„Wenn Du lange genug am Fluß sitzt, siehst Du irgendwann die Leiche deines Feindes vorbeischwimmen“, lautet ein Chinesisches Sprichwort. Ian Fraser Kilmister, genannt Lemmy, ist zwar sicher kein Chinese, sondern Brite durch und durch, aber auf die Karriere des legendenumwobenen Frontmannes der berüchtigten Rock`n`Roll-Band Motörhead, der am 24. Dezember seinen 65 Geburtstag feierte, passt der Spruch bestimmt.
„Uns gibt´s schon vier Jahre länger als das Dritte Reich“, sagte Lemmy 1991 von seiner Band. In allzu beengten Kategorien zu Denken, kann man dem Mann also nicht vorwerfen. Nun sind es schon 23. Im Jahr 35 „on the Road“ legen die Veteranen ein gelungenes zwanzigstes Album vor (The Wörld is Yours). Zeit, zu Fragen, wie zur Hölle es überhaupt so weit kommen konnte.
Geboren wurde Kilmister 1945 als Kind mit abstehenden Ohren eines Feldkaplans der Royal Air Force und einer Bibliothekarin. Umstände, die prägend sein sollten. Eigen sind ihm bis heute eine unbändige Abneigung – der Vater ließ die Familie im Stich – gegen alles Religiöse und jedwede Heuchelei, ein unstillbares geschichtliches Interesse am zweiten Weltkrieg und eine große Liebe zu Büchern.
Beflügelt von der Rock´n´Roll-Revolution der 50er erschloss sich Lemmy, wie er seit seinem zehnten Lebensjahr gerufen wird, bald weitere Interessensfelder: „Ich habe rausgefunden, dass man Frauen dazu bringen kann, ihre Klamotten auszuziehen, wenn man eine Gitarre hat. Und die Hüllen fallen sogar noch schneller, wenn man auf der Gitarre auch spielen kann.“
Nachdem den Umgang mit beiden in diversen Bands verfeinert hatte, zog Lemmy Kilmister ins Swinging London der 60er Jahre. Dort jobbte er als Roadie für Jimi Hendrix, was seinen Horizont enorm erweiterte. Sowohl in musikalischer Hinsicht, als auch was den virtuosen Umgang mit Drogen angeht, einem Hobby, dem er bis ins hohe Alter fröhnen sollte. Die Hendrix-Crew, erinnert er sich in seiner Biographie „White Line Fever“, sei mitunter so high gewesen, dass man einige Mitglieder dabei Beobachten konnte, wie sie im Park mit den Bäumen sprachen. „Manchmal kam es sogar vor, dass die Bäume die Diskussion für sich entschieden“.
Nach einem Zwischenspiel bei den verrückten Spacerockern Hawkwind („Silvermachine“), gründete Lemmy 1975 Motörhead. Ein Powertrio wie die Experience oder Cream. Das stilistisch an die wütenden Polit-Rocker MC5 angelehnt sein sollte. Mit anderen Worten: „Lauter, schneller, rauer, arroganter, paranoider Speed-Freak-Rock´n´Roll.“
Mit dieser Blaupause, flankiert von zwei Straßenkumpels, dem Speed-Dealer Philthy „Animal“ Taylor am Schlagzeug und einem Hippie namens „Fast“ Eddie Clark an der Gitarre, stieg Lemmy zwischen 1977 und 1981 mit der Albumtrilogie Overkill, Bomber und dem opus magnum Ace Of Spades, noch gekrönt vom Nummer-1-Live-Album No Sleep ´till Hammersmith, zum Superstar auf.
Danach konnte es nur in eine Richtung gehen - vorerst: „Was sollte man nach einem Livealbum, das es auf Nummer eins geschafft hatte, noch bringen? Wir waren am Arsch, augenblicklich.“ Es folgten zahlreiche Besetzungswechsel, unzählige Todsagungen durch die Presse – wie soll man auch eine Band über den grünen Klee loben, die von sich selbst behauptet, wenn sie neben an einziehe, stürbe dein Rasen? – und noch mehr Comebacks.
Momentan ist es mal wieder so weit: Motörhead spielen in großen Hallen, der Dokumentarfilm “Lemmy: The Movie” feierte vor kurzem in Berlin Premiere (erscheint am 13. Januar auf DVD), selbst eine Sammlung der originellsten Sprüche des Heavy-Metal-Urgesteins, „Lemmy Talking“ (Schwarzkopf & Schwarzkopf, 2010), kam heraus.
Was hat es mit dem späten Erfolg auf sich? Gehen die Leute aus denselben Gründen zu einer Motörhead-Show, die sie auch in Dinosaurier-Ausstellungen treiben? Eine Mischung aus naturhistorischem Interesse und Sensationsgier? Oder liegt es daran, dass sich Lemmy um die Jeansjacke als Kulturphänomen und das Fortbestehen der Weiße-Cowboystiefe-Industrie besonders verdient gemacht hat?
Fest steht, dass Motörhead in ihrer Kompromisslosigkeit und ihrem unerschütterlichen Glauben an die Kraft der Rock´n´Roll-Musik der kleinste gemeinsame Nenner von Punkern, Rockern und Metal-Fans sind, also quasi Völkerverbindenden Charakter haben. Darin sind sie allenfalls AC/DC vergleichbar.
Heute könne „niemand verstehen, wie schlimm es vor dem Rock´n´Roll war! Ich meine, bevor wir laute Musik hatten, gab es für uns nur Frank Sinatra, Lita Roza, Ronnie Carroll und Dickie Valentine“, sagt Lemmy. Diese albtraumhafte Erfahrung scheint für ihn der Antrieb zu sein, niemals aufzugeben.
Somit ist dieses in Whiskey konservierte Denkmal des Hedonismus der einzig verbliebene Rock´n´Roller von echtem Schrot und Korn. Gut, es gibt noch Keith Richards, aber selbst dem Rolling Stone hat der Motörhead noch was voraus: Inspiriert von Berichten, der ähnlich feierfreudige Richards lasse regelmäßig sein Blut austauschen, habe er dies ebenfalls versuchen wollen, erzählt Lemmy. „Wir suchten also meinen Arzt auf und ließen mein Blut untersuchen. Als wir am nächsten Tag wiederkamen, sagte er mir: „was immer Sie tun, lassen Sie nicht ihr Blut austauschen – sauberes blut würde Sie umbringen!“ Mein Blut hatte sich in eine Art Bio-Suppe verwandelt – darin waren alle möglichen Spurenelemente zu finden.“
Bleibt zu hoffen, dass die eigene Vorhersage des Rock´n´Roll Mutanten Lemmy, „ich spiele, bis ich siebzig bin. Dann falle ich tot von der Bühne“, nicht eintritt. Er lebe das Leben eines 25-Jährigen, es sei eben nur ein sehr ausgedehntes 25. Lebensjahr, sagte er mal sinngemäß. Stellen wir uns also einfach vor, dass er langsam auf die 30 zugeht.
Samstag, 25. Dezember 2010
Montag, 20. Dezember 2010
Saint bleibt Saint, wie er singt und kracht
Bei Alltagsrock-Benutzern wird der Name Saint Vitus kaum mehr als ein Schulterzucken auslösen, anderen wird vielleicht ein an Kiosken erhältlicher Kräuterbitter in den Sinn kommen. Doom-Aficionados hingegen, versetzt sein Klang in den Zustand höchster Verzückung. Allerdings scheint diese Unterart der Gattung Heavy-Metal-Fan in der Region Braunschweig vom Aussterben bedroht. Nur knapp zweihundert vorwiegend männliche stark behaarte Exemplare versammelten sich am Sonntag, 19. Dezember, in der Meier Music Hall, um dem Schutzheiligen des Tanzes zu Huldigen.
Nun ist es für die 1979 in Los Angeles gegründete Band, die mit anderen wie Pentagram, Trouble oder The Obsessed zu den Vorreitern der zweiten Doom-Metal-Welle gehört – die erste bestand bekanntlich allein aus Black Sabbath, an deren düster schwerem schleppenden Sound sich diese Gruppen Anfang der 80er orientierten – nichts neues, mit Erfolglosigkeit geschlagen zu sein, ein wenig mehr Aufmerksamkeit wäre allerdings angemessen.
Zurück zum Geschehen: The Graviators übernehmen den Part der Anheizer. Mit raffiniert monotonem Psychedelic-Rock gelingt es den Schweden im nu, das Publikum aus der winterlichen Apathie zu reißen. Sänger Niklas Sjöberg überzeugt mit starker ein wenig an Ozzy Osbourne erinnernder Stimme und typisch nordischer Trinkfestigkeit: 6 Bier kippt der Mann während des Auftritts und fungiert danach noch als Drumroadie für die Hauptband.
Die Altmeister selbst beginnen hingegen etwas, ähem, schleppend. Die Band um Sänger Scott „Wino“ Weinrich, einem der unbesungensten Helden des Genres, das er neben Saint Vitus mit unzähligen anderen Bands wie The Obsessed, Spirit Caravan, Place of Skulls, The Hidden Hand, und zuletzt als Solokünstler sowie mit dem All-Star-Projekt Shrinebuilder geprägt hat, und Saitenhechser Dave Chandler, der mit Stirnband und Waldschratfrisur wirkt wie aus der Zeit gefallen, präsentiert sich spielerisch deutlich besser als auf der letztjährigen Tour. Das liegt vor allem an Chandlers offensichtlich wieder gewonnener geistiger und körperlicher Frische, als auch am neuen Trommler Henry Vasquez, der den zuletzt arg von gesundheitlichen Problemen gezeichneten und kürzlich verstorbenen Armando Acosta würdig vertritt. Trotzdem will der Funke nicht so recht überspringen. Lustlosigkeit auf und vor der Bühne.
Nach ein paar Songs gelingt es Saint Vitus aber schließlich, sich an den eigenen langen Haaren aus dem Sumpf der Depression zu ziehen. Wino reckt die tätowierten Fäuste gen Himmel und röhrt wie ein verwundeter Hirsch. Chandler wiegt wie im Fieber den Oberkörper und verfällt in seine typischen wahnhaft geschredderten Gitarrensoli. Selbst dem stoischen Mark Adams am Bass entkommt ein Lächeln. Die Fans taumeln zunehmend im Veitstanz umher. Die Setlist ist unwiderstehlich. Sie glänzt mit selten gehörten Perlen aus den Tiefen des Backkatalogs. Sich in Zeitlupe heranwälzende Unheilshymnen wie „Mystic Lady“, „White Stallions“, „Look Bhind You“ oder gar „Saint Vitus Dance“ und natürlich der Evergreen "Born Too Late" lassen das Herz langsamer Schlagen. Gleich ganz aussetzen will es, als Saint Vitus einen neuen Song (!) ankündigen, der sich nahtlos zwischen die Großtaten vergangener Tage einfügt und obendrein auf einem neuen Album (!!) veröffentlicht werden soll.
„Wir haben sechs oder sieben Songs zusammen“, erklärt Wino nach einem doch noch großartigen Konzert. „Wenn alles glatt geht kann die Platte in der zweiten Jahreshälfte 2011 erscheinen.“ Die Probleme mit Chandler, die 1991 zum Split führten, seien schon vor der ersten Reunion 2003 ausgeräumt worden, beteuert der Harley-Fan, der zuhause gerade an einer alten Shovel- und einer Panhead herumschraubt. „Aus irgendeinem Grund interessieren sich die Leute inzwischen wieder für Classic-Rock. Warum weiß ich nicht, vielleicht liegt´s am Internet, dass uns junge Fans wieder entdecken. Also macht eine Veröffentlichung Sinn. Trotzdem mache ich das nicht des Geldes wegen, sondern weil ich diese Musik liebe und den Menschen eine Freude machen will.“ Alles andere würde angesichts des gestrigen Publikumsinteresses ganz ofensichtlich auch überhaupt keinen Sinn machen.
