Mittwoch, 27. März 2013

Zeitreise mit In-Drinks - Shout Out Louds zelebrieren die 80er



Ist montags im Substage denn Veneziano-Tag? Der Club ist fest in Frauenhand, männliche Begleitungen schmiegen sich geradezu ängstlich an die Partnerin. Nein, die schwedische Indie-Band Shout Out Louds hat sich angekündigt. Pünktlich zum zehnjährigen Bandjubiläum haben die Stockholmer ihr neues Album „Optica“ draußen und das geht offensichtlich insbesondere der weiblichen Hörerschaft runter wie ein spritziges In-Getränk.
Doch zunächst bleibt es bodenständig: Die Rolle des Aperitifs fällt MightyOaks zu. Der  struppige Neo-Folk der Berliner, irgendwo zwischen Fußgängerzone und Mumford and Sons angesiedelt, ist auch recht süffig. Doch so recht Gehör verschaffen kann sich das Trio bei der eifrig schwatzenden und schnatternden Menge heute nicht.
Die Shout Out Louds hingegen müssen nicht einmal ihre Stimmen erheben (Randbemerkung: auf „Shout It Out Loud“, die 1976er Hit-Single der Hardrock-Gruppe Kiss, bezieht sich der Bandname mit Sicherheit nicht!), um sich die ungeteilte Aufmerksamkeit ihres Publikums zu sichern. Adam Olenius, ganz in Schwarz, wird daran nicht ganz unschuldig sein: Der Mann mit dem schmachtenden Blick klingt wie der Klon von Cure-Sänger Robert Smith, hat aber keine Spinnweben im Haar. Was soll da noch schief gehen?
Aus der Zeit fallend: der Sound. Zwischen Bühne, Mischpult und Beschallungsanlage werden die Klangwellen ganz offensichtlich mithilfe modernster Technik durch ein Wurmloch ins Jahr 1987 geschickt, dort dem Zeitgeist entsprechend  aufbereitet und dann wieder ins hier und heute übermittelt. Zugegeben, die Theorie ist gewagt. Doch die Beweise sind unüberhörbar: die New Order-Did-did-did-dad-daaahd-Keyboards, die Depeche Mode- Wellness-Spa-Synthies, die hibbeligen Gitarren und die mumpflig klingenden Drums.
Das Quintett feiert mithin keine grelle Cocktailparty, sondern unternimmt vielmehr einen malerischen Nostalgie-Trip in die goldene Ära des New Wave- und Synthie-Pop. Angesichts dieser liebevollen Rekonstruktionsarbeit und der Tatsache, dass die Schweden ihre Instrumente für eine Indie-Combo mehr las passabel beherrschen, ist es bedauerlich, dass sie kompositorisch an die Giganten der Referenzepoche nicht heranreichen. Die ganz großen Hit-Melodien fehlen. Eine unterhaltsame Zeitreise trotzdem.





Dienstag, 26. März 2013

Maden in Rotwein - Neues Album von Shy Guy At The Show


Nach ihrem letzten Studiowerk „The Birth Of Doubt“ hatten Shy Guy At The Show (SGATS) wohl endgültig mit den himmlischen Autoritäten verspielt. Das monumentale Konzeptalbum der kultivierten Düster-Rocker kreiste um die ziemlich bizarre Story eines gefallenen Engels, der sich nach dem Absturz, frei nach Goethes Hymne „Prometheus“, mit den Niederungen des irdischen Daseins auseinanderzusetzen hatte. Schluss, aus, ewige Verdammnis! Doch jetzt setzt das lichtscheue Quintett aus Karlsruhe mit seinem neuen, selbstbetitelten Album (VÖ: 5. April via Équinoxe/Nova MD) erneut an, abzuheben. 


