Die nächste Stufe der Evolution? -Deichkind. Foto:Deichkind |
Deichkind haben Verspätung. Oder besser gesagt das Publikum.
Obwohl die Veranstalter wegen des Andrangs die Türen der Schwarzwaldhalle in Karlsruhe am
Mittwoch schon eine Stunde früher als geplant geöffnet haben, schlängelt sich
die Schlange der auf Einlass Wartenden – viele tragen Pyramiden aus Alufolie
auf dem Kopf, das Symbol der Band – noch kurz vor dem anberaumten Konzertbeginn um 20 Uhr weiterhin über den
Festplatz. Drinnen laufen bei schwüler Hitze auf der Großbildleinwand schrullige,
nippelistische südostasiatische Dance-Videos und solche von MC Hammer – Die
Älteren erinnern sich vielleicht: Das war der mit den Hosen.
„Vielleicht ist das bei denen so wie bei Kraftwerk. Die
kommen gar nicht in echt und das ist schon die Show“, beginnen sich die Ersten
zu fragen, nachdem fast eine halbe Stunde ins Land gegangen ist. Doch dann wird
ein Film eingespielt: Zum Klang apokalyptischer Posaunen zoomt die Kamera aus
den Weiten des Weltalls auf den blauen Planeten und überfliegt die Wunder der Erde,
Wüsten, Seen, Feuer speiende Vulkane, tosende Wasserfälle und dergleichen. Dann
umkreist sie menschengemachte Wunder, die Pyramiden, Stonehenge. Schließlich
werden auch die Deichkind-Musiker gezeigt, auf der Bühne, auf Tour, in
unterschiedlichen Stadien der Entkleidung und des Rausches. Der Mensch als
Kronkorken der Schöpfung.
Auf dem Vorhang zeichnen sich nun die Schattenrisse von
Obelisken ab, ähnlich dem in Stanley Kubricks „2001: A Space Odyssey“. Manche
sagen, bei dem schwarzen Gebilde habe es sich um eine Art Aufklärungssonde
einer außerirdischen Superintelligenz gehandelt, zusätzlich ausgestattet mit
der Fähigkeit, evolutionäre Entwicklungen anzustoßen. Die Szene, in welcher der
Alpha-Hominide den Knochen als Waffe und Machtmittel entdeckt, kennt jeder. Werden
uns nun Deichkind die nächste Stufe der Evolution erklimmen helfen?
„Denken Sie Groß“ performen Deichkind jedenfalls gleich als
zweiten Song, eine Reminiszenz an den Zeitgeist, der nach stetiger (Selbst)Optimierung
verlangt. Dabei tragen die Musiker statt der sonst üblichen LED-beleuchteten
Pyramiden bizarr überdimensionierte Gehirne auf dem Kopf. Der Song kommt direkt
nach dem erwartbaren Konzert-Opener „So'ne Musik“. Der Hymne für alle
Feierwütigen vom aktuellen sechsten Album „Niveau Weshalb Warum“. In diese
Abfolge ließen sich wahrscheinlich auch die Prioritäten der Hamburger
zusammenfassen: Feiern ja, aber bitte auch mal das Hirn einschalten und die
gesellschaftlichen Gegebenheiten hinterfragen. Party und in Werbeslogans
gekleidete Gesellschaftskritik gehen hier Hand in Hand: Titel wie „Leider
Geil“, „Arbeit Nervt“, „Like Mich Am Arsch“ und „Remmidemmi (Yippie Yippie
Yeah)“ feiern Burger, Bier und Medienkonsum genauso wie sie die Auswüchse des
realexistierenden Digitalismus scharfzüngig ins Visier nehmen.
Die Musik wechselt zwischen Kirmes-Techno, poppigen House
und ordentlich groovendem Hip-Hop, der das mutmaßlich von in den frühen 80ern
von Motörhead und AC/DC verursachten Haarrissen durchzogene Hallendach
gefährlich in Schwingung versetzt. Das
erstaunlich heterogene Publikum, das Ringelpullimädchen wie schwarzgekleidete
Männer mit langen Haaren umfasst, ebenso.
Die Show sieht aus, als hätten ein paar zwölfjährige die
feuchten Träume ihrer letzten Pyjamaparty verwirklicht: Vor der Kulisse eines
gutes Dutzend beweglicher Obelisken (mal wandern sie im Kreis, mal seitwärts,
mal formen sie eine Skyline) fahren Philipp Grütering, Sebastian Dürre und
Sascha Reimann alias Kryptik Joe, Porky und Ferris Hilton in wechselnden
Kostümen mit dem Seniorenscooter über die Bühne, machen eine Polonaise durchs
Publikum oder lassen sich mit dem Schlauchboot über die Köpfe der 5.000 tragen.
Nein, es bleibt kein Zweifel, Deichkind sind keine Menschmaschinen, sondern
Hedonisten von echtem Schrot und Korn.
Trotz all des anarchistischen Blödsinns wirkt die Darbietung
dann aber doch sehr durchorganisiert und lässt wenig Raum für Spontaneität.
Vielleicht ist das den Anforderungen einer aufwendigen Bühnenproduktion
geschuldet. Viellleicht ist an der in populären Thrillern verbreiteten und von
Verschwörungstheoretikern gierig aufgegriffenen Idee, die spitzwinkelige
Pyramide verweise auf die rückwärts gerichteten Machenschaften illiberaler
Geheimbünde, am Ende aber doch was dran. Dann singen Deichkind vielleicht nur
vorneherum so antireaktionär. Und in unseren Gehirnen dreht sich das aber alles
um. Zur Freude von Google und der NSA. Eine erschreckende Vorstellung!