Der Text erschien am 21.12.2010 in der Braunschweiger Zeitung.
Nun ist es für die 1979 in Los Angeles gegründete Band, die mit anderen wie Pentagram, Trouble oder The Obsessed zu den Vorreitern der zweiten Doom-Metal-Welle gehört – die erste bestand bekanntlich allein aus Black Sabbath, an deren düster schwerem schleppenden Sound sich diese Gruppen Anfang der 80er orientierten – nichts neues, mit Erfolglosigkeit geschlagen zu sein, ein wenig mehr Aufmerksamkeit wäre allerdings angemessen.
Zurück zum Geschehen: The Graviators übernehmen den Part der Anheizer. Mit raffiniert monotonem Psychedelic-Rock gelingt es den Schweden im nu, das Publikum aus der winterlichen Apathie zu reißen. Sänger Niklas Sjöberg überzeugt mit starker ein wenig an Ozzy Osbourne erinnernder Stimme und typisch nordischer Trinkfestigkeit: 6 Bier kippt der Mann während des Auftritts und fungiert danach noch als Drumroadie für die Hauptband.
Die Altmeister selbst beginnen hingegen etwas, ähem, schleppend. Die Band um Sänger Scott „Wino“ Weinrich, einem der unbesungensten Helden des Genres, das er neben Saint Vitus mit unzähligen anderen Bands wie The Obsessed, Spirit Caravan, Place of Skulls, The Hidden Hand, und zuletzt als Solokünstler sowie mit dem All-Star-Projekt Shrinebuilder geprägt hat, und Saitenhechser Dave Chandler, der mit Stirnband und Waldschratfrisur wirkt wie aus der Zeit gefallen, präsentiert sich spielerisch deutlich besser als auf der letztjährigen Tour. Das liegt vor allem an Chandlers offensichtlich wieder gewonnener geistiger und körperlicher Frische, als auch am neuen Trommler Henry Vasquez, der den zuletzt arg von gesundheitlichen Problemen gezeichneten und kürzlich verstorbenen Armando Acosta würdig vertritt. Trotzdem will der Funke nicht so recht überspringen. Lustlosigkeit auf und vor der Bühne.
Nach ein paar Songs gelingt es Saint Vitus aber schließlich, sich an den eigenen langen Haaren aus dem Sumpf der Depression zu ziehen. Wino reckt die tätowierten Fäuste gen Himmel und röhrt wie ein verwundeter Hirsch. Chandler wiegt wie im Fieber den Oberkörper und verfällt in seine typischen wahnhaft geschredderten Gitarrensoli. Selbst dem stoischen Mark Adams am Bass entkommt ein Lächeln. Die Fans taumeln zunehmend im Veitstanz umher. Die Setlist ist unwiderstehlich. Sie glänzt mit selten gehörten Perlen aus den Tiefen des Backkatalogs. Sich in Zeitlupe heranwälzende Unheilshymnen wie „Mystic Lady“, „White Stallions“, „Look Bhind You“ oder gar „Saint Vitus Dance“ und natürlich der Evergreen "Born Too Late" lassen das Herz langsamer Schlagen. Gleich ganz aussetzen will es, als Saint Vitus einen neuen Song (!) ankündigen, der sich nahtlos zwischen die Großtaten vergangener Tage einfügt und obendrein auf einem neuen Album (!!) veröffentlicht werden soll.
„Wir haben sechs oder sieben Songs zusammen“, erklärt Wino nach einem doch noch großartigen Konzert. „Wenn alles glatt geht kann die Platte in der zweiten Jahreshälfte 2011 erscheinen.“ Die Probleme mit Chandler, die 1991 zum Split führten, seien schon vor der ersten Reunion 2003 ausgeräumt worden, beteuert der Harley-Fan, der zuhause gerade an einer alten Shovel- und einer Panhead herumschraubt. „Aus irgendeinem Grund interessieren sich die Leute inzwischen wieder für Classic-Rock. Warum weiß ich nicht, vielleicht liegt´s am Internet, dass uns junge Fans wieder entdecken. Also macht eine Veröffentlichung Sinn. Trotzdem mache ich das nicht des Geldes wegen, sondern weil ich diese Musik liebe und den Menschen eine Freude machen will.“ Alles andere würde angesichts des gestrigen Publikumsinteresses ganz ofensichtlich auch überhaupt keinen Sinn machen.
Der Text erschien am 21.12.2010 in der Braunschweiger Zeitung.
Montag, 13. Dezember 2010
Metal-Messe mit Motörhead in Hannover
Sie sind laut, sie sind hart und sie bringen Geschenke: Motörhead, die legendäre Rock´n´Roll-Band, geht traditionell in der Vorweihnachtszeit auf Deutschland-Tour. Am Mittwoch, 1. Dezember, spielten sie in der AWD-Halle Hannover vor vollem Haus. Echte Motörheadbanger lassen sich von Lapalien wie Schneetreiben eben nicht abhalten.
Denn die Gruppe ist so etwas wie die katholische Kirche des Hardrock: Der älteste institutionelle Hüter einer Weltanschauung. Hier die Musik, dort die Religion - die Übergänge sind fließend, die Parallelen offensichtlich.
Augenfällig ist nicht nur der Geburtstermin von Sänger und Oberhaupt Ian "Lemmy" Kilmister: Heiligabend. Analog auch die etwas anachronistische Organisationsstruktur als Power-Trio, dem als Trinität von Gitarre, Bass und Schlagzeug in den 60er Jahren populär gewordenen Bandformat.
Ebenfalls entsprechend ist das für eine Rockband biblische Alter. Die aktuelle Platte The Wörld Is Yours ist Album Nummer 20, entstanden im 35. Bandjahr und veröffentlicht kurz vor Lemmys 65. Wiegenfest.
Doch kein Grund zur Sorge: Der Mann in Schwarz, wie immer in Hemd, engen Jeans und Cowboystiefeln, kann seinen Schäfchen auch kurz vorm Rentenalter noch kräftig die Leviten lesen. Mit Verve eröffnen Hochwürden Lemmy und seine Messdiener, Gitarrist Philip Campbell (49) und Trommler Mikkey Dee (47) ihre 90-minütige Messe.
Choräle werden keine gesungen: "We Are Motörhead" heißt selbstbewusst der erste Song, ein feurig galoppierendes Rockmustang aus der jüngeren Bandgeschichte. Die nimmt bei der Liedauswahl überhaupt erstaunlich großen Raum ein. Mit ganz neuen Titeln wie "Get Back In Line" und "I Know How To Die" - gern hätte man vom neuen, den herrlich räudigen Metal-Rock-Charme der Orgasmatron-Tage versprühenden Album mehr gehört - entstammt ein Drittel der Songs dem neuen Milemmyum, Verzeihung Millenium.
Für manche Rock-Pharisäer ist das, als würde in der Sonntagsschule statt der guten alten Genesis plötzlich nur noch das jüngste Buch der Bibel, das Buch Daniel, gelesen. Doch wer will ewig den gleichen Sermon hören?
Noch mehr Abwechslung wäre gut gewesen. Zum Beispiel die kürzlich für Bierwerbung eingespielte Blues-Version des Evergreens Ace Of Spades. Aber vielleicht wäre das zu revolutionär für so eine altehrwürdige Institution, auch wenn sie Motörhead heißt.
Erschienen in der Braunschweiger Zeitung, 3. Dezember 2010, Kultur, Seite 16.
Denn die Gruppe ist so etwas wie die katholische Kirche des Hardrock: Der älteste institutionelle Hüter einer Weltanschauung. Hier die Musik, dort die Religion - die Übergänge sind fließend, die Parallelen offensichtlich.
Augenfällig ist nicht nur der Geburtstermin von Sänger und Oberhaupt Ian "Lemmy" Kilmister: Heiligabend. Analog auch die etwas anachronistische Organisationsstruktur als Power-Trio, dem als Trinität von Gitarre, Bass und Schlagzeug in den 60er Jahren populär gewordenen Bandformat.
Ebenfalls entsprechend ist das für eine Rockband biblische Alter. Die aktuelle Platte The Wörld Is Yours ist Album Nummer 20, entstanden im 35. Bandjahr und veröffentlicht kurz vor Lemmys 65. Wiegenfest.
Doch kein Grund zur Sorge: Der Mann in Schwarz, wie immer in Hemd, engen Jeans und Cowboystiefeln, kann seinen Schäfchen auch kurz vorm Rentenalter noch kräftig die Leviten lesen. Mit Verve eröffnen Hochwürden Lemmy und seine Messdiener, Gitarrist Philip Campbell (49) und Trommler Mikkey Dee (47) ihre 90-minütige Messe.
Choräle werden keine gesungen: "We Are Motörhead" heißt selbstbewusst der erste Song, ein feurig galoppierendes Rockmustang aus der jüngeren Bandgeschichte. Die nimmt bei der Liedauswahl überhaupt erstaunlich großen Raum ein. Mit ganz neuen Titeln wie "Get Back In Line" und "I Know How To Die" - gern hätte man vom neuen, den herrlich räudigen Metal-Rock-Charme der Orgasmatron-Tage versprühenden Album mehr gehört - entstammt ein Drittel der Songs dem neuen Milemmyum, Verzeihung Millenium.
Für manche Rock-Pharisäer ist das, als würde in der Sonntagsschule statt der guten alten Genesis plötzlich nur noch das jüngste Buch der Bibel, das Buch Daniel, gelesen. Doch wer will ewig den gleichen Sermon hören?
Noch mehr Abwechslung wäre gut gewesen. Zum Beispiel die kürzlich für Bierwerbung eingespielte Blues-Version des Evergreens Ace Of Spades. Aber vielleicht wäre das zu revolutionär für so eine altehrwürdige Institution, auch wenn sie Motörhead heißt.
Erschienen in der Braunschweiger Zeitung, 3. Dezember 2010, Kultur, Seite 16.
Freitag, 17. September 2010
Neues Substage Eröffnet
„Es roch nach Tot, Blut und Schwein“, schildert Matthias Würz seine Eindrücke von der ersten Begehung des Schlachthauses. Wo vor zwei Jahren noch Schweinehälften an Fleischerhaken aufgereiht hingen, hält der Architekt am Dienstag vor vierhundert Gästen seine Rede zur Eröffnung des neuen Musikclubs Substage. Dessen Wiedererstehung auf dem Gelände des Kreativparks Alter Schlachthof an der Durlacher Allee er nach dem Auszug aus der alten Unterführung am Ettlinger Tor mitgestaltet hat. „Damals habe ich nur gedacht, wie sollen wir je diesen bestialischen Gestank aus dem Gebäude kriegen“, sagt Würz. „Denn die Bausubstanz war buchstäblich blutgetränkt.“
Heute erinnern nur noch einige weiße Fliesen an den Wänden im Innenraum des denkmalgeschützten Gebäudes an seinen ursprünglichen Zweck. Das Ambiente ähnelt in seinem Rohbaucharakter vielmehr dem unterirdischen Charme des alten Clubs. „Wir haben versucht so viel wie möglich von der Atmosphäre herüberzuretten“, sagt Geschäftsführer Gérald Rouvinez-Heymel. Das ist besser gelungen als Man erwarten konnte. Gäbe es auf der Bühne nicht Kopffreiheit für die Musiker, im Publikumsraum freie sicht für alle und eine Dreimal so lange Theke, ein Unterschied ließe sich kaum feststellen.
