Samstag, 31. Mai 2014

80er-Land ist abgebrannt - Krokus, eine Legende demontiert sich selbst

Das Kreuz des Südens: Marc Storace    Fotos(2): Crazyfink
Auf den T-Shirts der Besucher prangen die Schriftzüge von Bands wie U.F.O., Quiet Riot und MSG. Die Rockfabrik in Bruchsal ist an diesem Freitagabend, 16.5., 80er-Land. Das versunkene Utopia vieler Rockfans, in dem Bier und Jack Daniels fließen. In dem der Metal noch unverfälscht ist, der Fußball noch ehrlich, die Mädels noch Platinblond und das eigene Haupthaar nie an Fülle verliert. Die Schlüsselgewalt zu diesem Sehnsuchtsort verwalten heute noch die musikalischen Helden von damals. Ihre großen Schlachten haben die Veteranen längst geschlagen, aber von Zeit zu Zeit schlüpfen sie nochmal in ihre alten Uniformen und führen Touristen zu den ehemaligen Kampfplätzen. Das vertreibt die Langeweile und gibt meist obendrein ein gutes Trinkgeld. Reiseleiter beim heutigen Nostalgietrip sind Krokus.
Von 1979 bis 84 beherrschte das Sextett aus Solothurn mit stürmischem, stark von Judas Priest und AC/DC geprägtem Heavy Rock für ein paar intensive Jahre die Musikszene der Alpenrepublik – lange bevor DJ Bobo hier sein Schreckensregime errichtete. Dann richtete sich die Gruppe durch byzantinische Machtkämpfe vor allem zwischen Bandgründer Chris von Rohr und Sänger Marc Storace selbst zu Grunde. Erst seit 2008 macht man wieder gemeinsam Musik.
Die Grabenkämpfe von damals scheinen heute vergessen. Offensichtlich gutgelaunt macht sich die Band ans Werk und zündet mit „Longs Stick Goes Boom“ gleich zu Beginn eine Rakete. Und so geht es weiter:  „Bedside Radio“, „Rock City“, „Easy Rocker”, ein Klassiker reiht sich an den nächsten. Auch das Guess Who-Cover „American Woman“ fehlt natürlich nicht. Es fällt auf, dass gerade etwas besinnlichere Stücke wie der leicht melancholische Fernost-Reggae „Tokyo Nights“ oder der US-Hit „Screaming in the Night” besonders gut kommen. Aber auch Stücke der neuen Zeitrechnung wie „Hallelujah Rock 'n' Roll“ oder „Hoodoo Woman“ fallen nicht ab.
Zeigt sich von der besten Saite: Mark Kohler
Marc Storace ist gut bei Bon Scotts Stimme, das Gitarren-Triumvirat Fernando von Arb, Mandy Meyer und Mark Kohler macht ordentlich Druck. Und vor allem erstgenannter glänzt mit gefühlvollen Soli. Der ewige Maulheld Chris von Rohr macht zwar den einen oder anderen dummen Spruch zu viel, groovt am Bass aber solide, so dass man seine Ausfälle mit Humor zu nehmen geneigt ist.
Alles in Alpenbutter also? Leider nein. Dass Krokus schon immer auf dem schmalen Grad zwischen mitreißendem Stadion- und allzu dumpfem Bierzeltrock wandelten, ist gegeben. Aber mit „Live for the Action“, dem Song den die Band zur Eishockey-WM 2009 in der Schweiz beisteuerte, wird die Grenze zum Schlager dann eindeutig überschritten. Nicht mal davor „Seven Nation Army“ von den White Stripes anzuspielen, das Fußballfans heute bei fast jedem Spiel anstimmen, schrecken die Eidgenossen zurück. Mehr Anbiederung ans Publikum geht kaum. Spätestens jetzt beginnt das Denkmal Krokus bedrohlich zu bröckeln. Zwar bietet sich mit dem metallischen „Headhunter“ nochmal die Chance, die klaffenden Risse im Image wieder zu kitten. Die wird mit der unsäglichen schon von tausend Coverbands missbrauchten Manfred Mann-Schote „Mighty Quinn“ im Anschluss aber endgültig zu verspielt. 80er-Land ist abgebrannt, erschütternd!

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen