Drei Tage
voller Doom und Gloom verspricht das Desertfest am letzten Aprilwochenende in
Berlin. Auf dem Billing stehen mit Orchid, Unida oder Pentagram namhafte Koryphäen der Schneckenmusik. Eine schöne Gelegenheit also, mal wieder so richtig
das Veitstanzbein zu schwingen. Doch kaum Betritt der Schreiber voll freudiger Erwartung
das Gelände des Astra Kulturhauses in Friedrichshain, verliert er sich
unversehens im Gewirr einer struppigen Bartlandschaft – zusätzlich irritiert durch die von unzähligen
Omabrillengläsern zurückgeworfenen Lichtreflexe, die unter helmartig getragenen Mainstream-Anti-Mainstream-Mützen
hervorblitzen wie
außerirdische Energietodesstrahlen: HIPSTER.
Eigentlich
ist so ein Konzert-Review ja nicht unbedingt der Rahmen für kulturphilosophische Betrachtungen, aber aus gegebenem Anlass gebietet sich an
dieser Stelle doch ein kleiner Diskurs über die Kolonisierung der Underground
Rock-Kultur durch bärtige Hornbrillenträger: Was schlimm daran ist? Nicht, dass
der Metal-Hipster mit seinen Longboards die Parkplätze vor den Clubs zustellt. Nicht, dass er mit seiner Vorliebe für eine
Hamburger Biermarke all überall die Getränkequalität verdirbt. Nicht, dass er
wegweisende Bands wie Pentagram oder Saint Vitus zuallererst beim
Schauen von Internetfilmchen auf dem MacBook im fair gehandelten Caféhaus entdeckte
– wobei er sich dann gleich das passende Retro-Bandshirt bestellt hat –, statt
durch eigene genealogische Studien. Nicht, weil ihm noch vor 20 Jahren beim
Besuch eines Slayer-Konzerts ob der etwas rauen Sitten alle Hornbrillen aus dem
Gesicht gefallen wären.
Wirklich bedauerlich ist, dass sich der Hipster mit der
Aneignung einer von ihm im Grunde belächelten Fankultur als deren Totengräber
betätigt. Denn seine Unterwanderung
ihrer gemeinschaftsstiftenden Zusammenkünfte (Konzerte) erschüttert deren
Grundfesten: Während sich der Hipster von einem Mischmasch aus
verschiedenen Elementen der Popkultur nährt, duldet der Metal-God keine anderen
Götzen neben sich – wie etwa den Besitz von Arcade Fire-Alben. Während der
Hipster reflexartig vermeidet, irgendetwas wirklich, ehrlich und unironisch wertzuschätzen,
ist die Liebe des Metal-Fans zu seiner Musik in seinem Selbstverständnis vor
allem eines: true! „Metal“
versteht sich noch immer als Fluchtburg für Außenseiter-Kids, wie sie früher im
Schulhof mit ihren abgeschnittenen Jeansjacken und ungeschnittenen Haaren immer
etwas verachtet im Abseits standen. Das mag heute anachronistisch sein, gehört aber
zum mythischen Erbe eines Musikgenres, über das der unlängst verstorbene Jeff Hanneman
einmal sagte: „I fit sounds like I´m standing over a body that´s just been
stabbed to death, then it´s perfect.“ Dem Hipster als Underground-Touristen
sollte das eigentlich zu denken geben! Exkurs Ende.
Zurück
zum Festival: wegen Interviewterminen gehen mir leider gleich zu Anfang die so
ungestümen wie sympathischen Asi-Punk-Metaler The Shrine durch die Lappen, dievergangenen September im Vorprogramm von Fu Manchu für reichlich Bierdurst
sorgten. Ebenso Victor Griffins neue Band In-Graved, wo neben dem Ex-Pentagram-Gitarristen
auch die Trouble-Veteranen Jeff „Oly“ Olson an den Keys und Ron Holzner am Bass
mit von der Partie waren.
Dyse könnte
man als eine durchgeknallte Liaison von Kyuss und Qotsa bezeichnen, nur dass
bei dem Duo aus Amsterdam noch eine Menge Jazz, Noise und Wahnsinn dazukommen. Aufwühlend
ist das, verstörend, aber irgendwie auch fesselnd. Coole Band!