Revolutionäre Neuerungen gibt es auch, sie finden sich aber eher im Verborgenen: Anheimelnde Garderoben mit Waschräumen für die Künstler - Allein die Sofagarnitur aus dem alten Backstagebereich hat aus Ersparnisgründen eine Schonfrist bekommen und müffelt in einer Ecke selbstzufrieden vor sich hin - und wohlriechende Toiletten mit Handtrocknern von so futuristischem Design, dass sie erst nach eingehender Untersuchung als solche zu erkennen sind, für die Besucher.
Tausend Konzertgänger kann die neue Spielstätte aufnehmen, dreihundert mehr als zuvor. Am musikalischen Konzept wollen die Macher dennoch nichts ändern. „Wir werden ein Indie- und Rockschuppen mit Metaleinschlag bleiben“, verspricht Vivien Avena, zuständig für Künstlerengagements und Pressearbeit. „Der Unterschied besteht eigentlich nur darin, dass wir für größere Konzerte, wie das von Subway to Sally am Samstag, nicht mehr in eine fremde Halle ausweichen müssen.“ „Auch die Konzerte mit bewährten Stammkünstlern wie Hendrix-Imitator Randy Hansen oder die Ü-30 Party, wird es weiter geben“, ergänzt Rouvinez Heymel.
Ganz sorgenfrei sind die Substage-Macher aber auch am neuen Standort nicht. „Der Unterhalt wird natürlich teurer sein als im alten Club“, erklärt Tontechniker und Vorstand Andreas Schorpp. So seien zum Beispiel die Heizkosten eine bisher unkalkulierbare Größe. Heute aber herrscht bei allen Beteiligten Freude und Stolz auf das Erreichte. Zwei Millionen Euro hat der Umbau gekostet, den Löwenanteil schoss die Stadt Karlsruhe zu. Zusätzlich haben die Substageler aber 5000 Arbeitsstunden in ihr neues Heim investiert. „Von der Thekenkraft bis zu den Sicherheitsleuten haben alle auf dem Bau mit angebackt“, erzählt Schorpp. „Ich bin einfach nur froh, heute hier zu sein und niemand bohrt“, sagt Heymel. „Jetzt gibt es endlich Musik!” Selbst Karlsruhes Oberbürgermeister Heinz Fenrich ließ sich von der allgeminen Hochstimmung infizieren. Ungeahnte Coolness bewies er während seiner Eröffnungsrede, als er seine Zukunftswünsche für das neue Substage in das Neil Young Zitat kleidete: „Rock N' Roll Will Never Die".
Heute erinnern nur noch einige weiße Fliesen an den Wänden im Innenraum des denkmalgeschützten Gebäudes an seinen ursprünglichen Zweck. Das Ambiente ähnelt in seinem Rohbaucharakter vielmehr dem unterirdischen Charme des alten Clubs. „Wir haben versucht so viel wie möglich von der Atmosphäre herüberzuretten“, sagt Geschäftsführer Gérald Rouvinez-Heymel. Das ist besser gelungen als Man erwarten konnte. Gäbe es auf der Bühne nicht Kopffreiheit für die Musiker, im Publikumsraum freie sicht für alle und eine Dreimal so lange Theke, ein Unterschied ließe sich kaum feststellen.
Revolutionäre Neuerungen gibt es auch, sie finden sich aber eher im Verborgenen: Anheimelnde Garderoben mit Waschräumen für die Künstler - Allein die Sofagarnitur aus dem alten Backstagebereich hat aus Ersparnisgründen eine Schonfrist bekommen und müffelt in einer Ecke selbstzufrieden vor sich hin - und wohlriechende Toiletten mit Handtrocknern von so futuristischem Design, dass sie erst nach eingehender Untersuchung als solche zu erkennen sind, für die Besucher.
Tausend Konzertgänger kann die neue Spielstätte aufnehmen, dreihundert mehr als zuvor. Am musikalischen Konzept wollen die Macher dennoch nichts ändern. „Wir werden ein Indie- und Rockschuppen mit Metaleinschlag bleiben“, verspricht Vivien Avena, zuständig für Künstlerengagements und Pressearbeit. „Der Unterschied besteht eigentlich nur darin, dass wir für größere Konzerte, wie das von Subway to Sally am Samstag, nicht mehr in eine fremde Halle ausweichen müssen.“ „Auch die Konzerte mit bewährten Stammkünstlern wie Hendrix-Imitator Randy Hansen oder die Ü-30 Party, wird es weiter geben“, ergänzt Rouvinez Heymel.
Ganz sorgenfrei sind die Substage-Macher aber auch am neuen Standort nicht. „Der Unterhalt wird natürlich teurer sein als im alten Club“, erklärt Tontechniker und Vorstand Andreas Schorpp. So seien zum Beispiel die Heizkosten eine bisher unkalkulierbare Größe. Heute aber herrscht bei allen Beteiligten Freude und Stolz auf das Erreichte. Zwei Millionen Euro hat der Umbau gekostet, den Löwenanteil schoss die Stadt Karlsruhe zu. Zusätzlich haben die Substageler aber 5000 Arbeitsstunden in ihr neues Heim investiert. „Von der Thekenkraft bis zu den Sicherheitsleuten haben alle auf dem Bau mit angebackt“, erzählt Schorpp. „Ich bin einfach nur froh, heute hier zu sein und niemand bohrt“, sagt Heymel. „Jetzt gibt es endlich Musik!” Selbst Karlsruhes Oberbürgermeister Heinz Fenrich ließ sich von der allgeminen Hochstimmung infizieren. Ungeahnte Coolness bewies er während seiner Eröffnungsrede, als er seine Zukunftswünsche für das neue Substage in das Neil Young Zitat kleidete: „Rock N' Roll Will Never Die".
Freitag, 3. September 2010
Gisbert zu Knypphausen im Nexus Braunschweig
Mehr als zweihundert Meter vor dem Braunschweiger Nexus stehen die Fahrräder schon dicht gedrängt entlang der Frankfurter Straße. Auf der Rampe vor dem Club warten die Menschen wie gequetschte Trauben – Einlass nur nach Voranmeldung. Auch drinnen an der Bar und im Raum mit der Bühne ist es brechend voll. Erwartet wird der Auftritt von Gisbert zu Knyphausen, neuer Stern am wolkenverhangenen Himmel der deutschen Liedermacher.
Bevor sich der Freiherr – voller Name: Gisbert Wilhelm Enno Freiherr zu Innhausen und Knyphausen – selbst herbei lässt, schickt er seinen Kumpel Moritz Krämer, seines Zeichens junger Songwriter aus Berlin, vor. Krämer, mit Pilzfrisur und von schmächtiger Gestalt, hält beim singen den Kopf so schief, dass man fürchtet, er könne ihm jeden Moment von den schultern kullern, gehört eher zu den sanften Vertretern seiner Profession. Seine Lieder gehen im allgemeinen Gemurmel und Bierdunst unter. Es wundert nicht, dass ein eigens für ihn geschriebenes Theaterstück den Titel „Night of the Nerds“ (Frei übersetzt: Die Nacht der Sonderlinge“) trägt. Erhebt er doch mal seine Stimme, ist erstaunliches zu hören: „Er betrank sich zwei Wochen aus schmutzigen Pfützen, blieb reglos liegen, ohne sich vor Katzen zu schützen“, singt Krämer. Scheint Mumm in den Knochen zu haben, der Junge.
Dennoch, Knypphausen ist ein ganz anderes Kaliber. Mit angemessen verlebtem Gesicht gibt der 31-Jährige überzeugend den leidenschaftlichen Künstler aus verarmtem Adel: „Ich bin kriegsgeil und will zuseh´n, wie der Laden explodiert“, verkündet er, während seine recht heftig musizierende Band in wummernden Psychedelic-Rock verfällt. Da beschlagen den hübschen blonden Indie-Mädchen die modisch-dicken Hornbrillengläser.
„Eine steile Karriere im Musikbusiness, dass ist eh´ nicht meins“, relativiert er im nächsten Lied , als sei ihm die Verehrung dann doch etwas unangenehm. Er weiß, es kann schnell wieder vorbei sein, mit der ganzen Herrlichkeit: „Das Leben haut dir eine rein. Und du trinkst und lachst und kackst und schon ist es vorbei.“
Wie zur Rückversicherung hat Knypphausen die Endlichkeit des Seins in der eigenen Band stets vor Augen. Frenzy Suhr - bis 1984 Gitarrist in der Hildesheimer Band 110 – am Bass, sieht man seine 53-Jahre nicht an. „Was spielt da nur für ein alter Mann mit“, fragt die Nachbarin leicht pikiert.
Den Freiherrn fechten Äußerlichkeiten nicht an. Er ist den wirklich wichtigen Dingen des Lebens auf der Spur: „Den ganzen Unsinn werd' ich nie verstehen. Da hilft nur Einatmen und Vorwärtsgehen“, rät er im Lied Sommertag. Nur in welche Richtung soll sich die desorientierte Jugend, die in schweißgesäuerten Spielorten enthusiasmiert an seinen Lippen hängt wenden?
„Und alles, was mir dann noch übrig bleibt: Ein bisschen Zweisamkeit als Zeitvertreib. Das bisschen Herzschmerz, das bisschen Herzschmerz tut doch gar nicht weh.“ Das hört sich schwer nach den Rezepten der 68er an. Nur sind die mit ihrem grenzenlosem Hedonismus auf Dauer ja auch nicht glücklich geworden. Der Künstler bleibt im Ungefähren „Ich bin ein Freund von Klischees, und Elbfähren, und dich mag ich sehr, sehr gern.“ Aber er lässt die Hoffnung nicht fahren. „Durch den Hafen wehen wir. Zwei Blatt recyceltes Papier. Ja, wir werden uns wieder füllen. Mit all den prächtigen Farben.“
Die Menge ist begeistert. Vielleicht suchte sie nur Unterhaltung statt Wahrheiten. Wahrhaftigkeit zumindest war geboten.
Bevor sich der Freiherr – voller Name: Gisbert Wilhelm Enno Freiherr zu Innhausen und Knyphausen – selbst herbei lässt, schickt er seinen Kumpel Moritz Krämer, seines Zeichens junger Songwriter aus Berlin, vor. Krämer, mit Pilzfrisur und von schmächtiger Gestalt, hält beim singen den Kopf so schief, dass man fürchtet, er könne ihm jeden Moment von den schultern kullern, gehört eher zu den sanften Vertretern seiner Profession. Seine Lieder gehen im allgemeinen Gemurmel und Bierdunst unter. Es wundert nicht, dass ein eigens für ihn geschriebenes Theaterstück den Titel „Night of the Nerds“ (Frei übersetzt: Die Nacht der Sonderlinge“) trägt. Erhebt er doch mal seine Stimme, ist erstaunliches zu hören: „Er betrank sich zwei Wochen aus schmutzigen Pfützen, blieb reglos liegen, ohne sich vor Katzen zu schützen“, singt Krämer. Scheint Mumm in den Knochen zu haben, der Junge.
Dennoch, Knypphausen ist ein ganz anderes Kaliber. Mit angemessen verlebtem Gesicht gibt der 31-Jährige überzeugend den leidenschaftlichen Künstler aus verarmtem Adel: „Ich bin kriegsgeil und will zuseh´n, wie der Laden explodiert“, verkündet er, während seine recht heftig musizierende Band in wummernden Psychedelic-Rock verfällt. Da beschlagen den hübschen blonden Indie-Mädchen die modisch-dicken Hornbrillengläser.
