Mit ihrer Live-DVD/Blu-ray/Doppel-CD (auch als Ohrbuch
erhältlich) "Dying Alive" (Nuclear Blast/Warner), die seit heute in den Läden steht, hat Europas größte und
beste Thrash-Band eine Werk- und Leistungsschau abgeliefert, wie sie wertiger
nicht sein könnte. Nach 45 Dates in Folge läuft die Kreator-Maschinerie am 22.
Dezember 2012 beim Konzert in der Oberhausener Turbinenhalle wie mit Ochsenblut geschmiert.
Mille brüllt, „Ruuuhhhhaaaaaapott, Zerstöööhrung“, und dann
geht das los: Anderthalb Lehrstunden in akkurater Thrash-Demontage. Klassiker wie „Exreme Aggression“ oder „Endless Pain“, Songs
aus der mittleren Periode („Phobia“) und neue Werke wie „Civilisation Collapse“
entfalten dabei gleichermaßen ihre von der Zeit scheinbar unverminderten zerstörerischen Kräfte. Es
wird deutlich: Trotz einiger kurzer Schwächephasen, waren Kreator in jeder
Phase ihrer Geschichte in der Lage, erstklassig verarbeitetes Edelmetall abzuliefern.
Bei allem Gemetzel und Geschrote sind die einzelnen Bauteile
dank des glasklaren Sounds stets unterscheidbar. Die Gitarren sind schön kroß wie ein Mundvoll Metallspäne, der Bass crunchy wie ein in Bierteig frittiertes
Winkeleisen und die Drums so knackig wie ein Essig eingelegter säurefester Stahlträger.
All das wird noch überragt von Sami Yli-Sirniös exquisitem
Gitarrenspiel: Seine melodischen Licks und Soli bilden den perfekten Widerpart
für Milles maliziöses Geschredder. Das Zusammenspiel der beiden gipfelt in
einfach nur geilen Double-Lead-Gitarrenparts, die noch einmal Unterstreichen,
was für ein Glücksgriff der Finne nach dem Abgang von Tommy Vetterli für die
Band war.
Aber auch die übrige Mannschaft versieht ihren Dienst
vorbildlich: Ventor schlägt drein wie ein Brauereigaul und verleiht jedem noch
so einfachen Bumm-Bumm-Tschack mehr Heavyness als ein ganzer Stall voll
hochgezüchteter Blast-Beat-Frickel-Stuten zu erzeugen in der Lage ist. Während Basser Christian Giesler gewohnt
souverän den Rhythmus-Teppich unterfüttert.
Mille selbst ist bestens bei Stimme und spritzt dermaßen Gift
und Galle, dass selbst supertoxische Viecher wie Würfelqualle und Kegelschnecke
neidisch werden. Dazu gibt es diese
herrlichen typischen Mille-Ansagen („Jedes Mal, wenn wir in den Ruhrpott
kommen, habe ich das Gefühl, im Publikum herrscht eine totale Aggression.“ „Beim nächsten Song möchte ich mehr Gewalt
und Brutalität im Moshpit sehen“), von denen man nie wirklich weiß, ob sie jetzt
selbstironisch sind oder doch einen gewissen Ernst in sich bergen. Faszinierend ist und bleibt allerdings immer wieder, dass jemand, der so
schön kreischen kann wie Mille, dermaßen schlecht singt. Aber wer ist schon
perfekt?
Ein Wehrmutstropfen ist auch die hypernervöse Schnittfolge der DVD. Das ewige
Herumgehoppse zwischen Gitarrengurt-,
Frettboard-, Moshpit-, Hallendach-, Ventors-Hinterkopf- und was sonst noch für Kameras
ist einfach nervig. Zwar beruhigt sich das Ganze nach und nach ein wenig,
trotzdem bekommt der Zuschauer vor lauter Hektik nur selten mit, was die einzelnen
Akteure eigentlich an ihren Instrumenten machen. Das ist schade, denn gerade
wer selbst in die Saiten haut oder die Stöcke schwingt, schaut sich bei derlei
Gelegenheiten doch gerne den ein oder anderen Kniff ab, wofür bei Konzerten
dieser Größe vom Zuschauerraum aus ja kaum Gelegenheit besteht. Aber das mag Geschmackssache
sein.
Das Bonusmaterial allerdings bleibt tatsächlich ein wenig
hinter den Erwartungen zurück. Schön,
man erfährt vom Soundingenieur, dass die Musiker mit In-Ear-Monitoring nix von
der Show mitbekommen und er deshalb Publikumsreaktionen zumischt. Sowie vom Drum-Techniker, dass Ventors Snaerdrum
auf der Bühne das lauteste Instrument ist (da wäre man allerdings auch alleine
drauf gekommen). Auch dass Kreator in Polen schon einmal morgens um vier
aufgetreten sind, weil sie wegen Problemen an der Grenze Verspätung hatten,
aber die Show nicht absagen wollten. Bilder
davon gibt es allerdings nicht. Eine ausführlichere Tourdoku wäre halt schön gewesen. Herrlich dagegen das Interview-Snippet mit dem polnischen
Chirurg, der während OPs mit seinem Team Kreator hört.
Trotz kleinerer Mankos bietet „Dying Alive“ nicht nur einen
Top-Gegenwert für´s Geld, sondern ist auch eindrückliches Dokument dafür, dass
Kreator ihre Wut auch im 30. Jahr ihres Bestehens noch immer nicht im Griff
haben. Oder um es mit den Worten eines im Bonus-Teil interviewten, leicht
angesäuselten Ruhrpott-Thrashers der ersten Stunde zu sagen: „Hävvy Mäddl is se
law, all assas must die!“ So sieht´s aus, Freunde!
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