Das Wagnis sollte gelingen! Denn was SGATS auf Platte Nummer vier abliefern, ist einfach ganz, ganz großes, episches, romantisches Goth-Kino. Die Band um den byronesquen Frontmann Sebastian Emling klingt inzwischen künstlerisch derart überreif, als hätte Nick Cave mit den Sisters of Mercy in einer schummrigen Krypta viel zu viel blutschweren im Eichensarg ausgebauten  Rotwein geschlürft; und ein Ghul, der Alan Wilder war, dazu die Keyboards gespielt. SGATS nehmen ihre Zuhörer mit hinab ins Reich düsterer Lyrics und spielen sich dann mit Macht zurück an die spiegelnde Oberfläche ihres flirrenden Dark Wave.
Doch eine Spazierfahrt ins Grüne ist dieser düstere Goth-Trip weiß Gott nicht: Bergwärts geht die Reise zunächst, hinauf zu von dunklen Synthies umwölkten schneebedeckten 80er Koksgipfeln („Clouds Of Air“). Dann wieder hinab zu deren ehernen Wurzeln, die bis hinunter in bodenlose Rohypnol umspülte Dunkelpop-Abgründe reichen („Tenderness“).
Aus den lebensfeindlichen Tiefen wird der Reisende herausgespien wie Jonas aus dem Bauch des grauenerregenden Leviathan. Unsanft landet er auf endlosen froststarren Elektronika-Ebenen („Home“). In der Ferne ragen verschwommen die halbversunkenen monolithischen Klagemauern äonenalter Tempel aus dem Nebel der Zeit („Walls Of Misery“). Drinnen starren die stummen Standbilder schattenhafter Götter-Dämonen aus schwarzem Basalt mit blinden Marmoraugen in die ewige Finsternis feuchter New Wave-Grüfte („Tears Of Ice“).
Doch auch einige tröstliche Momente gibt es. Sie sind voll sanfter Poesie: Eine Ballade („76 Degrees“) lässt am Ende dämmriger madenzernagter Tunnel die Sonne aufgehen, Erlösung verheißend. Doch wehe, unglücklicherweise sitzt in der leuchtenden Aureole der Herr der Fliegen persönlich – mit gespenstisch hohlem Kehlgesang höllische Folk-Songs intonierend („Walk With The Devil“).
Nichts, absolut nichts ist an diesem Album gewöhnlich, nichts fantasielos, nichts langweilig – aber vieles Großartig! Die Releaseparty wird am Freitag, 5. April, ab 20 Uhr, im Radio Oriente gefeiert. Weitere Infos: www.sgats.de




Donnerstag, 21. März 2013

Harmful sind der Indie-Hulk

„In“ im Sinne hinterm Horizont weitergehender Kokslinien und Ozeanen kreischender Mädels waren Harmful noch nie. Nicht einmal in den 90ern, als sie es eigentlich unbedingt hätten sein müssen. Da stand die Worterweiterung „Indie“ noch für Unbestechlichkeit und Widerstand und der musikalische Underground war noch nicht von Typen bevölkert, die mit dickeren Tränensäcken als Eiern herumlaufen. Dass die Frankfurter heute „out“  seien, lässt sich von daher nicht sagen. Ob man angesichts von etwa fünfzig Aufrechten, welche die Noiserocker am vergangenen Freitag ins Substage zogen, allerdings noch von künstlerischer Integrität oder schon von Masochismus sprechen muss, darüber ließe sich streiten.
Was die Anwesenden allerdings erleben durften, war nicht Selbstquälerei einer Band, sondern hoher Musikgenuss. Helle Sinnenfreude verbreiteten schon die Aufheizer Tanertill. Gitarre und Schlagzeug, mehr brauchte das Duo nicht, um die Kacheln von den Wänden zu rocken. Denn die zwei Münchner haben Ideen für zehn – und können spielen wie zwanzig. Das klingt mal funky-progressiv wie Primus, mal abgepfiffen wie Hawkwind und mal düster wie Soundgarden; beeindruckend und unterhaltsam!
Dann kommen Harmful und machen ohne viel Federlesens genau das, wovon ihr Name kündet: bedrohlichen Krach! Ist das jetzt Noiserock, Indie, Hardcore oder Metal?  Schnuppe ist das! Aren Emirze lässt seine sandfarbene Fender Telecaster scheppern, dass die Ohren klingeln. Chris Aidonopoulos kontert mit meandernden bis zur Unkenntlichkeit verzerrten Basslinien. Im Hintergrund wichst Flo Weber derartig auf seinem Schlagzeug herum, dass es nur durch stetiges Aufbringen neuer Schichten Gaffer-Band vor dem Auseinanderfallen bewahrt werden kann.
Was Harmful liefern, ist nicht weniger als der unheimliche Soundtrack zur Verwandlung Bruce Banners in den unglaublichen Hulk. Seit einem Unfall mit einer Gamma-Bombe mutiert der schmächtige geniale Wissenschaftler bei jedem Anflug von Wut in ein grünes rasendes Monster. Und plötzlich schrumpft der große leere Saal ganz klein zusammen, als würde der Hörer wie im Comic selbst zu einem hünenhaften Kraftprotz, der alles um sich herum kurz und klein schlägt. UuuuuaahAAAARRRRRRRGHHHHHH!