„Eine steile Karriere im Musikbusiness, dass ist eh´ nicht meins“, relativiert er im nächsten Lied , als sei ihm die Verehrung dann doch etwas unangenehm. Er weiß, es kann schnell wieder vorbei sein, mit der ganzen Herrlichkeit: „Das Leben haut dir eine rein. Und du trinkst und lachst und kackst und schon ist es vorbei.“
Wie zur Rückversicherung hat Knypphausen die Endlichkeit des Seins in der eigenen Band stets vor Augen. Frenzy Suhr - bis 1984 Gitarrist in der Hildesheimer Band 110 – am Bass, sieht man seine 53-Jahre nicht an. „Was spielt da nur für ein alter Mann mit“, fragt die Nachbarin leicht pikiert.
Den Freiherrn fechten Äußerlichkeiten nicht an. Er ist den wirklich wichtigen Dingen des Lebens auf der Spur: „Den ganzen Unsinn werd' ich nie verstehen. Da hilft nur Einatmen und Vorwärtsgehen“, rät er im Lied Sommertag. Nur in welche Richtung soll sich die desorientierte Jugend, die in schweißgesäuerten Spielorten enthusiasmiert an seinen Lippen hängt wenden?
„Und alles, was mir dann noch übrig bleibt: Ein bisschen Zweisamkeit als Zeitvertreib. Das bisschen Herzschmerz, das bisschen Herzschmerz tut doch gar nicht weh.“ Das hört sich schwer nach den Rezepten der 68er an. Nur sind die mit ihrem grenzenlosem Hedonismus auf Dauer ja auch nicht glücklich geworden. Der Künstler bleibt im Ungefähren „Ich bin ein Freund von Klischees, und Elbfähren, und dich mag ich sehr, sehr gern.“ Aber er lässt die Hoffnung nicht fahren. „Durch den Hafen wehen wir. Zwei Blatt recyceltes Papier. Ja, wir werden uns wieder füllen. Mit all den prächtigen Farben.“
Die Menge ist begeistert. Vielleicht suchte sie nur Unterhaltung statt Wahrheiten. Wahrhaftigkeit zumindest war geboten.
Dienstag, 31. August 2010
Stille bedeutet Tod, dann sind Sepultura quicklebendig
"Silence means death", Stille bedeutet Tod, lautet eine Textzeile aus "Refuse/Resist". Der Song stammt vom Album "Chaos A.D.", dem mittleren in einer Reihe von dreien, mit der die Thrasher Sepultura zwischen 1991 und 1996 die Rockwelt revolutionierten.
"Refuse/Resist" stimmen die Brasilianer schon kurz nach Beginn ihres Auftritts in Braunschweig an. Laut und heftig wie Schläge prasseln die Akkorde auf die gut 400 Fans in der Meier Music Hall. Energisch stürzen sich die Brasilianer in den Kampf. Es gibt keinen Zweifel am Ausgang: Sieg durch K.o.
Fronthüne Derreck Greene lässt im Jahr 25 der Sepultura-Saga keine Fragen mehr offen, wer der Chef im Ring ist. Müsste sich der schwarze Riese mit den meterlangen Dreadlocks nicht von je her am charismatischen Vorgänger und entthronten Champion Max Cavalera messen lassen, er gehörte unbestritten zur Spitze seiner Zunft. So auch der agile Kesseltreiber Jean Dolabella, der den 2006 abgewanderten Schlagzeuger und Cavalera-Bruder Igor mehr als würdig ersetzt.
Kurz gesagt: Sepultura sind "fighting-fit". Und obwohl neben Hits wie "Arise", "Troops of Doom", "Territory" und "Ratamahatta" noch jede Menge Evergreens aus der kommerziellen Hochphase gespielt werden, ist die Band weit davon entfernt, lediglich eine Best-Of-Show zu veranstalten.
Der Abend gerät vielmehr zur Stilkunde: Bot "Arise" von 1991 noch lupenreinen Aggro-Stahl, kamen bei "Chaos A.D." brasilianische Klänge dazu. "Roots Bloody Roots" perfektionierte die Melange aus Metal und Weltmusik.
Mit "Roots" waren Sepultura 1996 endgültig zur erfolgreichsten brasilianischen Band der Rockgeschichte aufgestiegen. Trotzdem zerstritt sich die Mehrheit mit Sänger Max Cavalera. Der gründete daraufhin die Tribal-Hardcore-Band Soulfly, während sich der Rest um Gitarrist Andreas Kisser mit Ex-Türsteher Derreck Green hinter dem Mikro wieder den Wurzeln zuwandte: Thrash-Metal.
Seitdem schrumpfen ganz offensichtlich Spielorte und CD-Verkäufe, aber leiser, nein leiser werden Sepultura nicht. Die 400 Fans danken es der Band und gehen bei neuem Material genauso enthusiastisch mit wie bei Obskuritäten aus der Frühphase. Ja, Stille bedeutet Tod, aber bei Sepultura besteht kein Anlass zur Sorge.
"Refuse/Resist" stimmen die Brasilianer schon kurz nach Beginn ihres Auftritts in Braunschweig an. Laut und heftig wie Schläge prasseln die Akkorde auf die gut 400 Fans in der Meier Music Hall. Energisch stürzen sich die Brasilianer in den Kampf. Es gibt keinen Zweifel am Ausgang: Sieg durch K.o.
Fronthüne Derreck Greene lässt im Jahr 25 der Sepultura-Saga keine Fragen mehr offen, wer der Chef im Ring ist. Müsste sich der schwarze Riese mit den meterlangen Dreadlocks nicht von je her am charismatischen Vorgänger und entthronten Champion Max Cavalera messen lassen, er gehörte unbestritten zur Spitze seiner Zunft. So auch der agile Kesseltreiber Jean Dolabella, der den 2006 abgewanderten Schlagzeuger und Cavalera-Bruder Igor mehr als würdig ersetzt.
Kurz gesagt: Sepultura sind "fighting-fit". Und obwohl neben Hits wie "Arise", "Troops of Doom", "Territory" und "Ratamahatta" noch jede Menge Evergreens aus der kommerziellen Hochphase gespielt werden, ist die Band weit davon entfernt, lediglich eine Best-Of-Show zu veranstalten.
Der Abend gerät vielmehr zur Stilkunde: Bot "Arise" von 1991 noch lupenreinen Aggro-Stahl, kamen bei "Chaos A.D." brasilianische Klänge dazu. "Roots Bloody Roots" perfektionierte die Melange aus Metal und Weltmusik.
Mit "Roots" waren Sepultura 1996 endgültig zur erfolgreichsten brasilianischen Band der Rockgeschichte aufgestiegen. Trotzdem zerstritt sich die Mehrheit mit Sänger Max Cavalera. Der gründete daraufhin die Tribal-Hardcore-Band Soulfly, während sich der Rest um Gitarrist Andreas Kisser mit Ex-Türsteher Derreck Green hinter dem Mikro wieder den Wurzeln zuwandte: Thrash-Metal.
Seitdem schrumpfen ganz offensichtlich Spielorte und CD-Verkäufe, aber leiser, nein leiser werden Sepultura nicht. Die 400 Fans danken es der Band und gehen bei neuem Material genauso enthusiastisch mit wie bei Obskuritäten aus der Frühphase. Ja, Stille bedeutet Tod, aber bei Sepultura besteht kein Anlass zur Sorge.
Mittwoch, 9. Juni 2010
"Metal Matters" - Ein kulturwissenschaftliches Symposium zur Metal-Kultur an der HBK-Braunschweig
„Heavy Mäddel, nix im Schäddel“. Mit diesem Spruch versuchten die Poppergören in meiner Klasse Ende der 80er regelmäßig mich auf die Palme zu bringen. Heute wissen wir: Der Metal ist eine Wissenschaft für sich. Joey DeMaio, der (Quer)Kopf von Manowar, hat einen Doktortitel in Musical Arts, Brian May von Queen einen solchen in Astrophysik und Bands aus den progressiveren Sphären des Genres wie Rush oder Dream Theater sind durchaus in der Lage einen Song am musiktheoretischen Reisbrett zu entwerfen.
Dennoch: Würde in einer Erhebung die Frage gestellt, „was verbinden Sie mit dem Begriff ‚Heavy Metal’“, rangierten die Antworten „Aggression“, „übermäßigen Bierkonsum“, „Lärm“ oder gar „den Teufel“ sicherlich weit vor der Einschätzung „bedeutendes kulturelles Phänomen“.
Zu Unrecht: Beim Kongress „Metal Matters – Heavy Metal als Kultur und Welt“ am Institut für Medienforschung der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig (HBK) dis-kutierten von Donnerstag, 3. Juni, bis Samstag, 5.Juni, mehr als hundert Teilnehmer über das Thema Metal und seine Bedeutung.
Die Heavy-Metal- Kultur in all ihren Nuancen und Ausprägungen werde häufig nicht nur von Eltern und Erziehern als verstörend, ja schädlich wahrgenommen, sondern darüber hinaus von Wissenschaft und Kulturpolitik für bedeutungslos gehalten, meinen die Or-ganisatoren Professor Rolf F. Nohr von der HBK und Herbert Schwaab von der Uni Regensburg – beide während der 80er im Metal sozialisiert. „Es wird jede Menge Populärkulturforschung betrieben, in der oft auf den politischen Hintergrund von Jugendbewegungen abgestellt wird. Da es den beim Heavy-Metal nicht gibt, wird der oft als stumpf abgetan und links liegengelassen“, sagt Nohr. „Dabei haben wir es hier mit einem kulturellen Phänomen zu tun, dass sich schon über drei Generationen gehalten hat. Das muss beguckt werden.“
Das von Nohr identifizierte Klischee, beim Heavy-Metal sei „kulturwissenschaftlich nix zu holen“, wurde zweifelsfrei widerlegt: 20 Wissenschaftler aus ganz Deutschland, Österreich und der Schweiz referierten – vor einer genreüblichen Wand aus Marshall-Verstärkern – zu Fankultur, Ästhetik, Ökonomie und Politik des Heavy-Metal. Julia Eckel sprach über die „textile Identifizierbarkeit“ von Metal-Anhängern durch die typischen mit Bandaufnähern gespickten „Kutten“ genannten Jeans-Jacken und Band-Shirts, in de-ren Ikonographie archaisch-vormoderne und Science-Fiction-Welten verschmelzen. Christian Krumm, Holger Schmenk und Franz Horváth beleuchteten die Entstehung bedeutender regionaler Metal-Szenen im Ruhrgebiet oder Ungarn während der 80er Jahre. Tobias Winnerling stellte die verbindlichen formalen Codes für Bewohner des Metal-Universums vor.
Wie frisch und Unverbraucht der Metal auch im ungefähr 42sten Jahr nach seiner Entstehung noch ist – Je nach dem, ob man das 1968er Album von Blue Cheer „Vincebus Erupttum“ oder das Black Sabbath-Debut von 1970 mit ihrem bis dato in nie gehörter Wucht und Lautstärke vorgetragenem Amalgam aus Blues- und Psychedelic-Rock als erstes Lebenszeichen werten will – zwischen Harz und Heide ist, zeigte das Rahmenprogramm: Am Freitag spielten die Braunschweiger Bands Damn und Headshot in einer Innenstadt-Bar absolut erstligatauglichen Thrash- und Death-Metal. Eine Ausstellung in der HBK präsentierte Fanportraits von Stefanie Krause. Johannes Giering machte mit seinen Bildern die Stimmung auf Metal-Festivals erfahrbar und Frank Tobian zeigte Live-Fotos von Musikern.
