Die Atmosphäre ist
gediegen – noch. Die Deutschen Ur-Punker Slime haben etwa dreihundert Besucher
ins Substage gelockt. Der Altersschnitt liegt bei um die 40, am Tresen wird
diszipliniert um Bier und vegane Wraps angestanden, nach versehentlichen
Rempeleien sich höflich entschuldigt. Nur eine minderjährige Punkette kann es
nicht lassen und bezichtigt die Begleitung des Spießertums, weil die sich aus
Gründen des Nonkonformismus ein Hermès-Tuch um das blonde Haupt gewunden hat.
Ansonsten bekannte Gesichter überall, viele hat man lange nicht gesehen,
freundliches nicken. Die Haare sind wenn, dann grau gefärbt. Sicherheitsnadel
in der Backe trägt niemand. Auf der Bühne läuft eine Dia-Schau, die Band beim
Konzert, beim Fußball, beim Biertrinken, in schwarz-weiß, hach, das waren noch
Zeiten.
Pünktlich um 21 Uhr
stürmen Sänger Drik „Dicken“ Jora und Genossen auf die Bühne. Seit 1979 sind
auch sie nicht frischer geworden, klar, doch machen alle einen recht rüstigen
Eindruck. Mit Bassistin Nici, seit der Neugründung 2009 dabei, die –
frostblonde Stachelfrisur, dezenter Nietengürtel – aussieht wie der wahr
gewordene feuchte S&M-Traum männlicher linkskonservativer Grünenwähler,
ist sogar was fürs Auge dabei.
Als Opener gibt´s mit „Wir Geben Nicht Nach“ gleich den ersten Smash-Hit. Durch die Ohrstöpsel – ja, das strapazierte Gehör muss inzwischen geschützt werden – klingt das zunächst wie „Die Liebe ist da“, geht garnicht, also raus mit den Dingern. Im Galopp geht´s weiter mit „Schweineherbst“, „Sich Fügen, Heißt Lügen“, „Störtebeker“. Das Publikum: zeigt freudige Begeisterung.
Als Opener gibt´s mit „Wir Geben Nicht Nach“ gleich den ersten Smash-Hit. Durch die Ohrstöpsel – ja, das strapazierte Gehör muss inzwischen geschützt werden – klingt das zunächst wie „Die Liebe ist da“, geht garnicht, also raus mit den Dingern. Im Galopp geht´s weiter mit „Schweineherbst“, „Sich Fügen, Heißt Lügen“, „Störtebeker“. Das Publikum: zeigt freudige Begeisterung.
Währenddessen
fliegen draußen die ersten Flaschen. Etwa sechzig meist sehr junge (Kid-)Punks
hängen seit dem Nachmittag auf dem Gelände ab. Inzwischen sind viele auch sehr
betrunken, grölen „lasst uns rein, lasst und rein“ – für lau versteht sich.
Während im Innern die alternde Punk-Bourgeoisie zu Texten von Erich Mühsam
feiert (auf ihrem neuen Album haben sich Slime der Lyrik des 1934 von der SS
ermordeten Anarchisten bedient), macht vor der Tür das jugendliche
Punk-Prekariat, das vermutlich Hanns Eisler nicht von Erdbeer-Limus
unterscheiden kann, Rabatz.
Die mit der
Feindseligkeit überforderten, weil üblicherweise mangels Notwendigkeit nicht
kampferprobten, Substage-Ordner verriegeln die Tür. Davor versuchen ihre
Kollegen den pöpelnden Mob vom Eingang fernzuhalten. Etwa zehn total aggressive
und bis zur Artikulationsunfähigkeit berauschte „Punks“ drängen an, andere
rotten sich im Hintergrund zusammen, einige Feiglinge werfen aus dem Schutz der
Gruppe Flaschen. Auch diesen Schreiber erwischt ein Geschoss an der Schulter,
klar ist: Wenn das jemand an den Kopf bekommt, geht es böse aus.
Einige Chaoten
lassen ihre Agrressionen nun an den nahen Baustellen-Absperrungen aus, ein
klägliches Bild. Ein völlig weggeknallter Jugendlicher begräbt sich selbst
unter dem Bauzaun, den er umgerissen hat. Im Rudel ist den Freizeit-Revoluzzern
dennoch schwer Paroli zu bieten. Versuche der Ordner, die Gewalttäter aus der
Gruppe herauszuholen scheitern.