Montag, 18. März 2013

Punk Blues ohne Helm - Onewoman-Band Molly Gene in der alten Hackerei


Das Münchner Duo Travel in Space hatte sich als „Country-Garage-Pop“ angekündigt. Klingt gut. Doch die Veranstaltung entpuppt sich ziemlich schnell als sozialpädagogische Jugendfreizeit, während der Halbwüchsige zur besseren Pubertätsfrust-Bewältigung mal so richtig auf verstimmten Gitarren herumschrabbeln dürfen. Dazu wird debiler Nonsens wie „Three Kids One Bike Tonight“ oder „Hoppe Hoppe Reiter“ herausgeplärrt. Lyrisch erinnert das streckenweise an die hessischen  Nothincore-Helden A.O.K („Alex, Du Pferd“, „Puff, Puff, Puff die Eisenbahn“) – nur dass an diesem Freitagabend keiner lacht im Publikum.
Doch der schwache Auftakt ist schnell vergessen. „It´s good to be back in the Alde Hackeriiieeeh“, sagt Molly Gene in gedehntem Südstaatenakzent und beginnt stürmisch ihre halbakustische Gibson ES zu bearbeiten.  Milchbubis wie die Münchner Raukadetten verspeist die US-Gitarristin und selbstständige Chefin ihrer eigenen „One Whoaman Band“ vermutlich regelmäßig zum Frühstück. Gleich nachdem sie am späten Nachmittag verkatert aus ihrem ranzigen Wohnwagen gestolpert ist. Erst füllt sie sie ab, und dann vögelt sie ihnen auf der Ladefläche ihres Pickups ihr jämmerliches Bisschen Verstand heraus, stellt man sich vor. Natürlich nicht ohne die Jungens vorher gründlich ihr Instrument putzen zu lassen; und den Trailer; und den Pickup.
Aber jetzt sitzt die Mitzwanzigerin aus Warrensberg, Mississippi, auf der beengten Bühne den Alten Hackerei auf dem ehemaligen Schlachthofgelände. Den Kopf mit dem ausgefransten Pagenschnitt umweht Zigarettenrauch, wie Nebel die Grabsteine in einem 60er-Jahre-Gruselfilm der Hammer-Studios. Dahinter an der Wand ragt ein riesiges Bullengehörn ins rote Scheinwerferlicht. Vom schwarzen T-Shirt lugen Elvis, Johnny Cash und Hank Williams, die heilige Dreifaltigkeit des Rockabilly, in den Barraum. Molly Genes dünne Beine stecken in Jeans-Shorts und Nylons, die in den hohen mit Ziernähten versehenen Schäften schwarzer Cowgirl-Stiefel verschwinden.
Mit den schrägen Absätzen tritt sie auf die Pedale ihres in eine Kiste montiertes Percussions-Arsenals ein wie ein wütendes Kind. Fast hört es sich an, als sei John Bonham in eine Kneipenschlägerei geraten. Mehr schrubbend als zupfend entlockt sie ihrer Slide boshafte Klänge, dazu das heisere Bellen einer mexikanischen Straßenhündin austossend. Konzeptionell erinnert dieser Ansturm aus roher Plasmatics-Sexualität und dem Minimalsmus von Seasick Steve an Punk Blues vom Schlage eines Bob Log – nur ohne Helm und mit Titten. „Letzten Sommer war ich schon mal hier“,  japst Molly Gene. „Ich wurde ohnmächtig, das war ein gutes Konzert.“ 

