Samstag, 13. Oktober 2012

Uhus und Rotwein - Lacrimosa grämen sich im Substage, Di, 9. Oktober, im Substage



Vor dem Club sinkt ein Dame im Schnürmieder ohnmächtig zu Boden, an der Bar stehen Männer in Röcken um Rotwein an, gesittet, wie an einem Kassenschalter von British Rail. Niemand bricht das Rauchverbot, es riecht nach „Ars Amatoris“. Zu sagen, an der Garderobe dominierten gedeckte Farben wäre eine Untertreibung. Auf der Bühne flackern Kerzen. Die neuen Deutschen Todeskünstler Lacrimosa haben für diesen Dienstag ihr Kommen im Substage angekündigt.
Seit mehr als zwanzig Jahren verkuppelt Bandkopf Tilo Wolff in Person und Ton Gegensätze, die als eigentlich unvereinbar gelten dürfen: echte Tiefe und schlichten Kitsch, Dramatik, ja Tragik, und Lächerlichkeit, Unvermögen und musikalische Finesse, Schlager und Rock. Man könnte aber auch sagen, dass der Mann mit der gebleichten Tolle nichts anderes getan hat, als das alte Pop-Gesetz zu befolgen, Limitierungen in Stärken zu umzumünzen. Das klingt banal, macht aber einen Großteil des Unterhaltungswertes von Lacrimosa aus.
Einerseits gemahnt der schlaksige, in seinen Bewegungen immer auch etwas linkische, Wolff mit seiner Darth-Vader-Helm-Frisur den Beobachter an den bleichen, schwächlichen Jungen, dem sie in der Schule immer den Turnbeutel versteckt haben – an guten Tagen –, und der sich darauf heimlich entschlossen hat, Rockstar zu werden, aus Rache an seinen Peinigern. Andererseits trägt der gebürtige Frankfurter seine romantisch-morbide Befindlichkeitslyrik mit einer Inbrunst vor, die jenseits alles Pose anrührt. Doch gerade diese Gratwanderung macht den Vortrag des Wahlschweizers und seiner finsteren Hinterleute interessant. Wolff grollt, fistelt, verschleift die Tonhöhen mit Portamenti, nimmt es mit den Zieltönen nicht immer genau oder verfällt in ungepflegten Sprechgesang. 
Die Band hingegen musiziert präzise und legt so ein unerschütterliches schwarzes Fundament. Eine besondere Augenweide ist Yenz Leonhardt, der seinen Bass mit stoischer Schmallippigkeit bedient und mit eingefallenen Wangen  und ausladender Körperlichkeit wirkt, wie eine, erm, langharrige Goth-Version von Herman Munster. Anne Nurmi hingegen linst schön verdreht hinter ihren - aus irgendeinem Grund mit einer absonderlichen rautigen Wirtshaustischdecke bespannten - Keyboards hervor. Da sollte die Dame im übrigen besser auch bleiben, denn ihre Uhu-haften Gesangseinlagen („ If The World Stood Still A Day“, „A Prayer For Your Heart“) braucht kein Mensch.
Dennoch: Lacrimosa sind ein Beispiel dafür, dass man mit dem Mut, sich vielleicht auch Mal lächerlich zu machen, und Ehrlichkeit, künstlerisch was bewegen kann. 


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