Neulich bekam ich von einer Freundin – sie ist Vegetarierin – eine Tofuwurst vorgesetzt. In seiner Gestalt und Konsistenz war das Gebilde einer Wurst aus echtem Fleisch und Blut nicht unähnlich. Ich konnte mir darauf die Frage nicht verkneifen, warum jemand, der es aus ideologischen Gründen ablehnt, Tiere zu vertilgen, ein Produkt kauft, dass es ganz offensichtlich darauf anlegt, dem unverfälschten Wursterlebnis möglichst nahe zu kommen. Ich bekam dann irgendwelche Ausreden zu hören, wie, man könne ja genausogut Tofu-Rollen sagen, die Form sei eben praktisch undsoweiterundsofort...
Einmal davon abgesehen, dass eine kantige Form zum Braten viel sinnvoller sei, wie ich ihr entgegenhielt, glaube ich, dass der Grund für die Wurst-Mimikry ein ganz anderer ist: die wenigsten stehen heute noch zu ihrer Andersartigkeit. Am allerwenigsten, wenn sich ihre Lebensweise von der des Mainstream unterscheidet. Getarnt wird dieser Neo-Konformismus dann mit der Forderung nach Gleichberechtigung: Schwule Paare wollen unbedingt in einer katholischen Kirche heiraten, Klassenclowns, dass ihr Verhalten nicht mehr „auffällig“ sondern „kreativ“ genannt wird und Vegetarier schließlich das Recht, Wurst zu konsumieren – wie alle anderen auch. Statt mit Stolz Tofu-Rollen zu essen, während sich der Rest der Welt mit toten Tieren vollstopft, beharren sie also auf Würsten.
Warum will heute eigentlich keiner mehr anders sein? Es gab in Deutschland schon mehrfach Phasen, in der anders sein total out war – etwa von 1933 bis 45. Ich mache mir da auch Sorgen um die Wirtschaft. Schließlich leben ganze Industriezweige davon, die Menschen mit Ich-bin-anders-Anders-Attributen auszustatten. Die Sicherheitsnadel-Fabriken oder Tätowierfarben-Hersteller zum Beispiel. Die Leben doch nur in Saus und Braus, solange Menschen Sicherheitsnadeln und zugehackte Arme weiterhin für für höchst individuelle Mode-Statements halten.
Es gab mal Zeiten, da bildete man sich was drauf ein, anders zu sein. Früher, als einem die Omis in der Fußgängerzone noch ängstliche Blicke zu warfen, wenn man ein Motörhead-Shirt trug und einen die eigenen Lehrer genauso verabscheuten wie man selbst die Katholische Kirche. Heute gibt es Motörhead T-Shirts bei H&M. Das mag zugegebendermaßen der Wirtschaft helfen, aber das öffentliche Tragen dieses Kleidungsstücks hat dadurch doch stark an Reiz verloren. Im übrigen genauso wie der Vandalismus auf öffentlichen Plätzen. Das macht heute schließlich auch jeder, insbesondere in der Hauptstadt, wie man so hört.
Fast ist man versucht in größerer Runde lauthals für die Wahl des amerikanischen Präsidentschaftskandidaten Mitt Romney einzutreten, um endlich wieder wenigstens etwas Widerspruch zu ernten. Mal wieder vor allen Leuten in die Straßenbahn zu kotzen hätte allerdings auch Stil. Sollen doch die ganzen Dazu-Gehören-Woller auf ihren kirchlichen Homo-Hochzeiten mit den anderen Verhaltens-Kreativen Tofu-Würste essen. Ich gehe jetzt erstmal in die Fußgängerzone und sammele von den Omis Wahlkampfspenden für Mitt Romney ein – wo ist eigentlich mein Motörhead T-Shirt?
Mittwoch, 31. Oktober 2012
Samstag, 27. Oktober 2012
Wiedergänger oder Sachwalter? - Randy Hansen spielt die Musik von Jimi Hendrix
Man könnte nun den Vorwurf erheben, der 57-jährige US-Amerikaner, der sein Publikum zu faszinieren versteht, indem er die Gitarre, wie einst Jimi Hendrix, mit den Zähnen und hinter dem Rücken spielt, sei nichts anderes als die musikalische Entsprechung eines Mittelaltermarktes: kauzige Vorwelts-Enthusiasten schlüpfen am Wochenende in hübsche historische Kostüme – oder was sie dafür halten – und schwelgen für ein Paar Stunden in längst vergangenen Zeiten. Mit genauso gutem Recht aber ließe sich argumentieren, der Gitarren-Virtuose sei das Rock-Äquivalent zur experimentellen Archäologie: ernsthafte Wissenschaftler bauen archäologischen Befunden folgend Wikingerschiffe, um zu beweisen, dass Erik der Rote damit tatsächlich über den Atlantik hätte fahren können, sein sagenhaftes Vinland also kein Hirngespinst sondern tatsächlich Neufundland sein könnte. Andere stellen vergangene Schlachten nach, um die Effektivität der napoleonischen Truppen nachvollziehbar zu machen.
Hansen wiederum hat das Objekt seiner
Darstellung – Hendrix wäre in diesem November im übrigen 70 Jahre alt geworden
– genauestens studiert. In einer Fernsehdokumentation über den 1970
verstorbenen Hendrix gibt er en detail Auskunft über dessen Ausrüstung, Spiel-
und Aufnahmetechniken. Sicher verfügt Hansen über Wissen aus erster Hand. Denn
in den frühen 80ern spielte er noch mit den ehemaligen Mitgliedern der Jimi
Hendrix Experience, den inzwischen verstorbenen Noel Redding (Bass) und Mitch
Mitchell (Schlagzeug) sowie mit Buddy Miles, dem ebenfalls nicht mehr lebenden
Schlagzeuger von Hendrix´ unglückseliger Nachfolgeformation Band of Gypsys.
