"Sag Hans zu mir!" André Dietrich geht die Dyse. Foto: Promo/Marlen Mieth |
Dyse, klingt seltsam, ist es auch. Die beiden gebürtigen Ostdeutschen Jari Rebelein (Schlagzeug, Gesang) und André Dietrich (Gitarre, Gesang) bastardieren Grindcore mit Hip Hop, Stoner Rock mit Jazz und Pop mit Punk. Am Samstag, 19. April, spielten sie in der nicht ganz ausverkauften Alten Hackerei – Ein glücklicher Umstand, hatte Betreiber Plüschi doch nach Aussage der Band in Aussicht gestellt, sich im Falle einer Vollbesetzung gemeinsam mit den Musikern Iggy Pop-Style nackt vor dem Club zu wälzen. Ein außergewöhnlicher Abend wurde es gleichwohl.
Aufsehen erregend schon die Vorband. Astrokraut; einen
treffenderen Namen hätten die zauseligen Murgtäler für ihre musikalische
Unternehmung kaum wählen können. Die vier sehen aus, als wären sie vom
Quicksilver Messenger Service mit dem Jefferson Airplane direkt vom Monterey
Pop Festival eingeflogen worden. Soundmäßig umwabern weitläufige, knasterumnebelte Instrumental-Jams hoch aufragende, himmelbeleidigende Black-Sabbath-Riff-Menhire,
an denen immer wieder vorwitzige Licks emporzüngeln. Zusätzlich durchbrochen
wird die psychedelische Monotonie durch pfiffige Breaks und wohldosierte,
nonkonformistische Gesangseinlagen. Zugegeben, auf dem Papier sind das alles
nicht gerade die frischesten Zutaten, doch durch die unbändige Kraft der Jugend
gerät Astrokraut der Muff aus tausend Rockjahren zum Bouquet.
Wo ihr junges Vorauskommando frischen Wind verbreitete,
entfachen Dyse einen Sturm. Vor gut zehn Jahren haben sich Rebelein und
Dietrich in Amsterdam in einer Absteige Namens Dysecatmotel kennen. Vom Bier berauscht, beschlossen
sie noch in der Hotelbar, eine Band zu gründen. So geht die Legende. Dass sich
die beiden Ostdeutschen vermutlich nicht im niederländischen Kiffer-Mekka
aufhielten, um das Van Gogh-Museum zu besuchen, ist vom ersten Takt an
offenhörlich. Obwohl: dass das Duo auf musikalischem Terrain dem Künstler an
Intensität, Unmittelbarkeit und Irrsinn durchaus nahesteht, lässt sich nicht
verneinen.
Dyse klingen, als jagten Stahlzahn-bewährte Riffmonster eine
Horde Narren durch ein polyrhythmisches minoisches Labyrinth. Dietrichs
urgewaltige Gitarrenbiester stürmen von Rebeleins dionysischen Tausendfüßler-Trommeln
gehetzt um die rasiermesserscharfen Ecken und Kanten. Stets Gefahr laufend, von
sich plötzlich im Boden auftuenden Schlünden verschlungen zu werden, in deren Tiefen
nichts als kreischend kichernder Wahnsinn lauert. Dazu intonieren die beiden
Akteure Dada-, beziehungsweise Gaga-Texte, die mit Titeln wie „Schildkrötenthomas“
oder „Waldbart“ überschrieben sind (Nie klang die an sich harmlose Aufforderung,
„sag Hans zu mir“, bedrohlicher, böser, schreckenerregender).
Als Vergleiche kommen da lediglich die superjazzigen
Cartoon-Rocker Primus oder der avantgardistische Lärm von Fantomas in Frage.
Bei all diesem ikarischen Übermut ist es schon erstaunlich, dass Dyse nie den
musikalischen Ariadne-Faden verlieren. Das kostet ja selbst den Zuhörer schon
einige Mühe – doch die lohnt sich.
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