Freitag, 28. Oktober 2016

Bier-Zombies und Hits: Red Fang erfüllen alle Erwartungen



Während Red Fang zu Hause in den USA schon in populären Fernsehformaten wie der Late Show with David Letterman zu Gast waren, ist das Quartett aus Oregon hierzulande noch nicht wirklich über den Geheimtipp-Status hinausgekommen. Der Aufstieg ist langsam aber stetig: Am Sonntag präsentierte die Band ihren neuen Langspieler „Only Ghosts“ im Substage, während auf der vorangegangenen Tour noch das kleinere Universum in Stuttgart bespielt wurde.
Als Spezialgast waren Torche mit dabei. Der Vierer aus dem sonnigen Florida konnte mit einer etwas kuriosen Mischung aus Stoner Rock, Sludge, Metal, Prog und, nun ja, New Romantic begeistern. Schade dass der Sound derart mit Hall zugekleistert war, dass sowohl die überaus knackigen Riffs als auch die mitreißenden gefühlvollen Melodien von Mainman Steve Brooks viel ihrer Eindringlichkeit einbüßten. Dicker Pluspunkt: Das einfallsreiche Spiel von Drummer Rick Smith, der sich mit seinen fantasievollen Choreografien und rumpelstielzchenhaftem Gehampel als eigentlicher Blickfang der Formation erwies.
Dann war es Zeit für Red Fang. Vielleicht noch etwas zu früh am Abend. Denn die Kauzrocker stolperten auf die Bühne wie eine Truppe vorzeitig gealterter College-Studenten, die nach einer viel zu kurzen Nacht  gerade aus dem Bett gefallen sind. Der Wucht ihrer Performanz nahm das freilich nichts: Die schweren Gitarrensounds von Aaron Beam und David Sullivan wälzen sich aus den Boxen wie diese Pharao-Schlangen, die früher beim Tischfeuerwerk als meterlange stinkende Rußwürste aus einem nur zentimeterhohen Zylinder krochen. Darunter legt die Rhythmussektion aus  Aaron Beam (Bass) und Drummer John Sherman ein pulsendes, wummerndes Fundament. Dazu gibt es Refrains, die wahlweise nach Katersonntag oder „Du kannst mich mal!“-Attitüde klingen.
Dank allerlei kompositorischer Winkelzüge verlieren sich Red Fang aber nicht im repetitiven Nirvana. In den trüben Tiefen unter der Oberfläche lauert stets die nächste (unangenehme) Überraschung. So vielschichtig und gemein sind manche Songs wie eine dieser abgepfiffenen Horror-Stories von Schreckens-Altmeister H.P. Lovecraft.
Trotz aller abseitigen Schrulligkeit verabsäumen es Red Fang nicht, den einen oder anderen Hit abzuliefern. Wie der Opener „Wires“ oder die in den USA recht erfolgreiche Single „Blood like Cream“ oder das unverschämt abgehende „Crows in Swine“ mit eingängigen Hooks und prallen Refrains beweisen.
Ach ja, ein nimmer versiegender quell der Freunde sind auch die irrwitzigen Musik-Videos von Red Fang, in denen die Band unter anderem blutrünstige Abenteuer mit durchgeknallten Rollenspielern oder durstigen Bier-Zombies zu bestehen hat.


Donnerstag, 27. Oktober 2016

Allenfalls halblebig: Dead Kennedys

Noch voll im (Gemüse)Saft: Die original Dead Kennedys mit Jello Biafra.