Manche Klang-Effekte hat er aber auch, wie er selbst berichtet, durch
jahrelanges experimentieren rekonstruiert, ohne sicher sein zu können, dass Hendrix sie mit denselben
technischen Hilfsmitteln erzeugt hat. Hansen betreibt seiner Forschungsarbeit
also gleichermaßen qualitativ wie empirisch und kann somit als kompetenter
Dokumentarist und Konservator des Wissens eines viel zu früh verstorbenen
musikalischen Visionärs gelten.
Man kann Randy Hansen nun einen Nerd nennen,
einen Superfan oder einen Rockologen. Vermutlich stimmt von allem ein bisschen.
In jedem Falle ist er – very experienced!
Freitag, 26. Oktober 2012
Der Kater mit Hut macht Theater - Slash @ E-Werk, Köln, 18.10.12
Zylinder, verspiegelte Ray-Ban, blaues Schnupftuch in der Gesäßtasche; das Bild, welches sich die Öffentlichkeit von Saul Hudson, aka Slash, gemacht hat, könnte ein Denkmal sein. Oder aber ein bizarrer Fantasiecharakter, wie der Kater mit Hut im kindlichen Kosmos des Dr. Seuss. In jedem Falle hat die breitbeinige nach oben verlängerte Silhouette des Ex-Gunners-Gitarristen längst ihren Platz in der Rockikonographie eingenommen. Nicht nur bei den Endvierzigern, die noch immer dem originären Line-up der selbsternannten gefährlichsten aller LA-Bands nachtrauern. Auch bei ganz jungen Fans, für die schon Velvet-Revolver Dinosaurier waren. Schulter an Schulter drängen sie sich am vorvergangenen Donnerstag im Kölner E-Werk, dem einzigen Deutschen Halt auf Slashs Europatour: Medienfuzzies mit Spencer und Pünktchen-Schal, Indie-Mädchen im Ringelpulli und Langhaarige mit Lederweste und Röhren-Deckel auf dem Kopf.
Dann, nachdem Ginger und die Wildhearts mit melodischen Punk´n´Roll schonmal ordentlich Alarm ausgelöst haben, nehmen Slash feat. Myles Kennedy & The Conspirators die Bühne in Besitz. Der “Nighttrain” beginnt die Fahrt und nach wenigen Takten ist klar: feuilletonistisches Kultur-Herumphilosophieren ist eine Sache, Rock´n´Roll eine ganz andere. Hut, Brille, Krusselhaare im Gesicht sind keine Imagespielchen sondern die Maskerade eines Puppenspielers, der völlig hinter seinem Spiel zurücktritt und nur mittels der Fäden (oder besser Saiten) in seinen Händen kommuniziert.
Slash animiert sein Publikum nicht, er spricht oder blickt es nichteinmal an. In den besten Phasen der knapp zwei Stunden erzeugt der passionierte Schlangezüchter Momente magischer Nähe zum Hörer. Mit rasanten Läufen massiert er dann das Rocker-Herz, nur um es im nächsten Augenblick mit einem gequälten Bending schmerzhaft zusammenzudrücken. Das sind die seltenen Augenblicke, wegen denen man Konzerte besucht.
Auch wenn Slash post Guns N' Roses Einiges auf die Beine gestellt hat, und das aktuelle Album „Apocalyptic Love“ mit seinen tiefsitzenden Rockern und Großformatigen Hymnen keine Wünsche offen lässt, ragen die Titel seiner Ur-Band aus dem Programm heraus, wie die Alpen über den Schwarzwald. Nach langer Abstinenz wird einem plötzlich wieder klar, was für fantastische Songs Axel, Izzy und Co damals wie am Fließband rausgehauen haben: „Civil War“, „Rocket Queen“, „Sweet Child O' Mine” und – mit Abstrichen –, das unvermeindliche „Paradise City“. Unter normalen Umsatänden, würden im Übrigen auch jüngere Großtaten wie „Not for Me”, eine Abrechnung mit dem exzessiven Hollywood-Lifestyle, oder der epische Stadionrocker „Anastasia” Bestnoten erzielen.
Unbestreitbarer Höhepunkt ist dann auch das aus der Miles-Kennedy-Ära stammende „Starlight“. Eine Power-Ballade, bei welcher der hauptamtliche Alter-Bridge Sänger seinen ungefähr 27-Oktaven umspannenden Stimmumfang ungehemmt ausspielen kann, Hammer.
Unterm Strich bleibt die wiedergewonnene Erkenntnis, dass Slash trotz der vielen Höhen und Tiefen seines Phasenweise mehr als extremen Lebens, nicht nur ein grandioser Gitarrist sondern auch er selbst geblieben ist. Was nicht alle seine ehemaligen Bandkollegen von sich behaupten können.
Dann, nachdem Ginger und die Wildhearts mit melodischen Punk´n´Roll schonmal ordentlich Alarm ausgelöst haben, nehmen Slash feat. Myles Kennedy & The Conspirators die Bühne in Besitz. Der “Nighttrain” beginnt die Fahrt und nach wenigen Takten ist klar: feuilletonistisches Kultur-Herumphilosophieren ist eine Sache, Rock´n´Roll eine ganz andere. Hut, Brille, Krusselhaare im Gesicht sind keine Imagespielchen sondern die Maskerade eines Puppenspielers, der völlig hinter seinem Spiel zurücktritt und nur mittels der Fäden (oder besser Saiten) in seinen Händen kommuniziert.