Montag, 11. März 2013

Keine Weltraumaffen: Kong



Ein Konzert von Kong gleicht einem Museumsbesuch. Die Musiker stehen nicht gemeinsam auf der Bühne, sondern jeder auf seinem eigenen Sockel frei im Raum, wie Skulpturen in einer Glyptothek; kreuzförmig angeordnet. Der Besucher kann zwischen den Musealien herumspazieren, beliebig vor ihnen verweilen und sich so sein eigenes Klangbild komponieren. Der Aufbau sollte allerdings nicht dazu verleiten, die Amsterdamer Quadrophoniker für schöngeistige Soundmaler zu halten. In dieses Museum geht man am besten mit zugenähten Augenliedern und am Schädelknochen festgenieteten Kopfhörern. Am vergangenen Freitag war die groteske Wanderausstellung im Substage zu hören.
Wie mit eisigen Lasern projizieren Mark Drillich, der irre Kurator, und seine drei Museumsmitarbeiter ihre musikalischen Gemälde dort direkt auf die Cortex. Verstörend sind die Bilder, wie die gezeichneten Lästerlichkeiten von Félicien Rops. Aber gleichzeitig titanisch wie Raumschiffe von Peter Elson und John Berkey, über Fritz Langs dystopische Robotterstädte donnernd – angetrieben vom Schub höllischer Grooves. Zusammengehalten werden diese enormen Gebilde von technisch ausgeklügelten Arrangements. Doch klaffen in den Stahlblauen Gitarrenwänden immer wieder Lücken für atmosphärische Samples, abwechslungsvolle Keyboards und Anklänge britischer Elektronik-Tonkunst.
Solche monumentalen Raumkreuzer beim Durchbruch der Warp-2-Barriere auf Kurs zu halten ist für die Mannschaft Schwerstarbeit. Die erledigt sie aber souverän: Wie ein Hightech-Hephaistos schuftet David Kox abwechselnd an seiner Gitarre und seinen Tastaturen. Tijs Keverkamp entlockt seiner halbakustischen ES-335 Klänge, für die sie die Firma Gibson sicherlich nicht konzipiert hat. Drillich bearbeitet seinen Bass derart kraftvoll, dass ihm die Adern auf der hohen Stirn auf die Ausmaße von Baron Vladimir Harkonnen Pusteln im Film Dune anschwellen. Ersatz-Schlagzeuger Stef Broks (Textures)  hingegen hat sich wie ein Sith in seinen Kapuzenpulli zurückgezogen und konzentriert sich voll auf seine machterfüllten Polyrhythmen. Fantastisch!
Die Musik von Kong verhält sich zum Gros der instrumentalen Postrock- und Prog-Protagonisten wie die Industrie-Landschaften von Oliver Jordan zum Ausstoß eines Wochenend-Malkurses an der Volkshochschule. Man will, dass diese Lieder nicht aufhören, man wünscht, von diesen vertonten Acid Trips gäbe es keine Wiederkehr, man giert danach, immer noch hinter den nächsten Spiralnebel schauen. Schade dass diese Band auch nach 25 Jahren Weltraum-Odyssee nur eine so schmale Zielgruppe erreicht, dass sich beim Start gerade mal 60 Mitreisende einfinden. Reif fürs Museum sind Kong trotzdem noch lange nicht – soweit ist es frühestens 2143.

Sonntag, 10. März 2013

Makeup To Breakup – Peter Criss legt seine Memoiren vor

Braucht der Fan wirklich ein weiteres Buch voller Koks-, Alkohol-, Schusswaffenmissbrauchs- sowie Straßen- und Sexualverkehrsexzesse eines mehr oder minder abgehalfterten Rockstars? Selbstverdammtnochmalständlich! Besonders wenn es sich dabei um die – erstaunlicherweise recht detaillierten – Erinnerungen von KISS-Drummer Peter Criss handelt.
Zwar nervt der Catman mit seinem ewigen selbstgefälligen und gefühlsduseligen Getue über weite Strecken von „Makeup To Breakup: My Life In And Out Of Kiss“ auch mal. Criss stilisiert sich hier als toughes Streetkid aus Brooklyn mit goldenem Herzen und als einziges Bandmitglied, dass stets die Fahne des Rock´n´Roll hochhält, während es den anderen ja nur ums Geld geht. Spaß macht die auf 360 Seiten ausgebreitete Sicht des Drummers auf die allgemein bekannte KISStory aber dennoch.
Denn über die Bandkollegen, auf die Criss wegen deren chronischer Missachtung seiner selbst noch immer einen tierischen Brass hat (regelmäßig bringen sie ihn dazu, sich das Makeup vom Gesicht zu heulen), erfährt man so Einiges – wenn auch wenig Schmeichelhaftes: Gene Simmons lässt nicht nur die Zunge, sondern auch die Körperhygiene schleifen. Das hindert ihn aber nicht daran eine endlose Reihe von Frauen – von der 63-Jährigen Band-Chauffeuse bis zum Weltstar (Cher) – flachzulegen.
Paul Stanley hat zwar auch stets eine Freundin, sucht aber verdächtig gerne Teppiche und Tapeten aus. Außerdem zeichnet er besonders gerne und häufig Penisse, was aber durchaus auch an seiner grenzenlosen Selbstverliebtheit liegen könnte. Die ist so groß, dass er irgendwann seinem Psychiater das Bandmanagement überträgt.
Apropos Penisse. Ace Frehley hat in der Band den größten Schwengel – Criss immerhin den zweitgrößten, dann erst folgen Paul und Gene –, an den er bei jeder sich bietenden Gelegenheit selbst Hand anlegt. Am liebsten, wenn er dabei fremde Paare mit dem Feldstecher beobachten kann. Zur Not hängt er sich aber auch einfach ein Pin Up vors Teleskop. Wenn er nicht gerade wichst, ist der gute Ace drogenmäßig derart abgefuckt, dass ihm die Drehbuchautoren des Filmdebakels „KISS Meets the Phantom of the Park“ vorsorglich von vorneherein nur Zeilen wie „Arrrggghhhh“ ins Drehbuch schreiben.
Kein Wunder, dass sich die vier Insassen dieser Klappsmühle Namenss KISS irgendwann so sehr auf die Nerven gehen, dass einer dem anderen verbietet, auf den gemeinsamen Platten zu spielen. Von daher taugt das Buch nicht nur als unterhaltsame Freizeitlektüre, sondern auch als Fallstudie über irrationales Verhalten von Führungspersonal in Millionenunternehmen.