„Wir sind mit der Veranstaltung sehr zufrieden“, sagt Herbert Schwaab. „Es waren nicht nur Wissenschaftler da, die ausdrücklich über Heavy-Metal arbeiten, sondern auch sol-che, die die Gelegenheit genutzt haben, sich endlich einmal wissenschaftlich mit ihrer Lieblingsmusik auseinanderzusetzen. Auch die Resonanz aus der Szene war gut.“ Quod erat demonstrandum: Metal matters.
Dennoch: Würde in einer Erhebung die Frage gestellt, „was verbinden Sie mit dem Begriff ‚Heavy Metal’“, rangierten die Antworten „Aggression“, „übermäßigen Bierkonsum“, „Lärm“ oder gar „den Teufel“ sicherlich weit vor der Einschätzung „bedeutendes kulturelles Phänomen“.
Zu Unrecht: Beim Kongress „Metal Matters – Heavy Metal als Kultur und Welt“ am Institut für Medienforschung der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig (HBK) dis-kutierten von Donnerstag, 3. Juni, bis Samstag, 5.Juni, mehr als hundert Teilnehmer über das Thema Metal und seine Bedeutung.
Die Heavy-Metal- Kultur in all ihren Nuancen und Ausprägungen werde häufig nicht nur von Eltern und Erziehern als verstörend, ja schädlich wahrgenommen, sondern darüber hinaus von Wissenschaft und Kulturpolitik für bedeutungslos gehalten, meinen die Or-ganisatoren Professor Rolf F. Nohr von der HBK und Herbert Schwaab von der Uni Regensburg – beide während der 80er im Metal sozialisiert. „Es wird jede Menge Populärkulturforschung betrieben, in der oft auf den politischen Hintergrund von Jugendbewegungen abgestellt wird. Da es den beim Heavy-Metal nicht gibt, wird der oft als stumpf abgetan und links liegengelassen“, sagt Nohr. „Dabei haben wir es hier mit einem kulturellen Phänomen zu tun, dass sich schon über drei Generationen gehalten hat. Das muss beguckt werden.“
Das von Nohr identifizierte Klischee, beim Heavy-Metal sei „kulturwissenschaftlich nix zu holen“, wurde zweifelsfrei widerlegt: 20 Wissenschaftler aus ganz Deutschland, Österreich und der Schweiz referierten – vor einer genreüblichen Wand aus Marshall-Verstärkern – zu Fankultur, Ästhetik, Ökonomie und Politik des Heavy-Metal. Julia Eckel sprach über die „textile Identifizierbarkeit“ von Metal-Anhängern durch die typischen mit Bandaufnähern gespickten „Kutten“ genannten Jeans-Jacken und Band-Shirts, in de-ren Ikonographie archaisch-vormoderne und Science-Fiction-Welten verschmelzen. Christian Krumm, Holger Schmenk und Franz Horváth beleuchteten die Entstehung bedeutender regionaler Metal-Szenen im Ruhrgebiet oder Ungarn während der 80er Jahre. Tobias Winnerling stellte die verbindlichen formalen Codes für Bewohner des Metal-Universums vor.
Wie frisch und Unverbraucht der Metal auch im ungefähr 42sten Jahr nach seiner Entstehung noch ist – Je nach dem, ob man das 1968er Album von Blue Cheer „Vincebus Erupttum“ oder das Black Sabbath-Debut von 1970 mit ihrem bis dato in nie gehörter Wucht und Lautstärke vorgetragenem Amalgam aus Blues- und Psychedelic-Rock als erstes Lebenszeichen werten will – zwischen Harz und Heide ist, zeigte das Rahmenprogramm: Am Freitag spielten die Braunschweiger Bands Damn und Headshot in einer Innenstadt-Bar absolut erstligatauglichen Thrash- und Death-Metal. Eine Ausstellung in der HBK präsentierte Fanportraits von Stefanie Krause. Johannes Giering machte mit seinen Bildern die Stimmung auf Metal-Festivals erfahrbar und Frank Tobian zeigte Live-Fotos von Musikern.
„Wir sind mit der Veranstaltung sehr zufrieden“, sagt Herbert Schwaab. „Es waren nicht nur Wissenschaftler da, die ausdrücklich über Heavy-Metal arbeiten, sondern auch sol-che, die die Gelegenheit genutzt haben, sich endlich einmal wissenschaftlich mit ihrer Lieblingsmusik auseinanderzusetzen. Auch die Resonanz aus der Szene war gut.“ Quod erat demonstrandum: Metal matters.
Mittwoch, 2. Juni 2010
Kiss, 31.5., O2 World Hamburg
Das ist der Traum jedes Rockjournalisten: Noch einmal das berauschende Gefühl der musikalischen Defloration erleben. Noch einmal im Plattenladen stehen und über Kopfhörer die ersten Tackte Rock N´Roll hören. Noch einmal den magischen Moment der ersten Liveshow erleben, wenn die Saallichter aus- und die Scheinwerfer angehen, und zu wissen: Das ist mein Ding.
Ein Zug, der vor zwanzig Jahren abgefahren ist, lässt sich nur schwer einhohlen. Deshalb folgende Versuchsanordnung: Ein Rock-Novize wird den genannten noch unbekannten Reizen ausgesetzt und seine Reaktion studiert. Und welche Band wäre für dieses Experiment besser geeignet als die Meister des beidseitigen Kerzeanzündens: Kiss.
Proband ist eine Zeitungskollegin, diplomierte Kulturwissenschaftlerin und kunstbeflissen. Des öfteren nahm sie mich schon mit zu kulturellen Veranstaltungen, zuletzt Geschlossene Gesellschaft von Sartre — als Tanztheater. In der O2 World Hamburg spielt bei Ankunft gerade die Vorband Five and The Red One. Die fünf Ulmer zocken ansprechenden frühneunziger Alternativerock, wirken dabei aber so harmlos wie Gymnasiasten auf dem Raucherhof. Urteil der Kollegin: „Die Bühnenperformance ja lustig.“ Das Todesurteil für jede Rockband.
Schluss mit Lustig ist, als Kiss um kurz vor neun loslegen. Der riesige schwarze Vorhang mit dem Bandlogo fällt. In gleißendem Licht schweben Gene Simmons, Tommy Thayer und Paul Stanley vor glitzerndem Strass und schimmernden Nieten starrend, die Gesichter wie Samurai-Dämonen geschminkt, gitarrespielend mittels Hydraulik über Eric Singers Schlagzeug hinweg auf die riesige Bühne. Die Kollegin schaut ungläubig-fasziniert.
Schon beim vierten Song „Firehouse zieht Simmons seine Feuerspucknummer ab. Eine rote Stichflamme stößt aus seinem Rachen. „Besser als Tanztheater, oder?“ „Anders, aber auch gut“, lautet die Antwort.
Unwissenheit beugt Enttäuschungen vor: Beim faustharten „Deuce“ wird der schneidende Gitarrensound von Urgitarrist Ace Frehley schmerzlich vermisst — obwohl Thayer der bessere Musiker ist. Die Kollegin vermisst gar nichts: „Ace wer?“ Im Gegensatz zum Nachbarn stört sie sich auch nicht am AC/DC-T-Shirt eines jungen Konzertbesuchers – noch vor zwanzig Jahren wäre dieser Fauxpas eine sichere Methode gewesen, sich zwei blaue Augen einzufangen, aber dieser Zug ist…, ach sie wissen schon. Auch als Eric Singer es wagt "Beth", den Erkennungsson seines Vorgängers Peter Criss, anzustimmen, empört sie sich nicht.
Aber auch als Kiss das erste mal seit der Hot In The Shades Tour 1990 – es war die letzte mit Schlagzeuger Eric „The Fox“ Carr – „Lick it Up“ anstimmen ist sie nur bedingt bewegt.
Die Kollegin interessiert sich weit mehr für Sänger Paul Stanley (58), der sich unermüdlich mit den Händen durchs auftoupierte schwarze Haar fährt, die Lippen schürzt und sich in Obszöne Posen wirft - Stanley verfügt vermutlich über ähnlich viele Variationen mit dem Po zu wackeln, wie die Eskimos über Worte für Schnee. „Unverschämt, aber freundlich und sehr selbstbewusst“, lautet das weibliche Urteil. Besondere Freude kommt gegen Ende des Konzerts auf, als Stanley mit einer Seilbahn auf eine kleine runde Bühne in der Hallenmitte fährt – „Hihi, guck mal, die dreht sich auch noch“ – und „I Was Made For Lovin’ You“ singt: „Das kenne ich sogar“. Als Stanley über unsere Köpfe zurückfliegt, treffen ihn einige Bierbecher. Sie prallen ein seiner behaarten, noch immer muskulösen Brust ab. Stanley ballt die Faust und eine weitere Salve Böller geht hoch. Schon komisch was manche Frauen so unter Freundlichkeit verstehen. Beim Konfettiregen zum Rausschmeißer „Rock And Roll All Nite“ kommt gar Rührung auf: „Oh wie schön“, sagt sie, während Papierschnipsel wie Rosenblätter vom Himmel auf ihr schweißglänzendes Gesicht herabregnen. Sie strahlt: „Das war suuuuper.“ Defloration abgeschlossen, Experiment geglückt.
Die nächste Eskalationsstufe werden am 4. Juli die Brutalo-Death-Metaler Deicide in der Meier Music Hall sein. Mal schauen was die Kollegin dazu sagt. Aber zunächst steht „Die Möwe“ von Tschechow inszeniert von Jürgen Gossch auf dem kulturellen Austauschplan. Mal gucken ob´s mir beim ersten Mal weh tut.
Ein Zug, der vor zwanzig Jahren abgefahren ist, lässt sich nur schwer einhohlen. Deshalb folgende Versuchsanordnung: Ein Rock-Novize wird den genannten noch unbekannten Reizen ausgesetzt und seine Reaktion studiert. Und welche Band wäre für dieses Experiment besser geeignet als die Meister des beidseitigen Kerzeanzündens: Kiss.
Proband ist eine Zeitungskollegin, diplomierte Kulturwissenschaftlerin und kunstbeflissen. Des öfteren nahm sie mich schon mit zu kulturellen Veranstaltungen, zuletzt Geschlossene Gesellschaft von Sartre — als Tanztheater. In der O2 World Hamburg spielt bei Ankunft gerade die Vorband Five and The Red One. Die fünf Ulmer zocken ansprechenden frühneunziger Alternativerock, wirken dabei aber so harmlos wie Gymnasiasten auf dem Raucherhof. Urteil der Kollegin: „Die Bühnenperformance ja lustig.“ Das Todesurteil für jede Rockband.
Schluss mit Lustig ist, als Kiss um kurz vor neun loslegen. Der riesige schwarze Vorhang mit dem Bandlogo fällt. In gleißendem Licht schweben Gene Simmons, Tommy Thayer und Paul Stanley vor glitzerndem Strass und schimmernden Nieten starrend, die Gesichter wie Samurai-Dämonen geschminkt, gitarrespielend mittels Hydraulik über Eric Singers Schlagzeug hinweg auf die riesige Bühne. Die Kollegin schaut ungläubig-fasziniert.
Schon beim vierten Song „Firehouse zieht Simmons seine Feuerspucknummer ab. Eine rote Stichflamme stößt aus seinem Rachen. „Besser als Tanztheater, oder?“ „Anders, aber auch gut“, lautet die Antwort.