Slash animiert sein Publikum nicht, er spricht oder blickt es nichteinmal an. In den besten Phasen der knapp zwei Stunden erzeugt der passionierte Schlangezüchter Momente magischer Nähe zum Hörer. Mit rasanten Läufen massiert er dann das Rocker-Herz, nur um es im nächsten Augenblick mit einem gequälten Bending schmerzhaft zusammenzudrücken. Das sind die seltenen Augenblicke, wegen denen man Konzerte besucht.
Auch wenn Slash post Guns N' Roses Einiges auf die Beine gestellt hat, und das aktuelle Album „Apocalyptic Love“ mit seinen tiefsitzenden Rockern und Großformatigen Hymnen keine Wünsche offen lässt, ragen die Titel seiner Ur-Band aus dem Programm heraus, wie die Alpen über den Schwarzwald. Nach langer Abstinenz wird einem plötzlich wieder klar, was für fantastische Songs Axel, Izzy und Co damals wie am Fließband rausgehauen haben: „Civil War“, „Rocket Queen“, „Sweet Child O' Mine” und – mit Abstrichen –, das unvermeindliche „Paradise City“. Unter normalen Umsatänden, würden im Übrigen auch jüngere Großtaten wie „Not for Me”, eine Abrechnung mit dem exzessiven Hollywood-Lifestyle, oder der epische Stadionrocker „Anastasia” Bestnoten erzielen.
Unbestreitbarer Höhepunkt ist dann auch das aus der Miles-Kennedy-Ära stammende „Starlight“. Eine Power-Ballade, bei welcher der hauptamtliche Alter-Bridge Sänger seinen ungefähr 27-Oktaven umspannenden Stimmumfang ungehemmt ausspielen kann, Hammer.
Unterm Strich bleibt die wiedergewonnene Erkenntnis, dass Slash trotz der vielen Höhen und Tiefen seines Phasenweise mehr als extremen Lebens, nicht nur ein grandioser Gitarrist sondern auch er selbst geblieben ist. Was nicht alle seine ehemaligen Bandkollegen von sich behaupten können.
Montag, 15. Oktober 2012
Kalrsruher Chaostage - wie sie hätten sein können - gehen zu Ende, Punks versprechen erfreuten Stadtvätern Neuauflage des Treffens
Die Feierlichkeiten zum 30-Jährigen
Jubiläum des traditionsreichen Punker-Treffens „Chaostage“ sind am Sonntag in
Karlsruhe friedlich zu Ende gegangen. Gut 600 Angehörige der Punk-Szene bauten
ihr Zeltdorf im Schlosspark, wo sie seit Mittwoch kampiert hatten, ab. Knapp
eine halbe Tonne Papier und Plastikmüll (hauptsächlich Flugblätter mit linken
Parolen und Getränkebecher) wurden gemeinsam zusammengerecht und mit Hilfe der
Parkverwaltung abtransportiert, etwa
zehntausend Bierflaschen wartenden Pfand-Sammlern gespendet.
Vier Tage lang hatten etwa tausend Punks aus
dem gesamten Bundesgebiet und den Nachbarländern das Straßenbild der Einkaufs-
und Erlebnisstadt Karlsruhe bereichert. Zahlreiche kreative Programmpunkte
machten die Chaostage zu einem Besuchermagnet - auch für Nichtpunker.
Actionreiche Hochspannung für alle
Altersgruppen gab es am Donnerstag beim vom Punk Autoclub Karlsruhe (PACK)
ausgerichteten Bobby-Car-Rennen auf der Zoobrücke. Als unerwartetes Highlight
erwies sich die Siegerehrung, als Fahrer und Zuschauer das als Siegprämie
ausgelobte ältere Fahrzeug einer süddeutschen Luxusmarke kurzentschlossen
gemeinsam abfackelten – aus Nostalgiegründen.
Zu einem kleineren Zwischenfall kam es am
Freitag, als einige Fußballpunks in der Innenstadt während des dort
stattfindenden internationalen Maskottchen-Treffens mittels Grillanzünder den
Krokodilsschwanz des VfB-Stuttgart-Talismans Fritzle in Brand setzten. Ein
Maschinenbaustudent aus der Baden-Württembergischen Landeshauptstadt erlitt
einen leichten Schock, konnte nach kurzer Behandlung aber wieder aus der Obhut
der Ärzte entlassen werden.
Am Freitagabend gab die Bellheimer Punk-Band
Bier-Brigade 77 ein Überraschungskonzert auf dem Europaplatz, dem etwa
zweihundert begeisterte Zuhörer auf ihren mitgebrachten Ghetto-Blastern
lauschten. Schlau: Die Musiker selbst hatten auf den Einsatz von Boxen
verzichtet. Stattdessen speisten sie ihren Sound direkt in einen Transmitter,
der das Konzert auf Frequenz 82.11 im Umkreis von fünfhundert Metern übertrug.
Da die Konzertbesucher lediglich in Kleingruppen um ihre moderat aufgedrehten
Radios hopsten und von der Band kaum mehr zu hören war als von einem gewöhnlichenStraßenmusikanten, sah die Polizei trotz der Beschwerden einiger weniger
Passanten keinen Anlass das bunte Treiben zu beenden.
Sogar richtig beliebt bei den Karlsruhern
machten sich die Punks am Samstagvormittag durch in der Fußgänger Zohne
aufgebaute Guerilla-Cocktailstände. Bei Bloody Marys und Mojitos chillten
Hausfrauen auf von den Autonomen bereitgestellten Liegestühlen, während ihre
bei Samstagseinkäufen sonst quengeligen Kinder fröhlich mit den Punk-Hunden
spielten. Einige vom Grasshopper
beseelte Damen ließen sich von hilfsbereiten Punketten gar die Haare minzgrün
färben. Gesetzte Herren rissen spontan die Ärmel von ihren Jacketts und
feierten mit den Punks bis in die Abendstunden.
