Sonntag, 27. April 2014

Wahnsinns Spaß im Labyrinth - Dyse und Astrokraut

"Sag Hans zu mir!" André Dietrich geht die Dyse.  Foto: Promo/Marlen Mieth

Dyse, klingt seltsam, ist es auch. Die beiden gebürtigen Ostdeutschen Jari Rebelein (Schlagzeug, Gesang) und André Dietrich (Gitarre, Gesang) bastardieren Grindcore mit Hip Hop, Stoner Rock mit Jazz und Pop mit Punk. Am Samstag, 19. April, spielten sie in der nicht ganz ausverkauften Alten Hackerei – Ein glücklicher Umstand, hatte Betreiber Plüschi doch nach Aussage der Band in Aussicht gestellt, sich im Falle einer Vollbesetzung gemeinsam mit den Musikern Iggy Pop-Style nackt vor dem Club zu wälzen. Ein außergewöhnlicher Abend wurde es gleichwohl.
Aufsehen erregend schon die Vorband. Astrokraut; einen treffenderen Namen hätten die zauseligen Murgtäler für ihre musikalische Unternehmung kaum wählen können. Die vier sehen aus, als wären sie vom Quicksilver Messenger Service mit dem Jefferson Airplane direkt vom Monterey Pop Festival eingeflogen worden. Soundmäßig umwabern weitläufige,  knasterumnebelte Instrumental-Jams  hoch aufragende, himmelbeleidigende Black-Sabbath-Riff-Menhire, an denen immer wieder vorwitzige Licks emporzüngeln. Zusätzlich durchbrochen wird die psychedelische Monotonie durch pfiffige Breaks und wohldosierte, nonkonformistische Gesangseinlagen. Zugegeben, auf dem Papier sind das alles nicht gerade die frischesten Zutaten, doch durch die unbändige Kraft der Jugend gerät Astrokraut der Muff aus tausend Rockjahren zum Bouquet.
Wo ihr junges Vorauskommando frischen Wind verbreitete, entfachen Dyse einen Sturm. Vor gut zehn Jahren haben sich Rebelein und Dietrich in Amsterdam in einer Absteige Namens  Dysecatmotel kennen. Vom Bier berauscht, beschlossen sie noch in der Hotelbar, eine Band zu gründen. So geht die Legende. Dass sich die beiden Ostdeutschen vermutlich nicht im niederländischen Kiffer-Mekka aufhielten, um das Van Gogh-Museum zu besuchen, ist vom ersten Takt an offenhörlich. Obwohl: dass das Duo auf musikalischem Terrain dem Künstler an Intensität, Unmittelbarkeit und Irrsinn durchaus nahesteht, lässt sich nicht verneinen.
Dyse klingen, als jagten Stahlzahn-bewährte Riffmonster eine Horde Narren durch ein polyrhythmisches minoisches Labyrinth. Dietrichs urgewaltige Gitarrenbiester stürmen von Rebeleins dionysischen Tausendfüßler-Trommeln gehetzt um die rasiermesserscharfen Ecken und Kanten. Stets Gefahr laufend, von sich plötzlich im Boden auftuenden Schlünden verschlungen zu werden, in deren Tiefen nichts als kreischend kichernder Wahnsinn lauert. Dazu intonieren die beiden Akteure Dada-, beziehungsweise Gaga-Texte, die mit Titeln wie „Schildkrötenthomas“ oder „Waldbart“ überschrieben sind (Nie klang die an sich harmlose Aufforderung, „sag Hans zu mir“, bedrohlicher, böser, schreckenerregender).
Als Vergleiche kommen da lediglich die superjazzigen Cartoon-Rocker Primus oder der avantgardistische Lärm von Fantomas in Frage. Bei all diesem ikarischen Übermut ist es schon erstaunlich, dass Dyse nie den musikalischen Ariadne-Faden verlieren. Das kostet ja selbst den Zuhörer schon einige Mühe – doch die lohnt sich.


