie heute nicht.
Muss man bei Kadavar ständig überlegen, wo man dies oder das schon gehört hat, weiß man es bei Orchid wenigstens sofort: Black Sabbath. Nach dem Motto „aus zwei mach eins“ reiht der San Francisco-Vierer unbeschwert ein Iommi-Riff ans andere. So könnte Theo Mindell zu „Wizard Of War“ beispielsweise auch getrost die Gesangslinie von “Megalomania” singen. Aber was soll´s, schließlich ist „Paranoid“ auch nur ein Rip-off von Zeppelins „Communication Breakdown“. Von daher hat man hier das Gefühl einer Truppe von Die Hard-Fans zu lauschen, die zwar ihren Helden huldigen, aber doch Kinder ihrer Zeit sind und keine Nerds, die Uraltequipment sammeln, um damit Uraltrock aufzunehmen. Sollten Ozzy, Iommy und Geezer mit ihrer kommenden VÖ unterm Black Sabbath-Banner enttäuschen, mit ihrem aktuellen Album „The Mouths Of Madness“ haben Orchid schon das perfekte Trostpflaster vorgelegt.

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