Bei Einbruch der Dunkelheit wurde am
Samstagabend auf dem Marktplatz vor dem Rathaus ein gemütliches Lagerfeuer
entzündet. Die SPD-Fraktion im Stadtrat gesellte sich unter Absingen von
Arbeiterliedern spontan hinzu. OB-Kandidat Frank Mentrup nutzte die
Zusammenkunft mit Hinblick auf den näherrückenden Wahltermin am 2. Dezember für
eine kleine Ansprache. Unter dem Motto „Kein Kind darf zurückbleiben“ versprach
der SPD-Mann den vielen jugendlichen und jung gebliebenen Punks, Bildungsgutscheine
sowie ein staatliches Beschäftigungsprogramm
(„Steinbruch statt Steinwurf“). Außerdem warb er für Kinderbetreuung ab
der dritten Lebenswoche.
Um dem politischen Gegner das linksradikale
Wählerpotential nicht kampflos zu überlassen, schaltete sich nun auch
Karlsruhes scheidender Oberbürgermeister Heinz Fenrich zugunsten des
CDU-Kandidaten Ingo Wellenreuther ein. Auf dem Internetportal
„linksunten.indymedia.org“ wird er mit
den Worten zitiert: "Wir haben unsere Ziele voll erkannt und wollen uns
nun der Durchsetzung dieser widmen. Dass dies nun mit weiteren Kosten verbunden
sein wird, muss toleriert werden. Unsere Jugend ist Gold wert und alleine ihr
muss Zukunft geschaffen werden." Außerdem verwies Fenrich unter lautem
Beifall aller Anwesenden darauf, dass die Stadt das Projekt Chaostage von vorneherein
bedingungslos unterstützt und sich daher im Zuge der U-Strab-Bauarbeiten gleich
selbst in Schutt und Asche gelegt habe.
Vertreter der Punk-Szene vor Ort zeigten sich
von so viel Entgegenkommen begeistert und stellten den gerührten Stadtvätern eine
Neuauflage des so erfolgreichen Treffens 2013 in Aussicht – unabhängig vom
Wahlausgang. „Wir kommen wieder, keine Frage, auch nächstes Jahr sind
Chaostage“, versicherte Punk-Sprecher Gülle Grünkopf dem sichtlich erfreuten Fenrich.
Samstag, 13. Oktober 2012
Uhus und Rotwein - Lacrimosa grämen sich im Substage, Di, 9. Oktober, im Substage
Vor dem Club sinkt ein Dame im Schnürmieder
ohnmächtig zu Boden, an der Bar stehen Männer in Röcken um Rotwein an,
gesittet, wie an einem Kassenschalter von British Rail. Niemand bricht das
Rauchverbot, es riecht nach „Ars Amatoris“. Zu sagen, an der Garderobe
dominierten gedeckte Farben wäre eine Untertreibung. Auf der Bühne flackern
Kerzen. Die neuen Deutschen Todeskünstler Lacrimosa haben für diesen Dienstag
ihr Kommen im Substage angekündigt.
Seit mehr als zwanzig Jahren verkuppelt
Bandkopf Tilo Wolff in Person und Ton Gegensätze, die als eigentlich
unvereinbar gelten dürfen: echte Tiefe und schlichten Kitsch, Dramatik, ja
Tragik, und Lächerlichkeit, Unvermögen und musikalische Finesse, Schlager und
Rock. Man könnte aber auch sagen, dass der Mann mit der gebleichten Tolle
nichts anderes getan hat, als das alte Pop-Gesetz zu befolgen, Limitierungen in
Stärken zu umzumünzen. Das klingt banal, macht aber einen Großteil des
Unterhaltungswertes von Lacrimosa aus.
Einerseits gemahnt der schlaksige, in seinen Bewegungen
immer auch etwas linkische, Wolff mit seiner Darth-Vader-Helm-Frisur den
Beobachter an den bleichen, schwächlichen Jungen, dem sie in der Schule immer
den Turnbeutel versteckt haben – an guten Tagen –, und der sich darauf heimlich
entschlossen hat, Rockstar zu werden, aus Rache an seinen Peinigern.
Andererseits trägt der gebürtige Frankfurter seine romantisch-morbide
Befindlichkeitslyrik mit einer Inbrunst vor, die jenseits alles Pose anrührt.
Doch gerade diese Gratwanderung macht den Vortrag des Wahlschweizers und seiner
finsteren Hinterleute interessant. Wolff grollt, fistelt, verschleift die
Tonhöhen mit Portamenti, nimmt es mit den Zieltönen nicht immer genau oder
verfällt in ungepflegten Sprechgesang.
Die Band hingegen musiziert präzise und legt
so ein unerschütterliches schwarzes Fundament. Eine besondere Augenweide ist Yenz Leonhardt, der seinen Bass mit stoischer Schmallippigkeit bedient und mit eingefallenen Wangen und ausladender Körperlichkeit wirkt, wie eine, erm, langharrige Goth-Version von Herman Munster. Anne Nurmi hingegen linst schön verdreht hinter ihren - aus irgendeinem Grund mit einer absonderlichen rautigen Wirtshaustischdecke bespannten - Keyboards hervor. Da sollte die Dame im übrigen besser auch bleiben, denn ihre Uhu-haften Gesangseinlagen („ If The World Stood Still A Day“, „A Prayer For Your Heart“) braucht kein Mensch.