Genug ist genug,
die Polizei hat sich bislang unsichtbar im Hintergrund gehalten. Nach für die
Bedrängten quälend langen Minuten kommt die Kavallerie. Etwa fünfzig Polizisten
in Kampfmontur rücken vor und sorgen mit resolut routiniertem Körpereinsatz für
Ruhe im Karton. Mehrere Chaoten werden überwältigt. Der Platz wird geräumt,
nach wenigen Minuten ist alles vorbei.
Laut Polizei kamen
alle Festgehaltenen im Laufe der Nacht wieder frei. Zehn Punks müssten mit
Strafanzeigen wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz, Widerstands
gegen Vollstreckungsbeamte, Beleidigung und Sachbeschädigung rechnen. Außerdem
wurden 71 Platzverweise ausgesprochen.
Dabei hätte die Aktion „Chaostage“ in Karlsruhe wirklich
witzig werden können. Von Humor zeugen die im Internet veröffentlichten
Aufrufe jedenfalls. Angekündigt werden
„Zelt-Stadt im Schlosspark“, zur Halbzeit ein „Bergfest mit Lagerfeuer auf dem
Marktplatz“, „Das verrückte Bauzäunelabyrinth“ in der Innenstadt,
„Bobbycar-Rennen“ auf derZoobrücke und ein „Chaos-Block“ auf dem gleichzeitig stattfindenden
unsäglichen internationalen Maskottchentreffen.
Süffisant bemerken die Initiatoren weiter, das
bevorstehende Ereignis, habe die Stadt derart in Panik versetzt, dass sie, um
zu verhindern, von tausenden Punks aus aller Welt in Schutt und Asche gelegt zu
werden, nun selbst handangelegt habe. Allüberall würden Gebäude ab- und das
Pflaster aufgerissen, viele Strassen seien schon im Vorfeld mit Bauzäunen dicht
gemacht worden. Kurz, die öffentliche Ordnung in Karlsruhe müsse nicht weiter
untergraben werden, dass besorge die Stadt in Eigenregie, buchstäblich, dank
U-Strab.
Man könne sich so schöneren Programmpunkten widmen, hieß
es: „Wie die Bürger verschrecken, dass sie vor Panik zur französischen Grenze
rennen, und 10000 Liter Freibier, die vernichtet werden wollen." Weiter
habe man „im Blaulichtmilieu recherchiert. Dabei erfuhren wir (...), dass die
Polizei bereits zusammen mit der Stadtverwaltung Pläne zur Evakuierung der
Stadt ausgearbeitet hat. Den Grund für die Evakuierung sieht die Polizei darin,
dass der brave Bürger bereits beim Anblick einer kleinen Gruppe feiernder Punks
jeden Anstand und jede Moral verlieren könnte und sich womöglich nach den
Chaostagen selbst die Haare grün färbt und sich eine Sicherheitsnadel durch die
Backe steckt."
Doch wie gesagt, hätte witzig werden können.
„Weist du, was die
Kids draußen nicht kapiert haben ist, dass das hier ein Konzert für ihre Väter
ist“, sagt einer drinnen im belagerten Substage. Tja, der demographische Wandel
macht auch vor der Punkbewegung nicht halt. Dass die „Bullen“ aber ausgerechnet
das Konzert einer Band schützen müssen, die einst mit Liedern wie „Polizei
SA/SS“ Furore gemacht hat, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Doch wie haben
die Chaos-Initiatoren im Netz richtig erkannt: „Chaostage sind, was wir draus
machen.“
Das mit den Evakuierungsmaßnahmen hab ich nirgends mitbekommen, wäre mal dufte irgendeinen Link oder so dafür online zu stellen.
AntwortenLöschenDesweiteren frag ich mich was denn euer Problem ist? Natürlich gab es dort einige Idioten die wirklich nicht nachgedacht haben. Aber was erwartet ihr denn wenn ihr 2012 zu den Chaostagen aufruft? Ich muss ehrlich sagen dass selbst wenn ich nicht so bescheuert wie die ganzen Kidpunks war, ich mich nicht wundere dass ich noch in der Zelle gelandet bhin, nur weil die irgendwelche Scheisse gebaut haben. Das ist bei solchen Veranstaltungen nunmal normal. Dass es dich natürlich aufregt wenn du ne Bierflasche abkriegst ist verständlich, aber das war von einer Person aus einer großen Gruppe, und gerade solche Superpunks sollten wissen dass man deswegen nicht alle über einen Kamm scheren sollte. Drinnen war doch offensichtlich eine gute Party, was stört es also was draußen ist wenn ein paar 14-19 Jährige Krawall mit den Bullen anfangen, wie es die ausgelutschten Ü40er selbst noch vor 20 Jahren gemacht haben?