Donnerstag, 17. Oktober 2013

Alte Wölfe heulen gut - Motörhead "Aftershock"

 Was die kompromisslose Haltung zur Musik und zum Leben allgemein angeht, sind Motörhead sakrosankt. Das wird kein vernünftiger Mensch zu bestreiten wagen! Dass Lemmy Kilmister in den vergangenen 38 Jahren kein wirklich schlechtes Album abgeliefert hat, ebenso wenig. Eine ehrliche Bestandsaufnahme am Plattenschrank mit vollständigem Motörhead-Backkatalog bringt allerdings das Selbsteingeständnis: Das jüngste Machwerk von Stoke on Trents Antwort auf Chuck Berry, das über die Jahre öfter mal wieder aufgelegt wurde, heißt „Overnight Sensation“. Zwar war da bei Lemmy auf dem Cover erschreckenderweise  der Bart ab, die Scheibe selbst rockt aber überaus beschwingt, ist kompositorisch hochklassig und darüber hinaus für Motörhead-Verhältnisse nahezu progressiv – dank der Akustikgitarren. Allerdings datiert sie von 1996. Der letzte vollwertige Klassiker der Band, das brachial geniale und dennoch super abwechslungsreiche „Bastards“, hat gar noch drei Jahre mehr auf dem Buckel.
Seitdem und besonders währen der Nullerjahre wurden dann durchschnittliche Rocker gleich dutzendweise produziert, die zwar über alle essentiellen Markenzeichen verfügten (heiser herausgebellter Gesang, punkige Gitarren, galoppierende Drums), aber deren Wiedererkennungswert oft  doch arg zu wünschen übrig ließ. Gitarrist Phil Campbell vermittelte zunehmend den Eindruck, Lemmys zu Beginn eines jeden Konzerts gebetsmühlenartig widerholte Ansage, „we are Motörhead and we play Rock´n´Roll“, zur bloßen Phrase zerschreddern zu wollen. Den letzten noch verbliebenen Rest anarchischer Unwucht pflegte dann Mikkey Dee mit exzessivem Mike Tyson-Drumming gerade zu klopfen.
Vor den Sessions für „Aftershock“ (VÖ 18.10. via Motörhead Music) scheinen sich Motörhead nun mal wieder ihre (maßlos unterschätzten) Erzeugnisse der wüst polternden Mittachziger-Ära von „Another Perfect Day“ bis „Rock´n´Roll“ vorgenommen zu haben. Wenn ja, gut so! Denn jedenfalls greift das Trio auf Studioalbum Nummer 21 statt der groben Axt wenn schon nicht zum Florett, dann doch wenigstens zum Säbel, um dem geneigten Motörheadbanger ordentlich den Scheitel nachzuziehen. Durchweg kratzen die vierzehn Stücke im Schnitt gerade so an der Drei-Minuten-Grenze. „Coup De Grace“ scharrt so nervös mit den Füßen als sei es in derselben vom Amphetamin gehetzten Nacht geschrieben worden wie einst „Shine“. Der „Lost Woman Blues“ ist die nach 34 Jahren Anschaffen in einer Shanghaier Hafenbar wieder nach Hause zurückgekehrte Zwillingsschwester von „Limb from Limb“. Und „End of Time“ klingt gar wie eine lange in der Garage vergessene und nun wiederaufgemöbelte Version von „Ridin' with the Driver“. So geht es fort.
Dennoch erstarren Motörhead keineswegs in der (gewollten?) Selbstreferenz. Die Tücke steckt im Detail. Ein gelungenes Bassbubenstück hier („Death Machine“) ,eine waghalsige  Schlagzeugschurkerei dort, das eine oder andere niederträchtige Break („Going to Mexico“) und gelegentlich ein beiläufig begangenes Gitarrendelikt sorgen für andauernde Verletzung der  Bewährungsauflagen. Sollte „Aftershock“ Lemmys letztes Gefecht sein, was aufgrund der diversen Zipperlein, die den alten Wolf in jüngerer Vergangenheit plagten, kein Ding der Unmöglichkeit ist, hat er hier nochmal ein prima Kampfgeheul geliefert.

"Hey Phil, wann kommt endlich dieser verdammte Bus?" - Motörhead 2013 Foto: Promo

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