Campino bei einem Konzert in Berlin 2013. Foto: Promo/Carla Meurer und Gregor Fischer |
«Macht so weiter, draußen auf den Straßen von Baden-Baden», rief Moderatorin Barbara Schöneberger den enthusiasmierten Toten Hosen-Fans im prächtigen Festspielhaus der Kurmetropole zu. Mit rüden Rempeltänzen und Sprechchören hatten die den Auftritt der Düsseldorfer beim sogenannten «Special» am Samstag, das den Abschluss des dreitägigen SWR3 New Pop Festivals bildete, garniert. Mit einer energiegeladenen Best off-Show haben die Punk-Veteranen auf den Umstand reagiert, dass der Südwestrundfunk ihnen den Titel «Pioneer of Rock» verliehen hat. Wie Sänger Campino launig kommentierte, «nicht gerade ein Nachwuchspreis».
Laudator
Wolfgang Niedecken, seines Zeichens angejahrter «Kölsch-Pionier» und Sänger der
Mundart-Combo Bap, tröstete den Kollegen mit einem Lindenberg-Zitat: «Hinterm
Lebenswerk geht´s weiter!» Wenigstens wurde den stets auf die Bewahrung eines
Rests Straßenköter-Integrität bedachten Hosen zum wurmstichigen Pionierstand
noch das eherne Prädikat «Rock» verliehen. Wohingegen die Scorpions, die der
Welt immerhin unvergängliche
Hardrock-Hymnen mit so sprechenden Titeln wie «Rock you like a hurricane»
hinterließen, bevor sie in den 90ern auf ihre Stromgitarren zu pfeifen
begannen, vom öffentlich-rechtlichen Preisstifter vor zwei Jahren folgerichtig
zu Pop-Pionieren degradiert wurden.
Den
Nachweis, dass sie auch jenseits der fünfzig – mancher wird da ja schon
frühverrentet – noch nicht reif fürs Altenteil sind, blieben die Toten Hosen
wie erwähnt nicht schuldig. Doch der erste Liveslot gehörte James Blunt, der
mit so handgedrechselten wie geschmackvollen Alabaster-Pop-Perlen wie „Blue On
Blue“ oder „Bonfire Heart“ auf einer Welle der Begeisterung surfte – und später
sogar auf seinem Piano.
Alex
Hepburn, als „Englands sexiest Schulabrecherin“ und neue Janis Joplin
angekündigt, was definitiver Unsinn ist (zumindest das mit Janis), lieferte
hingegen einen etwas hölzernen Auftritt zum Halbplayback. Immerhin war zu
merken, die richtige Stimme hat sie, wenn auch zur falschen Musik.
Pseudorockigen aber dafür glamourösen Powerpop kann Pink besser.
Tim
Bendzko schließlich kam und tat, was er am besten kann: der sympathische Tim
Bendzko sein. Bemerkenswert ist allerdings, dass der Berliner nach dem großen
Erfolg seines 2011er Debüts „Wenn Worte meine Sprache wären“ inklusive dem
Monsterhit „Nur noch kurz die Welt retten“, nicht den Boden unter den Füßen
verloren hat, sondern wie zu hören war mit „Am seidenen Faden“ einen richtig
guten Nachfolger vorgelegt hat.
Dann
kamen die Hosen: Campino läuft schon nach fünf Minuten schon die Soße runter, die
Saitenfraktion beharkt ihre Instrumente mit routiniertem Starrsinn und
Schlagzeuger Vom Ritchie, der timingmäßig immer ein wenig zu früh dran ist,
verhindert mit seinem nervösen Spiel bravourös und verlässlich, dass das ganze
irgendwann doch noch in bloßen Pop-Mainstream abgleitet.
Übelwollende
könnten jetzt vermuten, dass die Hosen auch nach dreißig noch so frisch wirkten,
liege allein am bedächtigen Charme des badischen Rentnerparadieses, in dem sie
heute auftreten. Doch so ist es ganz offensichtlich nicht, führt uns aber zurück
zum eingangs dokumentierten subversiven Aufruf der Schöneberger. Denn ein
Musikfestival, bei dem die schwarzen Sherriffs, die
hier Anzüge statt Overalls tragen, schon nervös werden, wenn man sich mit einem
Bier in der Hand vom Foyer des Barocktheaters in den Innenraum begeben möchte –
oder noch schlimmer, gar auf die Straße! –, wo der britische Liedermacher Tom
Odell im Verein mit einer Bande Langhaariger gerade einen donnernden
Bluesrock-Jam hinlegt, und der höchste Grad von Rock´n´Roll-Rebellion darin
besteht, in der Langen Straße besoffen an einen Laternenpfahl zu pinkeln,
könnte gelegentlich einen Hauch frischen anarchischen Windes vertragen.
Denn, den Publikumserfolg einmal beiseitegelassen –
die 20 000 Tickets für die 10 Konzerte waren binnen kurzem ausverkauft –, nicht
alles was öffentlich-rechtliche Radiomacher gerne über den Äther schicken, ist
wirklich neu oder gar in künstlerischer Hinsicht spannend. Am Donnerstag zum
Beispiel wurde allein der mittelenglische Liedermacher Jake Bugg mit einer
erfrischend unprätentiösen Darbietung dem Etikett «Trendfestival der Popmusik»,
mit dem der Sender die Veranstaltung
schmückt, gerecht.
Die
hochgelobten aber musikalisch allzu anbiedernden und sehr beliebig zwischen
Arcade Fire und Coldplay agierenden Indie-Rock-Newcomer Bastille etwa würden es
anderswo nicht einmal in den Fahrstuhl schaffen.
Auch dem jungen englischen Zahnspangenwunder Birdy
kann mit seinem 2011 veröffentlichten Debüt immerhin noch das Attribut «neu»
beigestellt werden, was keineswegs für alle Acts galt. Noch muss die
17-Jährige, das zeigte sie am Freitag im Festspielhaus, aber den Unterschied
zwischen emotional und schwülstig lernen.
Später am Abend überzeugte dafür der schon erwähnte Tom
Odell. Der 22-jährige Pianostühle herumkickende Singer-Songwriter überraschte
mit einer Kraft strotzenden Reminiszenz an gute britische
Bluesrock-Traditionen. Ebenso mitreißend agierte das schottische Trio Biffy
Clyro («Bubbles»), zu dessen Beschreibung in
Anbetracht seiner neo-progressiven musikalischen Ausrichtung und fast
18-jährigen Bandgeschichte allerdings wieder die Prädikate «Neu», noch «Pop» nicht
passen.
Dem
Baden-Badener Publikum freilich waren solche Feinheiten im feuilletonistischen
Diskurs offenkundig herzlich schnuppe. Drei Tage lang wurde «ordentlich aufs
Blechle gehauen» (Schöneberger) und jeder etwaige Anflug von Langeweile
unverdrossen und rhythmisch weggeklatscht – wie sich das auch bei Marianne und
Michael schon seit Jahren bewährt hat.
Aber
es gibt ja noch die Toten Hosen und die Schöneberger und ihr gemeinsames
Plädoyer für die ungehemmte Freisetzung der aufsässigen Urkraft des Pop. Allein,
es blieb beim Ideellen – und ruhig auf Baden-Badens Straßen.
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