Wisst ihr, in der Punk-Szene geht es darum, die Leute zusammenzubringen“, sagt Skip Greer. Ein kluger Satz, der aber gerade von den musikalischen Paten der Szene eher selten beherzigt wird: Von Black Flag ziehen zwei Versionen durch die Lande, bei den Cro-Mags gehen die verfeindeten Lager mit Messern aufeinander los und Ramones-Feldwebel Johnny weigerte sich einst sogar, seinen langjährigen Kollegen Joey am Sterbebett  zu besuchen (allein bei den Misfits scheint nach Jahrzehnten wieder etwas Harmonie eingekehrt zu sein). Und Greer selbst steht an diesem Samstag, 22. Oktober, im Substage mit den Dead Kennedys auf der Bühne – anstelle des ikonischen Jello Biafra.
Nun sind die Quasi-Erfinder des politischen Hardcore nicht die einzige Band der Rockgeschichte, die den Verlust eines fundamental wichtigen Bandmitgliedes zu verkraften hatte. Um diesen Punkt also gleich zu  Beginn abzuhaken: Greer hat seinen Job als Ersatzspieler auf dieser symbolträchtigen Frontmannposition erledigt, ohne sich dabei komplett lächerlich zu machen – und das ist im Grunde schon mehr, als man erwarten durfte.
Von daher wäre einem gemütlichen Altpunk-Revival-Abend also nichts im Wege gestanden und auch die Ü-50-Szeneveteranen, welche die Kennedys  wohl noch vor dem Split Mitte der 80er erlebt haben dürften, standen den freundlichen Gesichtern nach zu schließen der ganzen Sache überaus wohlwollend gegenüber. Jetzt musste die Band nur noch liefern.
Doch hier gab bereits der Opener „Forward To Death“ vom legendären Album „Fresh Fruit For Rotting Vegetables“ wenig Anlass zur Hoffnung. Das Tempo ließ arg zu wünschen übrig. Ebenso die Lautstärke beziehungsweise deren Nichtvorhandensein (wenn bei einem Rockkonzert Gespräche der Nebenleute als störend empfunden werden, stimmt was nicht) – übrigens ein dauerhaftes Ärgernis im Substage. Zu allem Unglück kamen an diesem Abend noch arge Soundprobleme hinzu. Kein Wunder, dass da nicht einmal Punk-Perlen wie „Lynch The Landlord“ oder „Too Drunk To Fuck“ die gewohnte Durchschlagskraft entfalten können.
Als weiterer Negativpunkt erwies sich ausgerechnet Gitarrist East Bay Ray: Der 57-Jährige verirrte sich ein ums andere Mal derart auf seinem Griffbrett, dass er sich trotz größter Bemühungen von D. H. Peligro (Drums) und Klaus Flouride (Bass) nicht mehr einfangen ließ. Außerdem schien er das Konzert nur durchzuhalten, indem er die ganze Zeit mit offenem Mund spielte.
Man könnte diesen halblebigen Kennedys zugutehalten, dass die Musik in den vergangenen 30 Jahren deutlich härter geworden ist und man mit schneller und etwas schiefer gespieltem Rock´n´Roll heute eben niemanden mehr erschrecken kann. Aber wenn im Punk von der Bühne weniger Energie kommt als von der Platte, bedeutet das, Aufgabe verfehlt.
Was hätte sein können erwies sich erst im letzten Viertel des Konzerts: Der Über-Hit „California Über Alles“ kam richtig schön spooky rüber und auch sonst griffen plötzlich alle Rädchen ineinander. Sogar Ray schien sich plötzlich seiner früheren Fähigkeiten zu erinnern. Bei „Holiday In Cambodia“ und „Chemical Warfare“ stimmte plötzlich auch der Drive.
Leider hielten sich die Kennedys dann ausgerechnet bei der Spielzeit an die ehernen Punk-Prinzipien und machten sich nach einer Stunde davon. Zu wenig, wenn man 45 Minuten braucht, um warm zu werden. In dieser Verfassung sind die Dead Kennedys leider mehr tot als lebendig.

