Freitag, 1. Februar 2013

Herz vergeben, Herz verschenkt: "Magma" von Selig kann nicht überzeugen

Die neue Selig gehört sicherlich nicht zu den Alben, auf die der Rezensent seit Jahren mit schwitzigen Händen gewartet hat. Auch habe ich die Reunion von 2008 nicht verfolgt. Ttrotzdem habe ich mir „Magma“ sehr gerne angehört. Denn wer erinnert sich nicht an die – Vorsicht Kalauer – seligen Zeiten mitte der 90er, als die Hamburger in psychedelischer Kriegsbemalung wie halbnackte Wilde die deutschen Bühnen grooverockten, wie sonst nur Soundgarden oder die Stone Temple Pilots auf der anderen Seite des Atlantiks. Und Jan Plewka mit schmerz- und alkoholzerfressener Stimme „Du kennst mich nicht (doch ich liebe dich)“ krächzte. Oder, trotz Dauerberauchung, eine mit genialen Beiläufigkeiten, wie „Langeweile besäuft sich meilenweit“ und „Ich gab dir meine Liebe, Zeit, Geduld und Geld“, ausgestattete Liebeshasstirade wie „Ohne Dich“, vielleicht die famoseste der letzten dreißig Jahre in deutscher Sprache, abzuliefern in der Lage war. Das war übrigens bevor Großstadtneurotiker wie Tocotronik und anderes niederes Gewenz deutsche Rockmusik in Verruf brachte.
Doch das ist, sniff, der Schnee von gestern. Wie sieht es heute aus?  Im Opener „Ich lüge nie“ rifft Christian Neander knackig nach vorne und Malte Neumann lässt die Orgel jaulen, den Text könnte man als selbstironische Beteuerung einer Unschuld interpretieren – die natürlich schon lange verloren ist. Ziemlich klasse für eine Gruppe älterer Herren!
Dann ein kleiner Schock! Die Single „Alles auf einmal“ grenzt fast schon an Pur-haften Wellness-Pop: "Bitte, bitte, bitte, bitte, bitte nicht alles auf einmal / Ich verliere meine Mitte, und das hatten wir schonmal / Ein Leben im Überflug mit Leichtsinn und Selbstbetrug / Nie genug, nie genug." Schön, der Mann hat einiges mitgemacht in der Vergangenheit und ein gewisses Bemühen um inneres Gleichgewicht mag einem Rocker mittleren Alters durchaus gut zu Gesicht stehen, trotzdem ist solche Stuhlkreis-Lyrik nur erträglich, wenn man sie als Referenz auf vergangene Entgleisungen liest.
Leider gilt das auch größtenteils für den arg spannungsarm und reibungslos dahinplätschernden Rest: „Alle reden das gleiche und die Musik ist so lala“, heißt es in „Bring mich heim“. Das könnte man so stehen lassen, gäbe es nicht doch noch ein paar Lichtblicke. Etwa den rockigen Ausreißer "Love & peace", eine aus zeitgeschichtlichen Schlagworten bestehende Collage aus „MfG“ und „We didn't start the fire“ auf Selig. Oder den anheimelnden Folk-Blues „Der Tag wird kommen“. Bessere Zeiten mögen für Selig-Fans noch bevorstehen. Für „Magma“ gilt allerdings: Es kommt oft anders, als man denkt.

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