Unwissenheit beugt Enttäuschungen vor: Beim faustharten „Deuce“ wird der schneidende Gitarrensound von Urgitarrist Ace Frehley schmerzlich vermisst — obwohl Thayer der bessere Musiker ist. Die Kollegin vermisst gar nichts: „Ace wer?“ Im Gegensatz zum Nachbarn stört sie sich auch nicht am AC/DC-T-Shirt eines jungen Konzertbesuchers – noch vor zwanzig Jahren wäre dieser Fauxpas eine sichere Methode gewesen, sich zwei blaue Augen einzufangen, aber dieser Zug ist…, ach sie wissen schon. Auch als Eric Singer es wagt "Beth", den Erkennungsson seines Vorgängers Peter Criss, anzustimmen, empört sie sich nicht.
Aber auch als Kiss das erste mal seit der Hot In The Shades Tour 1990 – es war die letzte mit Schlagzeuger Eric „The Fox“ Carr – „Lick it Up“ anstimmen ist sie nur bedingt bewegt.
Die Kollegin interessiert sich weit mehr für Sänger Paul Stanley (58), der sich unermüdlich mit den Händen durchs auftoupierte schwarze Haar fährt, die Lippen schürzt und sich in Obszöne Posen wirft - Stanley verfügt vermutlich über ähnlich viele Variationen mit dem Po zu wackeln, wie die Eskimos über Worte für Schnee. „Unverschämt, aber freundlich und sehr selbstbewusst“, lautet das weibliche Urteil. Besondere Freude kommt gegen Ende des Konzerts auf, als Stanley mit einer Seilbahn auf eine kleine runde Bühne in der Hallenmitte fährt – „Hihi, guck mal, die dreht sich auch noch“ – und „I Was Made For Lovin’ You“ singt: „Das kenne ich sogar“. Als Stanley über unsere Köpfe zurückfliegt, treffen ihn einige Bierbecher. Sie prallen ein seiner behaarten, noch immer muskulösen Brust ab. Stanley ballt die Faust und eine weitere Salve Böller geht hoch. Schon komisch was manche Frauen so unter Freundlichkeit verstehen. Beim Konfettiregen zum Rausschmeißer „Rock And Roll All Nite“ kommt gar Rührung auf: „Oh wie schön“, sagt sie, während Papierschnipsel wie Rosenblätter vom Himmel auf ihr schweißglänzendes Gesicht herabregnen. Sie strahlt: „Das war suuuuper.“ Defloration abgeschlossen, Experiment geglückt.
Die nächste Eskalationsstufe werden am 4. Juli die Brutalo-Death-Metaler Deicide in der Meier Music Hall sein. Mal schauen was die Kollegin dazu sagt. Aber zunächst steht „Die Möwe“ von Tschechow inszeniert von Jürgen Gossch auf dem kulturellen Austauschplan. Mal gucken ob´s mir beim ersten Mal weh tut.
Montag, 17. Mai 2010
Gott ist tot!
Gott ist tot. Auf der Internetseite von Ronnie James Dio gibt seine Frau Wendy bekannt, dass der Rocksänger am frühen Sonntagmorgen um 7.45 Uhr an Krebs gestorben ist. Das ist unfassbar. Sein Tod macht nicht nur die Heavy-Metal-Fans dieser Welt zu Waisen, er rührt an die Grundfesten dieser Musik. Denn Dio, der als Sänger von Rockgiganten wie Rainbow (1974-78), Black Sabbath (1978-81) und als Solokünstler Legendenstatus erreichte und die gehörnte Faust als Markenzeichen etablierte - auch wenn Gene Simmons von Kiss das stets geleugnet hat -, war nicht nur so etwas wie die Vaterfigur dieser Bewegung, er war die Verkörperung des Metal. Und wie kann der Metal selbst sterben? Wie kann ein Mann sterben, über den der kanadische Garage-Blues-Rocker Danko Jones einmal gesagt hat, er singe, als habe er nicht nur zwei sondern drei Eier? Wie kann ein Mann sterben, der trotz einer Körpergröße von knapp über eins sechzig alles in den Schatten stellte – mit der Stimme eines Riesen? Er kann es nicht. Er wird weiterleben in seiner Musik und in den Herzen all jener, die ihn einmal gehört, erlebt oder persönlich getroffen haben.
Im August 2004 hatte ich dieses Privileg. Dio spielte im Substage, einem kleinen Club in Karlsruhe, um seine Kariere stand es damals nicht zum besten. Vor dem Konzert gab er mir für die dortige Lokalzeitung ein Interview im Hotel, das sich nach kurzer Zeit zu einem fröhlichen Plausch entwickelte. Ich erinnerte daran, dass er fast auf den Tag genau zwanzig Jahre zuvor beim Monsters of Rock im Karlsruher Wildparkstadion aufgetreten war. Vor 45 000 Zuschauern spielten damals außerdem Mötley Crüe, Accept, Gary Moore, Ozzy Osbourne, Van Halen und AC/DC. Aufgrund der Ausschreitungen nach dem Konzert, unter anderem wurde der Legende nach eine Straßenbahn aus den Gleisen gehoben, wurden Rockkonzerte für Jahre von den Stadtvätern verbannt. Dio geriet sofort ins Schwärmen: „Das war toll, eine solche Besetzung würdest du für ein Festival heute gar nicht mehr zusammen bekommen. Im Partyzelt hinter der Bühne, gab es eine riesen Schlägerei.“ Zum Tourmanager gewandt: „Und war das nicht der Tag als Ozzy Osbourne diesem Typ im Schlaf die Augenbrauen abrasiert hat?“ „Nein,“ antwortete er lachend, „er hat es nur versucht.“ Von Verbitterung darüber, dass seine großen Erfolge vergangen waren, war bei Dio keine Spur. Auf die Frage, was ihn nach so vielen Jahren motiviere auf die Bühne zu gehen, sagte er: „Finanziell hätte ich mich schon seit langem zur Ruhe setzen können. Aber was soll ich Zuhause herumsitzen? Ich habe nicht gelernt, Fernseher zu reparieren, sondern vor Leuten zu singen. Das ist, was ich tue. Abends spielte er vor einem ausrastenden Publikum das beste Konzert, dass ich in diesem Club jemals gesehen habe. Danach lud er mich und meine Freundin Backstage auf ein paar Bier ein und bedankte sich sehr freundlich, dass sie ihre Brüste entblößt hatte, „das hat schon lange niemand mehr gemacht.“ Irgendwann entschwand er mit einem Lächeln und nach oben gereckter „Mano Cornuto“. Zuletzt war Ronnie James Dio mit den unter dem Namen Heaven and Hell wiedervereinigten Black Sabbath sehr erfolgreich, nun ist er für immer gegangen. Er wurde 67 Jahre alt.
Naxhtrag: Am Samstag war ich wieder im Substage, ich spielte einen Gig mit meiner alten Band The Starfuckers , um dem alten Substage, das in neue Räumlichkeiten zieht, die letzte Ehre zu erweisen. Natürlich wurde danach kräftig gefeiert und ich kam Nachhause, als es schon hell wurde, da lag Ronnie James Dio gerade im sterben.
Im August 2004 hatte ich dieses Privileg. Dio spielte im Substage, einem kleinen Club in Karlsruhe, um seine Kariere stand es damals nicht zum besten. Vor dem Konzert gab er mir für die dortige Lokalzeitung ein Interview im Hotel, das sich nach kurzer Zeit zu einem fröhlichen Plausch entwickelte. Ich erinnerte daran, dass er fast auf den Tag genau zwanzig Jahre zuvor beim Monsters of Rock im Karlsruher Wildparkstadion aufgetreten war. Vor 45 000 Zuschauern spielten damals außerdem Mötley Crüe, Accept, Gary Moore, Ozzy Osbourne, Van Halen und AC/DC. Aufgrund der Ausschreitungen nach dem Konzert, unter anderem wurde der Legende nach eine Straßenbahn aus den Gleisen gehoben, wurden Rockkonzerte für Jahre von den Stadtvätern verbannt. Dio geriet sofort ins Schwärmen: „Das war toll, eine solche Besetzung würdest du für ein Festival heute gar nicht mehr zusammen bekommen. Im Partyzelt hinter der Bühne, gab es eine riesen Schlägerei.“ Zum Tourmanager gewandt: „Und war das nicht der Tag als Ozzy Osbourne diesem Typ im Schlaf die Augenbrauen abrasiert hat?“ „Nein,“ antwortete er lachend, „er hat es nur versucht.“ Von Verbitterung darüber, dass seine großen Erfolge vergangen waren, war bei Dio keine Spur. Auf die Frage, was ihn nach so vielen Jahren motiviere auf die Bühne zu gehen, sagte er: „Finanziell hätte ich mich schon seit langem zur Ruhe setzen können. Aber was soll ich Zuhause herumsitzen? Ich habe nicht gelernt, Fernseher zu reparieren, sondern vor Leuten zu singen. Das ist, was ich tue. Abends spielte er vor einem ausrastenden Publikum das beste Konzert, dass ich in diesem Club jemals gesehen habe. Danach lud er mich und meine Freundin Backstage auf ein paar Bier ein und bedankte sich sehr freundlich, dass sie ihre Brüste entblößt hatte, „das hat schon lange niemand mehr gemacht.“ Irgendwann entschwand er mit einem Lächeln und nach oben gereckter „Mano Cornuto“. Zuletzt war Ronnie James Dio mit den unter dem Namen Heaven and Hell wiedervereinigten Black Sabbath sehr erfolgreich, nun ist er für immer gegangen. Er wurde 67 Jahre alt.
Naxhtrag: Am Samstag war ich wieder im Substage, ich spielte einen Gig mit meiner alten Band The Starfuckers , um dem alten Substage, das in neue Räumlichkeiten zieht, die letzte Ehre zu erweisen. Natürlich wurde danach kräftig gefeiert und ich kam Nachhause, als es schon hell wurde, da lag Ronnie James Dio gerade im sterben.
Donnerstag, 13. Mai 2010
New Starfuckers Record
The Starfuckers haben in den Archiven gestöbert und sind fündig geworden. Die zwölf bisher unveröffntlichten Studioaufnahmen und nie live gespielten Perlen gibt es bei der großen Reunion-Show auf der Closing-Party unseres geliebten Substage am Samstag, 15.4., in Karlsruhe zu kaufen. Also seid besser am Start. Über vierhundert Karten sind schon verkauft, also bestellt euch lieber welche online
Montag, 10. Mai 2010
The Starfuckers Reunion Show
The Starfuckers are back, „Back in Bed“.
Nach fast fünf Jahren auf dem Rock N´ Roller-Altenteil haben sich Karlsruhes berüchtigtste Söhne noch einmal in originaler Urbesetzung zusammengefunden.
Und warum das?
Wollen Buddy Lotion (Vox), J.J.Joy (Git.), Ray rock (Git.), Colonel Wuttge (Bass) und Pete Bull (Drums) etwa ihr eigenes Andenken besudeln?
„Quatsch, wir wollen dem Substage den Todesstoß versetzen, also ich meine, ihm die letzte Ehre erweisen“, verkündet Pete Bull gewohnt bescheiden.
„Der Wahre Grund ist, dass wir darauf hoffen, hinterher die Bar leer saufen zu dürfen. So macht man das doch in Kneipen die zumachen, oder?“, sagt Buddy Lotion.
Hat man also um einer Flasche Schnaps Willen alle musikalischen und sexuellen Differenzen überwunden?
„Die hat es nie gegeben,“ behauptet Ray Rock. „Wir haben uns nur getrennt, damit wir eine Reunion durchziehen können, so was machen nur die ganz Großen, wie Black Sabbath.“ Werden The Starfuckers denn an ihre alte Größe anknüpfen können ?