Dennoch: Lacrimosa sind ein Beispiel dafür, dass man
mit dem Mut, sich vielleicht auch Mal lächerlich zu machen, und Ehrlichkeit,
künstlerisch was bewegen kann.
Donnerstag, 11. Oktober 2012
Chaostage in Karlsruhe nur noch peinlich: Kid-Punks wollen Ü-40-Slime-Party stürmen
Die Atmosphäre ist
gediegen – noch. Die Deutschen Ur-Punker Slime haben etwa dreihundert Besucher
ins Substage gelockt. Der Altersschnitt liegt bei um die 40, am Tresen wird
diszipliniert um Bier und vegane Wraps angestanden, nach versehentlichen
Rempeleien sich höflich entschuldigt. Nur eine minderjährige Punkette kann es
nicht lassen und bezichtigt die Begleitung des Spießertums, weil die sich aus
Gründen des Nonkonformismus ein Hermès-Tuch um das blonde Haupt gewunden hat.
Ansonsten bekannte Gesichter überall, viele hat man lange nicht gesehen,
freundliches nicken. Die Haare sind wenn, dann grau gefärbt. Sicherheitsnadel
in der Backe trägt niemand. Auf der Bühne läuft eine Dia-Schau, die Band beim
Konzert, beim Fußball, beim Biertrinken, in schwarz-weiß, hach, das waren noch
Zeiten.
Pünktlich um 21 Uhr
stürmen Sänger Drik „Dicken“ Jora und Genossen auf die Bühne. Seit 1979 sind
auch sie nicht frischer geworden, klar, doch machen alle einen recht rüstigen
Eindruck. Mit Bassistin Nici, seit der Neugründung 2009 dabei, die –
frostblonde Stachelfrisur, dezenter Nietengürtel – aussieht wie der wahr
gewordene feuchte S&M-Traum männlicher linkskonservativer Grünenwähler,
ist sogar was fürs Auge dabei.
Als Opener gibt´s mit „Wir Geben Nicht Nach“ gleich den ersten Smash-Hit. Durch die Ohrstöpsel – ja, das strapazierte Gehör muss inzwischen geschützt werden – klingt das zunächst wie „Die Liebe ist da“, geht garnicht, also raus mit den Dingern. Im Galopp geht´s weiter mit „Schweineherbst“, „Sich Fügen, Heißt Lügen“, „Störtebeker“. Das Publikum: zeigt freudige Begeisterung.
Als Opener gibt´s mit „Wir Geben Nicht Nach“ gleich den ersten Smash-Hit. Durch die Ohrstöpsel – ja, das strapazierte Gehör muss inzwischen geschützt werden – klingt das zunächst wie „Die Liebe ist da“, geht garnicht, also raus mit den Dingern. Im Galopp geht´s weiter mit „Schweineherbst“, „Sich Fügen, Heißt Lügen“, „Störtebeker“. Das Publikum: zeigt freudige Begeisterung.
Währenddessen
fliegen draußen die ersten Flaschen. Etwa sechzig meist sehr junge (Kid-)Punks
hängen seit dem Nachmittag auf dem Gelände ab. Inzwischen sind viele auch sehr
betrunken, grölen „lasst uns rein, lasst und rein“ – für lau versteht sich.
Während im Innern die alternde Punk-Bourgeoisie zu Texten von Erich Mühsam
feiert (auf ihrem neuen Album haben sich Slime der Lyrik des 1934 von der SS
ermordeten Anarchisten bedient), macht vor der Tür das jugendliche
Punk-Prekariat, das vermutlich Hanns Eisler nicht von Erdbeer-Limus
unterscheiden kann, Rabatz.
Die mit der
Feindseligkeit überforderten, weil üblicherweise mangels Notwendigkeit nicht
kampferprobten, Substage-Ordner verriegeln die Tür. Davor versuchen ihre
Kollegen den pöpelnden Mob vom Eingang fernzuhalten. Etwa zehn total aggressive
und bis zur Artikulationsunfähigkeit berauschte „Punks“ drängen an, andere
rotten sich im Hintergrund zusammen, einige Feiglinge werfen aus dem Schutz der
Gruppe Flaschen. Auch diesen Schreiber erwischt ein Geschoss an der Schulter,
klar ist: Wenn das jemand an den Kopf bekommt, geht es böse aus.
Einige Chaoten
lassen ihre Agrressionen nun an den nahen Baustellen-Absperrungen aus, ein
klägliches Bild. Ein völlig weggeknallter Jugendlicher begräbt sich selbst
unter dem Bauzaun, den er umgerissen hat. Im Rudel ist den Freizeit-Revoluzzern
dennoch schwer Paroli zu bieten. Versuche der Ordner, die Gewalttäter aus der
Gruppe herauszuholen scheitern.
Genug ist genug,
die Polizei hat sich bislang unsichtbar im Hintergrund gehalten. Nach für die
Bedrängten quälend langen Minuten kommt die Kavallerie. Etwa fünfzig Polizisten
in Kampfmontur rücken vor und sorgen mit resolut routiniertem Körpereinsatz für
Ruhe im Karton. Mehrere Chaoten werden überwältigt. Der Platz wird geräumt,
nach wenigen Minuten ist alles vorbei.
Laut Polizei kamen
alle Festgehaltenen im Laufe der Nacht wieder frei. Zehn Punks müssten mit
Strafanzeigen wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz, Widerstands
gegen Vollstreckungsbeamte, Beleidigung und Sachbeschädigung rechnen. Außerdem
wurden 71 Platzverweise ausgesprochen.
