Vor dem Club sinkt ein Dame im Schnürmieder
ohnmächtig zu Boden, an der Bar stehen Männer in Röcken um Rotwein an,
gesittet, wie an einem Kassenschalter von British Rail. Niemand bricht das
Rauchverbot, es riecht nach „Ars Amatoris“. Zu sagen, an der Garderobe
dominierten gedeckte Farben wäre eine Untertreibung. Auf der Bühne flackern
Kerzen. Die neuen Deutschen Todeskünstler Lacrimosa haben für diesen Dienstag
ihr Kommen im Substage angekündigt.
Seit mehr als zwanzig Jahren verkuppelt
Bandkopf Tilo Wolff in Person und Ton Gegensätze, die als eigentlich
unvereinbar gelten dürfen: echte Tiefe und schlichten Kitsch, Dramatik, ja
Tragik, und Lächerlichkeit, Unvermögen und musikalische Finesse, Schlager und
Rock. Man könnte aber auch sagen, dass der Mann mit der gebleichten Tolle
nichts anderes getan hat, als das alte Pop-Gesetz zu befolgen, Limitierungen in
Stärken zu umzumünzen. Das klingt banal, macht aber einen Großteil des
Unterhaltungswertes von Lacrimosa aus.
Einerseits gemahnt der schlaksige, in seinen Bewegungen
immer auch etwas linkische, Wolff mit seiner Darth-Vader-Helm-Frisur den
Beobachter an den bleichen, schwächlichen Jungen, dem sie in der Schule immer
den Turnbeutel versteckt haben – an guten Tagen –, und der sich darauf heimlich
entschlossen hat, Rockstar zu werden, aus Rache an seinen Peinigern.
Andererseits trägt der gebürtige Frankfurter seine romantisch-morbide
Befindlichkeitslyrik mit einer Inbrunst vor, die jenseits alles Pose anrührt.
Doch gerade diese Gratwanderung macht den Vortrag des Wahlschweizers und seiner
finsteren Hinterleute interessant. Wolff grollt, fistelt, verschleift die
Tonhöhen mit Portamenti, nimmt es mit den Zieltönen nicht immer genau oder
verfällt in ungepflegten Sprechgesang.
Die Band hingegen musiziert präzise und legt
so ein unerschütterliches schwarzes Fundament. Eine besondere Augenweide ist Yenz Leonhardt, der seinen Bass mit stoischer Schmallippigkeit bedient und mit eingefallenen Wangen und ausladender Körperlichkeit wirkt, wie eine, erm, langharrige Goth-Version von Herman Munster. Anne Nurmi hingegen linst schön verdreht hinter ihren - aus irgendeinem Grund mit einer absonderlichen rautigen Wirtshaustischdecke bespannten - Keyboards hervor. Da sollte die Dame im übrigen besser auch bleiben, denn ihre Uhu-haften Gesangseinlagen („ If The World Stood Still A Day“, „A Prayer For Your Heart“) braucht kein Mensch.
Dennoch: Lacrimosa sind ein Beispiel dafür, dass man
mit dem Mut, sich vielleicht auch Mal lächerlich zu machen, und Ehrlichkeit,
künstlerisch was bewegen kann.
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