Es schneit, vor dem Eingang des Substage steht dicht
zusammengedrängt eine Horde Jungs. Viele tragen die Hosen kurz – trotz der
Kälte –, dafür die mit bierdeckelgroßen Piercings gepfählten Ohren lang wie
afrikanische Mursi. Grinsen, doch wer ist schon ohne (Mode)Sünde. Ende der 80er
hatte die persönliche Kleiderordnung neben dem Bandshirt und der Spandexhose immerhin
noch eine Lederjacke umfasst – was sich
allerdings an heißen Sommertagen als Nachteil erwies.
Sommerlich warm wird es im restlos ausverkauften
Club recht schnell an diesem Freitagabend, 15.2. Auf der Bühne sind ein paar wütende
junge Männer mit tätowierten Hälsen gerade damit beschäftigt, aus den Brettern,
die die Welt bedeuten, einen traurigen Haufen Splitterholz zu machen: brutales
Groove-Metal-Riffing, Kontinentalkrusten aufbrechender Bass, haarscharfes
Drumming und an Panteras Phil Anselmo erinnerndes Brüllgekreisch. Stray FromThe Path vereinigen Präzision, Power und ungezähmte Wildheit. Das New Yorker
Quartett schöpft mit vollen Kellen aus dem klassischen Hardcore-Kanon
(Biohazard, Cro-Mags, Sick Of It All) ohne die eigene Souveränität in Frage zu
stellen. Klasse Band, nicht leicht zu toppen!
Doch auch Deez Nuts wissen wo der (Metal)Hammer
hängt: der Vierer aus Melbourne bricht mit dem Swagger einer Herde Gorillas in
den Saal. Sänger und Rapper JJ Peters, ein bärtiger Schlacks mit der Helix
eines Basketballspielers und dem Habitus eines Trailerparkbewohners, tigert, im
zum eigenen gespielten Entsetzen die Nippel freilassenden Muscle-Schlabber-Shirt,
unablässig „Wuahwuah“-Rufe ausstoßend, die Rampe auf und ab. Gitarrist RealBad macht seinem Namen Ehre, und würgt mit
seinen Rugbyspieler-Pranken einen fiesen Riffbrocken nach dem anderen aus
seinem bemitleidenswerten Instrument heraus. Die Rhythmusgruppe wummert dazu
bedrohlich.
Dabei geben sich Deez Nuts keineswegs übertrieben cool
und unnahbar, im Gegenteil. Die Australier lockern ihre Rapcore-Lehrstunde
immer wieder auf. Etwa mit der Erörterung der Frage, ob sich Circle-Pits
aufgrund des Corioliseffektes auf der
Nordhalbkugel andersherum drehen als in ihrer der südlichen Hemisphäre
angehörenden Heimat. Deez Nuts, das ist gewaltige und ehrliche Musik von der
Straße, nicht unbedingt spektakulär, dafür aber brutal und nicht humorlos.
Macht Spaß.
Vielleicht liegt es am hohen Niveau von Stray From
The Path und auch Deez Nuts, aber an den Standard dieser Bands reicht der
vermeintliche Hauptact, The Ghost Inside, heute überhaupt nicht heran. Das
Publikum haben sie zwar vom ersten Moment an auf ihrer Seite, doch musikalisch
verebbt die heranrauschende Aggressionswelle, auf der die Kalifornier
heransurfen, ziemlich schnell zu reizlosem Hintergrundrauschen. Das
Energielevel des ungestümen Geballers ist zweifellos hoch, doch die dudeligen
Gitarren, die Chugga-Chugga-Breakdowns und Jonathan Vigils stumpfsinniges
Gebrüll sind einfach viel zu schablonenhaft um dauerhaft zu begeistern. Vom
Ende abgesehen, ein gelungener Abend im Ghetto.
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