Dabei hätte die Aktion „Chaostage“ in Karlsruhe wirklich
witzig werden können. Von Humor zeugen die im Internet veröffentlichten
Aufrufe jedenfalls. Angekündigt werden
„Zelt-Stadt im Schlosspark“, zur Halbzeit ein „Bergfest mit Lagerfeuer auf dem
Marktplatz“, „Das verrückte Bauzäunelabyrinth“ in der Innenstadt,
„Bobbycar-Rennen“ auf derZoobrücke und ein „Chaos-Block“ auf dem gleichzeitig stattfindenden
unsäglichen internationalen Maskottchentreffen.
Süffisant bemerken die Initiatoren weiter, das
bevorstehende Ereignis, habe die Stadt derart in Panik versetzt, dass sie, um
zu verhindern, von tausenden Punks aus aller Welt in Schutt und Asche gelegt zu
werden, nun selbst handangelegt habe. Allüberall würden Gebäude ab- und das
Pflaster aufgerissen, viele Strassen seien schon im Vorfeld mit Bauzäunen dicht
gemacht worden. Kurz, die öffentliche Ordnung in Karlsruhe müsse nicht weiter
untergraben werden, dass besorge die Stadt in Eigenregie, buchstäblich, dank
U-Strab.
Man könne sich so schöneren Programmpunkten widmen, hieß
es: „Wie die Bürger verschrecken, dass sie vor Panik zur französischen Grenze
rennen, und 10000 Liter Freibier, die vernichtet werden wollen." Weiter
habe man „im Blaulichtmilieu recherchiert. Dabei erfuhren wir (...), dass die
Polizei bereits zusammen mit der Stadtverwaltung Pläne zur Evakuierung der
Stadt ausgearbeitet hat. Den Grund für die Evakuierung sieht die Polizei darin,
dass der brave Bürger bereits beim Anblick einer kleinen Gruppe feiernder Punks
jeden Anstand und jede Moral verlieren könnte und sich womöglich nach den
Chaostagen selbst die Haare grün färbt und sich eine Sicherheitsnadel durch die
Backe steckt."
Doch wie gesagt, hätte witzig werden können.
„Weist du, was die
Kids draußen nicht kapiert haben ist, dass das hier ein Konzert für ihre Väter
ist“, sagt einer drinnen im belagerten Substage. Tja, der demographische Wandel
macht auch vor der Punkbewegung nicht halt. Dass die „Bullen“ aber ausgerechnet
das Konzert einer Band schützen müssen, die einst mit Liedern wie „Polizei
SA/SS“ Furore gemacht hat, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Doch wie haben
die Chaos-Initiatoren im Netz richtig erkannt: „Chaostage sind, was wir draus
machen.“
Sonntag, 7. Oktober 2012
Sturm im Bierglas - Tankard thrashen am Freitag, 5.10., alt-schulmäßig im Substage
„Habt ihr Bock auf Old-School-Thrash-Metal?“ schreit Andreas „Gerre“ Geremia am vergangenen Freitag in den nüchternen Zweck-Beton-Würfel des Substage. „Üüüaaaaaaahhh“, schallt es ihm aus fünfhundert Bier-feuchten Kehlen entgegen, während sich 250 Fäuste und genausoviele Getränkebecher Richtung Decke bewegen. Sie hatten also Bock.
Mit „Zombie Attack“ vom gleichnamigen 86er Debüt eröffnen Tankard ihren Set. Rückschlüsse auf den körperlich-geistigen Zustand der vier Frankfurter lässt der Titel allerdings nicht zu. Etwaige Befürchtungen, die Traditions-Thrasher könnten sich im dreißigsten Jahr ihres Bestehens als blutleere musikalische Wiedergänger entpuppen, lösen sich umgehend auf wie die Blume eines abgestandenen Pils´. Auch der zweite Song, „Time Warp“, erweist sich als wenig prophetisch. Denn dass Gerre und Co als ewig Gestrige in der 80er-Zeitschleife umherirrten, kann man ihnen ebenfalls nicht vorwerfen. Nur gut die Hälfte des Programms speist sich aus der „klassischen“ Phase der Band vor 1990. Der Titel-Track vom aktuellen Album „A Girl Called Cervesa“ wird vom erstaunlich jungen Publikum gar mit am ausgelassensten abgefeiert.
Dennoch fußt die anhaltende subkulturelle Relevanz der ehemaligen Schülercombo Tankard natürlich weniger auf ungebrochener Innovationskraft als unerschütterlicher Glaubwürdigkeit. Nie sind die vier heftigen Hessen auf ihren mittlerweile 15 Studioalben auch nur ein Jota aus ihrem schwerstmetallischen Koordinatensystem herausgetreten: Brutale Riffs, punkige Rhythmen, halsbrecherische Geschwindigkeit und Gerres erbarmungsloses Gegröle.
So auch im Substage: paff-paff-paff, 90 Minuten wird der Zuhörer mit der ganz schweren Thrash-Latte abgewatscht. Oder besser: würde abgewatscht, wäre genügend Druck im Kessel. Denn wegen der Beschränkung auf 99-Dezibel ist der Sound im neuen Subatsge mitunter arg schwachbrüstig. Sicher, es hängt auch von der Kompetenz des jeweiligen Mischers ab, ob es ihm gelingt, auch unter diesen Bedingungen die nötige Durchschlagskraft zu entfesseln, aber die Frage, wie leise Rock´n´Roll sein darf, muss schon erlaubt sein. Dass ein rauchfreies Geigenkonzert ohne Alkoholausschank weniger Gesundheitrisiken birgt als der Auftritt einer von der Kette gelassenen Thrash-Metal-Kapelle, lässt sich nicht in Abrede stellen. Nur, werden die Standards des Ersteren zur –mehrheitskonformen – Norm des Letzteren erhoben, hat das eben die Verarmung einer ganzen (Sub)Kultur zur Folge. Eine Entwicklung, wie sie in Deutschen Eckkneipen (Rauchverbot), Tankstellen (Alkoholverbot) und Fußballarenen (Stadionverbot) schon beobachtet werden kann. Den Verlust solcher Freiräume für Extasen – wo können junge Männer hierzulande eigentlich noch ungestraft die Sau rauslassen? – öffentlich zu beklagen, scheint heute freilich nur noch zugunsten isoliert lebender Amazonas-Indianerstämme opportun. Da wird der Ayahuasca-Trunk plötzlich zum Welt-Kultur-Erbe. Exkurs Ende.
