„Habt ihr Bock auf Old-School-Thrash-Metal?“ schreit Andreas „Gerre“ Geremia am vergangenen Freitag in den nüchternen Zweck-Beton-Würfel des Substage. „Üüüaaaaaaahhh“, schallt es ihm aus fünfhundert Bier-feuchten Kehlen entgegen, während sich 250 Fäuste und genausoviele Getränkebecher Richtung Decke bewegen. Sie hatten also Bock.
Mit „Zombie Attack“ vom gleichnamigen 86er Debüt eröffnen Tankard ihren Set. Rückschlüsse auf den körperlich-geistigen Zustand der vier Frankfurter lässt der Titel allerdings nicht zu. Etwaige Befürchtungen, die Traditions-Thrasher könnten sich im dreißigsten Jahr ihres Bestehens als blutleere musikalische Wiedergänger entpuppen, lösen sich umgehend auf wie die Blume eines abgestandenen Pils´.
Auch der zweite Song, „Time Warp“, erweist sich als wenig prophetisch. Denn dass Gerre und Co als ewig Gestrige in der 80er-Zeitschleife umherirrten, kann man ihnen ebenfalls nicht vorwerfen. Nur gut die Hälfte des Programms speist sich aus der „klassischen“ Phase der Band vor 1990. Der Titel-Track vom aktuellen Album „A Girl Called Cervesa“ wird vom erstaunlich jungen Publikum gar mit am ausgelassensten abgefeiert.
Dennoch fußt die anhaltende subkulturelle Relevanz der ehemaligen Schülercombo Tankard natürlich weniger auf ungebrochener Innovationskraft als unerschütterlicher Glaubwürdigkeit. Nie sind die vier heftigen Hessen auf ihren mittlerweile 15 Studioalben auch nur ein Jota aus ihrem schwerstmetallischen Koordinatensystem herausgetreten: Brutale Riffs, punkige Rhythmen, halsbrecherische Geschwindigkeit und Gerres erbarmungsloses Gegröle.
So auch im Substage: paff-paff-paff, 90 Minuten wird der Zuhörer mit der ganz schweren Thrash-Latte abgewatscht.
Oder besser: würde abgewatscht, wäre genügend Druck im Kessel. Denn wegen der Beschränkung auf 99-Dezibel ist der Sound im neuen Subatsge mitunter arg schwachbrüstig. Sicher, es hängt auch von der Kompetenz des jeweiligen Mischers ab, ob es ihm gelingt, auch unter diesen Bedingungen die nötige Durchschlagskraft zu entfesseln, aber die Frage, wie leise Rock´n´Roll sein darf, muss schon erlaubt sein. Dass ein rauchfreies Geigenkonzert ohne Alkoholausschank weniger Gesundheitrisiken birgt als der Auftritt einer von der Kette gelassenen Thrash-Metal-Kapelle, lässt sich nicht in Abrede stellen. Nur, werden die Standards des Ersteren zur –mehrheitskonformen – Norm des Letzteren erhoben, hat das eben die Verarmung einer ganzen (Sub)Kultur zur Folge. Eine Entwicklung, wie sie in Deutschen Eckkneipen (Rauchverbot), Tankstellen (Alkoholverbot) und Fußballarenen (Stadionverbot) schon beobachtet werden kann. Den Verlust solcher Freiräume für Extasen – wo können junge Männer hierzulande eigentlich noch ungestraft die Sau rauslassen? – öffentlich zu beklagen, scheint heute freilich nur noch zugunsten isoliert lebender Amazonas-Indianerstämme opportun. Da wird der Ayahuasca-Trunk plötzlich zum Welt-Kultur-Erbe. Exkurs Ende.
Der Stimmung auf und vor der Bühne tat der verhältnismäßig laue Sturm aus den Boxen offenbar nur wenig Abbruch: Haare flogen, Fäuste wurden geschüttelt und allerlei Rempeltänze vollführt. „Die With A Beer In Your Hand“ mag sich ein enthuisiasmierter Gerre da zum Schluss gedacht haben, als er mit einem gewaltigen Satz ins Publikum sprang – und, platsch, auf dem harten Betonboden der Tatsachen landete. Besorgte Fans halfen ihm wieder auf die wackligen Beine. Schön, wenn man sich aufeinander verlassen kann; auch noch nach dreißig Jahren.
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