Mittwoch, 4. Dezember 2013

Beherrscher des Tritonus - Black Sabbath verzaubern Dortmund

Black Sabbath in Birmingham 2012. Foto:promo
Altersdiskriminierung ist in unserer Gesellschaft weit verbreitet. Vermeintlich zu alten Menschen wird die Teilhabe am Arbeitsleben mit Verweis auf ihre angeblich geminderte Leistungsfähigkeit verwehrt. So gehen ganze über Lebensalter hinweg angehäufte Horte von Wissens- und Erfahrungsschätzen unwiederbringlich verloren. Am Samstag haben drei Herren im Rentenalter mit einem furiosen Konzert in der Dortmunder Westfalenhalle bewiesen, wie grundfalsch dieser Jugendwahn ist. Tony Iommi (65, Gitarre), Geezer Butler (64, Bass) und Ozzy Osbourne (seit gestern 65), bekkantermaßen bilden sie gemeinsam Black Sabbath, schrieben vor mehr als einem halben Lebensalter als sie vor mehr als einem halben Lebensalter in einem muffigen Probekeller in der englischen Industriestadt Birmingham einen gleichnamigen Song schrieben, der die Blaupause für ein ganzes Genre bilden sollte: Heavy Metal. In diesem Jahr hatten sie mit dem Album „13“ (das erste seit 35 Jahren, an dem sich Ur-Sänger Osbourne beteiligte) eine weitere Seite im großen Buch der Metal-Analen aufgeschlagen. Nun galt es, dieses vielleicht letzte Kapitel in der Bandhistorie auch live fortzuschreiben.
Aus ganz Deutschland waren Fans angereist, um sich vom tatsächlichen Zustand der neben Led Zeppelin und Deep Purple stilprägendsten Band der goldenen Ära des Rock in den 70er Jahren zu überzeugen. Anlass zur Sorge gibt es reichlich. Iommi kämpft gegen eine unheilbare Krebserkrankung, Butler klagt in Interviews regelmäßig über Altersbeschwerden und Osbourne tut kein Unrecht, wer sagt, der Zahn der Zeit habe ihn nicht nur an-, sondern bis auf die Knochen abgenagt.
Wie also schlugen sich diese die Narben so vieler Kämpfe (gegen betrügerische Manager, korrupte Plattenbosse, Drogen, die eigenen Dämonen, den üblichen Rock´n´Roll-Wahnsinn) tragenden Veteranen auf dem Schlachtfeld, das unbedarfte Menschen Konzertbühne nennen? Wie eine aus dem Lande Mordor heranrückende Ork-Armee, der sich nur eine Handvoll mit Weidenruten bewaffneter Hobbits entgegengestellt hat; siegreich!
Präsentierte sich Ozzy beim Eröffnungssong „War Pigs“ stimmlich nicht ganz sattelfest, was  schlimme Erinnerungen an so manche schmachvolle Konzertabsage der letzten Jahre wachwerden ließ, griffen beim anschließenden “Into The Void” unvermittelt alle Rädchen der übermächtigen, bedrohliche Wolken lebenvernichtenden schwarzen Qualms ausstoßenden Kriegsmaschinerie, die Black Sabbath heißt, ineinander. Angetrieben von einem jener unwiderstehlichen Gitarrenriffs, die über die Urgewalt einer zu Tal stürzenden Felslawine verfügen, und die zu erzeugen auf dieser Welt (und vermutlich auch auf allen anderen denkbaren) nur Tony Iommi, der unumschränkte Beherrscher des Tritonus, in der Lage ist. Befeuert vom getreuen Leutnant Geezer Butler, der mit hephaistischen Furor auf seinem Bass tieftönende Stahlnetze webt, während Tommy Clufetus für den abwesenden Bill Ward im Drum-Maschinenraum umherprescht, als verberge sich hinter seinem ausladenden Kit der Unterlaib eines Centauren, und dabei wie beiläufig nicht nur anachronistischem Equipment wie dem Rototom, sondern gleich noch dem aus der Zeit gefallenen Showformat Drumsolo zu einer Maulsperre verursachenden Renaissance verhilft.
Plötzlich ist dann auch Osbourne voll da. Und ab dieser Sekunde ist unbestreitbar klar, warum er, und nur er, den Ehrentitel „Prince Of Darkness“ zu tragen verdient: Niemand sonst kann die tonnenschwere, düstere Last dieser wie der schleichende Tod dahinkriechenden Musik so stoisch mit leidvoll weit aufgerissenen Augen auf seinen herabhängenden Schultern tragen wie dieser gramgebeugte Nazarener des Rock´n´Roll.
Dabei hätten es Black Sabbath eigentlich schon belassen können an Großartigkeit. Aber das Quartett reihte eine kalt glitzernde Songperle an die nächste („Under The Sun“, „Snowblind“, „Behind The Wall Of Sleep“), ohne jedoch ein populistisches Programm abzuspulen, so dass gut zwei Drittel des Konzerts vergangen sind, bevor mit „Iron Man“ der erste richtige Hit auftaucht, der auch jene Besucher zufrieden stellt, die die Band nur vom „Rock Calssics“-Sampler aus dem Ramschregal im Elektronikdiscounter kennen. Dank des so kaltgestellten Eventpublikums war die Stimmung nicht ganz so überschwänglich, die Atmosphäre dafür aber nahezu erhaben!
Und auch die neuen Songs zündeten (von „13“ kommen drei Lieder zum Vortrag), was im direkten Vergleich mit den vielen Klassikern nicht unbedingt zu erwarten war. Während Iommis feurigem Gitarrensolo während „Age Of Reason“ strahlt sogar Schmerzensmann Osbourne wie ein Fass Kühlwasser aus Fukushima.
Am Ende ist an diesem Konzert lediglich eine im Vergleich zur Originalaufnahme viel zu hoch gestimmte Totenglocke im Intro  ihres signature tracks „Black Sabbath“ kritisieren, was die Band aber dadurch wett macht, dass sie den Song so grandios verschleppt, dass sie selbst der Felsbrocken berganrollende Sisyphos hätte überholen können – und dass es mit knapp 120 Minuten mindestens zwei Stunden zu kurz war. Aber irgendeine Konzession ans Alter muss es ja geben. Auch bei Black Sabbath. Am heutigen Mittwoch, 4.12., treten sie in Frankfurt an. Zum nächsten Gefecht.




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