Der Stimmung auf und vor der Bühne tat der verhältnismäßig laue Sturm aus den Boxen offenbar nur wenig Abbruch: Haare flogen, Fäuste wurden geschüttelt und allerlei Rempeltänze vollführt. „Die With A Beer In Your Hand“ mag sich ein enthuisiasmierter Gerre da zum Schluss gedacht haben, als er mit einem gewaltigen Satz ins Publikum sprang – und, platsch, auf dem harten Betonboden der Tatsachen landete. Besorgte Fans halfen ihm wieder auf die wackligen Beine. Schön, wenn man sich aufeinander verlassen kann; auch noch nach dreißig Jahren.
Mit „Zombie Attack“ vom gleichnamigen 86er Debüt eröffnen Tankard ihren Set. Rückschlüsse auf den körperlich-geistigen Zustand der vier Frankfurter lässt der Titel allerdings nicht zu. Etwaige Befürchtungen, die Traditions-Thrasher könnten sich im dreißigsten Jahr ihres Bestehens als blutleere musikalische Wiedergänger entpuppen, lösen sich umgehend auf wie die Blume eines abgestandenen Pils´. Auch der zweite Song, „Time Warp“, erweist sich als wenig prophetisch. Denn dass Gerre und Co als ewig Gestrige in der 80er-Zeitschleife umherirrten, kann man ihnen ebenfalls nicht vorwerfen. Nur gut die Hälfte des Programms speist sich aus der „klassischen“ Phase der Band vor 1990. Der Titel-Track vom aktuellen Album „A Girl Called Cervesa“ wird vom erstaunlich jungen Publikum gar mit am ausgelassensten abgefeiert.
Dennoch fußt die anhaltende subkulturelle Relevanz der ehemaligen Schülercombo Tankard natürlich weniger auf ungebrochener Innovationskraft als unerschütterlicher Glaubwürdigkeit. Nie sind die vier heftigen Hessen auf ihren mittlerweile 15 Studioalben auch nur ein Jota aus ihrem schwerstmetallischen Koordinatensystem herausgetreten: Brutale Riffs, punkige Rhythmen, halsbrecherische Geschwindigkeit und Gerres erbarmungsloses Gegröle.
So auch im Substage: paff-paff-paff, 90 Minuten wird der Zuhörer mit der ganz schweren Thrash-Latte abgewatscht. Oder besser: würde abgewatscht, wäre genügend Druck im Kessel. Denn wegen der Beschränkung auf 99-Dezibel ist der Sound im neuen Subatsge mitunter arg schwachbrüstig. Sicher, es hängt auch von der Kompetenz des jeweiligen Mischers ab, ob es ihm gelingt, auch unter diesen Bedingungen die nötige Durchschlagskraft zu entfesseln, aber die Frage, wie leise Rock´n´Roll sein darf, muss schon erlaubt sein. Dass ein rauchfreies Geigenkonzert ohne Alkoholausschank weniger Gesundheitrisiken birgt als der Auftritt einer von der Kette gelassenen Thrash-Metal-Kapelle, lässt sich nicht in Abrede stellen. Nur, werden die Standards des Ersteren zur –mehrheitskonformen – Norm des Letzteren erhoben, hat das eben die Verarmung einer ganzen (Sub)Kultur zur Folge. Eine Entwicklung, wie sie in Deutschen Eckkneipen (Rauchverbot), Tankstellen (Alkoholverbot) und Fußballarenen (Stadionverbot) schon beobachtet werden kann. Den Verlust solcher Freiräume für Extasen – wo können junge Männer hierzulande eigentlich noch ungestraft die Sau rauslassen? – öffentlich zu beklagen, scheint heute freilich nur noch zugunsten isoliert lebender Amazonas-Indianerstämme opportun. Da wird der Ayahuasca-Trunk plötzlich zum Welt-Kultur-Erbe. Exkurs Ende.
Der Stimmung auf und vor der Bühne tat der verhältnismäßig laue Sturm aus den Boxen offenbar nur wenig Abbruch: Haare flogen, Fäuste wurden geschüttelt und allerlei Rempeltänze vollführt. „Die With A Beer In Your Hand“ mag sich ein enthuisiasmierter Gerre da zum Schluss gedacht haben, als er mit einem gewaltigen Satz ins Publikum sprang – und, platsch, auf dem harten Betonboden der Tatsachen landete. Besorgte Fans halfen ihm wieder auf die wackligen Beine. Schön, wenn man sich aufeinander verlassen kann; auch noch nach dreißig Jahren.
Montag, 1. Oktober 2012
Knochen versus Steinäxte - The Bone Idles und The Boring marodieren in der Karlsruher Halle 14, Sa, 29.9.