Buddy Lotion ganz sicher: „Ich habe ein Penis-Enlargement durchführen lassen, deswegen passt auch leider mein rosa Leopardenanzug nicht mehr.“
„An Rays Größe hat sich nichts geändert, er ist noch immer der Einzige in der Band, der mehr trinken kann als er wiegt“, sagt Pete. „Bei mir hat sich ebenfalls nicht viel geändert. Außer vielleicht, dass ich nicht mehr so schnell spielen kann. Aber es ist wie beim Sex, Geschwindigkeit ist nicht alles, Größe und Kraft zählen mehr.“ „Und unser Colonel, sagt wie immer nichts und zieht an seinem großen Zigarillo“, sagt Buddy. Und J.J.? „J.J. ist noch nicht aus seiner Kur zurück, aber er hat versprochen, ab April zu den Proben zu erscheinen. Er war schon immer ein ganz Großer; und groß wird auch die Show!“, versprechen The Starfuckers. Also auf zu den alten Hymnen wie: „Live My Style“, „Playgirl 666“, „Dreamwoman“, und – „I wanna Fuck“. Yeah!
Nach fast fünf Jahren auf dem Rock N´ Roller-Altenteil haben sich Karlsruhes berüchtigtste Söhne noch einmal in originaler Urbesetzung zusammengefunden.
Und warum das?
Wollen Buddy Lotion (Vox), J.J.Joy (Git.), Ray rock (Git.), Colonel Wuttge (Bass) und Pete Bull (Drums) etwa ihr eigenes Andenken besudeln?
„Quatsch, wir wollen dem Substage den Todesstoß versetzen, also ich meine, ihm die letzte Ehre erweisen“, verkündet Pete Bull gewohnt bescheiden.
„Der Wahre Grund ist, dass wir darauf hoffen, hinterher die Bar leer saufen zu dürfen. So macht man das doch in Kneipen die zumachen, oder?“, sagt Buddy Lotion.
Hat man also um einer Flasche Schnaps Willen alle musikalischen und sexuellen Differenzen überwunden?
„Die hat es nie gegeben,“ behauptet Ray Rock. „Wir haben uns nur getrennt, damit wir eine Reunion durchziehen können, so was machen nur die ganz Großen, wie Black Sabbath.“ Werden The Starfuckers denn an ihre alte Größe anknüpfen können ?
Buddy Lotion ganz sicher: „Ich habe ein Penis-Enlargement durchführen lassen, deswegen passt auch leider mein rosa Leopardenanzug nicht mehr.“
„An Rays Größe hat sich nichts geändert, er ist noch immer der Einzige in der Band, der mehr trinken kann als er wiegt“, sagt Pete. „Bei mir hat sich ebenfalls nicht viel geändert. Außer vielleicht, dass ich nicht mehr so schnell spielen kann. Aber es ist wie beim Sex, Geschwindigkeit ist nicht alles, Größe und Kraft zählen mehr.“ „Und unser Colonel, sagt wie immer nichts und zieht an seinem großen Zigarillo“, sagt Buddy. Und J.J.? „J.J. ist noch nicht aus seiner Kur zurück, aber er hat versprochen, ab April zu den Proben zu erscheinen. Er war schon immer ein ganz Großer; und groß wird auch die Show!“, versprechen The Starfuckers. Also auf zu den alten Hymnen wie: „Live My Style“, „Playgirl 666“, „Dreamwoman“, und – „I wanna Fuck“. Yeah!
Montag, 26. April 2010
Vortrag zur History von KA-Rockcity
Karlsruhe ist eine junge Stadt, aber geschichtsträchtig, rockgeschichtsträchtig. Mit den amerikanischen Besatzern kam auch die Rock’n’Roll-Rebellion in die biedere badische Beamtenmetropole. Erste Bands entstanden und tingelten durch die Armeeclubs. Das war der Beginn von sechzig aufregenden Musik-Jahren. Sechzig Jahre in denen sich Heiko Räther und der Autor sich bestens auskennen. Ersterer hat die Szene seit den späten 60ern als DJ in den Karlsruher Clubs geprägt und hält locker den lokalen Konzertbesuchsrekord, letzterer beschäftigt sich schon Lange mit der Geschichte der Karlsruher Rockszene und hat sie journalistisch begleitet und aufgearbeitet. Die beiden Experten führen launig und beredt durch die Karlsruher „Rockhistory“, spielen Songs, plaudern aus dem Nähkästchen und haben sich außerdem interessante Gesprächspartner eingeladen: Unter anderen werden als „Zeitzeugen“ dabei sein: Rudi Metzler, Horst Meinzer (Prussic Acid, Poseidon) und Werner Kühn (Prisma), mi 28.4., 20Uhr, Jubez, Karlsruhe.
Sonntag, 28. März 2010
The Twang
A Guide To Modern Country Living, heißt die neue Platte von The Twang. Am Samstag stellte die Braunschweiger Country und Western-Formation ihre CD im Kulturzentrum Brunsviga vor. Schon fünfhundert Meter vor dem Club staksten die ersten Hutträger auf ihren – scheinbar selten getragenen – Cowboystiefeln umher, vor dem Eingang herrschte ein Gedränge wie beim Viehtrieb in Abilene.
Es ist das vierte Album der Country und Western-Formation, aufgenommen an so abenteuerlichen Orten wie Houston und Austin in Texas. Den letzten Schliff bekam es in den legendären, durch finanzielle Schieflage des Plattenkonzerns EMI mittlerweile vom Verkauf bedrohten, Londoner Abbey Road Studios. Wie kommt eine Combo aus der Region zu so einer internationalen Produktion? „Wir sind finanziell nicht von der Musik abhängig“, erklärt Sänger Hank Twang, „deshalb zahlen wir uns keine Gagen aus, sondern erfüllen uns lieber solche musikalischen Träume.“ Um diese Unabhängigkeit zu bewahren hat das Sextett seine Karriere bewusst auf dem Level Halb-Profi eingefroren: „Wir hatten zwei Angebote von großen Major-Plattenfirmen, die haben wir abgelehnt.“ Wie viel Erfolg mit dem „Countryfizieren“ populärer Songs möglich ist, haben Chartstürmer wie die Hamburger Texas Lightening, mit Comedy-Star Olli Dittrich am Schlagzeug, oder Boss Hoss aus Berlin gezeigt. Hank sieht es gelassen: „Wir waren die Ersten, die so was gemacht haben, und wie ich das sehe, werden wir auch die letzten sein.“
Könnte durchaus so kommen, denn an Ideen für irre Adaptionen, wie auf der neuen CD nachzuhören ist, herrscht bei The Twang kein Mangel: Kim Wildes „Kids in America“ präsentieren sie als Western Swing, wie ihn Leute wie Wayne "The Train" Hancock heute spielen, die Dire Straits Schmonzette „Brothers in Arms“ als treibenden Rockabilly. Originell auch die Idee, „A Whiter Shade Of Pale“ von Procol Harum mit Ennio Morricones Jill-Thema aus dem Once Upon a Time in the West-Soundtrack zu kombinieren oder die Trucker-Version des Songs „Rehab“. Auch wenn man Hank Twang das ironische Selbstportrait der Skandal- und Drogennudel Amy Winehouse mit seinem Berti Vogts-Charme nicht so recht abnehmen will. Manchmal kann solch ungezügelter Eklektizismus auch zu Missverständnissen führen. So hatten The Twang für ihre Version von „I kissed A Girl“ der Popsängerin Katy Perry den Lap Steel-Gitarristen Herb Remington im Studio. Stutzig machte den Texaner die Textzeile, „I kissed a Girl and I liked it, I hope my Boyfriend don´t mind it“. „Wer von euch Typen hat diesen Song geschrieben?“, fragte der 82-Jährige verblüfft.
Getrost als Ausfälle bezeichnen kann man „Breaking The Law“, Evergreen der mächtigen Judas Priest, und Monster Magnet´s Powerhit „Spacelord“ sowie Ralph Siegels Ballermann-Smasher „Genghis Khan“. The Twang sind am stärksten, wenn es schmalzig wird. Genial Terry Jacks´ Schmachtfetzen „Seasons In The Sun“ im Walzertakt oder Lionoel Richies Tränendrüsenstimulans „Hello“, basierend auf „Wish You Were Here“ von Pink Floyd. Sogar richtig berühren können die Braunschweiger, mit „Heroes“ von David Bowie.
Zurück zum Konzert: Zunächst machte Johnny Falstaff die Leute heiß. Mit der Instrumentalabteilung von The Twang im Rücken zog der waschechte Texaner mit Strohhut und buschigem Backenbart eine Rockabilly Show erster Kajüte ab. Höhepunkt: eine Hochgeschwindigkeits-Version von Hank Williams Juniors „Big Mamou“, an deren Ende Falstaffs Geigenbogen nur noch in traurigen Fetzen hing; Killer.
Nach diesem Feuerwerk hatten es die Hausherren in ihren Western-Anzügen, wie vom Cowboy-Versand Sheplers, nicht leicht. Erschwerend hinzu kam das Publikum, vornehmlich im gesetzteren Alter, eher Tom Astor als Hank Williams III. Böse Blicke erntete, wer zwischendurch mal Bier holen ging, obschon im Saal nicht gerade Enge herrschte. „Habt ihr es dann bald“, ermahnte ein ungefähr zwei Meter fünfzig großer Anzugträger, der sich soeben genau im Blickfeld platziert hatte – ausgerechnet - mich und meinen Bekannten. Gespräche während der Musik sind in Rock-Clubs heutzutage offenbar wider die Etikette, genauso wie Rauchen auf Open-Air-Konzerten. Trotzdem, The Twang gaben nicht auf und nach spätestens einer Stunde hatten sie die Menge im Griff. Spielfreude und eine gute Songauswahl sind eben durch nichts zu ersetzen.
Es ist das vierte Album der Country und Western-Formation, aufgenommen an so abenteuerlichen Orten wie Houston und Austin in Texas. Den letzten Schliff bekam es in den legendären, durch finanzielle Schieflage des Plattenkonzerns EMI mittlerweile vom Verkauf bedrohten, Londoner Abbey Road Studios. Wie kommt eine Combo aus der Region zu so einer internationalen Produktion? „Wir sind finanziell nicht von der Musik abhängig“, erklärt Sänger Hank Twang, „deshalb zahlen wir uns keine Gagen aus, sondern erfüllen uns lieber solche musikalischen Träume.“ Um diese Unabhängigkeit zu bewahren hat das Sextett seine Karriere bewusst auf dem Level Halb-Profi eingefroren: „Wir hatten zwei Angebote von großen Major-Plattenfirmen, die haben wir abgelehnt.“ Wie viel Erfolg mit dem „Countryfizieren“ populärer Songs möglich ist, haben Chartstürmer wie die Hamburger Texas Lightening, mit Comedy-Star Olli Dittrich am Schlagzeug, oder Boss Hoss aus Berlin gezeigt. Hank sieht es gelassen: „Wir waren die Ersten, die so was gemacht haben, und wie ich das sehe, werden wir auch die letzten sein.“
Könnte durchaus so kommen, denn an Ideen für irre Adaptionen, wie auf der neuen CD nachzuhören ist, herrscht bei The Twang kein Mangel: Kim Wildes „Kids in America“ präsentieren sie als Western Swing, wie ihn Leute wie Wayne "The Train" Hancock heute spielen, die Dire Straits Schmonzette „Brothers in Arms“ als treibenden Rockabilly. Originell auch die Idee, „A Whiter Shade Of Pale“ von Procol Harum mit Ennio Morricones Jill-Thema aus dem Once Upon a Time in the West-Soundtrack zu kombinieren oder die Trucker-Version des Songs „Rehab“. Auch wenn man Hank Twang das ironische Selbstportrait der Skandal- und Drogennudel Amy Winehouse mit seinem Berti Vogts-Charme nicht so recht abnehmen will. Manchmal kann solch ungezügelter Eklektizismus auch zu Missverständnissen führen. So hatten The Twang für ihre Version von „I kissed A Girl“ der Popsängerin Katy Perry den Lap Steel-Gitarristen Herb Remington im Studio. Stutzig machte den Texaner die Textzeile, „I kissed a Girl and I liked it, I hope my Boyfriend don´t mind it“. „Wer von euch Typen hat diesen Song geschrieben?“, fragte der 82-Jährige verblüfft.