Samstag, 26. April 2014

Abstieg mit Stil - Prong

Der Meister der Quietschgitarre: Tommy Victor Foto:Prongmusic

Der Abstieg sticht ins Auge, wie der ikonische Dreizack im Bandlogo: Vor 20 Jahren waren Prong noch eine der Hauptgruppen beim legendären Dynamo Open Air – für die Nachgeborenen: das war das Wacken der 80er und 90er Jahre –, an diesem Sonntagabend, 6. April, haben sich gerade mal 300 Leutchen ins Substage verirrt, um den Industrial und Groove Metal-Pionieren die Ehre zu erweisen. Vormann Tommy Victor lässt sich davon nicht verdrießen. Ebenso wenig von seinem Gitarrensound, der dank der rigiden  Lautstärkerestriktionen im Club lediglich die Durchschlagskraft einer an einem Butterbrotpapier schnüffelnden Mäuseschnauze entwickelt.
Das ist ein echtes Ärgernis, denn die Hymnen der metallischen Arbeiterbewegung, die Prong mit einer wegweisenden Alben Trilogie ("Beg to differ", "Prove you wrong" und "Cleansing") zwischen 1990 und 94 etablieren halfen, entfalten üblicherweise die Wucht  einer hydraulischen Schwenkarmstanze – aber das eben nur bei maximaler Membran-Vibration. Und nein, liebe Gutmenschen und Ohrschützer, Power ist keine Frage des Mixes. Schließlich käme doch auch niemand auf die Idee, einen Schaufelradbagger mit einem Mofa-Motor antreiben zu wollen. Obwohl, angesichts der Tatsache, dass heute unhinterfragt tausende Windräder in einer windarmen Niederung wie dem Rheintal errichtet werden, ist auch das vermutlich nicht ausgeschlossen.
Von diesen Widrigkeiten abgesehen, verrichten Victor, Meister der Überton-Quietschgitarre,  und seine zwei Zuarbeiter an Bass und Schlagzeug ihr präzis ausgefeiltes Zerstörungswerk mit der zu Gebote stehenden Heftigkeit und dem Charme eines mattschwarzen, fleischfressenden Plymouth Fury: Klassiker wie „Broken Peace“, „Whose fist is this anyway“ oder „Beg to differ“ lassen die vorderen Reihen dabei genau so steil gehen wie neuere Nackenzwirbler  der Marke „Power oft he damager“ und „Carved into stone“. Beim Über-Hit “Snap your fingers, snap your neck“ gibt es natürlich sowieso kein Halten mehr. Einer der älteren Semester hüpft sogar mit Pulsuhr (!), wohl damit der Blutdruck nicht durch die Decke geht.
Zugegeben, als Leitfigur für die bis ins letzte durchgestylte Hardcore-Jugend taugt Tommy Victor mit seinem fusseligen Ziegenbart und verblassenden Tattoos leicht bekleideter Damen sicher nicht mehr. Eine Nostalgienummer sind Prong deshalb noch lange nicht. Und das wird auch so bleiben, denn bis auf weiteres ist Victor offensichtlich in der Lage, die jüngere Konkurrenz zwischen zwei seiner Schwerindustrie-Riffs zu zerquetschen – mit einem Fingerschnippen.

Montag, 21. April 2014

Punk goes Pünktlichkeit - U.K. Subs

Das ist Anarchie! Sich wie üblich am punk-ademischen Viertel orientierend, nachdem Punkrock-Veranstaltungen immer mindestens eine Stunde später beginnen als angegeben, betritt der Rezensent an diesem Mittwoch, 19. Februar, so gegen 22 Uhr die Alte Hackerei auf dem Schlachthofgelände.  Nur um festzustellen, dass Ex-Adverts-Sänger T.V. Smith, Speerspitze des Essex-Akustik-Punks, die Bühne tatsächlich zur angekündigten Stunde betreten, seinen Auftritt also schon beendet hat. Wenn schon auf Unverlässlichkeit kein Verlass mehr ist, wer soll sich da noch zurecht finden?
Alle Erwartungen  erfüllen hingegen die U.K. Subs: Wenn man sagt, die seit 1976 mal mehr mal minder aktive Band haben noch mehr Menschen durchlaufen als die Drehtür eines mittelgroßen Einkaufszentrums, tut man den Briten gewiss kein unrecht. Neben Urgestein Charlie Harper (Gesang) gehören zur Subs Mark 183 Besetzung der alte Recke Alvin Gibbs am Bass, Jet (Gitarre) und der junge Jamie Oliver (Schlagzeug).
Mit seiner leicht altägyptisch anmutenden, blondierten Pony-Frisur sieht Harper zwar inzwischen aus wie ein gealterter David St. Hubbins, seinen Biss hat der Subs-Frontmann indes nicht verloren. Alte Hits wie „Warhead“, „Emotional Blackmail“, „Tomorrows Girls“ oder „Endangered Species“ trägt er mit derselben motzigen Verve vor, wie die neueren Songs.
Musikalisch bewegen sich die Subs irgendwo zwischen waghalsigen Steilkurven-Punk –Drummer Jamie droht sich beim Spielen selbst zu überholen – und Streetrock, dem Gitarrist Jets beißendes Spiel eine scharfe Ammoniak-Note verleiht. Klasse!
Das die Hackerei dicht gedrängt füllende Publikum – ein großer Teil trägt altersbedingt  Umkehr-Iro (Haare an den Schläfen, statt auf dem Schädelkamm) – ist ebenso hin und mitgerissen: Rempeltänze brechen aus, Bierduschen werden genommen, Mittelfinger gereckt.
Fazit eines gelungenen Abends: Pünktlichkeit und Punkspaß scheinen doch keine Gegensätze zu sein.