Die Geschichte von Cryssis, auch wenn der Name das nicht
vermuten lässt, ist die Geschichte einer Freundschaft: Vom Ritchie, ein Junge
aus der ostenglischen Kleinstadt Basildon, als Schlagzeuger der deutschen
Rockband Die Toten Hosen zu Ruhm und Reichtum gekommen, macht seinen alten
Kumpel Dick York ausfindig. Mit dem hatte er von 1981 bis 83 in der Punk-Combo
„Cry Dyann“ gezockt, bis York frustriert aufgab und die Gitarre an den Nagel
hängte. Doch irgendwie hatte Ritchie all die Jahre das Gefühl, dass noch nicht
alle Rechnungen dieser Band beglichen sind. Also hängt er seinem einstigen
Kompagnon die Klampfe wieder um, ruft ein paar Kollegen an und Cryssis beginnen
zu sein. Am Donnerstag spielten sie in der Alten Hackerei im Kreativpark.
Doch zuerst: The Nerves. Die Stuttgarter liefern gradlinigen
77´Punk US-amerikanischer Prägung, unspektakulär, aber mit großem Spaßfaktor.
Akzente, besser gesagt, Ausrufezeichen, setzt Frontfrau Kamauha. Nicht nur mit ihrem
meterhohen Monster-Mohawk und etwas verstörenden Bühnenbenehmen, das zwischen
zuckelnder Marionette und verängstigter Ballerina gigampft. Wunderlich ist auch der jodelnde Gesang des
kapriziösen Wesens. Die Songtitel klingen meist englisch („Welcome to the
Coffin of the Living Dead“, köstlich!), die Texte aber mehr nach Französisch,
angeblich sind sie allerdings Japanisch. Ein richtiger Kessel buntes! Stimmung
wollte in der halbvollen Hackerei aber noch nicht aufkommen, warum weiß
niemand. An der band hat es jedenfalls nicht gelegen.
Dann kommt Dick York, ein älterer nicht ganz schlanker Herr
mit Lederjacke, das Gesicht verschmitzt, wie bei einem Troll Doll, nur mit
kurzem Haar. Cryssis treten in der Besetzung mit zwei Gibson Les Paul-Gitarren,
Fender-Jazz Bass, vierteiliges Schlagzeug-Set an, klassisch. Traditionell ist
auch der Sound: Mersey Beat meets Motörhead meets The Clash. Very British es
ist. Ist es nicht?
Das Cryssis kein schnödes All-Star-Projekt, sondern eine
Band mit Seele sind, wird schnell klar. Yorks leicht angeraute, nicht übermäßig
ausdrucksstarke, Stimme und seine simplizistischen aber zackigen Gitarrenleads
verleihen eingängigen Pop Punk-Hymnen wie „Could it be“, „Mr Jack“,
„So clean“ oder „Plundersquad“ genau den richtigen Schneid. Trip ist einer der
enthusiastischsten Gitarristen, dem man seit längerem auf einer Bühne beim herumhüpfen zusehen durfte und Tommy Snide am
Bass gibt den jungen Johnny Ramone mit Motorradhelmfrisur. Nicht zu vergessen
Vom Ritchie, der, immer leicht vor dem Beat galoppierend, eine Gratislektion in
Punk-Drumming gibt. Unwillkürlich flattert der Gedanke vorbei, was für einen
anarchischen Drive die Lieblingsband doch einst hatte, bis sie ein gewisser
Mikkey Dee in eine präzis operierende Metal-Maschinerie umprogrammierte – auch
wenn Lemmy Kilmister das immer abstreitet.
Sogar das Steißlahme Publikum kommt schlussendlich in die
Gänge. Ein Gig wie aus dem Lehrbuch also? Fast, hätten Cryssis den alten
Punk-Slogan „Fuck the System“ nicht zu genau genommen und das Soundsystem
ruiniert. Die stromlosen Minuten werden allerdings mit kurzweiligen Plaudereien mit den Besuchern
überbrückt. Irgendwann fließt der Saft zumindest auf der Bühne wieder, so dass
es weitergehen kann – wenn auch in reduzierter Lautstärke. Und schließlich ist,
booom, die Power wieder da und einmal mehr wird die Überzeugung gefestigt: Entgegen
der Auffassung der Gerichte sind 95 Dezibel nie und nimmer die angemessene
Schallobergrenze für ein Rockkonzert – NIEMALS! Da halt ich´s mit Exploited: Fuck
The (Rechts)System!
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