Getrost als Ausfälle bezeichnen kann man „Breaking The Law“, Evergreen der mächtigen Judas Priest, und Monster Magnet´s Powerhit „Spacelord“ sowie Ralph Siegels Ballermann-Smasher „Genghis Khan“. The Twang sind am stärksten, wenn es schmalzig wird. Genial Terry Jacks´ Schmachtfetzen „Seasons In The Sun“ im Walzertakt oder Lionoel Richies Tränendrüsenstimulans „Hello“, basierend auf „Wish You Were Here“ von Pink Floyd. Sogar richtig berühren können die Braunschweiger, mit „Heroes“ von David Bowie.
Zurück zum Konzert: Zunächst machte Johnny Falstaff die Leute heiß. Mit der Instrumentalabteilung von The Twang im Rücken zog der waschechte Texaner mit Strohhut und buschigem Backenbart eine Rockabilly Show erster Kajüte ab. Höhepunkt: eine Hochgeschwindigkeits-Version von Hank Williams Juniors „Big Mamou“, an deren Ende Falstaffs Geigenbogen nur noch in traurigen Fetzen hing; Killer.
Nach diesem Feuerwerk hatten es die Hausherren in ihren Western-Anzügen, wie vom Cowboy-Versand Sheplers, nicht leicht. Erschwerend hinzu kam das Publikum, vornehmlich im gesetzteren Alter, eher Tom Astor als Hank Williams III. Böse Blicke erntete, wer zwischendurch mal Bier holen ging, obschon im Saal nicht gerade Enge herrschte. „Habt ihr es dann bald“, ermahnte ein ungefähr zwei Meter fünfzig großer Anzugträger, der sich soeben genau im Blickfeld platziert hatte – ausgerechnet - mich und meinen Bekannten. Gespräche während der Musik sind in Rock-Clubs heutzutage offenbar wider die Etikette, genauso wie Rauchen auf Open-Air-Konzerten. Trotzdem, The Twang gaben nicht auf und nach spätestens einer Stunde hatten sie die Menge im Griff. Spielfreude und eine gute Songauswahl sind eben durch nichts zu ersetzen.
Samstag, 30. Januar 2010
Die Neue von Shy Guy At The Show
Shy Guy At The Show sind einfach anders. Nichts an dieser Band ist gewöhnlich, nichts fantasielos, nichts langweilig. Bei der Verpackung fängt es an: „The Birth Of Doubt“ steht auf dem schwarzen Karton von der Größe eines Taschenbuchs, drinnen liegt ein Heft, ein Comic. Die Seiten sind in Schwarz-Weiß gehalten, die Bilder verstörend und von kühler Ästhetik. Es scheint um einen Engel zu gehen, der dem Himmel den Rücken kehrt, um sich den Menschen zuzuwenden. Erst darunter die CD, vom Cover hält der Engel dem Betrachter einen angebissenen Apfel entgegen, ein Verweis auf den Sündenfall. Riecht nach Konzeptalbum! Und tatsächlich: Jedem Song ist statt Text ein erklärender Strip zugeordnet. Ein gelungener Einfall. Doch nun zur Musik: In gewohnter Manier vereinen SGATS düsteren Goth-Rock mit Indie- und Elektroelementen. Insgesamt ist Birth Of Doubt härter und gradliniger als seine Vorgänger, aber in seiner klanglichen Opulenz und Vielfalt auch irgendwie barocker. Die Spannweite reicht von progressivem Wahnsinn (“The Birth Of Doubt”, “Your Church Is Grotesque”), über Sisters-Of-Mercy-Rocker („Paris Is In Flames“, „House Of Elsewhere“), Industrial-Stampfer (“Beverly Hills”), bis zu orientalischen Klängen („The Dance“) und schließlich ganz leisen Tönen („Meditation“, bei dem Sebastian Emlings tiefe Stimme nur von Klavier umspielt wird). Ein großartiges Album, das ihr hier bestellen könnt. (mex)
Samstag, 16. Januar 2010
Record Release: Shy Guy At The Show
Einigen ist sicher aufgefallen, dass ich den Blog in letzter zeit nicht mehr in der gewohnten Regelmäßigkeit aktualisiert habe. Das liegt daran, dass es mich beruflich nach Braunschweig verschlagen hat. Die thematischen Schwerpunkte werden sich also zwangsläufig ein wenig verschieben - keine Angst, es wird auch in Zukunft mehr als Nur Berichte über Such A Surge geben.
Seid sie 2006 das erste Mal auf dem Karlsruher „New Bands Festival“ in Erscheinung traten, sind Shy Guy At The Show die etwas andere Band aus der Südpfalz (Die Bandmitglieder stammen aus Lustadt, Leimersheim, Hördt und Rheinzabern, geprobt wird in Wörth)– nicht umsonst verweist schon ihre Namensgebung auf das Thema Desintegration. Irgendwie verstörend und doch faszinierend, seltsam beängstigend und doch mitreißend sind diese Außenseiter, die Musik für Absinthtrinker spielen, aber trotzdem jedes Bierzelt zum beben bringen können, wenn sie nur wollen. Musikalisch sind SGATS zwar bei weitem nicht die einzigen, die sich auf Vorbilder wie Sisters of Mercy, Depeche Mode und Joy Division, oder auch bahnbrechende deutsche Bands wie Kraftwerk und Camouflage berufen, aber Welche andere Band käme heute auf die Idee, ein Konzeptalbum aufzunehmen, dessen wahnwitzige Geschichte eines namenlosen Engels, der dem Paradies den Rücken kehrt, um von den Menschen die Kunst des Zweifelns zu erlernen, auf Goethes Prometheus aufbaut? Welche andere Band käme darüber hinaus auf die Idee, diesem, statt Texten, einen 50-seitigen Comicband beizulegen, in dem sie die tragischen Helden dieser Saga selbst darstellt? Und welche andere Band stellte in Zeiten von DSDS und Atzen-Musik bitte Podcasts zu Cormac Mc Carthy, Herman Melville und Edgar Allan Poe ins Internet, wenn sie nach ihren literarischen Einflüssen gefragt wird? „Die Musik ist ja nur ein potentieller Weg, sich ein komplexes Konzept, wie das von ‚The Birth Of Doubt’ zu erschließen“, sagt Sebastian Emling, Sänger und künstlerischer Vordenker des multimedialen Mammutprojekts. „Besonders reizvoll und fordernd an der Produktion war zweifellos die multidirektionale Herangehensweise. Literatur spielte dabei neben Fotografie und Filmkunst(letzte Arbeiten mit einer preisgekrönten holländischen Filmcrew am Musikvideo wurden erst kürzlich abgeschlossen, Verf.) eine ebenso große Rolle als Inspirationsquelle, wie die Orientierung an bestimmten musikalischen Vorbildern. So wird der Comic auch auf der CD enthalten sein, blättert man ihn virtuell durch, werden gleichzeitig die betreffenden Songtextpassagen als Spoken Word eingespielt.“
Über ein Jahr haben die Arbeiten an The Birth of Doubt gedauert, jetzt stellen SGATS das Ergebnis ihrer Forschungsreise in außermusikalische Sphären endlich vor. „Das vergangene Jahr hat uns künstlerisch, körperlich und vor allem auch finanziell nahezu alles abverlangt. Doch wir sind mehr als stolz auf unser Werk und brennen darauf, es endlich, endlich live vor ein leibhaftiges Publikum zu bringen,“ sagt Emling mit einem erwartungsfrohen Funkeln in den Augen. Am Samstag, 23.1., um 20Uhr, im Karlsruher Club Die Stadtmitte wird es soweit sein. Als besondere Gäste mit dabei sind Tones Of Home aus Schweden.
Seid sie 2006 das erste Mal auf dem Karlsruher „New Bands Festival“ in Erscheinung traten, sind Shy Guy At The Show die etwas andere Band aus der Südpfalz (Die Bandmitglieder stammen aus Lustadt, Leimersheim, Hördt und Rheinzabern, geprobt wird in Wörth)– nicht umsonst verweist schon ihre Namensgebung auf das Thema Desintegration. Irgendwie verstörend und doch faszinierend, seltsam beängstigend und doch mitreißend sind diese Außenseiter, die Musik für Absinthtrinker spielen, aber trotzdem jedes Bierzelt zum beben bringen können, wenn sie nur wollen. Musikalisch sind SGATS zwar bei weitem nicht die einzigen, die sich auf Vorbilder wie Sisters of Mercy, Depeche Mode und Joy Division, oder auch bahnbrechende deutsche Bands wie Kraftwerk und Camouflage berufen, aber Welche andere Band käme heute auf die Idee, ein Konzeptalbum aufzunehmen, dessen wahnwitzige Geschichte eines namenlosen Engels, der dem Paradies den Rücken kehrt, um von den Menschen die Kunst des Zweifelns zu erlernen, auf Goethes Prometheus aufbaut? Welche andere Band käme darüber hinaus auf die Idee, diesem, statt Texten, einen 50-seitigen Comicband beizulegen, in dem sie die tragischen Helden dieser Saga selbst darstellt? Und welche andere Band stellte in Zeiten von DSDS und Atzen-Musik bitte Podcasts zu Cormac Mc Carthy, Herman Melville und Edgar Allan Poe ins Internet, wenn sie nach ihren literarischen Einflüssen gefragt wird? „Die Musik ist ja nur ein potentieller Weg, sich ein komplexes Konzept, wie das von ‚The Birth Of Doubt’ zu erschließen“, sagt Sebastian Emling, Sänger und künstlerischer Vordenker des multimedialen Mammutprojekts. „Besonders reizvoll und fordernd an der Produktion war zweifellos die multidirektionale Herangehensweise. Literatur spielte dabei neben Fotografie und Filmkunst(letzte Arbeiten mit einer preisgekrönten holländischen Filmcrew am Musikvideo wurden erst kürzlich abgeschlossen, Verf.) eine ebenso große Rolle als Inspirationsquelle, wie die Orientierung an bestimmten musikalischen Vorbildern. So wird der Comic auch auf der CD enthalten sein, blättert man ihn virtuell durch, werden gleichzeitig die betreffenden Songtextpassagen als Spoken Word eingespielt.“
Über ein Jahr haben die Arbeiten an The Birth of Doubt gedauert, jetzt stellen SGATS das Ergebnis ihrer Forschungsreise in außermusikalische Sphären endlich vor. „Das vergangene Jahr hat uns künstlerisch, körperlich und vor allem auch finanziell nahezu alles abverlangt. Doch wir sind mehr als stolz auf unser Werk und brennen darauf, es endlich, endlich live vor ein leibhaftiges Publikum zu bringen,“ sagt Emling mit einem erwartungsfrohen Funkeln in den Augen. Am Samstag, 23.1., um 20Uhr, im Karlsruher Club Die Stadtmitte wird es soweit sein. Als besondere Gäste mit dabei sind Tones Of Home aus Schweden.
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