Dann sind Pentagram an der Reihe. Und die Doom-Gevattern
legen mit Neu-Gitarrist Matt Goldsborough einen ziemlich überzeugenden Auftritt hin. Keine
Selbstverständlichkeit, denn der 32-Jährige, den Bobby Liebling als Baby
in der Band vorstellt, hat erst seinen zweiten Auftritt mit der Kult-Kombo und
muss einen der versiertesten Klampfer im Düster-Rock ersetzen. Matt spielt
bluesiger als Victor, aber der Sound seiner bevorzugte Halbresonanzgitarre ist
sehr verwaschen. Erst als sich der Blondschopf eine Gibson SG umhängt kommt der
nötige Druck. Bobby Liebling hingegen ist umso agiler: der alte Uhu hat sogar seinen
kleinen Wohlstandskessel, den er vergangenes Jahr beim Hammer Of Doom noch vor
sich her trug, abgelegt. Mit einem Backkatalog, wie Pentagram ihn haben, kann
aber ohnehin wenig schiefgehen: „Sign Of The Wolf“ oder “Forever My Queen” sind
Evergreens, „All Your Sins“ verfügt über eines DER Monster-Riffs der
Rockgeschichte und bei „20 Buck Spin“ brechen ohnehin alle Dämme. Und mit „Be
Forewarned“ feiert eine weitere unvergessene psychedelische Heimsuchung ihre
Live-Premiere. Kein denkwürdiger Gig wie beim HOD, aber ohne Tadel.
Foto: Nicolas Coitino
Sprung zu Tag drei (Tag zwei fiel familiären Verpflichtungen
zum Opfer): Fatso
Jetson verquirlen Punk, Stoner,
Metal und Bluesrock zu einem staubtrockenen Cocktail. Mainman Mario Lalli ist dabei
so enthusiastisch, als sei er gerade mitten in der Wüste auf eine Wasserader
gestoßen, das Publikum entsprechend mitgerissen. Das setzt sich beim
Instrumentalrock von Yawning Man fort, wo Lalli statt der Gitarre den Bass
bedient.
Ein absolutes Highlight entzünden anschließend My SleepingKarma. Die Aschaffenburger sind das musikalische Äquivalent einer Lavalampe:
hypnotisch wabernde Gitarrenläufe, schummrige Keyboards und meditative Rhythmen.
Was Matte, Seppi und Norman ohne Gesang für eine weihevolle Atmosphäre erzeugen
ist fast schon magisch.
Im Vergleich profan, aber nicht minder unterhaltsam
sind Troubled Horse. Die Schweden springen für Witchcraft ein, die kurzfristig
abgesagt haben. Für den Horse-Gitarristen, der sich terminlich so kurzfristig
nicht freimachen konnte, springt wiederum Witchcraft-Sechssaiter Simon Solomon ein.
Angeblich lernte er die Songs in nur drei Stunden lernte. Das Quartett zockt
eine Art psychedelischen Schweinerock im glueciferischen Sinne. Fehlendes
Charisma gleicht Sänger Martin Heppich durch seine eigentümliche
Bühnenperformance aus, indem er sich hin und wieder mit dem eigenen
Mikrofonkabel stranguliert oder in einen etwas ungelenken Robot-Dance verfällt.
Macht Spaß!
Vom
bodenständigen Charme der Skandinavier könnten sich Kadavar eine dicke Scheibe
abschneiden. Das Trio ist kostümiert wie Jefferson Airplane zu „Surrealistic
Pillow“-Zeiten – nur mit wesentlich mehr Gesichtsbehaarung als
Grace Slick. Genauso museal wie ihr Äußeres wirkt der Sound der Berliner: Kadavar
präsentieren ihre durchaus gutklassige Mischung aus Proto Metal und Psychedelic
Rock wie das Reenactment eines James Gang-Konzerts von 1971. Auf Indie-Journalisten-Neudeutsch
heißt das dann wohl Vintage-Sound. Schlecht gemacht ist das keineswegs, aber begeisternde
Ergebnisse zeitigt diese Spielart experimenteller Archäologie heute nicht.
Muss man
bei
Kadavar ständig überlegen, wo man dies oder das schon gehört hat, weiß man es
bei Orchid wenigstens sofort: Black Sabbath. Nach dem Motto „aus zwei mach eins“
reiht der San Francisco-Vierer unbeschwert ein Iommi-Riff ans andere. So könnte
Theo Mindell zu „Wizard Of War“ beispielsweise auch getrost die Gesangslinie von
“Megalomania” singen. Aber was soll´s, schließlich ist „Paranoid“ auch nur ein
Rip-off von Zeppelins „Communication Breakdown“. Von daher hat man hier das
Gefühl einer Truppe von Die Hard-Fans zu lauschen, die zwar ihren Helden huldigen,
aber doch Kinder ihrer Zeit sind und keine Nerds, die Uraltequipment sammeln,
um damit Uraltrock aufzunehmen. Sollten Ozzy, Iommy und Geezer mit ihrer
kommenden VÖ unterm Black Sabbath-Banner enttäuschen, mit ihrem aktuellen Album
„The Mouths Of Madness“ haben Orchid schon das perfekte Trostpflaster
vorgelegt.
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