Was
die kompromisslose Haltung zur Musik und zum Leben allgemein angeht, sind
Motörhead sakrosankt. Das wird kein vernünftiger Mensch zu bestreiten wagen!
Dass Lemmy Kilmister in den vergangenen 38 Jahren kein wirklich schlechtes Album
abgeliefert hat, ebenso wenig. Eine ehrliche Bestandsaufnahme am Plattenschrank
mit vollständigem Motörhead-Backkatalog bringt allerdings das
Selbsteingeständnis: Das jüngste Machwerk von Stoke on Trents Antwort auf Chuck
Berry, das über die Jahre öfter mal wieder aufgelegt wurde, heißt „Overnight
Sensation“. Zwar war da bei Lemmy auf dem Cover erschreckenderweise der Bart ab, die Scheibe selbst rockt aber
überaus beschwingt, ist kompositorisch hochklassig und darüber hinaus für
Motörhead-Verhältnisse nahezu progressiv – dank der Akustikgitarren. Allerdings
datiert sie von 1996. Der letzte vollwertige Klassiker der Band, das brachial
geniale und dennoch super abwechslungsreiche „Bastards“, hat gar noch drei
Jahre mehr auf dem Buckel.
Seitdem
und besonders währen der Nullerjahre wurden dann durchschnittliche Rocker
gleich dutzendweise produziert, die zwar über alle essentiellen Markenzeichen verfügten
(heiser herausgebellter Gesang, punkige Gitarren, galoppierende Drums), aber
deren Wiedererkennungswert oft doch arg
zu wünschen übrig ließ. Gitarrist Phil Campbell vermittelte zunehmend den Eindruck,
Lemmys zu Beginn eines jeden Konzerts gebetsmühlenartig widerholte Ansage, „we
are Motörhead and we play Rock´n´Roll“, zur bloßen Phrase zerschreddern zu
wollen. Den letzten noch verbliebenen Rest anarchischer Unwucht pflegte dann
Mikkey Dee mit exzessivem Mike Tyson-Drumming gerade zu klopfen.
Vor
den Sessions für „Aftershock“ (VÖ 18.10. via Motörhead Music) scheinen sich
Motörhead nun mal wieder ihre (maßlos unterschätzten) Erzeugnisse der wüst polternden
Mittachziger-Ära von „Another Perfect Day“ bis „Rock´n´Roll“ vorgenommen zu
haben. Wenn ja, gut so! Denn jedenfalls greift das Trio auf Studioalbum Nummer
21 statt der groben Axt wenn schon nicht zum Florett, dann doch wenigstens zum
Säbel, um dem geneigten Motörheadbanger ordentlich den Scheitel nachzuziehen.
Durchweg kratzen die vierzehn Stücke im Schnitt gerade so an der Drei-Minuten-Grenze. „Coup De Grace“
scharrt so nervös mit den Füßen als sei es in derselben vom Amphetamin gehetzten
Nacht geschrieben worden wie einst „Shine“. Der „Lost Woman Blues“ ist die nach
34 Jahren Anschaffen in einer Shanghaier Hafenbar wieder nach Hause
zurückgekehrte Zwillingsschwester von „Limb from Limb“. Und „End of Time“
klingt gar wie eine lange in der Garage vergessene und nun wiederaufgemöbelte
Version von „Ridin'
with the Driver“. So geht es fort.
Dennoch
erstarren Motörhead keineswegs in der (gewollten?) Selbstreferenz. Die Tücke
steckt im Detail. Ein gelungenes Bassbubenstück hier („Death Machine“) ,eine
waghalsige Schlagzeugschurkerei dort,
das eine oder andere niederträchtige Break („Going to Mexico“) und gelegentlich
ein beiläufig begangenes Gitarrendelikt sorgen für andauernde Verletzung der Bewährungsauflagen. Sollte „Aftershock“ Lemmys
letztes Gefecht sein, was aufgrund der diversen Zipperlein, die den alten Wolf
in jüngerer Vergangenheit plagten, kein Ding der Unmöglichkeit ist, hat er hier
nochmal ein prima Kampfgeheul geliefert.
"Hey Phil, wann kommt endlich dieser verdammte Bus?" - Motörhead 2013 Foto: Promo |
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