Mittwoch, 26. Oktober 2016

Nicht auf leiser Sohle: Bouncing Souls live

Bouncing Souls 2009 live on Stage. Foto: Sofía Salom
Das Etikett US-Punk ist ein durchaus zweischneidiges Schwert. Für Fans steht es für Gradlinigkeit und Catchyness, für Verächter bedeutet es schlicht Poppigkeit und mangelnden Tiefgang. Die Bouncing Souls gehören zu den wenigen Genrevertretern, die es geschafft haben, beide Fraktionen für sich zu gewinnen. Denn das Quartett aus New Jersey besitzt die Seltene Fertigkeit, einfache, aber dennoch ergreifende Songs zu schreiben. Wie beim Konzert der Band am Mittwoch, 5. Oktober, im Substage zu erleben war.
Zu Beginn verstörte Frontmann Greg Attonito aber erstmal durch sein exzentrisch wirkendes  wippendes und tänzelndes Bühnen-Gebaren, das eigentlich eher zu lustigen Kinderliedern als zu heftigem Rock´n´Roll passen wollte. Im Gegensatz  dazu erwiesen sich der kahlrasierte und  schwerstens tätowierte Bryan Kienlein am Bass und der mit stets schiefgelegtem Kopf seine Gitarre zersägende Pete Steinkopf quasi als optische Urbilder ihrer jeweiligen Funktionen in einer Punkband. Aber egal, immerhin haben die Bouncing Souls als Band schon fast 30 Jahre auf dem Buckel, da kann man sich die eine oder andere Schrulligkeit erlauben.
Rein musikalisch lieferten die Bouncing Souls – der Name der Band ist übrigens ein Verweis auf die „Bouncing Soles“ der legendären Dr. Martens-Schuhe – die versprochene Mischung aus griffigen Hooks  und schnörkellosem Punkrock wie ihn frühe Streetpunk und Oi-Bands wie Peter And The Test Tube Babies oder Cocksparrer etablierten.  Hinzu kommt eine gewisse klangliche Emotionalität, die durch die Texte, die in der Regel Geschichten mitten aus dem Leben erzählen, noch verstärkt wird.
Die gut 300 Besucher ließen sich folglich nicht lange bitten und gaben sich schon beim dritten Song dem Gruppenklatschen und Rempeltanzen hin.
Zwar lassen die Bouncing Souls die ganz großen Pop-Momente, zu denen zum Beispiel Green Day immer wieder fähig sind, vermissen. Aber trotzdem sorgt der hart arbeitende Jersey Vierer mit seinen fast schon simplen, aber dennoch ergreifenden Melodien immer wieder für bewegende Momente. Wer seinen Punkrock etwas melancholisch, aber mit Pfiff mag, der war hier an der richtigen Adresse.

Donnerstag, 6. Oktober 2016

Broadway statt Rock´n´Roll - Kiss live in Las Vegas

Im Vorvergangenen Jahr packten die legendären Hardrocker Kiss ihre Schminkköfferchen und brachen auf ins nicht weniger sagenhafte Spielerparadies Las Vegas, um im dortigen Hard Rock Hotel eine Reihe von Shows zu spielen, die auch gefilmt wurden. Im Frühjahr diesen Jahres wurde  „Kiss Rocks Vegas“ für einen Tag in ausgewählten Kinos weltweit gezeigt. Jetzt liegt der Konzertfilm auf DVD vor.
Angesichts zahlreicher bereits existierender Live-Dokumente aus den verschiedensten Schaffens- und Besetzungsphasen der Band stellt sich natürlich die Frage, muss sich der Fan sich das Filmchen ins Regal stellen?
Ein Pro wäre vielleicht, dass mit „Tears Are Falling“ (aus der Non-Makeup-Ära), „Psycho Circus“, „War Machine“ und „Hell Or Halleluja“ ein paar seltener live gespielte Songs enthalten sind. Andererseits fällt es beim Anschauen schwer zu glauben, dass sich diese perückentragende Seniorengruppe in einer fernen Vergangenheit einmal mit einer anderen – inzwischen ebenfalls arg gerupften – Band namens AC/DC um den ersten Platz auf dem Treppchen rangelte, wenn es darum ging, wer auf dem Planeten die härtesten Gitarrenriffs in Petto hatte. 

Feuer und Flamme: Kiss in Vegas Foto: Universal
Klar fährt der Drumriser bei Kiss noch immer höher als anderswo und es rumst und kracht an allen Ecken und Enden. Das Feuerwerk kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Kiss heute mehr einer Broadway als einer Rock´n´Roll-Show gleichen.
Ein weiterer Kaufanreiz wäre die spektakuläre Spider-Bühne gewesen, die europäische Fans bisher nicht zu Gesicht bekamen. Weil das „The Joint“ mit 4000 Plätzen aber recht klein ist, kam sie nicht zum Einsatz.
Routiniertes Showmanship von Gene, Paul und Co. Foto: Universal