Samstag, 9. März 2013

Bullenscheiße oder echte Hartwurst? - Long Distance Calling in Concert


Bruce Dickinson wird das Bonmot zugeschrieben, es gebe zwei Arten von Musik: „Heavy Metal und Bullshit“. So weit wie der Frontmann der Genre-Säulenheiligen Iron Maiden muss man in der Herabwürdigung anderer musikalischer Präferenzen indes nicht gehen, um zu der Auffassung zu gelangen, die Kategorie Postrock sei nichts anderes als ein Feigenblatt für bemützte, Nerdbrillen tragende, Sensibelchen, denen man Pomp und Pathos richtigen echten Metals niemals abnehmen würde. Zu oft erschöpft sich das musikalische Schaffen so etikettierter Bands in ereignisarmen Spaziergängen durch sogenannte „Klanglandschaften von epischer Weite“ und gespreiztem Nix-Passiert-Gedudel. Bei Long Distance Calling hingegen lässt sich das Präfix „Post“ so interpretieren, dass hier gehörig die Post abgeht. So geschehen am vergangenen Dienstag im ausgesprochen gut besuchten Substage.
Doch zunächst zu einer „No Bullshit-Band“ im reinen dickinsonschen Sinne. Audrey Horne stehen für alles, was Metal einmal ausmachte: lange Haare haben, laute Musik hören,  Bier trinken und den hippen Kids, die modischer gekleidet, sportlicher, besser in der Schule und beliebter sind, sowie jedem, der darauf drängt, es diesen Strebern gleichzutun, den Mittelfinger zu zeigen – also praktisch allen. Musikalisch wandeln die Norweger folglich auf ausgetretenen Pfaden. Mal treten sie in die Fußstapfen von Maiden („This Ends Here“), mal von Whitesnake („There Goes a Lady“), mal Ozzy Osbourne („Blaze Of Ashes“). Trotz ihrer Zitierfreude sind Audrey Horne keine Plagiatoren oder gar Parodisten wie Steel Panther. Zum einen können sie richtig gute Songs schreiben, zum andern verpasst Frontmann Torkjell Rød mit seiner punkigen Optik der Band extra Kante.
Zur ernsthaften Partymusik von Audrey Horne bieten Solstafir das totale Kontrastprogramm. Ihr verwaschener Genremix aus Black Metal, Psychedelia und, hach ja, Postrock lässt wegen seinen halligen Gitarren und Walgesang-Synthies an eine deprimierte Version von Hawkwind denken. Ein Händchen für Stimmungen lässt sich der Band zwar nicht absprechen, aber auf Dauer ist der hypochondrische Atmo-Rock der bärtigen Isländer doch ziemlich fade.
Langweilig wird es bei Long Distance Calling dagegen zu keiner Sekunde. In ihren technisch so brillant wie mitreißend gespielten Instrumental-Songs verbinden die Münsteraner Classic Rock, Metal, Alternative und Prog. In dieser euphonischen Wundertüte finden sich packende Speed Metal-Riffs genauso wie enthusiasmierende Jumpcore-Grooves vom Schlage Rage Against The Machine oder eine epische Orientnote wie bei Rainbow. Mit Martin „Marsen“ Fischer (Pigeon Toe, Ex-Fear My Thoughts) hat man dazu einen Sänger angeheuert, der mit seinen an Mike Patton geschulten Melodielinien das eine oder andere Stück auflockert. Was bleibt den Fans da anderes übrig, als ein Stück nach dem anderen rhythmisch abzunicken? Das ist vielleicht nicht hundert Prozent Metal, aber null Prozent Bullenscheiße!