Die Kulisse könnte für ein Punk-Konzert nicht besser sein: Die Halle 14 liegt auf einem Betriebsgelände im Karlsruher Rheinhafen. Draußen mondbeschienene Industrie- und Schrottplatzromantik, drinnen Rauchschwaden und Rotlicht. Der Veranstaltungsraum, getragen von einem Verein, ist leidlich gut gefüllt, die Stimmung familiär. Die üblichen Gesichter aus dem örtlichen Rock´n´Roll-Milieu wollen wissen, ob die Lokalhelden The Bone Idles ihren Studioaufenthalt auf Mallorca unbeschadet überstanden haben. Im Gefolge von The Boring ist ein gutes Dutzend Franzosen angereist. Schade eigentlich, dass es solche grenzüberschreitenden subkulturellen Begegnungen nicht viel häufiger gibt.
Unpünktlich – wie bei Punk-Gigs üblich – um 22.30 Uhr entern The Bone Idles auf. Geboten wird altschuliger Hardcore-Punk mit Thrash-Einsprengseln im Stile der 80er-drei-Buchstaben-Bands, kompromisslos, ohne Schnörkel, genau auf den Punkt zwischen den Augen und tight wie Sau. 1-2-3-4 und kein Blick zurück, dazwischen ein Paar bedrohliche Midtempo-Parts, die zum Ringelpiez um brennende Mülltonnen animieren.
Textlich gibt´s die Genre-typische Randgruppen-Lyrik. Spielte man ein Trinkerspiel, bei dem man jedesmal saufen müsste, wenn Gunnar Wanker, Fuck You oder Propaganda singt, wäre das ein ziemlich effektiver Weg, sich ziemlich schnell abzuschießen. Die Band geht mit gutem Beispiel voran: die Musiker-Strichliste am Tresen zeigt 27 : 14 für Alk gegen Non-Alk – vor dem Konzert.
Optisch lassen die mittelalten Kämpfer – Gunnar war früher bei So Much Hate, Kafka Prosess und 6000 Crazy für die Vocals zuständig , Michel klampfte für Tubesuckers und Warstreet und die Lead-Gitarre bedient Ün, der Lonesome Dragstripper himself – ebenfalls keine Fragen nach ihren Idealen aufkommen: speckige Schildkappen, zerfetzte Chucks, tätowierte Hälse. Andere nennen das Klischeebehaftet, ich nenne das Authentizität und freue mich auf die neue Platte, die Ende des Monats erscheint.
Jetzt: The Boring. Das Quintett aus Colmar bringt ganzen Körpereinsatz, allen voran Sänger Kiki, der unermüdlich auf seinen nur noch von ein paar Streifen Gafferband zusammengehaltenen Vans herumspringt. Erstaunlich, welche Energie in diesem schmächtigen blonden Jüngelchen steckt. Auch die Gitarren geben volles Mett, schon nach dem ersten Song sieht man gerissene Saiten baumeln. Schade, dass der Schreicore der Franzosen etwas arg unpräzise daherkommt. Nur mit roher Gewalt lässt sich kein versierter Kämpfer auf die Bretter schicken, mit Steinäxten nichts gegen eine technisch wohl gerüstete Armee ausrichten. So verpufft ein großteil der investierten Energie im Soundbrei. Für einen beiläufigen Live-Quickie in Ordnung, aber wie eine anwesende Karlsruher Punk-Koryphäe sagte: „Koi Musich, die ich mir dahoim ahöre tät.“
Unpünktlich – wie bei Punk-Gigs üblich – um 22.30 Uhr entern The Bone Idles auf. Geboten wird altschuliger Hardcore-Punk mit Thrash-Einsprengseln im Stile der 80er-drei-Buchstaben-Bands, kompromisslos, ohne Schnörkel, genau auf den Punkt zwischen den Augen und tight wie Sau. 1-2-3-4 und kein Blick zurück, dazwischen ein Paar bedrohliche Midtempo-Parts, die zum Ringelpiez um brennende Mülltonnen animieren.
Textlich gibt´s die Genre-typische Randgruppen-Lyrik. Spielte man ein Trinkerspiel, bei dem man jedesmal saufen müsste, wenn Gunnar Wanker, Fuck You oder Propaganda singt, wäre das ein ziemlich effektiver Weg, sich ziemlich schnell abzuschießen. Die Band geht mit gutem Beispiel voran: die Musiker-Strichliste am Tresen zeigt 27 : 14 für Alk gegen Non-Alk – vor dem Konzert.
Optisch lassen die mittelalten Kämpfer – Gunnar war früher bei So Much Hate, Kafka Prosess und 6000 Crazy für die Vocals zuständig , Michel klampfte für Tubesuckers und Warstreet und die Lead-Gitarre bedient Ün, der Lonesome Dragstripper himself – ebenfalls keine Fragen nach ihren Idealen aufkommen: speckige Schildkappen, zerfetzte Chucks, tätowierte Hälse. Andere nennen das Klischeebehaftet, ich nenne das Authentizität und freue mich auf die neue Platte, die Ende des Monats erscheint.
Jetzt: The Boring. Das Quintett aus Colmar bringt ganzen Körpereinsatz, allen voran Sänger Kiki, der unermüdlich auf seinen nur noch von ein paar Streifen Gafferband zusammengehaltenen Vans herumspringt. Erstaunlich, welche Energie in diesem schmächtigen blonden Jüngelchen steckt. Auch die Gitarren geben volles Mett, schon nach dem ersten Song sieht man gerissene Saiten baumeln. Schade, dass der Schreicore der Franzosen etwas arg unpräzise daherkommt. Nur mit roher Gewalt lässt sich kein versierter Kämpfer auf die Bretter schicken, mit Steinäxten nichts gegen eine technisch wohl gerüstete Armee ausrichten. So verpufft ein großteil der investierten Energie im Soundbrei. Für einen beiläufigen Live-Quickie in Ordnung, aber wie eine anwesende Karlsruher Punk-Koryphäe sagte: „Koi Musich, die ich mir dahoim ahöre tät.“
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