Sonntag, 1. September 2013

Herzensbrecher-Hobo - Vic Ruggiero live



Fotos (2): Promo
 Lemmy sagt, „Ohrstöpsel sind was für Heulsusen“. Da ist man als Rocker mit Selbstrespekt natürlich bemüht, auf Konzerten möglichst ohne die Odyseusschen Pfropfen auszukommen. In der Alten Hackerei mithin gelingt das höchst selten. Offenbar leiden die Saalschlacherprobten Rotfrontkämpfer hinterm Mischpult unter Punk-perforationsbedingter Trommelfellermüdung im Endstadium und reißen daher oft und gern alle Kanäle auf. Umso erquicklicher war der Solo-Auftritt von Slackers-Sänger Vic Ruggiero am Freitag, der nur mit Gitarre und Mundharmonika bewaffnet, für die Ohrenfreiheit stritt – und verlor.
Während Ruggiero mit seiner Hauptband im wesentlichen Rocksteady, Dub und Garage Rock spielt, bringt er auf sich gestellt üblicherweise vorwiegend Soul-, Country- und Blues-Stücke. Das erinnert an die minimalistischen Sachen von Dion, der ja ebenfalls aus New York stammt, und animiert dazu, Burbon, Scotch und Bier im Wechsel zu trinken.
Äußerlich gibt Ruggiero mit Strohhut und 1000 Mile-Boots den liebenswerten Herzensbrecher-Hobo, der mit verwegenem Landstraßen-Charme die Damen nervös macht. Immer die passende Geschichte auf den Lippen, die, wohlwissend, dass alles erstunken und erlogen ist, jeder gerne glaubt. Weil die Welt eine bessere wäre, wären die mit typischem Bronx Akzent vorgetragenen Märchen war („Wenn ich den Leuten erzähle, ich war in Karlsruhe, sagt jeder, Karlsruhe, ja klar, kenn ich!“).
Eine feste Setlist gibt es nicht. Ruggiero spielt, was ihm gerade in den Sinn kommt. Meist greift er dabei auf Slackers-Songs zurück, die er mit gutturaler aber wohlklingender Stimme vorträgt – schließlich hat der Mann schon als Kind an der Metropolitan Opera gesungen. „Married Girl“, ein leichtfüßiger Rumba, oder eigene Stücke wie der beschwingte Calypso-Blues „Eye Of The Beholder“ oder die Folk-Perle „Innocent Girl“ bestehen problemlos neben  Evergreens wie “I Don't Want To Set The World On Fire” von den Ink Spots. “Ein Song”, so wird mir mit leuchtenden Augen erklärt, “wie ihn jede Frau hören will“. Oder Madonnas „Like a Virgin“, was man, wie Ruggiero beweist, auch „gescheid“ spielen kann. Songs schreiben kann der Mann.
Zwischendurch fragt Ruggiero einfach das Publikum: „What ya wanna hear?“ Auf „Highway to Hell“ hat Vic dann zwar keine Lust, weil er “vor der Show etwa fünf Pfund Schweinefleisch” gegessen hat. „Polk Salad Annie“ vom Swamp Fox Tony Joe White hat er auch nicht auf der Pfanne, schüttelt dann aber irgendwas aus dem Ärmel, was genauso anfängt und genauso sumpfig ist. Mitten im Song spinnt er den Faden dann weiter, erzählt ein wenig von Straßen, Zügen und Krautsalat, webt flugs noch CCRs „Suzi Q“ ein und endet seinen Vortrag mit dem Vorsatz, niemals nachhause gehen zu wollen.
Einer hält Ruggiero einfach das Smartphone ans Ohr und der spielt, was er hört.
Ein ungetrübter Konzertspaß also? Fast! Nach etwa einer Stunde hat sich dann doch wieder der Lärmteufel hinters Mischpult geschlichen und die Ohrstöpsel müssen rein. Sorry Lemmy!


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